FolkWorld Artikel von Michael Moll:

B.E.V. - BonificaEmilianaVeneta

Sümpfe trockenlegen und italienische Musik trinken...


BEV CD Cover Nördlich der Alpen bekommt man selten Folk aus Italien zu hören - wenngleich es auch dort es jede Menge spannender neuer Gruppen zu entdecken gibt. Zu den italienischen Folk-Neuentdeckungen der letzten Jahre gehören unter anderem Ned Ludd aus Rom mit ihrem ganz individuellen Folkrock oder auch Gai Saber, die traditionelle okzitanische Troubadour-Musiktraditionen jugendlich-modern verpacken. In diesem Artikel stellen wir eine weitere neue, spannende und coole Band vor, deren Musik auf norditalienischen Musiktraditionen basiert. Ihre Debut-CD wurde vom FolkWorld Magazin zur besten europäischen Folk-CD von 1999 erchoren, und in diesem Jahr wird die Band auf dem Tanz & Folkfest Rudolstadt (und zwei Tage zuvor in Syke) ihr Deutschland-Debut geben. Die Rede ist von B.E.V. - BonificaEmilianaVeneta.

B.E.V. spielen in erster Linie traditionelle Musik aus Emilia und Veneto, Regionen in den Nord-Appenninischen Bergen, die sich zwischen der Poebene und den Alpen ausstrecken. Ihre Instrumente sind meist akustisch und traditionell, ihre Musik dagegen vereint die traditionelle Spielweise mit modernen Elementen.

Die Gruppe entstand, als sich "La Piva dal Carner" auflöste. "La Piva dal Carner", in 1991 gegründet, war ziemlich populär in der italienischen Roots-Szene, löste sich jedoch 1998 nach zwei Alben und vielen Konzerten auf. Drei von La Piva (Marco Mainini, Walter Rizzo, Claudio Pesky Caroli) formierten daraufhin mit zwei weiteren Musikern (Allessandro (Alex) Mottaran, Luciano Giacometti) B.E.V.

BEV; press photo BonificaEmilianaVeneta - was bedeutete dieser lange Name? Alex erklärt: " Bonifica beschreibt das Drainieren von Sumpfland, um es in nutzbares Acker- oder Wohnland umzuwandeln. Wir haben diesen Namen gewählt, um unseren Wunsch auszudrücken, unsere Traditionen frei ausleben zu können, ohne dabei zu sehr an Philologie und ähnliches zu denken. In gewisser Weise beschreibt es die Notwendigkeit, von der Inflexibilität der Traditionen wegzukommen." Demnach ist also die Idee des Bonifica ausgedrückt im Verändern der angestaubten Musiktraditionen, um sie für die heutige Zeit und Generation wieder nutzbar zu machen.
"Emiliana Veneta weist auf die Wurzeln unserer Musik hin und die Pflicht, diese Wurzeln nie zu vergessen. Ausserdem bedeutet BEV im Emilianischen Dialekt "trinken", und das ist genau die Form, in der unsere Musik konsumiert werden sollte. BEV ist auch der Spitzname des englischen Namens Beverly - kennst Du Bev?"

B.E.V. verwenden eine spannende Mischung an Instrumenten. Alle sind laut Alex traditionell in diesen Regionen, wenngleich sie in verschiedenen Gebieten und Zeiten der Musiktradition verwendet wurden. Piva, der italienische Dudelsack, ist das älteste Instrument der Gruppe; es stammt aus dem 13. oder 14. Jahrhundert. Die Drehleier hat ihre Ursprünge im 17./18. Jahrhundert, während Saxophon und akustische Gitarre "offensichtlich die neuesten ‚traditionellen' Instrumente" sind. Ausserdem gibt es bei B.E.V. auch Akkordeon, Mandocello, Bombarde, eine traditionelle Oboe und einen Kontrabass. "Es ist Bestandteil der Tradition der 80er und 90er (und 00er), dass all diese Instrumente zusammengespielt werden - zumindest können sie zusammen gespielt werden, das ist einer der Vorteile unseres Jahrhunderts."
Ihr Repertoire besteht aus traditionellen Liedern und Tänzen, ergänzt durch neue Kompositionen im traditionellen Stil. "Wir schaffen gerne neue Melodien und Lyriken, indem wir moderne Elemente zu den traditionellen Archetypen hinzufügen."

BEV CD Cover Die meisten Musiker von B.E.V. sind nicht in einer "vollkommmen traditionellen Emilianischen oder Venetianischen Welt" aufgewachsen. Alex and Luciano haben traditionelle Akkordeonspieler in ihren Familien, und "unsere Omas liebten Roots Musik, und sie sangen gerne Melodien. Aber das ist heutzutage nicht genug, um dem Nachwuchs einen Anreiz zu geben, diese Art von Musik zu spielen."
B.E.V. haben viele Einflüsse aus anderen Musikstilen. Alle haben zuerst 70er Jahre-Populärmusik gehört und gespielt - Punk, New Wave, Country, Rock, Blues, Jazz. "Bis eines Tages uns gewisse Dinge zurückgerufen haben in die alte Welt, zu der du gehörst und über die du dir bisher keine Gedanken gemacht hattest."

Die alte Welt, zu der du gehörst - leider ist ein grosser Teil der Musik dieser alten Welt im 20. Jahrhundert verloren gegangen, so wie es in vielen anderen europäischen Ländern auch geschehen ist. "Viele unserer Traditionen sind verlorengegangen oder nahezu ausgestorben. Manchmal musst Du Deine musikalischen Nachforschungen auf nur ganz wenige Dinge konzentrieren. Zum Beispiel haben wir den italienischen Dudelsack gerettet, und konnten so neue Pivas bauen - aber wir wissen nichts über die alten Spieltechniken, weil der letzte Spieler schon seit vielen Jahre nicht mehr spielt. Zum Glück haben wir eine lebendige Gesangstradition, die viele schöne alte Melodien und den traditionellen Gesangsstil in die heutige Zeit getragen hat." Das italienische Folkrevival, das in den 60er begann, hat mitgeholfen, einen Teil des traditionellen Materials zu bewahren. B.E.V. holen sich ihre Lieder und Melodien zum grossen Teil aus Archiven und Büchern, wenngleich es auch noch möglich ist, alte Leute zu finden, die ihnen einige Melodien beibringen.

BEV; press photo Die Musik aus Emiliana und Veneto hat viele Einflüsse aus anderen Musiktraditionen. Diese Verbindungen gehn nicht nur zu anderen norditalienischen Traditionen, sondern auch weiter nach Westen: "Man kann bei uns viele Tanzmelodien finden, die galicischen oder asturischen ähneln. Auch erzählen viele unsere Balladen dieselben Geschichten, die man auch in Liedern vieler anderer Länder wie Portugal, Frankreich, England hört."

Heute gibt es wieder mehr und mehr Folkmusiker und -gruppen in Italien, dennoch wird Folkmusik weiterhin bei Platten-Majors und in der Politik, im Fernsehen und der Presse eher vernachlässigt. Ein Problem, das nicht nur Italien betrifft...

Während Alex begeistert ist vom traditionellen Material seiner Region, findet er gleichzeitig, dass sich die Herangehensweise an traditionelle Musik im Generellen ändern muss. "Oft wird falsch über Traditionen gedacht und empfunden; wir müssen diese Ansicht ändern und die Traditionen als Mittel nehmen, um uns selbst auszudrücken, um über uns, über unsere Region und Kultur von heute zu sprechen, nicht nur als Mittel, um über unsere Vorfahren zu sprechen. Das ist der Weg, um die Folkmusik wieder aufblühen zu lassen!"

Und das ist genau die Magie, die die Attraktivität der Musik von BonificaEmilianaVeneta ausmacht: Es ist traditionelle Musik von heute, präsentiert von Herz und mit Begeisterung. Es ist dieser Enthusiasmus und die Ehrlichkeit in der Spielweise, die diese Musik auf traditionellen Instrumenten modern werden lässt.


CD: B.E.V. - BonificaEmilianaVeneta "Apotropaica", erschienen 1999 bei Robi Droli; Bestellnr. Enrosadira 0010; zu beziehen über Alessandro unter folkbev@tin.it
Weitere Infos unter http://www.infinito.it/utenti/folkidea/ (mit Soundfiles)

B.E.V. Auftritte in Deutschland in 2000:
6. Juli 2000: Syke bei der Jazz Folk KLassik in Syke.e.V.; Infos von Rainer Koester
7.-9. Juli 2000: Tanz- und Folk Fest Rudolstadt


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 6/2000

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