FolkWorld Artikel von Christian Rath:

Ist der "Kulturstandort" Deutschland in Gefahr?

Zur neu entflammten Debatte um die sogenannte "Ausländersteuer"


Für Ausländer gibt es in Deutschland meistens Sonderregeln, und bei der Besteuerung ausländischer Künstler ist das nicht anders. Salopp spricht man von einer "Ausländersteuer", die auf die in Deutschland erzielten Gagen erhoben wird. Diese Steuer, die vor allem an den Veranstaltern hängen bleibt, wurde 1996 unter heftigem Protest der Kulturbranche erhöht. Damals wurde befürchtet, dass nun kaum noch internationale Musiker nach Deutschland geholt werden können. Jetzt - vier Jahre später - steht die "Ausländersteuer" wieder zur Diskussion, auf Bundesebene finden schon Gespräche über eine Reform statt. Und ein Appell von verschiedenen Kulturverbänden fordert sogar eine völlige Rücknahme der Steuererhöhung.

Wie funktioniert die Ausländersteuer?

Auch Künstler müssen ihre Einnahmen versteuern. Inländische Künstler sind dabei "unbeschränkt steuerpflichtig", d.h. sie müssen als Selbständige eine Steuererklärung abgeben, in der sie ihre Einnahmen und Ausgaben aufschlüsseln. Der verbleibende Gewinn wird dann zu den üblichen Steuersätzen besteuert.

Ausländische Künstler (und Sportler) sind dagegen nur "beschränkt steuerpflichtig", weil sie für den Fiskus nach dem Ende einer Tournee nur schlecht erreichbar sind. Ein besonderes Verfahren soll sicherstellen, dass sie ihre in Deutschland erzielten Einnahmen dennoch bei uns versteuern.

Dabei muss der Veranstalter von den Zahlungen, die er an die Künstler leistet, 25 Prozent (plus Solidaritätszuschlag) einbehalten und an den Fiskus abführen. Dieser Steuersatz beruht auf folgender Überlegung: Da vom ausländischen Künstler keine ausführliche Steuererklärung verlangt werden kann, werden seine Betriebsausgaben (für Technik, Reise- und Übernachtungskosten) pauschal auf 50 Prozent seiner Gesamteinnahme geschätzt. Die restlichen 50 Prozent gelten als Gewinn, der zur Hälfte (= 25 Prozent der Gesamtsumme) an den Fiskus gehen soll.

Wenn also eine irische Folkgruppe für ein Konzert 4000 Mark erhält, so müsste der Veranstalter 1000 Mark einbehalten und als Steuer abführen. Tatsächlich vereinbaren aber die meisten Künstler eine Netto-Gage und überlassen das Bezahlen der Steuer dem Veranstalter. Wenn die Iren dabei 4000 Mark bar auf die Hand verlangen, dann muß der Veranstalter nochmals 1333 Mark (25 Prozent von 5333 Mark) zusätzlich aufwenden, um den Fiskus zufriedenzustellen. Aus der Sicht der Veranstalter ist das eine Zusatzausgabe, die nur bei ausländischen Künstlern anfällt, daher der etwas flapsige Begriff "Ausländersteuer".

Diese Steuer gab es aber auch schon vor 1996. Bis dahin mußten aber lediglich 15 Prozent der Brutto-Zahlungen abgeführt werden. (Damals ging man von einem pauschalen Betriebskostenanteil in Höhe von 70 Prozent aus, der fiktive Gewinn in Höhe von 30 Prozent wurde dann ebenfalls zur Hälfte besteuert.) Für die Veranstalter stieg die Steuerlast 1996 also um 66 Prozent (von 15 auf 25 Prozent der Bruttozahlungen an die Gruppe).

Mit dieser Steuererhöhung wollte der Gesetzgeber allerdings nicht den Folk-Clubs das Leben schwer machen. Anlaß boten vielmehr Kölner und Gladbacher Fußballprofis, die ihren Wohnsitz ins nahe Belgien verlegten und sich so zu Steuer-Ausländern machten. Dass sie ihre Einnahmen nur noch mit 15 Prozent besteuern mußten, stieß in Deutschland auf Empörung und führte zu einer Anhebung des Steuersatzes auf 25 Prozent. Dieser Satz gilt nun einheitlich für alle "ausländischen" Künstler und Sportler, egal ob sie Groß- und Kleinverdiener sind, egal auch ob sie hohe oder niedrige Betriebsausgaben haben.

Neues Erstattungsverfahren hilft wenig

Der Protest gegen diese Regelung war in der Kultur-Szene ungleich stärker als bei den Sportverbänden. Da Sportler meist relativ geringe Kosten haben, fahren sie mit der 25-Prozent-Regel immer noch gut. Bei Künstlern stand jedoch schnell das Problem der "Übersteuerung" im Raum. Davon spricht man, wenn der tatsächliche Kostenanteil bei einem Darsteller über den angenommenen 50 Prozent liegt.

Als Michael Jackson - angeblich aus Protest gegen die Ausländersteuer - einige Deutschland-Konzerte absagte, wurde 1997 schnell eine ergänzende Regelung nachgeschoben. In diesem "vereinfachten Erstattungsverfahren" kann nun eine teilweise Rückzahlung der Steuer beantragt werden - aber nur wenn besonders hohe Kosten (d.h. größer als 50 Prozent) nachgewiesen werden. Könnten die Iren im obigen Beispiel Kosten in Höhe von 2500 Mark nachweisen, dann würden ihnen 250 Mark zurückbezahlt, da sie 500 Mark weniger Gewinn gemacht hätten, als vom Gesetz unterstellt. Die Politik sah mit dieser Nachbesserung das Problem der "Übersteuerung" gelöst.

Doch große praktische Bedeutung hat das Erstattungsverfahren nicht erlangt. Beim Bundesamt für Finanzen werden jährlich "unter 100 Anträge" registriert. Genutzt wird das Verfahren vor allem von den Großverdienern, die sich die Einschaltung von teuren Anwälten und Steuerberatern leisten können. Aber auch sie haben manchmal Schwierigkeiten, entsprechende Kosten nachzuweisen. Im Kulturbetrieb wird eben viel ohne Quittung abgewickelt und auch nicht jede Ausgabe (etwa der persönliche Fitnesstrainer) steht im unmittelbarem Zusammenhang mit einer Deutschland-Tournee. Zudem haben Künstler, wenn sie netto ausbezahlt wurden, auch gar kein direktes Interesse mehr, dem Veranstalter bei der Steuererstattung zu helfen - das Geld käme schließlich gar nicht ihnen zu Gute. Und wenn der Veranstalter sogar die Nebenkosten (Fahrt, Hotel, Verpflegung, Technik) übernommen hat, dann kann in der Regel erst gar kein Erstattungsanspruch entstehen, denn jener bezieht sich ja auf die Kostensituation beim Künstler selbst.

Verstoß gegen Europarecht?

In juristischer Hinsicht richtet sich der Blick jetzt eher auf das Europarecht. Vorgegeben wird die Argumentation vom idkv (Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft), der als Speerspitze im Kampf gegen die Ausländersteuer agiert. Seiner Ansicht nach benachteiligt die pauschale Ausländersteuer Künstler aus dem EU-Ausland gegenüber deutschen Künstlern. Denn nur bei deutschen Künstlern, so die Begründung, würden die Gewinne progressiv besteuert, d.h. dass für geringe Gewinne ein niedriger Steuersatz gilt und nur Großverdiener den aktuellen Spitzensteuersatz von 51 Prozent bezahlen. Für ausländische Künstler sei dagegen (nach Abzug der fiktiven hälftigen Kosten) immer ein 50-prozentiger Steuersatz fällig.

Dies klingt auf den ersten Blick zwar einleuchtend. Ob damit aber auch eine Klage beim Europäischen Gerichtshof Erfolg hätte, ist nicht ausgemacht. Schließlich unterscheidet die starre Regelung für Steuer-Ausländer gerade nicht nach der Staatsangehörigkeit, sondern nach dem Wohnsitz. So zielte die Reform von 1996 auch vor allem auf deutsche Sportler und Künstler, die aus steuerlichen Gründen ihren Wohnsitz im Ausland nahmen. Eine gezielte Diskriminierung von EU-Ausländern ist dieser Regel jedenfalls nicht zu entnehmen.

Auch der idkv selbst scheint auf das Europarecht nicht mehr viel Hoffnungen zu setzen. Während er noch 1996 eine sofortige Klage beim Europäischen Gerichtshof ankündigte, ist dort heute immer noch kein Verfahren anhängig. Angeblich hat der Verband keinen Konzertveranstalter gefunden, der sich auf den Klageweg begeben will.

Weniger ausländische Künstler?

Inzwischen werben die Konzertveranstalter vor allem um Verständnis bei der Politik. In einem dramatisch klingenden Appell haben sie sich Ende Februar an alle Bundestagsabgeordneten und die zuständigen Ministerien gewandt. Darin wird die Anhebung des Steuersatzes im Jahr 1996 als "unerträgliche und den Kulturbetrieb weitgehend lähmende Belastung" bezeichnet. Dem idkv-Appel haben sich inzwischen auch zahlreiche andere Verbände, Theater und Opernhäuser angeschlossen. So findet sich bei den Unterzeichnern etwa der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft, der Musikverlegerverband oder der Rock-Musikerverband. Gefordert wird vor allem eine "schnellstmögliche" Rückkehr zum alten Pauschalsteuersatz von 15 Prozent.

Der Appell beruft sich dabei auf "erste Untersuchungen", die "belegen, dass sich die Zahl der Verpflichtungen von ausländischen Künstlern seit der Gesetzesänderung im Jahre 1996 teilweise drastisch reduziert hat." Konkrete Zahlen konnte der Verband auf Nachfrage allerdings nicht vorlegen. Es scheint kaum mehr zu geben als eine große Zahl von Einzelmutmaßungen, wonach sich der Auftritt für internationale Künstler in Deutschland nicht mehr lohne.

Tatsächlich finden aber auch vier Jahre nach der Steuererhöhung noch jede Menge internationaler Tourneen in Deutschland statt, sind in den Clubs nach wie vor europäische und außereuropäische Künstler zu Gast. Da liegt die Frage nahe: Wie kommt das?

Zum einen gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich von der Ausländersteuer freistellen zu lassen. Neben punktuellen Regelungen in einzelnen Doppelbesteuerungsabkommen ist vor allem der aus dem Jahr 1983 stammende "Kulturorchester-Erlaß" des Bundesfinanzministeriums relevant. Danach können Gruppen und Ensembles steuerbefreit werden, wenn die Kosten des Gastspiels zu mehr als einem Drittel aus deutschen oder ausländischen öffentlichen Mitteln finanziert werden. Hier gibt es allerdings auch einige Stolpersteine. So sind Solisten von diesem Privileg ausdrücklich ausgenommen. Außerdem muss die staatliche oder kommunale Förderung direkt dem Gastspiel zugute kommen und nicht lediglich der veranstaltenden Einrichtung. Nach Einschätzung des idkv kann aber nur in maximal 10 Prozent aller Fälle die Ausländersteuer vermieden werden.

Bei den übrigen Auftritten wurstelt man sich eben durch. Mal ist die Gage etwas niedriger als früher, mal der Eintritt etwas höher, mal schiesst die Plattenfirma etwas zu, mal auch das Heimatland des Künstlers. Angst vor einem völligen Boykott seitens der ausländischen Künstler ist jedoch offensichtlich fehl am Platz. Den drittgrößten Musikmarkt der Welt wollen eben viele Künstler nicht einfach links liegen lassen.

Sicherlich gibt es aber auch Künstler, die auf Deutschland-Konzerte inzwischen mehr oder weniger verzichten. Aber statt ihrer spielen dann möglicherweise andere internationale Musiker, für die der hiesige Auftritt wichtiger ist. Nun könnte man beklagen, dass sich in Deutschland bald nur noch Nachwuchsbands bekannt machen wollen. Allerdings gibt es auch Agenten, die wegen der Ausländersteuer die Nachwuchsförderung ganz eingestellt haben und sich nun ganz auf die arrivierten (und damit publikumsträchtigen) Namen konzentrieren wollen. Auch dieses Beispiel zeigt: Es gibt einfach kein einheitliches Bild, außer dass es für alle Beteiligten lästig ist, so viel Steuern zu bezahlen.

Auch für das vermeintliche "Clubsterben" kann wohl nicht so einfach die Ausländersteuer verantwortlich gemacht werden. So forderten bei einer Umfrage (veröffentlicht im "Jahrbuch Popkommunikation 98/99") nur knapp 10 Prozent der Clubs eine Senkung oder Abschaffung der Steuer. So akut scheint das Problem für diese (auch für die Folk-Szene wichtigen) Veranstalter dann doch nicht zu sein. Die größeren Gefahren für die Clubs liegen wohl eher in der Saturiertheit des Publikums, das wenig Risikofreude zeigt und auch in seinen Komforterwartungen immer anspruchsvoller wird. Die Jugend dagegen hat eigene Musikstile (Techno/House, HipHop) entdeckt, die nicht leicht in die herkömmlichen Clubs zu integrieren sind.

Besonders massive Probleme mit der Ausländersteuer haben aber sicher diejenigen Veranstalter, die sich bisher aus Unkenntnis oder mit Absicht an ihr vorbeigemogelt haben. Und das sind wohl gar nicht so wenige, wenn man Insidern glauben darf. Da solche Einrichtungen bisher gar keine Ausländersteuer bezahlten, wurde für sie die irische Band im obigen Beispiel nicht (nur) um 563 Mark (Steigerung von 15 % auf 25 % bei Netto-Gage von 4000 Mark), sondern sogar um 1333 Mark teurer. So etwas verhagelt natürlich den Etatansatz viel mehr - und zwar erst recht, wenn dann auch noch Nachforderungen für zurückliegende Jahre einlaufen.

Ironie der Geschichte: Gerade die lebhafte öffentliche Diskussion um die Ausländersteuer dürfte bei den deutschen Finanzämtern für größere Aufmerksamkeit gesorgt haben. Früher wurde lange nicht so gründlich kontrolliert. In die gleiche Richtung wiesen aber auch die öffentlichkeitsträchtigen Steuerhinterziehungs-Prozesse gegen die Konzertveranstalter Marcel Avram (Mama Concerts) und Matthias Hoffmann ("drei Tenöre"). Inzwischen weiß wohl jeder Finanzbeamte, dass und wie die Gastspiele ausländischer Künstler zu versteuern sind.

Probleme einer Neuregelung

Trotz aller Vorbehalte ist eine Reform aber sicher angebracht und notwendig. Denn gerade bei unbekannteren Künstlern und kleineren Clubs wird die Ausländersteuer vor allem durch verstärkte Selbstausbeutung aufgefangen. Das aber war nicht das Ziel der Neuregelung 1996 und sollte auch heute nicht in Kauf genommen werden. Ein Großteil der Mehreinnahmen für den Fiskus (1996 wurden rund 70 Millionen Mark prognostiziert) stammt ohnehin aus anderen Taschen der öffentlichen Hand, weil eben auch viele öffentliche Einrichtungen Ausländersteuer bezahlen müssen.

Dass etwas passieren muss, ist inzwischen auch in Teilen der Bundesregierung akzeptiert. So hat der Kulturbeauftragte Michael Naumann bereits erklärt, dass er sich für eine Reform einsetzen wird. Im Finanzministerium sieht man dagegen noch keinen Handlungsbedarf. Gespräche sind aber im Gange.

Allerdings ist allen Beteiligten klar, dass man die Neuregelung von 1996 nicht einfach völlig rückgängig machen kann. Zumindest der Sport soll wegen der abweichenden Kostensituation weiterhin höher besteuert werden. Immer noch in der Diskussion ist dabei ein Gesetzentwurf, den die Grünen bereits 1996 vorgelegt hatten. Danach blieben Kultur-Gagen bis 4000 Mark pro Auftritt steuerfrei, um gezielt Klein- und Normalverdiener zu entlasten, anschließend würden die Steuersätze (ähnlich wie bei der Progression) stufenweise steigen.

Andererseits würde durch eine solche differenzierte Regelung das Steuerrecht auch nicht gerade einfacher. Nach dem Grünen-Entwurf müsste das Bonner Bundesamt für Finanzen in jedem Einzelfall prüfen, ob ein ermäßigter Steuersatz angelegt werden darf. Solche administrativen Probleme dürften einer Neuregelung vermutlich mehr im Wege stehen als der zu erwartende Einnahmeausfall.

Ob eine Reform jedoch tatsächlich gelingt, hängt auch davon ab, wie überzeugend seitens der Reformkräfte argumentiert wird. Der angeblich drohende Niedergang des "Kulturstandorts" Deutschland ist in den letzten vier Jahren jedenfalls ausgeblieben und sollte daher nicht stets von Neuem beschworen werden.


Originalabdruck: Folker!, Magazin für Folk, Lied & Weltmusik

Zurück zum Inhalt der FolkWorld Artikel & Live Reviews
Zum Inhalt des FolkWorld online musikmagazins Nr. 14

© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 6/2000

All material published in FolkWorld is © The Author via FolkWorld. Storage for private use is allowed and welcome. Reviews and extracts of up to 200 words may be freely quoted and reproduced, if source and author are acknowledged. For any other reproduction please ask the Editors for permission.


FolkWorld - Home of European Music
FolkWorld Home
Layout & Idea of FolkWorld © The Mollis - Editors of FolkWorld