FolkWorld Artikel von Michael & Christian Moll:

The Continental Celts series, Part VI

Dereelium - one of Germany's best

Die Band mit dem genialen Namen, den keiner versteht


Die EXPO 2000 ist vorüber, warum also nun wieder das Spotlight auf Hannover richten? Nun, vielleicht, weil aus dieser Stadt mit Dereelium die vielleicht beste deutsche Irish Folk Band kommt, die es problemlos mit den irischen Originalen aufnehmen kann. Oder auch, weil in Hannover einige der besten Irish Sessions in Deutschland stattfinden, bei denen jene Irish Folk Band eine wichtige Rolle spielt.

Dereelium; photo by The Mollis Wir trafen Dereelium in Holland, wo die Band auf dem ersten Folkwoods Festival in Eindhoven spielten. Eingeladen auf Empfehlung des in Holland lebenden Bodhran Bauers Brendan White, waren Dereelium preiswerter Ersatz für die irische Originale, die sich das Festival dieses Mal noch nicht leisten wollte. Es war kein einfacher Job für Dereelium an jenem Samstagnachmittag im Zelt 2 des Folkwoods Festivals - die Sonne briet nur so auf das Zelt hinab, und hinzu kam, dass nach der Hälfte des Konzertes im Zelt 1 die ‚Konkurrenz' von den niederländischen "Chieftains Riverdance" startete. Trotz allem spielten sie sich durch ihre Songs und Tunes, und sie konnten sich auch etliche Zuschauer im Zelt halten.
Folkwoods war bereits das zweite große Festival, zu dem Dereelium in diesem Jahr eingeladen worden waren, nach Rudolstadt. Dass die großen Festivals die Band entdecken, zeigt schon, dass bei Dereelium mehr dahintersteckt als "nur" eine weitere Truppe Deutscher, die irische Musik nacheifern muß...

Millvalley heißt die Debut-CD der Band, die im letzten Jahre erschienen ist, und begeistert von den Folk-Medien und Fans aufgenommen wurde. FolkWorld bezeichnete Dereelium in der CD-Besprechung als die vielleicht beste deutsche Band von "Continental Celts", und zurecht; die Musiker gehören zweifellos zu den besten Musikern im Irish Trad Genre, die die deutsche Szene zu bieten hat. Auch auf der Bühne können Dereelium mit ihrer Musik überzeugen, am besten sind sie jedoch in der Atmosphäre, wo sie auch herstammen: in gemütlichen informellen Sessions. Dass sie diese Frische der Sessions auf dem Album Millvalley einfangen konnten, ist allerhand.

Dereelium's Barbara und Georg; photo by The Mollis Die große Stärke von Dereelium ist die Mischung von bekannten irischen Tunes mit unbekannteren irischen, aber auch osteuropäischen, spanisch-keltischen oder woher auch immer kommenden Stücken. Das gibt der Musik ihr ganz persönlicher Flair, das sich von den meisten anderen Irish Bands absetzt. Mit einem Instrumentarium von Bouzouki und Gesang (Barbara Steinort), Fiddle (Michael Möllers), English Concertina (Georg Möllers), Banjo/Mandola/Schäferpfeife (Klaus Gehrmann), Gitarre/Bass (Reiner Köhler) und Bodhran/Bones (Rolf Wagels) entsteht ein sehr voller und ansprechender Klang.

Zusammengefunden hatte sich die Musiker schon vor vielen Jahren in den Hannover-Sessions in der Notenkiste. Die Band wurde dann in 1988 gegründet, im Rahmen eines Charity-Festivals. "Da gab es mal ein Folkfestival organisiert vom Haus der Jugend in Hannover, und das war ein voller Misserfolg, und hinterließ einen großen Schuldenberg. Im Jahr darauf wurde das Folkfestival wiederholt, nicht wegen des großartigen Anklangs, den es gehabt hatte, sondern um die Schulden wieder glatt zu bügeln." Dafür hatten sich einige Liebhaber irischer Musik bereit erklärt, ein Konzert zu geben - und das war die Geburt der Band Dereelium. Die Idee des Bandnamens kam vom Gründungsmitglied Claus Steinort, "auch wenn eigentlich nur die Iren das Wortspiel verstehen". Denn man muß natürlich dazu wissen, was ein Reel ist, und das ist in Deutschland ein Problem.

Am Anfang gab es diverse Besetzungen; die erste "richtige" bestand aus den noch heutigen Mitgliedern Michael, Barbara, Reiner, Klaus plus Claus Steinort, einem hervorragenden Flötenspieler, der in diversen deutschen Bandprojekten mitwirkt. Später kamen dann noch Michaels Bruder Georg und Bodhran-Spieler Rolf Wagels hinzu; Rolf: "Ich bin mal einfach zu einer Probe erschienen. Und weil sie mich nicht rausgeschmissen haben, bin ich dann dageblieben..."

Bei Dereelium ist viel Idealismus dabei, das wichtigste ist, dass es Spass macht. Die meisten spielen auch noch in anderen Bands, zum Teil auch, um Geld zu verdienen, aber bei Dereelium zählt einzig und allein Spass und Idealismus.

Dereelium; photo by The Mollis

Es gibt natürlich sechs verschiedene Geschichten, wie die sechs Musiker zur irischen Musik gekommen sind. Schwarz-Weiss-Filme, Fußball und Waldhorn sind die drei davon, die wir hier kurz ausbreiten möchten.
Michael Möllers, der schon 25 Jahre Irish Folk auf der Geige spielt, erinnert sich, dass 1975 in seiner Stadt ein Ire namens Michael Shields aufgetaucht ist, der mit einer Deutschen verheiratet war. "Und der spielte Musik und sang sehr schön, spielte ein bisschen Tin Whistle, Mandoline, Banjo. Der hatte damals zusammen mit einem Organisator, Willi Schwenken, "Irish Nights" organisiert. Da konnte man dann einen Schwarz-Weiß Film sehen, alles in gälisch, wunderbare Bilder, eben auch Bilder von Legenden wie Christy Moore oder Seamus Ennis in deren natürlicher Umgebung. Dazu ein Guinness, und eben Livemusik. Das hat mich damals ziemlich aus dem Hocker gehauen." Daraufhin hat er selbst angefangen, sich die Musik beizubringen...
W eil er früher Waldhorn in einem Orchester gespielt hat, kam Rolf über einen Orchesteraustausch 1988 nach Irland, und kam zum ersten Mal direkt mit irischen Kultur in Kontakt. Als er wieder nach Irland ging, kam er mit einer (Touristen-) Bodhran zurück; und nachdem er sich etwas später bei Brendan White auf dem Rudolstadt Festival eine richtige Bodhran gekauft hatte, ging er mehr und mehr in die Sessions in Hannover.
Klaus Gehrmann ist über Fussball zur Musik gekommen: "Die Musik ist eigentlich zu mir gekommen, in Form der irischen Nationalmannschaft, die 1988 in Hannover gegen Rußland gespielt hat. Ich hatte ein Ticket für 5 DM, und das Ticket hat mich direkt ins Zentrum des irischen Fanclubs geführt." Abends hat er mit den Iren gefeiert, und dabei einen ersten Eindruck von Irland bekommen "Dann habe ich eine Ukulele gegen ein Banjo eingetauscht, und Dubliner-Songs geübt und gesungen; und bin dann nach Irland gegangen und habe da die Leute besucht, die ich kennengelernt hatte beim Fußballspiel. Ich habe mir dann eine Bodhran aus Irland mitgebracht... War übrigens auch eine Super-EM; ich glaube, Irland ist bis ins Viertelfinale gekommen..." Die Dubliners-Songs hat Klaus zum Glück inzwischen wieder abgelegt. Und Klaus ist immer derjenige in Dereelium, die ausgefallene Tunes mitbringt, die aus dem nicht-irischen Raum stammen; er spielt inzwischen - auch in Dereelium - die deutsche Schäferpfeife.

Bei der Frage nach der Session Szene in Hannover bekommen wir mit einem Grinsen die Antwort: "Der Großteil der Hannoverschen Szene hat sich irgendwann zusammengefunden, sich dann Dereelium genannt, und dann eine CD gebrannt." Und in diesem Satz steckt viel wahres drin, denn es gibt sogut wie keine gute Irish Session in Hannover, bei denen kein Vertreter von Dereelium dabei ist. Dereelium sind zweifellos ein sehr wichtiger, wenn nicht der wichtigste Bestandteil der Hannoverschen Szene. Es gibt aber insgesamt viele Musiker in Hannover.
Schon seit 15 Jahren gibt es jeden Sonntag nachmittag in der "Notenkiste" eine hervorragende Session, zu der immer der harte irische Kern der Szene kommt. Diese Session hat einen so guten Ruf, dass regelmäßig Musiker aus Berlin oder Marburg als Gäste kommen. Zusätzlich gibt es dort eine Session Dienstags abends, die musikalisch weiter gefasst ist, bei der der Fokus nicht auf Irland liegt, sondern bei der auch Jazz, schwedische Tunes oder sonstige Musikrichtungen gespielt werden.
Eine weitere Institution der Szene Hannovers ist der seit 10 Jahren bestehende MacGowan's Irish Pub. Die MacGowans (Shay und Geraldine, bekannt aus Oisin-Zeiten), waren eine Zeit lang Inhaber der Notenkiste gewesen, bevor sie ihren eigenen Pub aufmachten. Dort sind regelmäßig einige der besten Musiker der irischen Szene zu Gast und spielen in Konzerten.

Dereelium's Rolf and Michael; photo by The Mollis

Wir kommen auf den Zustand der irische Musiker-Szene in Deutschland zu sprechen, und alle Dereeliums sind sich einig, dass die Szene derzeit sehr lebendig ist. Michael erwähnt, dass er schon seit 16 Jahren nicht mehr in Irland gewesen ist, aber trotzdem immer irische Musik spielen konnte; ein Zeichen für die Lebendigkeit der Szene. Neben den Sessions, die in vielen deutschen Städten zu finden sind, und oft eine sehr hohe Qualität aufweisen, sind ein wichtiges Standbein der Szene die Musikertreffen, die regelmäßig in verschiedenen Teilen Deutschlands stattfinden.
"Die deutsche Uillean Pipes Gesellschaft hat dabei sehr gute Arbeit geleistet", erwähnt Rolf, "vor allem indem sie bei ihren Treffen nicht nur an die Piper denkt, sondern auch Workshops für viele anderen Instrumente anbietet. Da treffen sich immer sehr gute und sehr nette Leute, und das ist immer sehr spaßig. Und gute Sessions während des gesamten Wochenendes sind garantiert."
Daneben gibt es auch einige Privatinitiativen, die die Szene sehr unterstützen. Rolf erwähnt die legendären Treffen in Hamm bei Thomas Hecking (Musiker in der hervorragenden Irish Trad Band Shanachie), bei denen regelmäßig einige der besten irischen Musiker Deutschlands zusammenkommen. Diese Treffen fördern nicht nur den Zusammenhalt, sondern es entstehen dabei auch neue Bandprojekte, wie z.B. die More Maids, eine Frauentrio, das irische und sonstige Lieder und Tunes sehr frisch interpretiert. (Dereeliums Barabara ist Mitglied bei den More Maids).

Dass das Niveau der deutschen Irish Folk Szene - genau wie in der irischen Szene - in den letzten 10 Jahren unglaublich gestiegen ist, haben die Dereelium-Musiker auch festgestellt. In den Musikertreffen sind auch immer mehr neue, junge Leute zu finden. "Es ist nicht so, dass Folk die Musik der alten Leute ist, bzw. der alten Folkies, wie Michael. Man sieht, dass sich die Szene weiterentwickelt." Ein neues Phänomen der letzen zwei Jahre ist, dass sich die irische Szene nun mehr öffnet zu anderen Musikstilen. Bal Folk ist auch ziemlich im Kommen, auch innerhalb der irischen Szene, wo irische Musiker sich auch immer öfter Schottische und Bourees tanzend wiederfinden. Daneben werden immer mehr von den deutschen Iren bretonische Tunes oder osteuropäische Sachen aufgenommen. "Ich finde sehr schön, dass die wirklich guten irischen Musiker, die technisch und musikalisch sehr gut sind, nun auch mal ein bisschen was anderes dazunehmen." Die Sessions werden dabei auf jeden Fall belebt; und letztendlich macht eine solche Mischung auch gerade den Reiz der Musik Dereeliums aus.

Mit einer solchen Mischung können sich dann eben die kontinentalen Iren von den Originalen absetzen und sich eine eigene Marke geben.

Aktuelle CD: Millvalley, au Liedekeler.
Weitere Infos/Kontakt: siehe Dereelium's homepage

Photo Credit: All Dereelium photos taken at the FolkWoods Festival by The Mollis.


Dereelium's Debutalbum "Millvalley" zu gewinnen!
Um teilzunehmen ist die folgende Frage zu beantworten: Welche Veranstaltung in der Heimatstadt von Dereelium bekam im Jahr 2000 die größte Medien-Aufmerksamkeit?
Antworten bis zum 20/2/2001 an FolkWorld.


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 12/2000

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