FolkWorld Live Review December 2002 von Walkin' T:-)M:

Sackpfeife und Stromgitarre

In Extremo live in Münster

Die Zeit der Wintersonnenwende stand bevor und somit auch die traditionellen Weihnachtstourneen der in mittelalterlichen Gefilden wildernden Rockbands. Auch In Extremo (-> FW#8), wohl die bekanntesten Vertreter des deutschen Medieval Metal, frönten dem Motto: Nur laute Musik vertreibt die bösen Geister.

Nackte, tätowierte Oberkörper glänzen im Bühnenlicht des Münsteraner Ballhauses. Hardcore mit mittelalterlichem Ambiente dröhnt aus den Boxen. Die Herren mit so illustren Namen wie "Der Morgenstern" oder "Flex der Biegsame" bewegen sich eher wie Gladiatoren im Ring als lustige Musikanten und Gaukler auf dem Jahrmarkt.

Wenn ein Spielmann früher in eine Stadt oder ein Dorf kam, trug er sein Instrument in der Hand und musste damit überzeugen. Er spielte Lieder, die nicht jeder kannte, und er musste das mit Gaukeleien untermalen. Und wenn den Bewohnern das nicht gefiel, wurde er vom Dorfplatz gejagt. (-> Ragazzi)

Auch In Extremo ist aus einer akustischen Formation hervorgegangen, die einst über die Mittelaltermärkte tingelte. 1997 fand dann das erste Rockkonzert statt. Eine ganze Weile liefen beide Projekte parallel nebeneinander her. Das Debütalbum hieß programmatisch "Weckt die Toten!"; es folgten "Verehrt und Angespien" (1999), wohl ein Seitenhieb auf die Kritiker aus der Authentik-Szene, und zuletzt "Sünder ohne Zügel" (2001), das die Band von einer noch härteren Seite zeigt als zuvor.

"Sünder ohne Zügel" gibt als Titel aber auch die musikalische Marschrichtung vor. Zügellos und haltlos, selbstbewußt und ausschweifend. Es rockt! Es klingt nach "Hier und Jetzt" und trotz allem bleibt es unverkennbar In Extremo. (Extratours)

Die Kombination von Mittelalter und Moderne ist nicht zuletzt eine dramatische Show. Dezent eingesetzte Lichteffekte und Pyrotechnik sollen die Gemüter stimulieren (und ich rede nicht von den künstlichen Feuerschalen mit einem lodernden Tuch aus der Scherzartikelabteilung). Das Gothic/Metal-Publikum ist überwiegend links-alternativ, aber auch der ein und andere Rechtsaussen wird gesichtet. Vielleicht angelockt von Flammen und Fackeln und aggressiver Musik.

Abgesehen von den überdimensionierten Sackpfeifen sind Schalmeien, In Extremo Drehleier, Harfe, Cister und Nyckelharpa nur in den selteneren ruhigen Passagen zu hören und gehen leider im Mix zumeist völlig unter. Des "Letzten Einhorns" Stimme ist knarzig wie die eines Ents aus dem Herrn der Ringe (so würde ich mir das jedenfalls vorstellen). Das nimmt Texten wie dem spöttischen Troubadoursgesang "Nature Nous Semont" (-> FW#22) etwas die Villonsche Ironie.

In diesem altprovenzialischen Text aus dem zehnten Jahrhundert geht es darum, dass ein Spielmann in einem Wirtshaus sitzt, als ein General hereinkommt und alle Männer mit in den Krieg nehmen will. Doch der Spielmann versteckt sich unter zwei Weiberröcken. Dass deren Ehemänner mit am Tisch sitzen, stört ihn nicht. Im Gegenteil, er spielt unter den Röcken sogar noch 'n bisschen rum. Und das sind Texte, mit denen wir uns identifizieren können! Der ist tausend Jahre alt, aber noch heute total richtig! (Ragazzi)

Stimme und Gesang betonen aber das Archaische in den Liedern, wie etwa in den altdeutschen, germanisch-heidnischen "Merseburger Zaubersprüchen".

Es gibt aber eine Verbundenheit zwischen den Merseburger Zaubersprüchen und uns. In beiden Teilen geht es nämlich darum, die Menschheit vor dem Bösen zu bewahren. Und wir sind nicht das Böse. Wir sind keine böse Band. Wir wollen einfach gute Laune verbreiten. Das ist wichtiger, als sich auf der Bühne mit Theaterblut zu beschmieren. (Ragazzi)

Von der traditionellen Mittelalterszene haben In Extremo sich jedenfalls erfolgreich emanzipiert. Ein Schritt zurück ist auch vorerst nicht geplant.

Wir könnten jeden Tag auf einem Mittelaltermarkt spielen. So viele Angebote haben wir. Aber das sind meist solche Märkte, wo die Veranstalter nur ihre Bockwürste verkaufen wollen. Und darauf haben wir keine Lust. Man erwartet von uns, dass wir uns mittelalterlich kleiden und stellt daneben Plastezelte auf, wo Cola verkauft wird. Außerdem sind wir `ne Rockband. Das ist unsere Priorität! (Ragazzi)

Sind In Extremo & Co nur eine kurzlebige Mode? Die rockenden Spielmänner werden über eine solch akademische Frage nur lächeln. Wie singen doch die Kameraden von Subway to Sally:

Dies kenn ich aus hundert Gängen, schrei's euch lachend ins Gesicht:
Es ist unnütz mich zu hängen, Sterben kann ich nicht!
Ich weiss, mein Lied wird ewig leben.

Links:

In Extremo
Extratours Konzertbüro

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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 3/2003

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