FolkWorld-Artikel von Hermann von Pückler-Muskau (zusammengestellt von Walkin' T:-)M)

Briefe eines Verstorbenen (2)

Musikalische Impressionen aus England und Irland (1826-28)


In den Jahren 1826 bis 1829 reist Hermann Fürst von Pückler-Muskau (1785-1871) durch England, Wales und Irland. Sein Briefwechsel, anonym als Briefe eines Verstorbenen veröffentlicht, wird einer der meistgelesenen Reiseberichte seiner Zeit. [-> Teil 1]

Dublin, 1828. Der Schmutz, die Armut und die zerlumpte Tracht des gemeinen Mannes übersteigt oft allen Glauben. Dennoch scheinen die Leute stets guter Dinge und zeigten zuweilen auf offner Straße Anwandlungen von Lustigkeit, die an Verrücktheit grenzen. Gewöhnlich ist der Whisky daran schuld; so sah ich einen halbnackten Jüngling den Nationaltanz mit der größten Anstrengung auf dem Markte so lange tanzen, bis er gänzlich erschöpft, gleich einem muhammedanischen Derwisch, unter des Volkes Jubel bewußtlos hinfiel. [...]

Ich ritt heute zum erstenmal wieder aus, um mir die Messe in Donnybrook, nahe bei Dublin, zu besehen, welche als eine Art Volksfest betrachtet wird. Nichts in der Tat kann nationaler sein! Die Armseligkeit, der Schmutz und der tobende Lärm waren überall ebenso groß, als die Freude und Lustigkeit, mit der die wohlfeilsten Vergnügungen genossen wurden. [...] Viele hundert Zelte waren aufgeschlagen, alle zerlumpt wie der größte Teil der Menschen, und statt Fahnen, nur mit bunten Lappen behangen. Manche begnügten sich mit einem bloßen Kreuz, oder Reifen; einer hatte sogar, als Wahrzeichen, eine tote, halb verfaulte Katze oben darauf gestellt! Die niedrigste Sorte von Possenreißern trieben dazwischen, auf Brettertheatern und in abgetragener Flitterkleidung, ihr saures Handwerk, bis zur Erschöpfung in der furchtbaren Hitze tanzend und grimassierend. Ein Dritteil des Publikums lag, oder taumelte betrunken umher, die andern aßen, schrien oder kämpften. [...]

B...m im Westen Irlands [bei Tuam]. Die hiesige Landschaft gleicht auffallend den wendischen Gegenden der Niederlausitz, [...] bloß mit Ausnahme des vielen Waldes, der, einige dürre Kiefern abgerechnet, hier überall nur gewesen zu sein scheint. Brüche und Torfmoore bedecken jetzt unabsehbare Strecken [...] Crossroads Dance Captain B..., mein Wirt, ist einer der Notablen seiner Grafschaft, sein Haus aber nicht besser als das eines mittelmäßig begüterten, deutschen Edelmanns. Mit der englischen Eleganz und dem englischen Luxus ist es hier aus. [...]

Ein großer Teil seiner Familie ist jetzt hier, was den Aufenthalt ziemlich geräuschvoll macht. Dies wird noch durch das musikalische Talent der Töchter vermehrt, die sich täglich auf einem schrecklich verstimmten Instrumente hören lassen, ohne daß dieser Umstand sie im geringsten stört. (Ich habe oft zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß die Musikliebhaberei in ganz England nur Modesache ist. Es gibt keine Nation in Europa, die Musik besser bezahlt und sie weniger versteht und genießt.) Die Männer sprechen in der Regel nur von Jagd und Reiten, und sind etwas unwissend. Ein Landjunker aus der Nachbarschaft z.B. suchte heute lange unverdrossen, wiewohl vergeblich, die Vereinigten Staaten auf der Karte von Europa [...] Die amerikanischen Freistaaten wurden deshalb gesucht, weil der alte Herr mir zeigen wollte, wo er den Grundstein zu Halifax [Massachusetts?] und B...town, welche letztere nach seinem Namen benannt ist, im amerikanischen Kriege gelegt. [...] Niemand wußte, daß es Örter wie Karlsbad und Prag in der Welt gebe. Die Auskunft, daß sie in Böhmen lägen, half auch nichts, da ihnen Böhmen ebenso unbekannt war, denn alles, außer Großbritannien und Paris, waren für sie böhmische Dörfer. "Wo sind Sie denn eigentlich her?" frug mich einer. "Aus Brobdingnag", sagte ich im Scherz. "Ah, liegt das am Meer? Haben Sie da auch Whisky?" [...]

Athenry. Ich schreibe Dir diesen Morgen aus dem Hause einer der liebenswürdigsten Frauen, die ich in meinem Leben gesehen, und zwar einer Afrikanerin, die behauptet, eine geborne Fräulein H[ardenberg] zu sein [...], die Tochter des ehemaligen holländischen Gouverneurs von ... [...] Im zwölften Jahre hatte sie Herr L..., damals Hauptmann in der englischen Armee, in ... geheiratet. Gleich darauf war ihr Vater gestorben, und sie mit ihrem Gemahl nach Irland geschifft, welches sie seitdem nie verlassen. [...] Abends hatten wir viel Scherz mit Henriettens fünfzehnjähriger Tochter [...] Wir durchsuchten ihr Album, oder sketchbook, wo wir unter den Stellen, die sie aus verschiedenen Büchern abgeschrieben, auch folgendes irländische Gedicht fanden, das sie gewiß mit großer Unschuld exzerpiert hatte, aber jetzt viel darüber leiden mußte. Es lautete folgendermaßen:

And pray, how was the devil dressed?
Oh! he was in his Sundays best,
His coat was black, and his breeches steelblue
And a hole behind, that his tail went through.
And over the hill and over the dale
He rambled far over the plain,
And backwards and forwards he switched his tail
As a gentleman switches his cane

Alle, selbst die Mädchen, mußten herzlich über den balancierenden Teufel lachen - denn es waren unschuldige Naturkinder, und keine Prüde unter ihnen, die Sittenlosigkeit, keine Neufromme, die gottlosen Spott darin auffand. [...]

Glengarriff. Um sechs Uhr war ich munter und um sieben Uhr in dem herrlichen Park des C[olonel] W[hite], Bruder des Lords B[antry], welcher Familie die ganze Glengarriff, 1830, www.antiquemapsandprints.com Umgegend der Bayen von Bantry und Glengarriff, vielleicht des schönsten Punktes in ganz Irland, gehört. [...] Übrigens wimmelt die Bay von Fischen und Seehunden. Ein solcher saß heute früh auf einer hervorragenden Klippe, grade meinem Fenster gegenüber, und schien mit großem Vergnügen und fast tanzender Bewegung der Musik eines Piper zuzuhören, dessen Bagpipe vom nahen Gasthof herüberschallte. Diese Tiere sollen die Musik so leidenschaftlich lieben, daß sie, bei Wasserpartien auf der Bay, den Böten der Musikanten zu zwanzig bis dreißig folgen und sich auch vom Jäger auf diese Weise überall hinlocken lassen. Es ist wirklich grausam, ihren Kunstsinn so zu mißbrauchen! [...] Soll ich nun noch mehr erzählen? Wohlan - noch einmal Hexen! [...] Aber dennoch gibt es dort einen Platz in Ballingskellig Bay, ohnfern O'Connells Schloßabtei, wo in alter Zeit mancher Tanz getanzt, und manche Heirat geschlossen wurde. Denn ruhig und lieblich war der einsame Fleck, mit seinem samtnen Boden, hohe Felswände schätzten ihn vor dem Sturm, und glatter Sand, wie Atlas, senkte sich bei der Ebbe nach dem Meere hinab, das in der hellen Mondscheinnacht, gleich dem Reste der Schöpfung, zu schlummern schien, seine kleinsten Wellen nur selten vom Hauch des Zephyrs berührt, wie im Traume sich regend und kräuselnd.

In einer solchen Nacht war es, daß Maurice Adair, der Piper seinem Dudelsack die einladendsten Töne entlockte, und die Jugend von Iveragh das Fest ihres Heiligen, lustiger als je, mit Tanz und Frohsinn feierte. Maurice war ein schöner und rüstiger junger Bursche - aber blind. Der Ärmste hatte nie der Sonne Licht gesehen, und Tag und Nacht war ihm gleich. Seiner Phantasie schwebten aber dennoch undeutliche Bilder von Schönheit und herzbewegenden Reizen vor, wenn sein Ohr die süßen Stimmen der Mädchen vernahm, oder seine Hand einen weichen Schwanenhals fühlte, oder auch, gleich Blumenduft, ein rosiger Atem seine Wange berührte. Maurice war verliebt, aber noch ohne Gegenstand - und sein Sehnen wußte sich nur in Melodien zu ergießen, die im einsamen Gesang, oder den Lauten seiner Bagpipe gar anmutig ertönten. Maurices Musik aber konnte noch weit mehr bewirken. Er hatte in seinem Instrumente einen Ton - der wundervolle Ton genannt, und wie man glaubte, von einem Elfen erst hineingebannt - einen Ton, den gleich Hüons Horn und gewiß von derselben Abstammung, niemand hören konnte, ohne sogleich seine Tanzlust zur unwiderstehlichen Leidenschaft anwachsen zu fühlen. Wie manches junge Mädchen in der Stadt, das eben ihrem ersten Balle beiwohnt, und keinen solchen Stimulus bedarf, würde doch viel darum geben, im Besitz jenes Tones zu sein, um die trägen Dandys zu ermuntern, von denen einer nach dem andern sich wegschleicht, oder auf dem Sofa liegt, dem dolce far niente hingegeben, statt sich mit ihr im Kotillon herumzudrehen. Hier, auf der mondbeglänzten Wiese, bedurften jedoch die aufgeweckten Bauerburschen keines fremden, unwiderstehlichen Reizes. Hinlänglich war die Anregung ihrer eignen Lust, und Maurice, unermüdlich aufspielend, ergötzte sich selbst, in seinen lüsternen Gedanken, an dem, was die andern in der Wirklichkeit, und deshalb vielleicht weniger innig genossen. Doch fing auch er endlich an, sich nach einiger Realität zu sehnen, und da Musikanten nicht nur verliebter, sondern auch durstiger Natur zu sein pflegen, irländische Musikanten aber ohne Zweifel beide Bedürfnisse in doppeltem Maße empfinden, so versäumte Maurice nicht, die angenehmen Bilder seiner Phantasie gar fleißig mit heißem An Irish Piper, www.concentric.net/~pdarcy/ Whiskeypunsch zu erfrischen. Bald schien es ihm, als drehe sein Kopf sich noch schneller als die wirbelnden Paare, ja ganz Iveragh schaukelte unter seinen Füßen. "O, noch ein Glas, Kitty! und einen Kuß dazu", rief er stammelnd - aber Kitty, bange für des Tanzes Ende, wenn der Whiskey die Bagpipe des Pipers Händen entrisse, versagte standhaft den Labetrank. Immer heftiger bestand dieser auf seinem Begehren - doch Kitty blieb unerbittlich. "Wer soviel trinkt, braucht nicht zu küssen, und überdem mußt Du spielen", sagte sie, "damit wir tanzen, und kaum kannst du ja mehr die Finger rühren." - "Ich nicht mehr die Finger rühren?" schrie Maurice entrüstet - "nun sollst Du, und ihr alle, tanzen, bis ihr genug habt, und Euch mehr nach einem Tropfen Wasser sehnt, als ich jetzt nach einem Glase gesegneten Whiskeypunsches!" Im Zorne hierauf die Bagpipe an sich drückend, erschallte laut und schmetternd - der wunderbare Ton - und augenblicklich im wilden Getümmel, wirbelte alt und jung durcheinander. Aber sieh! Das schlafende Meer selbst erwacht, und hervor kommen Krabben und Seekrebse, ein zierliches Menuett auf dem glatten Sande exekutierend. Die Meerspinne tanzt vor, unnachahmliche Pas mit ihren langen Beinen vollbringend, und Codfisch und Steinbutt, Schellfisch und Sole balancieren auf ihren Schwänzen mit aller Grazie, die ihnen zu Gebote steht. Seehunde selbst versuchen den neuesten Galoppwalzer, und Austern ihre Schalen öffnend, gleiten dahin, mit dem Anstand einer Pariserin, die, die Ellenbogen ründend, beide Seiten ihrer Robe zierlich emporhebt. Staunend wurden diese ganz neuen Tänzer tanzend empfangen, unter denen sich Maurice, fortwährend blasend, und nichts von allem gewahrend, schadenfroh mit herumdrehte. Doch, da teilten sich nochmals die Fluten, und hervor schwebt, in wollüstig reizendem Tanz, die schönste der Meerjungfrauen. - Frisch wie der junge Morgen war ihr Antlitz, ihr langes Haar strömte herab über den schneeweißen Busen, gleich durchsichtigen Wellen, röter blühten die Lippen als des Ozeans feurigste Korallen, blendender glänzten die Zähne als seine kostbarsten Perlen. Ihr silbernes Gewand aber schien gewebt aus dem Schaume der Wogen, mit unbekannten Seeblumen geschmeckt, reicher schimmernd in brennenden Farben als Indiens funkelndster Edelstein.

Man sah ihr an, daß Damen, unter wie über dem Wasser, viel Sorge auf ihre Toilette verwenden, besonders wenn sie eine Eroberung beabsichtigen. Der Aussage der Augenzeugen nach, hatte man nie einen verführerischeren, koketteren Anzug gesehen, als den ihrigen, der so gut Schönes zu enthüllen, und noch viel besser erraten zu lassen wußte. Nur der arme Maurice sah von alledem nichts, und doch war er es, auf den allein die Seekönigin es abgesehen hatte, denn wenige Augenblicke nur waren vergangen, als in der Verwirrung des Tanzes, ihre Arme ihn sanft umfingen, und eine melodische Stimme in süßen Tönen ihm zurief:

Mein Reich ist das Meer,
Und prachtvoll mein Schloß
Komm Maurice Adair,
Komm Schwing dich auf's Roß.
Das Seepferd, horch! schnaubet,
Und harret auf dich,
Der das Herz mir geraubet,
Nun herrscht über mich!
So komm denn, und eile,
Geschmückt ist der Saal, -
Nicht länger mehr weile -
Und sei mein Gemahl! -
Es scheint, daß Maurice dieser eindringenden Einladung mit nicht weniger Empressement entgegenkam, denn, obgleich seine alte Mutter, die ebenfalls seit einer halben Stunde wie rasend umherspringen mußte und schon beide Holzschuhe, nebst mehreren der wesentlichsten Kleidungsstücke, verloren hatte - ihren letzten Atem anstrengte, ihm kläglich nachzurufen, doch um Gottes und St. Patricks willen keinen Fisch zu heiraten, - obgleich sie, als letztes Argument, selbst anführte, daß sie ja künftig nicht einmal mehr Stockfisch mit zerlassener Butter essen könne, ohne fürchten zu müssen, vielleicht ihren eignen Enkel zu verspeisen - so war doch alles umsonst! - "halb zog sie ihn, halb sank er hin" und als der wundervolle Ton verhallte, und alle Tänzer ermattet Luft schöpften, hatte bereits eine hohe Welle, welche während der ganzen Zeit hinter ihnen gestanden (wahrscheinlich das erwähnte Leibroß der Königin) beide verschlungen, und nur ein leises: "Lebewohl Mutter!" das der Wind herübertrug, war der letzte Laut - den man je von Maurice dem Piper vernahm. [...]

Cashel. Ich sollte den Erzbischof und sechzehn andere Geistliche antreffen [...] Mit großer Freiheit und Parteilosigkeit wurde nachher über religiöse Gegenstände gesprochen, nirgends bemerkte ich die geringste Spur von Bigotterie, noch der widrigen Affectation des Heiligtuens. Beim Dessert gaben sogar mehrere, die gut sangen, Nationallieder zum besten, deren Inhalt zuweilen nichts weniger als devot war. Als der neben mir Sitzende eine leichte Verwunderung darüber bei mir bemerkte, sagte er mir in's Ohr: "Hier vergessen wir jetzt den fremden ..., den Erzbischof und die Geistlichen - hier bei Tisch sind wir alle Gentlemen, und freuen uns des Lebens." [...] Die Melodien der Lieder, welche man sang, hatten eine auffallende Ähnlichkeit mit denen der Wenden, wie ich überhaupt zwischen beiden Völkern viel gleiche Beziehungen finde. Beide fabrizieren und lieben ausschließlich reinen Kornbranntwein (Whiskey), und leben fast allein von Kartoffeln: beider Nationalmusik kennt nur den Dudelsack, sie lieben leidenschaftlich Gesang und Tanz, und doch sind ihre Melodien stets melancholisch; beide sind unterdrückt durch eine fremde Nation, und sprechen eine immer mehr sich verlierende Sprache, die reich und poetisch ist, ohne daß sie doch eine Literatur in derselben besitzen; beide verehren unter sich noch immer die Abkömmlinge ihrer alten Fürsten, und haben den Grundsatz, daß: was nicht aufgegeben ist, auch noch nicht ganz verloren sei; beide sind abergläubisch, schlau, und in ihren Erzählungen zur Übertreibung geneigt, revolutionär wo sie können, aber etwas kriechend gegen dezidierte Macht; beide gehen gern zerlumpt, wenn sie sich auch besser kleiden könnten, und endlich sind beide bei elendem Leben, dennoch großer Anstrengung fähig, obgleich sie am liebsten faulenzen, und dabei auch beide gleich fruchtbarer Natur, welches ein wendisches Sprüchwort "den Braten der armen Leute", nennt. [...]

Ban[sha Castle?]. Seit gestern befinde ich mich zum Besuch in einem hübschen gotischen Schlößlein, am Fuß des Gebürges. [...] Wir brachten den ganzen Tag mit Spazierengehen in den herrlichen Bergpromenaden, andere mit Schnepfenschießen zu, und saßen abends bis zwei Uhr morgens beim Mittagstisch. [...] [Devils aller Art, frische Austern und Pickles] bildeten das Präludium zum Potheenpunsch, von dem mancher zwölf bis sechzehn große Tumblers zu sich nahm, während O... R... die ganze Gesellschaft mit unerschöpflichem Witz und Narrenspossen, in einem roar of laughter erhielt. Überdies mußte jeder ein Lied singen, auch ich ein deutsches, von dem zwar niemand etwas verstand, alle aber höchlichst erbaut waren. [...]

Diesen Morgen hetzten wir Hasen, wobei wieder mancher kühne Sprung gemacht werden mußte, und abends produzierte man uns den berühmtesten Piper Irlands, Keans Fitzpatrick, der König der Piper genannt, den auch His Gracious Majesty, King George the Fourth, mit seinem Cashel, 1841, www.antiquemapsandprints.com Beifall beehrt hat. In der Tat sind die Melodien, die er seinem sonderbaren Instrumente abgewinnt, oft ebenso überraschend als angenehm und seine Fertigkeit, wie der höchst gebildete und noble Anstand des blinden Mannes, eines Virtuosen würdig. Diese Pipers, welche fast alle blind sind und sich aus weitem Altertum herschreiben, fangen jetzt an, immer mehr zusammenzuschmelzen, denn das Alte - muß vergehen.

Cashel. Da Fitzpatrick der Piper, den ich für gestern hatte kommen lassen, noch heute in der Stadt blieb, benutzte ich dies, um ihn während des Frühstücks privatim in meiner Stube spielen zu lassen und dabei sein Instrument genauer zu betrachten. Es ist, wie Du schon weißt, Irland eigentümlich, und eine seltsame Mischung alter und neuer Jahrhunderte darin sichtbar. Der ursprüngliche, einfache Dudelsack hat sich in ihm mit der Flöte, der Oboe und einzelnen Orgel- und Bassontönen, vermählt. Alles zusammen bildet ein fremdartiges, aber ziemlich vollständiges Konzert. Der kleine elegante Blasebalg, der damit verbunden ist, wird vermöge eines seidenen Bandes am linken Arme befestigt, und der, zwischen ihm und dem Sack kommunizierende, Windschlauch, über den Leib gelegt, während die Hände auf einem, mit Löchern, gleich einem Flageolett, versehenen, aufrecht stehenden Rohre spielen, welches das Ende des Instruments bildet, und mit fünf bis sechs andern kürzeren, die einer kolossalen Papagenoflöte ähnlich sind, in Verbindung steht. Während des Spiels geht der rechte Arm unaufhörlich vom Körper ab und zu, um den Blasebalg in Atem zu erhalten. Das öffnen einer Klappe bringt einen tiefen, summenden Ton hervor, der während dem übrigen Spiel unisono mit fortgeht, und dem Forte-Zug des Pianos ähnlich wirkt. Durch das Agitieren des ganzen Körpers, sowie des vorher beschriebenen Rohres, brachte Fitzpatrick Laute hervor, die kein andres Instrument besitzt. Der Anblick des Ganzen, wozu Du Dir den schönen alten Mann mit einem vollen weißen Lockenkopf hinzudenken mußt, ist wirklich sehr originell, sozusagen: tragikomisch. Seine Bagpipe war übrigens besonders prächtig verziert, die Röhren aus Ebenholz mit Silber beschlagen, das Band reich gestickt, und der Sack mit feuerfarbner Seide und silbernen Fransen umgeben.

Ich ließ mir die ältesten irländischen Melodien aufspielen, wilde Kompositionen, die gewöhnlich traurig und melancholisch, wie die Gesänge der slawischen Völker, anfangen, zuletzt aber dennoch in einem Jig, dem irländischen Nationaltanz, oder einer kriegerischen Musik endigen. Eine dieser Melodien gab das sehr täuschende Faksimile einer Fuchsjagd, und eine andere glaubte ich aus dem Jägerchor im Freischützen entlehnt; sie war aber 500 Jahre älter. Les beaux esprits se rencontrent dans tous les âges. [Die Schöngeister begegnen sich in allen Zeitaltern.]

Nach einiger Zeit hörte der Piper plötzlich auf, und sagte lächelnd, mit vieler Anmut: "Es muß Ihnen schon bekannt sein, gnädiger Herr, daß die irländische Bagpipe nüchtern keinen guten Ton hat - sie verlangt den Abend, oder die Stille der Nacht, heitere Gesellschaft und den lieblichen Duft dampfenden Whiskey-Punsches. Erlauben Sie also, daß ich mich jetzt beurlaube." Ich belohnte den guten Alten reichlich, der mir immer als ein wahrer Repräsentant irischer Nationalität vorschweben wird. [...]

Briefe eines Verstorbenen: Teil 1, FW#24

Links:

Briefe eines Verstorbenen (Auszüge)
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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 3/2003

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