FolkWorld Live Review 09/2004 von Karsten Rube:

Terra Polska
Nachbetrachtungen über ein weltmusikalischen Abend in der Kulturbrauerei, Berlin


Europa wuchert immer mehr zusammen. Gelegentlich ist man so aus dem Häuschen darüber, dass man gleich ein ganzes Festival anzettelt, um eine Nation in Europa willkommen zu heißen, die bereits viel häufiger bei einem zu Gast ist, als man selbst bei denen. Der Pole kennt den Deutschen bereits sehr gut, besser als umgekehrt und was die Kenntnisse der Deutschen über sich selbst angeht, so reicht das ja häufig genug auch nicht sonderlich weit. Das Festival Terra Polska Ende April in Berlin, sollte ein Brückenschlag werden, ein Kennenlernen, vor allem eine Vorstellung der polnischen Kultur. Dazu organisierte die Kulturbrauerei zusammen mit zahlreichen Sponsoren und Co-Veranstaltern das Festival junger polnischer Kunst und Kultur. Theater, Film, Kunstausstellung, Markt aber vor allem Musik lockten die Zuschauer. Pop und Punk, Jazz und Folk bildeten die Eckpfeiler, aber genau genommen, lies sich nur weniges wirklich so klar einordnen. Polnische Musiker sind für klare Schubkästen nicht gemacht und agieren Genreübergreifend.

Motion Trio, PressefotoDonnerstagabend. Einer der frühen warmen Abende. Das Motto des musikalischen Abends lautete Weltmusik. Ein Thema, mit dem ich meinen muselmanischen Freund Ahmed schon öfter hinter den Diwan vorgelockt habe. Ahmed ist Ägypter. Mit dem Hintergrund einer Kultur, die schon ein paar Jahrtausende auf den Buckel hat und den harten Fakten konfrontiert Touristen aus aller Welt ertragen zu müssen und von Nachbarstaaten umgeben zu sein, deren Umgang häufig jedes Feingefühl vermissen lässt, hat sich der Ägypter ein tolerantes und zurückhaltend aufmerksames Wesen anerzogen. Ahmed zum Beispiel interessiert sich sehr für die Beziehungen andere Leute, fragt aber nicht direkt nach, sondern guckt, hört und denkt sich seinen Teil. Ich bot ihm an, bei Terra Polska Fest ein bisschen zu gucken und ein wenig zu hören und sich dann seinen Teil zu denken.

Schwer ist es ein Festival so zu organisieren, dass alle zufrieden sind. Noch schwerer wird es, wenn man sich ein Sicherheitssystem ausdenkt, in dem man sich als Organisator selbst verheddert. Das Festival Terra Polska, das als Eintrittsevent Polens in die EU in der Berliner Kulturbrauerei organisiert wurde, gab sich alle Mühe leicht und locker zu wirken. Allerdings krampfte sich die Kartenabreiss- und Securityfirma zunächst einmal völlig zusammen. Irgendwie wussten weder Abreißer noch Gäste, wer mit welchem Stempel auf und welcher Karte in der Hand wohin gehen durfte. Zur Vorsicht ließ man erstmal ein paar Leute nicht in die Säle. "Falsche Karte", "Falscher Stempel". Ahmed wollte ins Palais, wurde aber erstmal vom Palais ins Kesselhaus geschickt, um seine Karte abreißen und sich vollstempeln zu lassen, damit er dann berechtitg war, ins Palais zu gelangen, wo er sich anhören durfte, dass er den ganzen Quatsch auch gleich im Palais hätte komplett haben können.

"Wenn die europäische Integrationspolitik genauso so packend inszeniert wird, habt ihr noch eine ganze Menge zu lachen", bemerkte er trocken.

Das Instrumente nicht immer nach den Instrumenten klingen müssen, die sie eigentlich darstellen, weiß man sicher seit der Erfindung des elektrischen Klaviers. Die E-Orgel machte es vor und berüchtigte Orchesterwerke verzichten auf das Engagieren von Musikern. Tangos zum Beispiel kann man auch mit dem Synthesizer einspielen, so sehr das auch zu bedauern ist. Aber kann man auch elektronische Klänge mit akustischen Instrumenten erzeugen? Man kann und wer das nicht glaubt, lausche doch einmal dem Motion Trio aus Polen. Beim Festival Terra Polska in der Berliner Kulturbrauerei traten sie als erster Programmpunkt eines langen Abends auf die relativ kleinen Bühne des Palais. Drei junge Herren, denen man auf Grund ihrer finsteren Kleidung eher Fussballrüpeleien, als Akkordeonspiel zutrauen würde, quälten dort ihre Akkordeons. Zu dritt spielten sie auf ihren Instrumenten einige Töne, für die diese Instrumente nicht hergestellt wurden. Es groovte wie auf der Loveparade, schepperte, wie auf einem Hardrockkonzert und am Ende konnte man den ohrenschmerzenden Geräuschen eines Computerballerspieles folgen. Das Konzert des Motion-Trios gehörte zwar nicht zu den harmonischsten Konzerten, denen ich bisher beiwohnte, doch mit Sicherheit zu den originellsten. Ahmed hörte sich das an, schüttelte ein wenig den Kopf und las sich das Programm durch, das alle Erlebnisse der polnischen Kulturtage beschrieb.

Polish Wife - Foto Anna KrenzBesonders angetan hatte es ihm eine Diskussionsrunde. "Import-Export: Polnische Frauen im 21. Jahrhundert", las er vor. "Schön, fleißig, katholisch. SONDERPREIS IM MAI 2004! Kann Polen am Verkauf von gut gepflegten und schönen Ehefrauen verdienen? Polnische und deutsche Feministinnen laden zum Gespräch."
"Das ist eher satirisch gemeint", versuchte ich ihn zu beruhigen.
"Das mit schön, fleißig, katholisch?"
"Nein. Das mit dem Sonderverkauf. Schön sind sie meistens."
Ahmed hob den Kopf und betrachtete eine junge Frau, die in diesem Moment das Palais betrat. Sie trug eine Hartschalenmaske aus verschiedenen Schminkrezepturen, war in etwas gehüllt, das wie ein ausgeweideter Teddy aussah und schien bereits von geringfügigen Gleichgewichtsstörungen heimgesucht zu werden. Ich folgte seinem Blick und bevor er sich eigenen Gedanken hingeben konnte entschärfte ich die Situation.
"Die Frau wohnt im Friedrichshain und ist so polnisch wie du. Was ihren Katholizismus angeht, kann ich dir nicht viel verraten, aber es sieht aus als hätte sie es mit dem Messwein bereits übertrieben." Ahmed versuchte den Text zu deuten, während ich mich auf die Suche nach einem erfrischenden Bier machte. In der Hand eines Mannes an der Theke sah ich eine Flasche, deren Herkunft polnisch schien. Der Mann durfte selber Herkunft gewesen sein, wenn ich das mal so lax aus seiner Schnauzbartmode ablesen wollte.
"Was ist das für Bier?" fragte ich ihn.
"Dies ist ein gutes Bier" antwortete er in korrekter Satzstellung und richtig gewähltem Fall. Jemand der so gewähltes Deutsch sprach, war sicher kein deutscher Muttersprachler.
"Wo kommt das her?"
Er musterte mich kurz, schätze meine geografische und politische Bildung ein und antwortete: "Schlesien".

Schon bei der Pressekonferenz zum Festival und bei diversen anderen Veranstaltungen polnischer Künstler fiel mir auf, dass sich alle deutschen Teilnehmer und Veranstalter nahezu krampfhaft an politische Korrektheit klammerten und dass alle Klischees und Witze die das Polenbild schmücken ausschließlich und recht offensiv von polnischer Seite präsentiert wurden. Es schien ihnen nicht peinlich, schließlich wissen sie besser, was daran richtig ist und was falsch. Dreist spielten sie mit den Klischees, der erwähnten polnischen Schönheit zum Beispiel, die genauso häufig und so selten anzutreffen ist, wie in anderen Völkern. Ich kann diese Form des dreisten Zuvorkommens gut Nachvollziehen. Ich bin selbst recht klein und in Gruppen mit überwiegend großen Menschen kommt es schnell zum latenten Zwergenrassismus, weshalb es immer besser ist ein paar Witze in dieser Richtung vorzustrecken. Schnell werden sie dessen überdrüssig. Als Mitglied eines stolzen arabischen Volkes kann Ahmed so etwas überhaupt nicht verstehen. Abgesehen davon ist er 1,90 m groß und kann es nicht leiden, wenn man seinen Späßen zuvorkommt.

Kapela ze wsi Warszawa, photo by The MollisNachdem ich mein Bier aus einem südwestlichen gelegenen polnischen Bezirk ausgetrunken und Ahmed das Thema polnische Frau für sich im Stillen lange genug durchgedacht hatte, gesellte ich mich wieder zu ihm, um einer Gruppe zu lauschen, von der wir polnische Musik erwarteten. Die "Warshaw Village Band" gilt als eine der herausragendsten Bands, die Polens Folkszene in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Früher nannten sie sich "Kapela ze wsi Warszawa" (Die Kapelle aus dem Dorf Warschau). Vor einigen Jahren hörte ich sie auf dem Folkfest Rudolstadt. Sie spielten traditionelle Lieder, die zum Tanz in Scheunen und um Heuschober einluden. Damals reisten sie von Dorf zu Dorf und lernten von den alten Leuten die Musik des einfachen Landvolkes. Irgendwas Schreckliches muss inzwischen vorgefallen sein. Die Musik die nun aus Warshaw Village tönt besitzt kaum mehr den einfachen Charme landverbundener Menschen. Warschau ist groß, modern, elektrisch und laut geworden. Kein Dorf mehr, mit Sternen oben drüber, sondern Neonlicht und düsteres Tun in verrauchten Strassen. Die Musik klingt finster, dröhnend und zum Teil schrill. Geigenklänge werden elektronisch misshandelt und ein böse aussehen wollender Junge im Hintergrund klopfte gewalttätig gegen seine Triangel. Drei Damen an Geige, Cello und einem Hackbrett beherrschten die Bühne und spielten eine Art Elektrogrunge mit folkigen Elementen. Die junge Frau am Cello ist dabei eine besondere Betrachtung wert. Ich will ihr zugute halten, dass sie an diesem Abend vielleicht fiebrig und krank war, denn so abwesend kann kaum ein Musiker sein, der auf einer Bühne agiert. Das Publikum fand für sie nicht statt. Kein Applaus, den sie beachtete, kaum mal ein Kontakt zu den Mitspielern. Sie legte ihr Cello übers Knie, umklammerte das Griffbrett, wie eine E-Gitarre und sprintete mit dem Bogen über die Saiten, wie jemand, der noch einen Termin hat. Nur am Ende, der in ihrer Gesamtheit recht zähen Performance, schaute sie dankbar über das Publikum hinweg, den Blick auf etwas gerichtet, das jenseits des Barkeepers stattfand.

In der folgenden Umbaupause fragte mich Ahmed nach der typischen polnischen Musik. Ich druckste ein bisschen herum, verheimlichte die Roten Gitarren, faselte was vom Rock der siebziger Jahre, ehe ich ihm mit der Musik der polnischen Juden kam. Klezmer ist für mich eine typische Musik, die ich mit Polen in Verbindung bringen würde. Zwar wird sie auch anderenorts gespielt, vor allem in den U.S.A., aber dort spielt der kommerzielle Aspekt eine wesentlich größere Rolle. Von der nun folgenden Band Dikanda erwarten wir polnische Musik. Doch leider wurden wir auch hier enttäuscht, denn Dikanda folgen dem Trend zum großen osteuropäischen Eintopf aus Zigeunermusik, Balkanmusik, jüdischer Musik, gemischt mit türkischen, griechischen und russischen Elementen. Zwar klingt das alles rechts schwungvoll und nach Weltmusik, doch Polen ist weder mir noch Ahmed dadurch näher gekommen. Nur ein Thema ließ ihn auch auf dem Heimweg nicht ruhen.

"Würdest du dir eine polnische Frau kaufen" fragte er.
"Ahmed" erwiderte ich, "in zivilisierten Gegenden kauft man Frauen nicht, sondern erobert sie."
"Also ist die EU-Erweiterung sowas wie ein kultureller Eroberungsfeldzug?"
"Nein. Es ist der Versuch 25 verschiedene Kulturen so zu verwalten, dass sie am Ende glauben, alle gleich zu sein."
"Und das ist dann europäische Kulturpolitik."
"Nein. Das ist europäische Politkultur."
"Aha" sagte Ahmed und dachte sich seinen Teil.

Photo Credit: Polnische Frau: Fotograf Anna Krenz; Motion Trio: Pressefoto; Kapela ze wsi Warszawa in Rudolstadt 2002, photo by The Mollis


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 09/2004

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