FolkWorld Artikel von Wolfgang Meyering:

Fest auf der Ordensburg
Mit Malbrook auf dem Viljandi Folkfestival Estland 2004

MalbrookDie Dimensionen sind beeindruckend. Mit ihren tiefe Gräben und riesige Mauern war die Festung von Viljandi im südlichen Estland eine der größten Burgen des Deutschen Ordens im Baltikum. Auch wenn heute nur noch wenige Mauern erhalten sind, erahnt man dennoch die gigantischen Ausmaße dieser Verteidigungsanlage. Heute dient dieser Ort weit friedlicheren Zwecken. Alljährlich findet am 3. Wochenende im Juli, auf dem Gelände der ehemaligen Ordensburg, das größte Festival für traditionelle Musik in Estland statt. Das Viljandi Folkmusik Festival.

Wir waren am Donnerstag Mittag losgeflogen in Berlin, mein Malbrook Kollege Ralf Gehler und ich selbst. Am Flugplatz in Tallin wurden wir von einem Kleinbus des Festivals abgeholt. Dort trafen wir auf unserem Percussionisten Anders Ådin und seine Frau Monica, die schon einen Tag in Tallin verbracht hatten. Der Bus war für uns und ein paar Kollegen aus Belgien, von der Gruppe BUB bestimmt. Die belgische Gruppe hatte weniger Glück als wir, sie verlor ihr Schlagzeug beim Umstieg in Helsinki. Entsprechend gedrückt war die Stimmung, da sie abends noch spielen sollten. Die Fahrt vom Flughafen Tallin dauert etwa 21/2 Stunden, die schnell vergehen. Wir freuten uns schon auf Merit Zloch unsere Harfinistin, die schon seit 2 Tagen in Estland war, per Schiff, denn Merit hasst das Fliegen.

Nachdem wir unsere Sachen im Hotel abgeworfen hatten, machten wir den ersten Rundgang übers Festival. Ralf Gehler war vor einigen Jahren schon mal hier gewesen, aber es hatte sich doch einiges verändert. Wir gingen zum Hauptgelände des Festivals auf der ehemaligen Ordensburg. Vorbei an der "Fressmeile" und der Kirche steuern wir auf den ehemaligen Burggraben zu. Der ist etwa 25 Meter tief. Schon jetzt wälzten sich Massen über das Gelände. Später erfuhren wir das es ca. 18.000 Besucher im Jahr 2004 waren. Eine beachtliche Zahl wenn man bedenkt das Estland nur 1,5 Millionen Einwohner hat.

Bub, photo by The MollisDie moderne Herangehensweise der vielen estnischen Bands an die Tradition, findet beim jungen Publikum des Viljandi Folk Festivals ein enormes Echo. Die Konzerte, auch am Nachmittag bei brütender Hitze, waren sehr gut besucht. Das Durchschnittsalter der Festivalbesucher dürfte bei ca. 25 Jahren liegen, für Deutschland kaum vorstellbar. Das Publikum ist ungeheuer enthusiastisch, aber sehr aufmerksam. Auch ein heftiger Gewittersturm am Samstagabend hielt sie nicht davon ab, beispielsweise bei der belgischen Gruppe BUB knöcheltief im Wasser zu tanzen. Erst als der Blitz in der Nähe der Bühne einschlug und das Monitormischpult in Rauch aufging musste das Konzert abgebrochen werden. Für Festivaldirektor Ando Kiviberg könnte es kein besseres Publikum geben.

Ando Kiviberg hat wie viele, die am Festival beteiligt sind, an der Volksmusik Akademie in Viljandi studiert. Die Akademie ist die treibende Kraft hinter dem Festival. So ist denn auch das Organisationsbüro in den Räumen der Akademie untergebracht und auch Konzerte finden hier statt. Insgesamt gibt es 8 Veranstaltungsorte. Zwei große Bühnen auf dem Burggelände, die Kirche, einen Innenhof, zwei Säle in der Stadt und ein großes Festzelt am Zugang zum Burggelände. Die Ideen für die Struktur des Festivals haben sich die Macher zum Teil im Ausland geholt.

Insgesamt sind auf dem Festival knapp 60 Gruppen zu hören, die meisten aus Estland. Das musikalische Niveau der estnischen Gruppen ist ausgesprochen hoch. Besonders gefallen hat mir die Gruppe "Vägilaset". Zu den knapp 20 ausländischen Gruppen gehören Interpreten wie Dorsa aus Irland/Polen, Esma Rezepova aus Mazedonien; Esta aus Israel, JPP aus Finnland und eben Malbrook aus Norddeutschland und Schweden. Wir spielen zwei Konzerte auf dem Festival. Eines auf einer der großen Bühnen auf der Burg, vor ca. 1500 Besuchern, die vor uns in der Sonne braten, oder vor der Bühne tanzen. Das zweite Konzert fand in der "Suur Tuba" statt, dem großen Saal. Tatsächlich passen nur etwa 80 Besucher in den Raum. Aber die Atmosphäre ist fantastisch. Wahrscheinlich das schönste Malbrook Konzert 2004.

Als Ralf und ich, an einem Stand auf der "Fressmeile" am Samstag Abend, auf das vorzügliche estnische Bier hingewiesen werden und daraufhin schmunzeln, fragt uns der Verkäufer: "Seit ihr Deutsche?" - Wir fragen zurück: "Warum?" - "Nur Deutsche oder Tschechen lachen über unser Bier" - Mist, erwischt. Einer der schönsten Plätze des Festivals, ist der Festival- Pub, auf halbem Weg zwischen Volksmusik-Akademie und Burg. Dort treffen sich abends die Musiker zur Session und um zu quatschen. Die Abende werden lang, bei Bierpreisen von ca. 1.20 Euro für den halben Liter bleiben die Musiker lange. Dort traffen wir unter anderem die junge Musikerin Cätlin Jaago am estnischen Dudelsack Torupill, die zu den bekanntesten jungen traditionellen Musikern in Estland gehört. Die weiblichen Musiker, wie die weiblichen Zuschauer prägen das Bild des Viljandi Folkfestivals. Sie sind es, in erster Linie, die vor den Bühnen tanzen oder bei zahlreichen estnischen Bands den Ton angeben.

Als wir am Sonntag morgen die Heimreise antreten, sind wir uns sicher das Viljandi eines der schönsten Festivals ist, auf denen wir jemals gespielt haben. Eine fantastische Atmosphäre, tolles Publikum, erstklassige Organisation und ein abwechslungsreiches Programm. Wer immer im kommenden Sommer ein einzigartiges Festival erleben möchte, sollte unbedingt hinfahren. Übrigens, von Berlin aus gibt es günstige Flüge mit Estonian Air. Also nichts wie hin!!!!

Wer mehr über das Festival erfahren möchte kann sie sich im Internet unter www.folk.ee auf der Homepage des Festivals informieren.

Photo Credit: (1) Malbrook; (2) Bub. Photos by The Mollis


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 2/2005

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