FolkWorld Ausgabe 39 07/2009; Kolumne von Walkin' T:-)M
Die FolkWelt zwischen Harz und Heide:
40 Jahre Folk '69 - 3 Jahre Wilde Töne
Folk & The City: Braunschweig |
Wenn in wenigen Tagen ein mittelalterlich angehauchtes Festival über die Braunschweiger Bühnen gehen wird, ist das nur der folkloristische Höhepunkt des Otto-Jahres. Folkies wurden bereits bedient, mit der dritten Auflage der Wilden Töne und einem fulminanten Auftakt, bei der die Gründung des legendären Braunschweiger Folkclubs Folk '69 vor vierzig Jahren gefeiert wurde.
Kurz vor elf komme ich von einem anderen Gig im Badenser Chelsea Pub an. Es wird immer noch Eintrittsgeld verlangt: Spielen die denn noch mehr als ein Lied? - Keine Ahnung, dein Risiko! Danke, das hebt die Stimmung! Marco (Gesang, Bodhran, Whistle) und Marcus (Gitarre, Gesang) waren Mitbegründer der kürzlich eliminierten Folkrockband Lack of Limits (-> FW#33), zusammen mit der Geigerin Anne bilden sie nun ein Akustiktrio. Mit einer anderer Besetzung hatte man unter dem Namen Sangesfolk eine CD eingespielt, verkauft wird an diesem Abend das Debütalbum der Folkrock-Ableger "Off Limits".
![]() Sangesfolk @ FolkWorld: FW #34 |
Sangesfolk spielen irisch-schottischen Pub-Folk, zwar durchaus der interessanteren Sorte, aber meilenweit von den einstigen Lack of Limits entfernt. Schade. Das Trio lebt von der prägnanten Gesangsstimme und den feinen Arrangements. Für das Chelsea Pub sind sie eigentlich zu gut. Das Publikum ist schwer angeschlagen oder desinteressiert oder gar beides. Und seitdem unsere fürsorgliche Landesregierung das Nichtraucherschutzgesetz wieder aufgehoben hat, scheint es, als ob die Junkies was nachzuholen hätten. Sangesfolk spielen übrigens immer noch, als meine Lungen das nicht mehr mitmachen und ich kurz nach Mitternacht das Weite suche.
Vom Big Apple nach Big Elbe: Die in New York aufgewachsene Singer-Songwriterin A.J. Shanti ist eine fragile Persönlichkeit; die eher derben Texte über Geschlechterbeziehungen zwischen den verschiedenen und den gleichen Geschlechtern passen so gar nicht zu der Stimme, der in diesem nicht arg so großen Raum doch ein Mikrofon gut getan hätte. Lange nachdem das Konzert zu Ende gegangen ist, gibt es noch ein Singalong. Die Gitarre geht von Hand zu Hand. Es wird gesungen - von den Indigo Girls über Jacques Brel bis zu kroatischen Volksliedern. So ist das halt in Haller's Kultur-Café; es gibt Dinge, die kann man einfach nicht planen.
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Ein anderes nicht direkt ungemütlich zu nennendes Lokal ist die Wegwarte in Lucklum am Elm. Die vordere Hälfte des ehemaligen Pferdestalles des Gutshofes Lucklum dient als mediterranes Restaurant, in der hinteren unbestuhlten Hälfte wird gerade Samba getanzt. Die Wegwarte bemüht sich seit 1999 ein Forum für regionale, akustische Musik zu bieten und knüpft damit an die Ära der legendären Musikkneipe "Schlucklum in Lucklum" an.
Der Braunschweiger Gitarrist Matthias Lenz war hier bereits öfters solo zu erleben. Heute hat er ein paar Gäste eingeladen: Roberto Riggio ist gebürtiger Mexikaner, dessen Vorfahren aus Sizilien kommen, ist allerdings in Austin/Texas wohnhaft. Er hat als Student damit begonnen, sich mit der Musik Indiens und des Nahen und Mittleren Ostens auseinanderzusetzen und studierte bei Leuten wie Ustad Ali Akbar Khan. Neben seinem Hauptinstrument Geige spielt er die Oud, die arabische Laute. Neben seiner eigenen Band Atash tourte er u.a. mit Künstlern wie Youssou N'Dour.
Dazu kommen noch Gitarrist Andreas Dahle und Kontrabassist Klaus Wittig vom Goslarer Savoy Swingtett. Die Musik pendelt zwischen Italien und Frankreich, zwischen Gypsy-Swing und Spaghetti-Western, dazu ein orientalischer touch bei den langsameren, meditativen Stücken. Insgesamt vier exzellente Instrumentalisten, die so gut wie ungeprobt ein Spitzenkonzert abliefern. Betrüblich ist nur die eher schwierige Akustik unter dem Tonnengewölbe und der allzu hohe Geräuschpegel des Publikums - das bekannte Problem bei Konzerten mit freiem Eintritt.
Bob Dylan: Weitermachen, immer weitermachen!
Finger weg von der Gitarre AWD-Hall, Hannover, 31.03.2009. Vor allem wurde es ein Konzert, dass deutlich machte, nach welchem Konzept Dylans Auftritte seit einigen Jahren funktionieren. Das wichtigste dabei: Die Musik mag krachen und rocken und poltern, tatsächlich lebt sie jedoch vor allem von Nuancen. Nur dadurch, dass Dylan bei jedem Auftritt zahlreiche Feinheiten seiner Interpretation verändert, hat er tausendmal gespielte Songs wie "Like A Rolling Stone" und "All Along The Watchtower" lebendig gehalten. So macht es ihm noch Spaß – und auch jenen Fans, die bereit sind, ihm ins Innere der Stücke zu folgen. Diese Feinheiten der Interpretation sind inzwischen hauptsächlich im Gesang und in den Arrangements zu finden – kaum noch im Spiel von Dylans Begleitern. Die erzwungene Zurückhaltung der Band lenkt das Augenmerk auf – Dylan selbst. In Hannover ist seine Orgel deutlich lauter als auf früheren Touren, bei etlichen Stücken greift er zur Mundharmonika; bloß die Gitarre die für ihn bereitliegt, fasst er leider nicht an. Vor allem singt er aber mit großem Einsatz und sichtlich Spaß an der Sache. Es scheint, als habe er das Gerüst seiner Band fester im Boden verankert, um sich gesanglich umso freier und von musikalischen Zwängen unbeschwerter bewegen zu können. So beweist sich der alte Werbespruch "Nobody sings Dylan like Dylan" bei jedem Song aufs Neue. Während sein Orgelspiel recht simpel bleibt, zeigt er sich bei der gesanglichen Neuerfindung seiner Stücke, bei Phrasierung, Betonung und Variation des Ausdrucks als absoluter Meister. [SZ, 01.04.2009] Der krächzende Meister AWD-Hall, Hannover, 31.03.2009. Wenn ein vom langen Atem der Rockgeschichte ganz unbehauchter Mensch sich dieser Tage in ein Dylan-Konzert verirren sollte, wird er sich vorkommen wie in der Messe einer fremden Kultgemeinschaft. Da bauen sich fünf reife Musiker in beigen, weit geschnittenen Anzügen im Halbkreis auf, ihr 67-jähriger Meister im dunkelblauen Südstaaten-Zwirn links außen. Sie spielen rauen Blues- und Folkrock, der hagere Maestro krächzt und schnarrt dazu in freien Rhythmen kehlige Laute in einer Sprache, die entfernt nach Englisch klingt. 4000 Gläubige lauschen andächtig. [BZ, 02.04.2009] Bob Dylans Erben - Gott sucht Nachfolger
Der Mut zur Veränderung, die Rast- und Kompromisslosigkeit sind es, die Bob Dylan zu einer
der interessantesten Personen der Musikgeschichte machen. Seit 1988 läuft seine „Never Ending Tour“ – und trotz Tausender Auftritte, Dutzender Alben
und Hunderten von Songs weiß immer noch niemand so richtig, was für ein Mensch sich wohl hinter all den Rollen versteckt, die er früher oder später
an- und ablegte. Seine Lieder faszinieren. Egal, ob pointierte Politsatire, melancholisches Liebeslied oder surreales Gesellschaftsbild:
Dylans markante Stimme und seine oft kopierte Intonation verwandeln auch simpelste Stücke in berührende Kunstwerke. Nicht umsonst thront
„His Bobness“ über vielen seiner Musikerkollegen wie ein König wider Willen.
Nicht, dass er Ruhm je abgelehnt hätte, doch verweigerte er sich konstant jeglicher Vereinnahmung durch die Öffentlichkeit. Bob Dylan machte
sich den steten Wandel zum Lebensprinzip. Zum Leidwesen mancher Fans unterzieht er selbst seine eigenen Hits dem ständigen Wandel – und bietet
sie bei jedem Konzert neu dar – teilweise fast bis zur Unkenntlichkeit verändert. Und selbst mehr als vierzig Jahre nach ihrer Veröffentlichung
klingen Songs wie das prophetische „The Times They Are A-Changin‘“ noch nach Freiheit und Umbruch. Sie sagen: „Bleib um alles in der Welt nicht
stehen!“ – was auch immer das für ihre Erben heißen mag.
[HAZ, 01.04.2009]
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40 Jahre FOLK 69, Braunschweig, 15.05.09 |
Zwischen Romantik und Rebellion - 40 Jahre "Folk ’69"
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Zum dritten Mal findet 2009 in Braunschweig das Folk- und Weltmusik-Festival Wilde Töne statt. Wie bereits im vergangenen Jahr gab es im Monat vor dem Festivalwochenende wieder die regionale Konzertreihe "Auftakt! Wilde Töne 09" mit Konzerten auf rund zwanzig Kleinkunstbühnen, in Kneipen und Kirchen zwischen Goslar und Gifhorn, Peine und Wolfsburg. Neben vielen regionalen Gruppen ließen sich auch überregionale Künstler wie etwa der Jazzgitarrist Sammy Vomáčka sehen.
Der Autor dieser Zeilen darf für sich in Anspruch nehmen, darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass in diesem Jahr der legendäre Braunschweiger Folkclub FOLK 69 seinen 40. Geburtstag gehabt hätte. Daher wurde die Konzertreihe auch mit einem Jubiläumswochenende im Kulturzentrum Brunsviga eröffnet.
Es wird eine Geburtstagsparty mit viel Musik. 40 Jahre regionale Folkmusikhistorie: Folkies, die in den siebziger Jahren unterwegs waren, treffen auf Musiker, die heute die Szene bevölkern. Es spielen der bereits oben genannte Finger-Picker Matthias Lenz, Irish Folkies wie Dun Aengus [#37] und Peter Kerlin [#31], aber auch der englische Folk- und Blues-Musiker Ray Austin, der in Freiburg zuhause ist, aber einst eng mit der Braunschweiger Folkszene verbunden war. Zum Finale Totale stimmen alle "Will the Circle Be Unbroken" an; Zeichen dafür, dass ein Ende noch lange nicht abzusehen ist.
Am Tag darauf schließlich trifft sich die bundesweite Szene der "Rotzfrechen Asphaltkultur", ein 1978 in Braunschweig aus der Anti-Atomkraft-Bewegung hervorgegangener Zusammenschluss von Straßenkünstlern. Rund 60 Musiker treffen zusammen, die irgendwann einmal der RAK angehörten, der Bekannteste ist sicherlich Klaus der Geiger [#32].
Die rotzfreche Asphalt-Kultur lebt noch mal auf So viel Energie wie hier schon in wenigen Minuten verschossen wird, bringen andere Bands nicht während eines ganzen Abends auf die Bühne. "Nur weil ich alt bin, lasst mich nicht hängen / Steckt mich nicht ins Heim", singt Klaus der Geiger (Jahrgang 1940) selbstironisch und fragt, ob er das vielleicht falsch verstanden habe, mit dem Wrack-Treffen. Man hat sich vielmehr zum "RAK"-Treffen, einem Revival-Konzert der Rotzfrechen Asphalt Kultur, zusammengefunden. Eine Bewegung, die Ende der 70er Jahre im Gefolge der Anti-Atom-Kraft-Bewegung entstand und politische Aufklärung musikalisch auf die Straße bringen wollte. Sasahara Blumenstiel, der als Lehrer an der Musikschule Musikuss arbeitet und diesen Abend mit initiiert hat, erzählt, deswegen habe diese Form der Straßenmusik eben nichts mit Bettelmusik zu tun. Es gehe nicht darum, einfach ein paar Lieder zu spielen, sondern mit dem Publikum in einen Dialog zu treten und Inhalte zu vermitteln. "Die Guten" erzählen eine Geschichte, die wohl das Selbstverständnis vieler Straßenmusiker auf den Punkt bringt. Es sei mal jemand auf der Straße zu ihnen gekommen und habe gesagt, sie sollen doch mal arbeiten gehen. Darauf "Die Guten": "Das machen wir doch gerade, du stehst doch hier nur rum." [BZ, 20.05.2009] |
Wilde Töne, Braunschweig, 12./13.06.09 |
![]() Einhorn, Einstürz. Heuschober, Kinderprogramm, Mabon, The New Prohibition Band, Round the Table, Transkapela, tubs.it |
Am Montag nach dem Wilde-Töne-Wochenende zeigt die ganze Kulturteilseite des lokalen Käseblatts Fotos von besoffenen Kids ... Nein, die waren nicht auf diesem Festival, für Folkies war das Motto ausgegeben: lieber Wilde Töne im Stadtpark als Tote Hose im Stadion.
Wer braucht schon die Toten Hosen - gut, etwa 20.000 Mitmenschen -, wenn im östlichen Ringgebiet die Weltmusik tobt. In sieben Konzerten an vier Spielorten präsentierte die Initiative Folk e.V. Folkabilly, Russenparty und Polkamanie.
Dieses Jahr sind Bands dabei wie Apparatschik [#32], Das blaue Einhorn [#35], die Broom Bezzums [#36], Ersatzmusika [#35], Jamie Clarke's Perfect [#36], Maalstroom [#35], die New Prohibition Band [#39] und Transkapela [#33]. Außerdem gibt es Straßenmusik, Workshops, Musik für Kinder und ein Tanzhaus. Und weil die Musiker selbst nach ihren Konzerten noch nicht genug kriegen können und keinen Schlaf benötigen, wird noch Session gemacht bis der Hahn kräht.
![]() Broom Bezzums @ FolkWorld: #36, #36, #39 ![]() |
Sasahara Blumenstiel - Ein Mann der "Wilden Töne"
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Termine 2009
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Die FolkWelt zwischen Harz & Heide (FW#38) |
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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 07/2009
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