FolkWorld Ausgabe 39 07/2009; Buchrezensionen von Walkin' T:-)M
Folk ist sozusagen gewissermaßen irgendwie eine spezielle Form der populären weltlichen angloamerikanischen und europäischen Musik, die sich traditioneller oder daraus abgeleiteter Sing- und Musizierweisen einer regionalen oder lokalen Kultur bedient. Punkt. Wenn man über Folkmusik schreibt, sollte man sich nicht lange mit Definitionen aufhalten, sondern schleunigst medias in res gehen.
Carl-Ludwig Reichert, Folk - Von Joan Baez bis Adam Green. Dtv premium, 2008, ISBN 978-3-423-24587-6, 260 S, €14,90. |
Demgemäß ist das hier zu besprechende Büchlein auch nur kurz und knapp Folk betitelt. Nach langer Zeit (Siniveer, Steinbiß in den 80ern) wagt sich endlich wieder jemand im deutschsprachigen Raum an einer Gesamtschau.
Folk erwies sich als die ideale Identifikationsformel für Cordhosen- und bebrillte Vollbartträger und Mädchen, die lieber barfuß liefen als in Pumps. Folk war antibürgerlich, aber fast drogenfrei, wenn man Alkohol und Marihuana nicht zählte. Folk war ländlich, aber nicht unbedingt sittlich, jedoch auch nicht prollmäßig, wie der Rock'n'Roll der Vorstadt-Gangs. Folk implizierte eine cool rebellische Haltung gegen den satten und konformistischen Way of life der Mittelschicht, die sich an eine gelernte und gefühlte amerikanische Tradition des verfassungsmäßigen Dissens anlehnte, der linke und rechte Wurzeln hatte, zumeist anarchistischer, selten religiöser Natur.
Der Autor erinnert nebenbei auch an die Freaks und nicht nur an die kommerziell Erfolgreichen, die zum Teil aber auch schon längst vergessen sind. Das Mini-Americana-Lexikon enthält beispielsweise Beiträge über Dave Alvin (-> FW#34), die Asylum Street Spankers (FW#34), David Bromberg (FW#33), Cordelia's Dad (FW#6), die Demolition String Band (FW#23), Steve Earle (FW#30), David Grisman (FW#27), Arlo Guthrie (FW#35), Michelle Shocked (FW#31), Southern Culture on the Skids (FW#32), Otis Taylor (FW#36), Townes Van Zandt (FW#34) ...
Der amerikanische Part ist informierter als der europäische (Großbritannien, Irland, Deutschland; das Mini-Lexikon Deutschland erwähnt immerhin Fiedel Michel (FW#11), Laway (FW#38), Ougenweide (FW#34) und Achim Reichel (FW#38)). So ist es z.B. putzig, Planxty (FW#30) oder die Bothy Band (FW#30) als Folk-Popper und Sharon Shannon (FW#30) als undogmatisches Gesangswunder zu bezeichnen, Blowzabella (FW#34) unter Irish Folk und Runrig (FW#24) in die walisisch singende Rockszene einzuordnen. Vieles scheint auf dem Schuberth-Buch zu beruhen, das nur noch im Antiquariat erhältlich ist (FW#22).
Carl-Ludwig Reichert war in den Siebzigern Mitbegründer von Bayernrocker Sparifankal und spielt derzeit mit der Gruppe Wuide Wachl. Er hat zahlreiche Veröffentlichungen zu Rock und Folk geschrieben, u.a. ist er Autor von "Blues - Geschichte und Geschichten" (-> FW#28). Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Kostprobe gefällig:
Das Kingston-Trio, drei Folk-Darsteller, die beim Publikum erfolgsmäßig ebenso abräumten wie Heino als Vertreter des deutschen Volkslieds in China.
'Eve of Destruction' zerstörte nicht die Welt, sondern vor allem den guten Geschmack, indem er das intellektuelle Niveau von Folk zum Pop-Mainstream hin senkte.Reicherts Meinungsabsonderungen sollten allerdings nur denjenigen stören, der einem ranzig-konservativem Heile-Welt-Familienbild anhängt, oder Vertreter der Musikindustrie:
Wer kein aufwendiges Video hatte, wer in etwelchen seltsamen Sprachen wie Finnisch, Serbokroatisch, Baskisch, Walisisch oder gar in regional begrenzten Dialekten sang, konnte sicher sein, von den Agenten der Dauerberieselung nicht belästigt zu werden. Die Kehrseite war, dass es für solche Musik keine massenmediale Verbreitung und somit keinen Markt gab. Jedenfalls nicht, bis ein paar Schlaumeier den Begriff "Weltmusik" erfanden, der neue Kanäle der gnadenlosen Vermarktung für die neuen Musiken der Dritten Welt öffnete. Doch ästhetisch war es eine Katastrophe. Fremde Kulturen wurden inhaltlich wie formal geplündert, die musikalischen Traditionen landeten auf dem Ramsch, wo jeder Depp sie zuschanden sampeln durfte. Hybride Atombomben des schlechten Geschmacks fielen auf reizgeile Ohren und der Unterschied zum viel verspotteten Markt der "volkstümlichen" Musik war letztlich nur noch graduell. Die Parole schien zu heißen: Musik-Mafiosi aller Länder, rafft, was ihr könnt, im Aus- und Schlussverkauf der primitiven Kulturen.
Er seufzt:
Der Unterschied zwischen Hein & Oss und Heino ist immer noch und jetzt erst recht entscheidend. Die gesamtdeutschen Volkstümelei-Spektakel werden nicht weniger dümmlich und tümlich bleiben, wenn ein paar plastifizierte Liedermacher dort mitmachen dürfen. Schöne Lange Weile wird das geben. Wenn die Szene nur endlich aus ihrer selbstverordneten Gemütlichkeit und Vergnügungssucht herauskäme, weniger Tanzböden zerstampfte, weniger Bordun-Saiten strapazierte, weniger Rollenspiele spielte, weniger Hobbits und Wurzel-Seppen, spillrige Hexlein und Elfen hervorbrächte, sondern die Fäden ungefähr da wieder aufnehmen würden, wo die Generation der Öko- und Medien-Karrieristen sie liegengelassen hat. Es gäbe mächtig viel zu tun. Folk wäre genau die richtige Musik dazu.
Bernhard Flieher, Weit, weit weg - Die Welt des Hubert von Goisern. Residenz-Verlag, 2009, ISBN 978-3701731350 , 254 S, €19,90. |
Die Parole "Wenn du ein Liedermacher sein willst, dann steh auf und geh dahin, wo es nicht selbstverständlich ist" hat sich bei den saturierten Massen-Beglückern noch nicht wieder herumgesprochen. Auch so ein Satz von Reichert. Einer, der dorthin gegangen ist, wo es nicht selbstverständlich ist, ist der Liedermacher aus Bad Goisern (auch wenn der für Reichert wahrscheinlich viel zu sehr nach Mainstream riecht).
Mit dem "Hiatamadl" wurden Hubert von Goisern und die Alpinkatzen 1992 bekannt und Aushängeschild der sogenannten Neuen Volxmusik, die die Alltagssprache Pop mit der Umgangssprache Volksmusik zu verbinden wussten. Der Goiserer bezog damit eine Position zwischen dem Getto der Bewahrungsfanatiker und der Beseitigung zugunsten der Volksdümmlichkeit.
Wo die Volksmusik auftaucht, wird sie eingeschlagert und aufgepoppt. Ecken und Kanten werden abgeschliffen. Die rohe Kraft, zu der diese Musik fähig ist, wird ihr geraubt. Statt schauriger, durchaus sozialkritischer Geschichten konzentriert man sich auf die Bewahrung des Schönen, Reinen und Guten. "Fesch san die Buam und sauber die Madln." Hier wird alles gesäubert von den wirklichen Grauslichkeiten der Realität. Vergessen durch Verdrängen.
Aber er stieg bei den Alpinkatzen aus. Stillstand ist Tod. Die Suche führte ihn in die weite Welt, aber auch zurück ins heimische Österreich, wo er die die beiden "Trad"-Alben aufnahm - pure Volksmusik ohne Anbiederung an einen Massengeschmack und ohne Kompromisse in der Umsetzung.
Die Reise, der Weg zieht sich als Metapher durch seine Lieder. Schon in dem Alpinkatzen-Klassiker "Weit weit weg" heisst es (nicht unbedingt positiv besetzt):
Marcus van Langen ist seit Jahren eine der zentralen Figuren in der deutschen Mittelalterrock Szene. Angefangen von der ersten EP, die 1995 unter seinem Namen erschien, über seine Band Des Teufels Lockvögel bis hin zum Palästinalied Projekt, das von verschiedenen Künstlern der Szene gemeinsam für Not leidende Kinder in Israel und Palästina produziert worden war, hat er starke Akzente gesetzt. Nun hat er aus seiner reichen Erfahrung schöpfend ein mittelalterliches Liederbuch herausgegeben
Marcus van Langen, Liebe, Wollust, Spielmannslieder.
Zauberfeder,
2009, ISBN 978-3-938922-16-3, 144 S, €24,90.
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Jetzt sind die Tåg schon kürzer word'n und Blattln fålln a von die Bäum und auf'm Almasatl liegt schon Schnee A kalter Wind weht von die Berg die Sonn is a schon untergangen und ich hätt di gern in meiner Näh Jetzt bist so weit, weit weg so weit, weit weg von mir des tuat mir schia(ch) und wie |
Oder in dem nicht ganz so alten Lied von der "Stråss'n":
No' ållweil reden d'leut dass früher besser g'wesen wär - hm vielleicht nur håb'n mir nix davon weil wås vorbei is' is' vorbei - lång vorbei Es is' nix wåhr , wås nit a g'log'n is' und åll's, wås g'scheit is', is' nit guat weil es is' die selbe stråss'n die di'hoam führt oder fort Wer si' no' nie g'fürcht håt wird si' niemals a wås trau'n und wer no' nie wem gern g'håbt håt der wår no' nie alloan es is' die selbe stråss'n de di' hoam führt oder fort |
Weit, weit weg führt Bernhard Flieher, Kulturredakteur der Salzburger Nachrichten, den Leser. Beginnend bei dem kleinen Bub, der Flügelhorn und Steirische Ziehharmonika lernte, auf die Beatles und Stones traf, und wegen zu langer Haare aus der Blasmusikkapelle geflogen ist.
In seinen Essays äußert er Gedanken über Hubert von Goisern und kommt dabei in Momentaufnahmen dem Künstler näher als es eine vollständige Biografie täte. Ganz nebenbei entwirft Flieher ein (kritisches) Panorama der Alpenrepublik und seiner Bewohner. Denn es ist eben nicht unbedingt: Ein selig singendes Völkchen, in dem schon auch die eine oder andere Gams gewildert wird, ein Völkchen aber, das sonst niemandem etwas zu Leide tut und in dem Wald und Wiesen bejodelt werden.
Ist es da Ironie, wenn Flieher von den Schwierigkeiten berichtet, in Ouagadougou eine Cola zu kommen (ich kenne Orte in Wien, wo sich das ähnlich schwierig gestaltet; wie heisst es doch in der Wolf-Haas-Verfilmung "Der Knochenmann" so schön: Dies ist ein Wirtshaus und kein Gasthaus). Kürzlich setzte der deutsche Finanzminister im Streit um Steueroasen und Steuerhinterziehung Länder wie Österreich mit Ouagadougou gleich (und Burkina Faso hat sich mit Recht darüber beschwert). Aber ich schweife ab.
Hubert von Goisern @ FolkWorld: FW #19, #23, #24, #26, #27, #36, #37 |
Hubert von Goiserns LinzEuropaTour, die ihn mit dem Schiff die Donau hinunter bis zum Schwarzen Meer und in einem zweiten Teil Donau, Rhein und Main hinauf in den Nordwesten führte, ist nun abgeschlossen. Am kommenden Wochenende ist mit dem Linz 09-Hafenfest auch dieses Abenteuer vorbei. Neue Orte werden auftauchen. Wege werden sich gabeln. Richtungen werden wechseln. Stimmt. Man darf gespannt sein.
John Dowland, der hervorragendste und von Shakespeare gerühmte Komponist und Lautenist der englischen Renaissance, aber auch Hoflautenisten Elisabeths I. wie Francis Cutting (für volkstümliche Melodien bekannt), Anthony Holborne, sowie Vater und Sohn John und Robert Johnson fehlen nicht. Nach zwei Zusammenstellungen mit Lautenduetten aus der Renaissance hat Werner Reif speziell eine Sammlung mit Stücken aus England zusammengestellt. Es finden sich Gigues und Jiggs (nicht unbedingt im 3/4-Takt), Galliards und ein Triple Hornpipe (FW#38). Die für 6-chörige Laute komponierten Stücke sind auch für Gitarre geeignet, wenn auch Reif empfiehlt, die g-Saite auf fis zu stimmen. Dies erleichtert ungemein, die Laute hatte nämlich eine kürzere Mensur, und klingt außerdem noch authentischer (FW#38). Nicht nur für Liebhaber der Renaissance gedacht (man denke nur an Blackmore's Night (FW#37), und man muss nicht unbedingt Richie Blackmore sein, um es spielen zu können. Werner Reif, Lautenstücke aus der Renaissance bearbeitet für Gitarre: England. Edition DUX 900, 2009, ISBN 978-3-86849-011-4, 44 S, €12,80.
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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 07/2009
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