FolkWorld Ausgabe 40 11/2009; Kolumne von Walkin' T:-)M


Otto IV.

Die FolkWelt zwischen Harz und Heide:
Minnesang & Harfenklang

Folk & The City: Braunschweig

In Braunschweig wird Otto IV. gefeiert. Was? Noch nie von Otto gehört? Dem einzigen deutschen Welfenkaiser, dem Lieblingsneffen von Richard Löwenherz, dem Arbeitgeber Walther von der Vogelweides, dem Förderer der schönen Künste, dem Schützer der Witwen und Waisen ... Macht nichts, ich auch nicht, aber dem Stadtmarketing ist es tatsächlich gelungen, den Kaiser in die Köpfe der Braunschweiger zu hämmern.

Simon Paulus Presseschau

Die Geige des Orients

Die Instrumente, die Simon Paulus auspackt, ähneln immer irgendwie den unseren heute, sind dann aber doch in vielen Details verschieden. Es sind Nachbauten mittelalterlicher Instrumente, die er mit seinem Ensemble Recercada zur Interpretation der Musik jener Zeit nutzt. Eine zunächst einstimmig tönende Zeit, wie Paulus erklärt. Der Bordun, ein Dauerton, erklang zum Gesang. Gerade erst kam Mehrstimmigkeit auf, wurde aber in der geistlichen Musik auf seltene Momente und hohe Feiertage begrenzt. "Diesen Effekt kann man sich kaum mehr klarmachen, wenn in dem ewigen einstimmigen Sang plötzlich weitere Stimmen auftreten." [BZ, 19.05.2009]

Folklore im Harz: Von Peitschenkonzerten, Birkenblättern und Spinnstubenabenden

Die Bevölkerung des Harzes musste erfinderisch sein, um in den Wäldern auf weite Entfernungen kommunizieren zu können. Eine Möglichkeit war das "Ledauzen". Dabei handelte es sich um drei- bis viersilbige, durchdringende Jodlerrufe, die zur Signalgebung eingesetzt wurden. Andere Formen der Verständigung waren das Schlagen der "Hillebille" oder das "Klappen" mit der Peitsche. Die Köhler hatten die Hillebille, eine schmale Platte aus Buchenholz, die an einem Seil pendelt, fast immer bei sich. Sie verwendeten sie zum Schlagen rhythmischer Muster. Ein Signal-instrument, das heute nur noch sehr selten erklingt, ist das Birkenblatt der Schäfer. Das oval ausgeschnittene, etwa zehn Zentimeter lange und fünf Zentimeter breite Stück Birkenrinde setzten die Schäfer einst an ihre Lippen und bliesen darauf. Die Hirten verkürzten sich die Zeit auf den Weiden mit dem Musizieren auf einer Maultrommel, und die Köhler in den Wäldern bauten sich das "Kohlengeläut", eine Art Klangspiel aus verkohlten Ästen. [Folker, 03.09]

Harzer Jodlerwettstreite: Kulturelles Erbe weckt musikalischen Ehrgeiz

Tannengrüne Röcke mit farbig bestickten Borden wiegen sich sanft im Klang des Akkordeons. Echte Harzer Trachten sind ebenso Teilnahmebedingung für einen Jodlerwettstreit wie der Vortrag eines Volksliedes und Jodlers aus der Harzer Musiktradition. Jodlerrufe wurden von den Bewohnern der Harzer Wälder ursprünglich für Absprachen oder zur Signalgebung eingesetzt. Bei den Wettbewerben. die außer [im August] in Clausthal-Zellerfeld auch im Juni in Hesserode beziehungsweise im September in Altenbrak stattfinden, kann das Publikum ein außerordentlich abwechslungsreiches Programm mitverfolgen, das von zwei- und dreistimmigen Vorträgen mit Instrumentalbegleitung über Quartette und Sextette bis hin zu Solovorträgen mit atemberaubenden Naturjodlern in der Meisterklasse reicht ... [Folker, 04.09]

Kussi Weiss

Sinti-Musik-Festival – hochklassig trotz des Regens

Gut Steuerwald, Hildesheim. Da hat es das Wetter mit dem Sinti-Musik-Festival in diesem Jahr nicht gut gemeint. Zu kalte Temperaturen ließen vor allem die Jam Sessions am Ende der beiden Abende auf Gut Steuerwald fast komplett ausfallen. Umso mehr muss man sowohl der Tapferkeit der Künstler als auch der geschätzt rund 500 Besucher Tribut zollen. Das schlechte Wetter tat der Stimmung auf und vor der Bühne dennoch wenig Abbruch. Die insgesamt sechs Programmakts spielten zur guten Stimmung auf, als wäre es Hochsommer, und manche Besucher tanzten sogar im Regen. Musik vereint und macht gute Laune. Genau diese Botschaft möchte das Hildesheimer Sinti-Musik-Festival, das in diesem Jahr schon zum neunten Mal stattfand, vermitteln. Der rhythmisch-dynamische Gypsy-Swing, der im Mittelpunkt des Festivals stand, ist geradezu prädestiniert dafür. [HAZ, 13.07.2009]

Zentrum für Weltmusik eröffnet

Hildesheim. Wer sich künftig wissenschaftlich mit Musik anderer Kulturen beschäftigen, wer also Musikethnologie betreiben will, wird von nun an um Hildesheim kaum mehr herumkommen. In der Schillstraße, in der früheren St.-Timotheus-Kirche, wird an diesem Donnerstag das Center for World Music, das Zentrum für Weltmusik der Stiftung Universität Hildesheim eröffnet. (www.uni-hildesheim.de) [HAZ, 16.07.2009]

Die flammende Stimme Siziliens

Kultur im Zelt, Braunschweig. Etta Scollo [FW#38] gehört diese Stimme, und sie macht damit alles. Singt Melodien, die hinauf- und hinunterklettern, ein angerauter Schrei, ein Grummeln, besteigt orientalische Skalen wie einen Achttausender und schlendert dann wieder zärtlich säuselnd ins Tal. Sie formt ihr Organ versiert und anspruchsvoll. Etta Scollo ist eine Sängerin, die sich nicht mit dem Einfachen zufrieden gibt. Aber nie klingt sie dabei so, als wäre das hier eine Gesangsstunde mit dem Thema "Was mit einer Stimme alles möglich ist". Immer ist es das Gefühl und eine Geschichte, die sie mit ihrem Gesang umkreist. Und wenn man dann in den Liedern kein Wort versteht, weil man der italienischen Sprache nicht mächtig ist, schafft es Etta Scollo, allein mit ihrer Stimme und der zurückhaltenden, instrumentalen Untermalung immer etwas zu vermitteln. Die drei Begleitmusiker liefern Etta Scollo eine reduzierte, dabei aber vielschichtige Grundlage. Ein stabiles Fundament, auf dem Etta Scollo im Zeitraffer wild wuchernde Hochhäuser errichtet. Lustvoll. Verspielt wie Jugendstilarchitektur. [BZ, 31.08.2009]

Etta Scollo

Musik aus aller Welt soll alle Ohren ansprechen

Forum Fredenberg, Salzgitter. Pünktlich zum Wolkenbruch zupfen die zwei Musiker des Duos Rangin aus Hannover die ersten Gitarrensaiten und bringen damit ein paar fröhliche Töne in das große Festzelt. Es ist zum Glück nur ein heftiger Schauer, der den Himmel über dem ersten Folk-Festival kurz trübt. Zum ersten Mal lädt an diesem Samstagnachmittag das Fredenberg Forum zu einer Veranstaltung auf das Gelände des Schulzentrums ein. Musik soll heute die verschiedenen Kulturen verbinden, die gemeinsam am Fredenberg wohnen. Sechs Gruppen treten auf und unterhalten unter anderem mit osteuropäischer Musik (Lorbass aus Braunschweig), türkischen Klängen (Grup Oz Günler aus Salzgitter), und russischer Volksmusik (Apparatschik aus Berlin [FW#32]). [SZ, 31.08.2009]

Total ausgebrandenburgt

Kultur im Zelt, Braunschweig. Wenn [Rainald] Grebe [FW#40] am Klavier sitzt, seine Geschichten singt und erzählt, fließen Realität, Fiktion und Absurditäten so butterweich ineinander, dass selbst die schrägste Begebenheit doch nur die genaue Beobachtung der Wirklichkeit sein könnte. Das Wunderbare am Kabarettisten Rainald Grebe ist nicht nur sein Blick für den alltäglichen Wahnsinn der Gesellschaft, sondern auch sein musikalisches Talent. So entwirft er in seinem Hit "Brandenburg" nicht nur dieses bizarr überzeichnete und doch mitunter wahre Bild eines ausgedorrten Bundeslandes - "Da stehen drei Nazis auf dem Hügel und finden keinen zum Verprügeln" - sondern singt das dann auch noch mit der Stimme eines großen Chansonniers - gefühlvoll, charakterstark und mit Schalk. Das Publikum ist am Ende euphorisch und zitiert Rainald Grebe für fünf Zugaben zurück auf die Bühne. [BZ, 12.09.2009]

Wenn das Papergirl zur Geige greift

Kniestedter Kirche, Salzgitter-Bad. Mit Celtic-Latin-Rock haben die Los Paperboys [FW#33] die Kniestedter Kirche zum Kochen gebracht. Sympathisch, virtuos, emotional und schnörkellos zogen sie das Publikum in ihren Bann. Zugaben ohne Ende, das Publikum wollte die Fünf einfach nicht gehen lassen. [SZ, 21.09.2009]

Soname Yangchen aus Tibet im Glashaus

Glashaus, Derneburg „Ich rede zu viel“, sagt Soname Yangchen und grinst. Die Tibeterin ist eigentlich für ein Konzert und die Vorstellung ihrer neuen CD „Plateau“ ins Glashaus gekommen, aber sie möchte auch reden und dem Publikum nebenbei noch Meditation und ihre Lieder beibringen. Man kann sich das nur so vorstellen, dass es in dieser zierlichen Frau wirbelt – ein Drang, sich mitzuteilen, Geschichten zu erzählen – während sie nach außen eine Ruhe ausstrahlt, die wohl nur Menschen erreichen, die nicht nur von einem inneren Frieden sprechen, sondern ihn gefunden haben. Man würde Soname Yangchen gerne mal mit ihrer Band sehen und hören. Und das einen ganzen Abend lang. Am nächsten Tag käme man noch einmal zu ihr, um sich all die Geschichten anzuhören. Soname Yangchen würde ihren Zuhörern raten, einfach weniger zu denken und mehr zu handeln. Und wenn man der Tibeterin bei diesen Worten ins Gesicht sieht, wird wieder bewusst, dass sich hier jemand mit dieser simplen Formel das Leben gerettet hat. [HAZ, 08.10.2009]

1200 Besucher beim Folk’n’Fusion-Festival

Trillke-Gut, Hildesheim. Wenn sich Großeltern beschweren, die Enkel hätten keinen Bezug zu volkstümlicher Musik, dann haben sie sicher noch [nicht] das Folk’n’Fusion-Festival im Trillke Gut miterlebt. Das liegt kulturell weit entfernt von Formaten wie Musikantenstadl, vermittelt aber umso intensiver Folklore – allerdings aus der ganzen Welt. Dieses Jahr feierte das Festival 5. Jubiläum. Einzigartig ist das Folk’n’Fusion vor allem wegen des Programms rund um die Konzerte. Mit anregenden Workshops und kreativem Kinderprogramm integriert das Festival seine Besucher in die künstlerischen Abläufe. Die Auswahl der Bands sorgte dafür, dass dieses Jahr mehr als 1200 Zuhörer den Weg ins Trillke-Gut fanden. [HAZ, 26.10.2009]

Der Sohn Heinrichs des Löwen und Mathildes von England wuchs am normannischen Königshof seines Onkels Richard Löwenherz in der Normandie und in Poitou auf. 1198 wurde Otto zum deutschen König gewählt (um genau zu sein: zum Gegenkönig Philipps von Schwaben). Fortan kämpften Staufer und Welfen um die Macht, bis Philipp schließlich 1208 ermordet wird. Am 4. Oktober 1209 krönte Papst Innozenz III. Otto IV. in Rom zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen, der einzige deutsche Kaiser, der je aus dem Welfenhaus kommen sollte.

Otto wurde von Zeitgenossen als Kriegsherr und für seine Frömmigkeit gelobt. Man sagt, seine Großmutter Eleonore von Aquitanien hätte Otto für die schönen Künste eingenommen. Er hätte altprovenzalische Minnelieder gesungen und sei von Wolfram von Eschenbach mit seinem "Parzival"-Roman geehrt worden.

Holger Schäfer

Icon Sound / Icon Movie @ www.harfe-und-sang.de

Sicher ist, dass der berühmte Minnesänger Walther von der Vogelweide mit propagandistischer Sangspruchdichtung zeitweise Stimmung für Otto IV. machte.

Rund 70 Veranstaltungen fanden im Jubiläumsjahr der Kaiserkrönung in Braunschweig und Umgebung statt. Beim historischen Pfingstfest rund um den Dom und die Burg Dankwarderode konnten die Besucher die Zeit Ottos hautnah erleben. Ein zweitägiges Symposium lockte Teilnehmer aus ganz Deutschland zur Burg Lichtenberg, wo Otto nachweislich 1204 Weihnachten gefeiert hat. Den musikalischen Teil bestritten die zehn Sängerinnen und Sänger der Vokalgruppe ARTonal. Mit Liedern aus neun Jahrhunderten begeisterten das Publikum.

Im Juli lockte das Tavernenfest die Menschen in die Braunschweiger Innenstadt, wo Spielleute wie Triskilian [FW#28], Arundo [FW#36] und die Irrlichter [FW#33] aufgeigten. Am Vorabend des Tavernenfestes wurde Braunschweigs schönstes Liebeslied gekürt. Sänger und Sängerinnen waren aufgerufen, ihre Sicht der Minne in unserer Zeit vorzustellen, den Preis erhielt der Kölner Neo-Barde mit dem wunderschönen Namen Janko vom See.


"Glühende Augen" beim Feuerzauber

Janko vom See & Holger Schäfer Braunschweig. "Platz da, der König kommt!" Viele Passanten offenbarten am Samstagabend fragende Blicke. Andere reagierten standesgemäß mit Knicks. Während des mittelalterlichen Tavernenfestes ließ es sich Majestät nicht nehmen, die Sänger bei ihrer Arbeit zu besuchen. Braunschweig ist im Kaiserjahr eine Hochburg mittelalterlicher Bräuche. Einen Minnesänger-Nachwuchs-Wettbewerb erlebte die Stadt am Freitag. Am Samstag gab es Konzerte, erst auf dem Burgplatz, abends in sieben Bars. "Tavernenfest" hatte Veranstalter Stadtmarketing diese Aktion genannt. König Otto also huldigte den Musikern jeweils durch ein paar Minuten Anwesenheit – und die Künstler huldigten ihm zurück. Fast jeder ließ sich spontan auf das Spiel ein, dankte Otto, der ja erst am 4. Oktober zum Kaiser gekrönt wird, für seine Gunst. "Ich bin ohne spezielle Erwartungen hergekommen, aber es hat sich gelohnt", resümierte die 27-jährige Sarah Horst. Mit ihrer Freundin Nora Widdecke (24), die mittelalterliche Musik "ganz gern" hört, war sie dabei, als Holger Schäfer und Janko vom See spontan vor der "Tapbar" ein Straßenkonzert gaben. Die beiden Künstler hatten zuvor im Lokal derbe Lieder gespielt. Sie wollten eigentlich gerade im Freien Pause machen, als König Otto alias Hendrik Becker, sein Gefolge und einige Passanten bei dem Lokal eintrafen. "Da haben wir natürlich weiter gespielt", betonte Schäfer, Minnesänger des Jahres 2008. Mehr als 500 Zuschauer versammelten sich am späten Samstag auf dem durch Feuer erleuchteten Burgplatz, um eine getanzte Feuerschau der Gruppe Lux Aeterna zu erleben. "Dass dazu alle Musiker gemeinsam spielen durften, hat unter uns Künstlern glühende Augen hervorgerufen", teilte Holger Schäfer noch mit. [BZ, 20.07.2009]

Irrlichter

Die Irrlichter @ FolkWorld: FW #33

Icon Sound @ die-irrlichter.de, Icon Movie @ youtube.com

Sängerwettstreit im Frauenlob

Braunschweig sucht den Minnestar, hieß es vor ein paar Monaten. Gesucht wurden Liebeslieder, die in der Tradition der mittelalterlichen Minnesänger selbst gedichtet und vorgetragen werden sollen, um den Minnestar zu finden. Moderne Musikformen waren dabei ebenso erlaubt und erwünscht wie Versuche der authentischen Nachahmung des Minnesangs. Vom historisch orientierten Minnesang über Mittelalter-Rock und Chanson bis zum Rap ist alles dabei. "Wichtig war uns, dass die typische Haltung des Minnesangs herauskam: diese Mischung aus Nähe und Distanz", erklärt Jury-Mitglied und Minnesang-Spezialist Lothar Jahn. Die Frau wird in den Liedern höchster Zuneigung versichert, und die wird auch bis in körperliche Details hinein begründet, aber zugleich bleibt sie unantastbar. "Es handelte sich ja um die Gattin oder die Tochter des Hausherrn. Selbst bei der unverheirateten Tochter wären Minnesänger aus Standesgründen nicht in Frage gekommen." Die Gründe, warum heute die begehrte Frau so unerreichbar ist, haben sich freilich gewandelt. "Mal hat sie ihn, mal hat er sie verlassen, oder man sieht sich täglich nur durchs Fenster, trifft sich aber nie." [BZ, 14.07.2009]

Icon Sound / Icon Movie @ www.janko-vom-see.de

Schlussendlich fand von August bis November die Landesausstellung "Otto IV. – Traum vom welfischen Kaisertum" in Braunschweig statt. Beleuchtete Stelen erläuterten als Teil eines Mittelalterweges dem Betrachter jahrhundertealten Kulturschätze, und in der Jakob-Kemenate wurde ein Stadtmodell präsentiert, das Braunschweig um 1250 zeigte.

Im Oktober zogen dann die professionellen Troubadoure in Braunschweig ein. Sänger aus ganz Europa, die sich der Pflege der mittelalterlichen Minne verpflichtet fühlen, traten an zum "Sängerkrieg".

Karsten Wolfewicz Kaiserlob für Silberlinge

Mit einer Mixtur aus Fakten, dramatischen Begebenheiten und mittelalterlicher Musik wusste Karsten Wolfewicz zum Auftakt des Europäischen Minnesang-Festivals in der Braunschweiger Dornse zu begeistern. Welch ein lebenspraller Bilderbogen mit Intrigen, Feldzügen, Alltagsszenen, Liebeshändeln, politischen Verwicklungen. Da wird gesoffen, gehurt, gezockt, wunderbar sensible Gesänge entstehen. Das Rezept von Wolfewicz lautet: Geschichtenerzählung statt Geschichtsunterricht! Düstere und lebensfrohe Stimmungen macht Wolfewicz, virtuos in Wort wie in Gesang, lebendig. Mit Psalter, Harfe, archaischen Streichinstrumenten wie der arabischen Rebec und der Rotte, einer sechssaitigen Leier, werden Gesänge der Barden wie Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide lebendig. Auch das sind Menschen, mit Karriereängsten, sie sind anfällig für die Verlockungen der Mächtigen. So schlägt sich Walther 1212 auf die Seite Ottos und ist ihm mit dem Ottenton, einer Hymne in mittelhochdeutscher Sprache, ein machtvoller Propagandist. "Hêr keiser, sît ir willekomen, iuwer hant ist krefte und guotes vol!" (Herr Kaiser, seid willkommen, eure Hand ist voll Macht und Reichtum). [BZ, 17.10.2009]

Obacht, Otto, Beatrix ist entflammt!

Davide Di Giannantonio Also, wenn ich Kaiser Otto wäre, ich hätte in der Nacht nach dem Braunschweiger Sänger-Wettstreit in der Martini-Kirche zwei gut gebaute Landsknechte vor dem Schlafgemach des Italieners postiert. Denn wie der junge Mann mit dem volltönenden Namen Davide Di Giannantonio zartgliedrig in die Saiten seiner Laute griff, mit seinem klaren Tenor inbrünstig Lust und Schmerz des Singens besang und hernach mit einem jungenhaften Lächeln und einem herzigen Aufschlag seiner großen dunklen Samtaugen zur Verlobten des Kaisers hinauf… Jedenfalls: Am Ende überreichte ihr jene Beatrix zart errötend den Lorbeerkranz. Nun war das ganze Spektakel natürlich mal wieder nur nachgemachtes Mittelalter. Folglich hatte nicht nur die Herzensdame des Welfenkaisers die Wahl zwischen den sieben Kandidaten. Sondern auch wir, das Volk. Und wir wählten ebenfalls einen zartgliedrigen, großäugigen, langlockigen Barden: den Tschechen Marian Krejcik. Er war der Kandidat mit der besten Stimme. Opernhaft breitete sich sein warmer Bariton im Kirchenschiff aus, als er von der Qual der Liebe kündete im Ur-Dilemma aller Minnesänger: Kleiner Mann betet hohe Frau an, keine Chance, traurig, traurig, da will er nur noch sterben, ach! Beide Sieger schienen ein Beleg dafür, dass das romantische Bild vom Mittelalter und der Minne in unseren Rückwärts-Sehnsüchten immer noch weiter wirkt. Denn es gab derbere Lieder, rauere Stimmen an diesem musikalisch stilechten Abend. [BZ, 19.10.2009]

European Minnesang Festival: Hêr keiser, sît ir willekomen Startenor bei Minne-Festival

Mit einem Gastspiel des britischen Startenors John Potter ist am Sonntag das europäische Minnesang-Festival in Braunschweig zu Ende gegangen. Mit rund 1500 Zuhörern seien die Erwartungen der Veranstalter um die Hälfte übertroffen worden. Als Höhepunkt habe sich ein Sängerwettstreit in der mittelalterlichen St.-Martini-Kirche erwiesen, der 470 Zuschauer anlockte. Angesichts des großen Interesses dächten die Organisatoren jetzt darüber nach, mittelalterliche Musik künftig stärker im Kulturprogramm der Stadt zu etablieren. [BZ, 18.10.2009]

Mehrsprachiges Lob der Liebe

Die von England ausgehende Bewegung für historische Aufführungspraxis hat für die Musik immer sehr genaue Vorstellungen vermittelt. So rein und präzise und rhythmisiert, wie uns das da vorgemacht wird, klang das im Mittelalter aber womöglich gar nicht. Geschichte ist ein großes Wirrwarr, da gibt es nicht nur eine mögliche Wahrheit. Die mittelalterliche Musik wurde erst mehrere Generationen nach ihrer Entstehung aufgeschrieben, wer weiß, ob wirklich so, wie sie damals gespielt wurde. Ob die Sänger nicht doch mit schwellenden Tönen und Verzögerungen gearbeitet haben wie spätere romantische Interpreten, können wir gar nicht ausschließen.
Neigen sie der schlichten oder spielmannshaft arrangierten Aufführungsweise zu? Es gibt eine Bemerkung, dass Walther von der Vogelweide sich mit der Harfe begleitete und Lieder in verschiedenen Sprachen sang. So sieht auch mein Programm aus: Ich singe auf Latein, Provencalisch, Anglonormannisch und Mittelhochdeutsch zur Harfe. Das passt auch sehr schön zu Otto IV., der Anlass dieses Abends ist: Er wurde als Deutscher an einem sehr französisch geprägten englischen Königshof erzogen. Diese Kulturvielfalt brachte er nach Braunschweig mit.
Was lieben Sie an der mittelalterlichen Musik? Vor allem die Poesie der Texte. Und dann die Herausforderung, aus den wenigen Angaben zur musikalischen Gestalt die emotionale Atmosphäre des Liedes entstehen zu lassen. Im besten Fall so, dass man den Text gar nicht zu verstehen braucht. Das Publikum soll sich in die Musik vertiefen, die Otto vielleicht damals gehört hat. [BZ, 23.09.2009]

Icon Sound / Icon Movie @ www.john-potter.co.uk

Ein Liebhaber der schönen Künste

Wer zur Audienz beim Kaiser geladen ist, muss Zeit mitbringen. Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige… Otto IV. jedenfalls kommt mit halbstündiger Verspätung. "Dringliche Amtsgeschäfte…", erklärt sich der Herrscher knapp. "Wissen Sie, mein Leben ist etwas anders verlaufen, als geplant", beginnt er das Gespräch und nestelt nervös an den Ärmeln seines gold- und silbrig schimmernden Mantels herum. Lästermäuler nennen ihn "Otto, der Läppische". Ganz böse Zungen unken, Otto habe von Vater Heinrich die Machtgier und die Brutalität geerbt, nur leider nicht die Intelligenz. Und Kaiser sei er schließlich nur geworden, weil a) sich sein älterer Bruder, der eigentlich für den Thron bestimmt war, auf einem Kreuzzug befand, und b) sein ärgster Konkurrent, der Staufer Phillip von Schwaben (parallel zum König gekrönt), von einem bayrischen Pfalzgrafen hinweggemeuchelt wurde. "Ach wissen Sie, so geht das eben zu in der hohen Politik…" Er erzählt lieber über seine Liebe zu den schönen Künsten. Und schon beginnen seine Augen zu strahlen. "Mein Onkel Richard, ein begnadeter Troubadour, hat mir den Minnesang näher gebracht." Und Otto schwärmt von mittelhochdeutscher Liebeslyrik und von Wolfram von Eschenbach. "Mit seinem Versroman ,Parzival’ hat er mir wohl seine Reverenz erwiesen", wirft Otto ein und fängt unvermittelt an, eine Textstelle über die Tugenden der Ritter zu rezitieren: "lât iuweren willen des bewart, iuch sol erbarmen nôtec her: gein des kumber sît ze wer mit milte und mit güete…" (Vergesst nie, Euch des Notleidenden zu erbarmen: Geht gegen seinen Kummer vor mit Freigebigkeit und Güte…) Und als wolle er seine geistige Durchdringung untermauern schiebt er nach: "Meine Mutter hat den Anstoß gegeben zur Übersetzung des Rolandsliedes aus dem Französischen." [BZ, 28.07.2009]

Der literarische Scheinriese

Ach, armer Otto. Je intensiver man sich mit ihm und der Braunschweiger Landesausstellung über den Traum vom welfischen Kaisertum befasst, desto weniger bleibt übrig von seinen Vorschusslorbeeren. Politisch agierte er glücklos. Immerhin aber erwarb er sich bleibende Verdienste als Förderer der Baukunst und der Literatur. Sagt sein wissenschaftlicher Wiederentdecker, Professor Bernd Ulrich Hucker. Der Braunschweiger Fachmann für mittelalterliche Literatur, TU-Professor und -Dekan Hans-Joachim Behr, aber behauptet zumindest für die Dichtkunst das Gegenteil. Die laut Behr einzige Dichtung, die inhaltlich direkt Bezug auf Otto nimmt, ist der "Ottenton", eine Lobrede in sechs Strophen, die der mittelalterliche "Medienprofi" Walther von der Vogelweide vermutlich auf dem kaiserlichen Hoftag 1212 zu Frankfurt vortrug. Während Hucker meint, dass der Anstoß für den "Ottenton" aus Ottos Umfeld gekommen sei und seine Förderung des Dichters belege, führt Behr geradezu detektivisch aus, warum er vom Gegenteil überzeugt ist: Der "Ottenton" sei eine Auftragsarbeit wankelmütiger Fürsten gewesen, die im Thronstreit zwischen Welfen und Staufern eher letztere unterstützt hätten - und den Kaiser nun milde stimmen wollten. Unsterblich in die Literaturgeschichte eingegangen wäre Otto IV., hätte er den Zeitgenossen Wolfram von Eschenbach zu seinem "Parzival"-Epos inspiriert und dieses gesponsert. Hucker nimmt das an, unter anderem weil Parzivals Sohn Lohengrin eine Herzogin von Brabant heiratet - genau wie Otto IV. 1214 seine zweite Frau Maria. Dagegen spricht für Behr jedoch unter anderem eine böse Kritik an Eschenbachs "Parzival", verfasst vom Dichterkollegen Gottfried von Straßburg - und das bereits einige Jahre vor 1214. Selbst Huckers These, dass Otto den schönen Künsten zugetan gewesen sein müsse, weil er am englischen Königshof aufwuchs, im 12. Jahrhundert ein literarisches Zentrum, mag Behr so nicht gelten lasse. 1182, als der siebenjährige Otto dort ankam, sei der Hofalltag bereits weniger von den Musen als vom handfesten Machtkampf zwischen Heinrich II. und seinen Söhnen bestimmt gewesen. [BZ, 25.08.2009]

5 Jahre Haller's Kultur-Cafe

Auch nach fünf Jahren immer noch ein Geheimtipp: Haller's Kultur-Café in Groß-Elbe zwischen Salzgitter und Hildesheim. Dabei müsste man im Umkreis lange suchen, um eine Lokalität zu finden, in der sich Künstler wie Sebastian Lohse die Klinke in die Hand geben. Und das bei freiem Eintritt, nur ein Hut geht rum.

A.J. Shanti Sebastian Lohse
A.J. Shanti, Sebastian Lohse, Dun Aengus
@ FolkWorld:
FW#35, #37, #38, #38, #39

Djembe Session @ Haller's Kultur Café, Groß Elbe Irish Folk Session @ Haller's Kultur Café, Groß Elbe

hallerskulturcafe.npage.de

Termine 2010

27. Februar 2010 - FOLK IN DER BURG - 6. Folk-Festival Salzgitter
Wasserburg Salzgitter-Gebhardshagen; mit: Weepin' Willow, Matthias Lenz, Dun Aengus
www.dunaengus.de

1./2. Mai 2010 HIGHLAND GATHERING
Peine
www.highlandgathering-peine.de

5.-16. Mai 2010 MASALA WELTBEAT FESTIVAL
Hannover
www.masala-festival.de


Die FolkWelt zwischen Harz & Heide (FW#39)
Photo Credits: (1) Otto IV., (2) Simon Paulus, (3) Holger Schäfer, (4) Janko vom See & Holger Schäfer, (5) Kussi Weiss, (7) Etta Scollo, (8) Karsten Wolfewicz, (9) Davide Di Giannantonio, (10) European Minnesang Festival CD (unknown); (6) Die Irrlichter, (12) Sebastian Lohse (by Walkin' T:-)M); (11) AJ Shanti, (13) Session @ Haller's Kultur-Cafe, (14) Dun Aengus (by Ralf-B. Poschadel).


Zurück zum FolkWorld-Inhalt
Zur englischen FolkWorld

© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 11/2009

All material published in FolkWorld is © The Author via FolkWorld. Storage for private use is allowed and welcome. Reviews and extracts of up to 200 words may be freely quoted and reproduced, if source and author are acknowledged. For any other reproduction please ask the Editors for permission. Although any external links from FolkWorld are chosen with greatest care, FolkWorld and its editors do not take any responsibility for the content of the linked external weBraunschweigites.


FolkWorld - Home of European Music
FolkWorld Home
Layout & Idea of FolkWorld © The Mollis - Editors of FolkWorld