FolkWorld Ausgabe 41 03/2010; Kolumne von Walkin' T:-)M
Aufreger! Die eigentlich nicht weiter erwähnenswerte und musikalisch belanglose Popchanteuse Christina Stürmer hat es (im Auftrag des Bildungsministeriums) nicht nur gewagt, die österreichische Bundeshymne „Land der Berge, Land am Strome“ zu verrocken, sondern auch noch die Zeile „Heimat bist du großer Söhne“ in „Heimat bist du großer Söhne und Töchter“ zu ändern.
![]() Ballycotton @ FolkWorld: |
Prompt klagt der Verlag, der die Erben der Texterin Paula von Preradović vertritt.
Er sieht nämlich den künstlerischen Wert gefährdet,
die Textveränderung sei ein Eingriff in das Persönlichkeits-Urheberrecht.
(Die Melodie wurde der Freimaurerkantate "Brüder, reicht die Hand zum Bunde" aus dem 18. Jhd. entnommen.)
Tu felix Austria! Glücklich ein Land, das solche Probleme hat.
Paula von Preradović ruht im übrigen in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof
(Gruppe 32 C, Nummer 42) neben ihrem Gatten Ernst Molden.
Man ahnt es schon, ihr Enkel ist der Liedermacher
Ernst Molden
(FW#40).
Ich würde daher vorschlagen, eine seiner Hymnen über Land und Leute zum Bundesgesang zu machen ...
Ich durfte den Ernstl noch einmal bei einem Gastspiel im
Local sehen.
An diesem Abend spielte er ein reines Dialektprogramm.
Das mit dem Dialekt hatte sich ja eher zufällig für den Hochdeutsch
dichtenden Wiener ergeben. Für einen Johnny-Cash-Abend
übertrug er "Give My Love to Rose" ins Wienerische
und kam dabei auf den Geschmack.
Auf dem Album "Foan" sind die Stücke
seiner Helden versammelt: Bob Dylan, Tom Waits, Will Oldham, Hank Williams
(FW#38). Nur das Titelstück - im Original "Sailing" von Rod Stewart -
durfte aus lizenzrechtlichen Gründen nicht auf Platte gepresst werden.
Das gibt's also nur live:
I wea foan, i wea foan, trotz die Viertln und dem Bia ...
Das Local liegt
unter der U-Bahn-Linie 6 nahe der Station Spittelau.
In den Stadtbahnbögen am Gürtel, der um den Stadtkern liegenden Hauptverkehrsader,
haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Lokale angesiedelt,
was durchaus zu einer Erweiterung des Angebotes an Musikveranstaltungen beigetragen hat.
Eine Woche später am selben Ort spielt die Fantasy-Folk-Band Ballycotton
![]() Fresch @ FolkWorld: FW#36 |
Ballycottons Bassist und Gitarrist Robert Polsterer (FW#36, FW#41) spielt auch Gitarre in der Gruppe Fresch Fresch. Neben dem Frontmann Erich 'Esch' Schacherl hat man mit Sascha einen dritten Gitarristen gefunden. Ein Jahr lang wurde hart an einem neuen Programm und einem neuen Sound gearbeitet: drei exzellente Gitarren, Harmoniegesang, dazu eingängige Folkpop-Melodien mit englischen Texten.
Außerdem gibt es Instrumentalstücke und gelegentlich fällt das Trio auch mal in einen schiefen Balkanrhythmus. Für Abwechslung ist also gesorgt. Auf der Website der Band las ich: Ob euch das gefällt, weiß ich nicht, aber Fresch läuft jetzt immer bei uns im OP als Begleitmusik zum Kastrieren ... Mmh?
Jetzt bin ich mit diesem Local-Durchlauf auf einmal schon im neuen Jahr. Doch lasst uns noch einmal zeitlich zurückspringen, auch wenn es nicht gerade angenehme Erinnerungen weckt.
Der Ost Klub ist ein Kellerlokal nahe Karlskirche und Schwarzenbergplatz und versteht sich selbst als Brücke zwischen Ost und West. Dementsprechend sieht das nach Osteuropa orientierte Veranstaltungsprogramm aus. (Nur nebenbei sei hier erwähnt, dass Österreich als Teil des Herzogtums Bayerns noch marcha orientalis genannt wurde. Aber das ist ja schon lange her ...)
Dikanda @ FolkWorld: FW#22, #29, #38, #38 |
Dann der typische Dikanda-Sound und das charakteristische Dikanda-Repertoire. Ob die zusätzliche, dritte Sängerin Kasia Bogusz eine Bereicherung darstellt, vermag ich nicht zu beurteilen, da der Sound durchwegs suboptimal ist. (Nicht nur vor der Bühne, auch Dikanda hat permanent mit dem Monitormix zu kämpfen.) Dem Publikum sind solche Feinheiten egal. Ich finde mich in einem Pulk von schwatzenden Dorfdeppen wieder. Wenn sie wenigstens tanzen würden, zuhören verlange ich schon gar nicht.
Die auf Dikanda folgende polnische Hip-Hop-Formation erspare ich mir. Dadurch dass der Bursche an der Gardobe zehn Minuten braucht, um meine Jacke zu finden, fährt mir dann die letzte U-Bahn direkt vor der Nase weg. Und der erste Nachtbus in meine Richtung fährt erst eine Stunde später. Haken wir diesen Abend ab. Das einzig Positive war die Band. Das schon.
Am anderen Morgen gönne ich mir erstmal einen Jazzbrunch im Stamm-Cafe (FW#40). Toni Mühlhofers "Caoba" spielt Latinjazz. Das ist leichtverdauliche Jazzkost, abends wird es etwas schwerer werden. Die Nifty’s (FW#33, FW#39) - gerade geehrt mit der Auszeichnung zum Künstler des Jahres/Wien im Rahmen von 40 Jahre Ö1 - spielen zur Abwechslung einmal nicht in einer Gürtelkneipe, sondern stehen auf der Bühne des Jazz & Music Clubs Porgy & Bess im 1. Bezirk. Ein wohlverdienter Ritterschlag. Und das heisst ja nicht, dass hier nur wohlwollend mit dem Kopf genickt statt enthusiastisch geklatscht und gejubelt wird.
|
Zuerst dachte ich noch, dies sei einer dieser Abende, wo mich die Vorband mehr überzeugt als der Hauptact. Aber Geoff Berner kriegt die Kurve. Der aus der Olympiastadt Vancouver stammende Singer/Songwriter und Akkordeonist posiert als Lucky Goddamn Jew und tritt auf seiner Drunk and Dancing Europe Tour mit Geigerin Diona Davies und Perkussionist Wayne Adams auf. Geoffs trockener - besser: whiskey-geschwängerter - Humor kommt in Wien gut an.
Diesmal tanzt er nicht auf dem Tisch des israelischen Botschafters - wie ein halbes Jahr zuvor beim Akkordeonfestival (FW#39) -, sondern lässt die Zuschauer auf der Bühne Walzer tanzen. Immer wieder gruseln tue ich mich, wenn er sich in seinem Lied über die Maginot-Linie über die Franzosen lustig macht. Wenn das österreichische (oder deutsche) Publikum begeistert den Refrain mitsingt, tun sich Abgründe auf. Ironie? Zynismus? Interpretieren wir es besser wohlwollend.
Das Doppelkonzert findet übrigens im Rahmen des 6. KlezMORE Festivals statt, welches 2009 auch Lorin Sklamberg (FW#40), Daniel Kahn (FW#39), Kapelush (FW#41), Afenginn (FW#40), die Klezmatics (FW#41) und viele andere mehr auf Wiener Bühnen gebracht hat.
Festival-Chef Friedl Preisl ist auch der Organisator des
Musikalischen Adventskalenders.
Jeden Tag ein Konzert, beginnend mit einem Konzert am 1. Dezember im 1. Wiener Gemeindebezirk
bis zum 23. Dezember im 23. Bezirk.
Es ist die Zeit der Weihnachtsmärkte und in Wien schenken die ersten schon Mitte November schönen heißen Punsch aus.
Auf dem Kunsthandwerksmarkt am Karlsplatz wird beinahe täglich Weltmusik geboten
(z.B. Broadlahn -> #34).
Januar und Februar ist es eher ruhig in der Stadt. Nur der "Ballsaal Palindrone" lädt (alle zwei Monate Mittwochs) zum Balfolk in den Ost-Klub ein: Ab 19 Uhr werden Anfänger in Schritte und Tänze eingewiesen. Zwei Stunden später geht Hotel Palindrone an den Start, und das Gelernte darf sogleich umgesetzt werden.
Die Band zeigt stolz den Eversteiner hervor, die jährlich vergebene Trophäe des Folkherbstes in Plauen (Sachsen), bei dem die Wiener im vergangenen November 114 weitere Anwärter hinter sich gelassen haben. Nach anfänglichem Pfeifen der P.A. - scheinbar mein Ost-Klub-Trauma - bessert sich der Sound. Er ist nicht besonders brilliant, aber glücklicherweise benötigen Tänzer auch keinen besonders differenzierten Sound.
Zweite Gruppe des Abends ist das Trio WHA. Das sind Simon Wascher (Drehleier -> #32), Hermann Härtel (Geige) und Valentin Arnold (Sackpfeife). Deren Bordunmusik setzt weniger auf erkennbare Melodien, stattdessen wird ein Wall of Sound aufgebaut. Besser gesagt: ein Klangteppich verlegt, um Zuhörer und Tänzerschaft in Trance zu versetzen. Apropos, Teppich. Selbiger legt sich diesen Abend in Form von Schnee über die Stadt. Mit der weißen Pracht lässt sich der Winter in Wien am leichtesten ertragen.
Transylvanian Jazz - Nicolas Simion über seine Musik und sein neues Album
|
"Heute würden wir Schlepperbande heißen"
derStandard.at: Warum nannten Sie sich Tschuschenkapelle?
Slavko Ninić: Wir hatten die Band, aber keinen Namen dazu. Also haben wir herumg'scheitelt, und da hat im Wirtshaus irgendwer gemeint: "Nennt's euch Tschuschenband, weil Tschuschen seid's eh".
Wiener Tschuschenkapelle @ FolkWorld: FW#6, #13, #21, #28, #35, #40 |
Tja, was hätte man nicht noch alles sehen können: den Weiherer, das Mairtin O'Connor Trio, Cristina Branco, das Irish Christmas Festival ... Für mich heißt es aber erst einmal, Abschied zu nehmen, und damit werde ich bedauerlicherweise auch die CD-Release-Party von Aufstrich verpassen, das Balkan Fever Festival ...
Ich kenne ein paar Leute, die Wien verlassen haben. Gute Frauen, gute Männer. Eine Zeitlang waren sie richtige Wiener. Sie sagten, sie seien wegen ihrer Berufe fortgegangen, wegen der Lemuren, die sie hier zu nichts kommen ließen, oder wegen irgendwelcher privater Geschichten. Ich weiss es aber besser. Sie gingen des Winters wegen. Aufgrund dieser einzgartigen Legierung aus Kälte und Stagnation ... Sie reisen ab, obwohl Ihr Ober sie endlich grüßt ... (Ernst Molden)
Austro-Folk 2.2 (FW#40) |
Zur englischen FolkWorld |
© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 03/2010
All material published in FolkWorld is © The Author via FolkWorld. Storage for private use is allowed and welcome. Reviews and extracts of up to 200 words may be freely quoted and reproduced, if source and author are acknowledged. For any other reproduction please ask the Editors for permission. Although any external links from FolkWorld are chosen with greatest care, FolkWorld and its editors do not take any responsibility for the content of the linked external weBraunschweigites.