FolkWorld #48 07/2012
© Karsten Rube

Steinewerfen in Vorpommern

Les Tireux d'Roches in Bugewitz, 30. März 2012.

Kulturen aufeinander prallen zu lassen, ist immer eine spannende Angelegenheit. Man weiß nie, wie der Zusammenprall abläuft. Der Kulturverein Weitblick im östlichen Mecklenburg-Vorpommern lässt sich mit schöner Regelmäßigkeit auf dieses Experiment ein und erzielt erstaunlicher Ergebnisse. Im nicht eben von kulturellem Überschuss gebeutelten Dreieck Ueckermünde, Anklam, Greifswald versucht der Kulturverein musikalische Akzente zu setzen, die mit den Angeboten von Ostseewelle Meckpomm und Radio Energy kaum etwas gemein haben. Liedermacher und Folkbarden aus aller Welt geben sich in diversen abgelegenen und verbindend engen Veranstaltungsräumen die Klinken in die Hand.

Les Tireux d'Roches

Les Tireux d'Roches @ FolkWorld:
FW#43

www.myspace.com | www.youtube.com

www.tireuxderoches.com

So in der Gaststätte des kleinen Ortes Bugewitz, irgendwo am Ende einer Sackgasse zwischen Oderhaff und Fernverkehrsstraße 109. Hier kommt man am Ende eines Tages zum Biertrinken vorbei. Die einen nach getaner Landarbeit, die anderen nach einem weiteren Tag ohne Arbeit. Der Veranstaltungsraum der Dorfgaststätte bietet genug Raum für Bühne und Publikum und wurde vom Kulturverein Weitblick schon vor rund 10 Jahren als Konzertstätte erschlossen. Besser als Bier und Bauernfrühstück ist Livemusik zu Bier und Bauernfrühstück dachte man sich und organisiert seit dem in regelmäßigen Abständen Konzerte.

Ende März 2012 wurde es mal wieder Zeit für einen musikalischen Crashtest. Nach vielen mühevollen Versuchen gelang es dem Ueckermünder Buchhändler und Musikliebhaber Holger Brandstädt die frankokanadische Folkband Les Tireux d'Roches für ein Konzert in Bugewitz zu begeistern. Die Band kam gern, wenn auch mit einer gewissen Skepsis. Tireux spielten noch nie in Deutschland, wussten wenig vom Publikum und deren Begeisterungsfähigkeit. Und auch über das Wetter hatten die Musiker im Internet nur Begriffe wie kalt, unfreundlich und meist winterlich gefunden. Im Gegenzug hatte von den als mögliches Publikum infrage kommenden Bewohnern der Region noch nie jemand etwas von der Band gehört.

Um sich nicht der Gefahr auszusetzen, dass das Publikum diesem kulturellen Crashtest fernbleibt, richtete man einen musikalischen Airbag ein. Die Band "The Irish Cowboys" wurde als Support eingeladen. Mit englischen Begriffen wie Irish und Cowboys konnte man eher umgehen, als mit der quebecoise Bezeichnung für "Steinewerfer". Irish steht für Celtic-Folk, Cowboys für Country. Die Kneipe wurde zügig immer voller und die "The Irish Cowboys", eine vierköpfige Band aus dem Mecklenburgischen versuchte mit Standards aus der keltischen Folkszene, die Stimmung etwas anzuheizen. Dass ihnen das nur mäßig gelang, lag vielleicht daran, dass einige Gäste noch mit Essen beschäftigt waren oder weil man mit Interpretationen von Liedern wie "Oh Danny Boy", besonders wenn sie so hingebungsvoll eindringlich, wie zur Flucht zwingend aufdringlich vorgetragen werden, selbst im ländlichen Meck-Pomm kaum jemand hinter dem Ofen vorlockt. Ihr Auftritt war nicht eben spektakulär, aber von ordentlichem Handwerk.

Die Kanadier ließen es sich derweil in ihrer Gastbeherbergung in Bugewitz gut gehen und hätten vor deutscher Gemütlichkeit beinahe ihren Auftritt verpasst. Dann aber schritten sie zur Tat, warteten keine Ansage ab, sondern wechselten vom Soundcheck direkt zum Konzert. Hier zeigte sich zur Vorband ein Unterschied, wie der zwischen Nachmittagskaffee und Hochzeitsfeier. Die einen engagierte Hobbymusiker, die anderen bühnen- und tourneeerfahrene Profis. Es brauchte kaum mehr als einen Song, um den Gästen die Sorge um das nächste Bier oder ein weiteres Schnitzel auszutreiben. Die Stimmung, die diese wilde Folkband von der kleinen Bühne aus in den Saal schickte, ließ nur die wenigen Stimmungsbremsen kalt, die immer in einem Saal sitzen, mit verschränkten Armen in der Mitte hocken und trotz vor der Bühne herumtanzender Leute auf ihr Recht pochen, alles sehen zu können. Der wütende Einwurf "Hinsetzen" wird in solch einem Fall immer wieder mal angebracht und ist bei einer entfesselten Folkband so sinnvoll, wie bei einer Tanzveranstaltung der Freunde des gepflegten Pogos.

Les Tireux d'Roches

Zurück zur Band. Tireux d'Roches bestehen aus lauter Jungs, die in der Musikszene Kanadas bereits Akzente setzten. Pascal Veillette, der hauptsächlich Mundharmonika spielt und Stepptanz aufführt, tourt gelegentlich mit Yves Lambert, dem ehemaligen Mastermind der Band La Bottine Souriante. Die Musik von Tireux ist hauptsächlich vom herrlichen Satzgesang der Männer geprägt, vom wilden Akkordeonspiel des Frontmannes Denis Massé und von dessen exzentrischem Auftritt. Wie ein wildgewordener Zirkusbär tanzt er über die Bühne, singt, brüllt und hopst hin und her und wirkt dabei trotzdem wie ein freundlicher, knuddliger Teddy.

Auch die vier weiteren Musiker der Band wissen ihre Akzente zu setzen, mal mit dem Einsatz des Saxofons, was in der Folkmusik bis heute kein selbstverständliches Instrument ist, mal mit Banjo und natürlich immer wieder mit dem für die Musik Quebecs so typischen Feet-tapping, diesem energischen Steppen und Trampeln auf der Stelle. Denis Massé erzählt immer wieder ein paar kurze Geschichten, obwohl er weiß, dass die hier kaum einer versteht, aber er erzählt so borstig und sympathisch, dass das niemanden stört. Zum Schwitzen kommt die Band schon nach kurzer Zeit. Und das liegt nicht allein daran, dass ihre Interneterkenntnisse über das deutsche Wetter lange Unterhosen vorschreiben, sondern vor allem, weil sie Meister der Begeisterungsübertragung sind. Es hält in Bugewitz keinen Gast auf dem Sitz. Das Schwitzen wird zur kollektiven Verbrüderung.

Nur schwer finden Les Tireux d'Roches zum Ende. Genau genommen hören sie auch nicht wirklich auf, denn als die meisten Gäste nach dem offiziellen Anschalten des Saallichtes langsam und widerwillig das Lokal verlassen, bleiben die Musiker, ein paar standfeste Gäste und die Veranstalter noch lange zusammen. Es genügt eine kurze Melodie anzustimmen und die sechs Männer heben zum Satzgesang an. Müde werden sie auch nicht, als sie sich durch das für sie exotische Sortiment von alkoholischen Getränken probieren. Sie werden zwar lauter, bleiben aber stimmsicher. Gestandene Profis eben.

Les Tireux d'Roches und die Besucher des Konzertes können diesen Abend als einen besonderen in Erinnerung behalten. Solche Konzerte erlebt man nicht sehr oft. Wieder einmal ist es dem Kulturverein Weitblick gelungen ein musikalisches Highlight zu organisieren, auf das kulturverwöhntere Gegenden mit Neid blicken können.


Photo Credits: Les Tireux d'Roches: (1) website, (2) Thomas Peter (Bugwitz).


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