FolkWorld #65 03/2018

CD & DVD Rezensionen

Absinto Orkestra feat. Josho Stephan "Leeheim" live
Gadjo Records, 2017

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www.absinto.de

Wenn Balkanrhythmen und Sinti-Swing zusammentreffen, dann kann das Absinto Orkestra nicht weit sein. Das Ensemble gruppiert sich um den Gitarristen Joscho Stephan und dem Akkordeonspieler Thomas Rohoska, legt sich aber sonst ungern auf eine feste Zahl von Mitgliedern fest. Im zehnten Jahr seines Bestehens hat das Absinto Orkestra ein Live-Album herausgebracht. “Leeheim” heißt das Werk und es wurde im September 2016 auf der Büchner Bühne im hessischen Leeheim aufgenommen. Die Musiker sprudeln über vor Spielfreude, reißen das Publikum mit ihrer Mischung aus feurigem Zigeunerpop, Balkanbeats, arabischen Rhythmusanleihen und ausgetüftelten Jazzimprovisationen von den Stühlen. Dazu gesellen sich schöne mehrstimmige Balkangesänge der Geschwister Lea & Marina Antunovic. Wunderbar ist ihre gipsybeschwingte Coverversion des Star Trek Themas. Man schrammelt sich genüsslich schunkelnd durch unendlichen Weiten. Neben weiteren Coverversionen, wie Theo Mackebens “Nur nicht aus Liebe Weinen” und Ellingtons “Caravan” spielen die Musiker auch eigenen Kompositionen aus ihrem reichhaltigen Repertoire. “Leeheim” ist ein gut gewürzter musikalischer Balkan-Gipsy-Eintopf, an dem man sich einfach nicht satt essen kann.
© Karsten Rube


Alain Genty & Joanne McIver "Eternal Tides"
BUDA musique, 2017

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www.alaingenty.com

Die Gezeiten kommen und gehen mit großer Beständigkeit. “Eternal Tides” - “Ewige Gezeiten” ist auch der Titel des Albums, das der französische Bassist Alain Genty mit der schottischen Sängerin Joanne McIver aufgenommen hat. “Eternal Tides” verspricht also bereits im Titel Konstanz und Wandel gleichermaßen. Und hält das Versprechen. Es ist nicht weniger, als ein maritimes Opus, das man zu Hören bekommt. Langsam setzen die Stücke ein, wie die beginnende Flut und werden schnell zu unwiderstehlich kraftvollen Songs, denen man nichts entgegenzusetzen hat, bis sie schließlich wieder leise abklingen. Der Gesang, der von der Insel Aran stammenden Joanne McIver, besitzt die Konsistenz von Küstennebel. Deutlich vorhanden, aber nicht greifbar. Der Bass Gentys scheint ebenfalls aus fernen Sphären über den keltischen Gewässern zu schweben. Ein Album voller schöner Melodien, mit traumwandlerisch leicht wirkenden, wandlungsreichen Arrangements, die ein perfektes Gespür für gutes Timing besitzen. “Eternal Tides” ist ein Meilenstein der neuen keltischen Musik.
© Karsten Rube


Alê Kali "Alê Kali"
Eigenverlag, 2015

www.alekali.com

Ale Kali stammt aus Bahia. Inspiriert von den großen Künstlern der Música Popular Brasileira, wie Caetano Veloso, Chico Buarque und Dalva d’Oliveira und zugleich etwas gelangweilt von der Eintönigkeit populärer Gegenwartsmusik, beschließt sie, nach Frankreich auszuwandern. In Bordeaux nimmt sie, nun zusätzlich beeinflusst von der europäischen Musik, ihr aktuelles Album unter ihrem eigenen Namen auf. Herausgekommen ist eine CD, die zwischen heimatorientierter brasilianischer Musik und der Vielfalt europäischer Klänge pendelt. Sentimentale Balladen wechseln sich mit der Samba ab. Einmal untermalen arabische Klänge den portugiesischen Gesang. Alê Kali ist eine ausgewogene CD gelungen, die in die aktuelle Música Popular Brasileira recht gut hineinpasst, ohne sie allerdings zu revolutionieren.
© Karsten Rube


Amine & Hamza "Fertile Paradoxes"
ARC Music, 2016

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www.aminehamza.com

Für alle, die Musik gern einordnen: Bei vorliegendem Album können Sie es getrost bleiben lassen. Amine & Hamza und ihr aktuelles Projekt “Band Beyond Borders” entzieht sich allen einfach zu bedienenden Strukturen. Die beiden Brüder stammen aus Tunesien und leben in der Schweiz. Ihr neues Album “Fertile Paradoxes” kommt zwar zunächst mit klassischen arabischen Klangmuster daher. Oud, Kanun und Tabla spielen Melodien, die dem Morgenland entstammen. Ihr Konzept geht aber darüber hinaus. Kammerorchester, Jazzensemble und europäisches Folkinstrumentarium ergänzen die beiden Virtuosen zu einem Crossoverfeuerwerk, das seinen eigenen musikalischen Regeln folgt. So wird man, wie in “Café Tunis” vom Titel verwirrt, denn den nahöstlich anmutenden Klängen setzt das Ensemble indischen Frauengesang hinzu. Hypnotisch wirken die sphärischen Momente der CD. Vereinzelte Soundsamples bringen moderne Grooves in die Musik, Streicher klassische Elemente in die Kompositionen. Über allem schwebt der verträumte Klang arabischer Harmonien. Das Ensemble ist international besetzt. Neben den tunesischen Brüdern an den arabischen Instrumenten spielen unter vielen anderen der Saxophonist Valentin Conus aus der Schweiz, der Klarinettist Ismail Lumanovski aus Mazedonien, der schwedische Perkussionist Frederik Gille, der indo-französische Tablaspieler Prabhu Edouard, die indische Sängerin Kaushiki Chakraborty und der Klarinettist Blaise Ubaldini aus Frankreich auf dem Album mit. “Fertile Paradoxes” ist ein nachhaltiger Klanggenuss, bei dem man das Wort Weltmusik im Kopf hat und wieder einmal bemerkt, dass dieser Begriff viel mehr bedeutet, als man definieren kann.
© Karsten Rube


Anda Union "Homeland"
Hohhot Records, 2016

www.andaunion.com

Musik aus der Inneren Mongolei, der nördlichsten Region Chinas, bringen die Musiker der Formation Anda Union zu Gehör. Sie verbinden traditionelle Rieten und Gesänge verschiedener Nomadenstämme miteinander und lassen alte Instrumente aufleben. Musik aus den Steppen, wie sie die Jahrhunderte überdauert hat. Kehlkopfgesänge und mongolische Flöten kommen ebenso zum Einsatz, wie die Pferdekopfgeige. Die unterschiedlichen Songs, die mal galoppieren, wie die berühmten Pferde der Mongolei und mal gleichförmig wie ein Schamanengesang klingen, zeigen, dass auch in den Steppen Nordchinas unterschiedliche Kulturen gepflegt werden. Aufgenommen wurde das Album in Peking von Richard King, der bereits mit dem Cellisten Yo-Yo Ma und dem Silk Road Ensemble arbeitete und den Soundtrack von “Crouching Tiger, Hidden Dragon” zu verantworten hat. Das Album legt viel Wert auf Authentizität und ist trotzdem auch für Leute mit europäische Hörgewohnheiten ein Genuss für die Sinne.
© Karsten Rube


Ànnámáret Ensemble "Gollehelmmot"
Tuupa Records, 2016

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www.annamaret.fi

Anna Näkkäläjärvi-Länsman stammt aus Utsjoki, vom äußersten Norden Finnlands. Wie viele Einwohner dieses kargen Landstriches in Lappland gehört sie zu den Sami. Zusammen mit befreundeten Musikern aus Finnland hat sie nun ihre erste CD unter dem Namen Ánnámáret Ensemble veröffentlicht. “Gollehelmmot” heißt sie: “Goldene Perlen”. Gemeint hat sie die seltenen Momente im Leben, die dir klar machen, wie wunderschön das Leben sein kann und die nur kurz aufblitzen um dann wieder im Grau der Realität unscheinbar auf den nächsten Moment warten, in dem die Sonne sie trifft. Es geht um Erkenntnisse, um die Klarheit und die Schönheit des Augenblicks. Die Sängerin verzaubert mit sensibler Lyrik, die auf Sami sehr wohlklingend anzuhören ist - eine englische Übersetzung ist dem Album beigelegt. Ihr Gesang ist überzeugend und klar. Musikalisch gelingt ihr eine Verbindung aus Samitraditionen und moderner finnischer Folkmusik. Schmeichelnde Balladen spielt das Ensemble dabei genauso überzeugend, wie flinken Folkpop. Johanna Juhola, Finnlands frechste Akkordeonvirtuosin unterstützt die Sängerin auf diesem großartigen Album. Janne Lappaleinen, einstiger musikalischer Kopf der legendären finnischen Folkgruppe Värtinnä steht ihr mit Banjo, Bouzouki, Gitarre und Saxophon ebenso zur Seite. Das Album “Gollehelmmot” des Ánnámáret Ensembles ist ein kleiner Schatz aus klingenden goldenen Perlen.
© Karsten Rube


Kolektif Istanbul "Pastirma Yazi"
Laika-Records, 2017

www.kolektifistanbul.com

Das Kolektif Istanbul hat sich vor über 10 Jahren als kleines Experiment zusammengefunden. Der bretonische Holzblasinstrumentenbauer Richard Laniepce zog quer durch Europa, um eines der traditionellen Musikinstrumente des Kontinents zu erforschen - den Dudelsack. In Istanbul blieb er hängen. Heute gehört das Ensemble, das er damals in der türkischen Hauptstadt gründete und das sich von einstmals 20 auf heute sechs Mitglieder stabilisiert hat, zu den wichtigsten Vertretern der transglobalen Weltmusik in Europa. “Pastirma Yazi” verbindet die tanzrauschversessene Musik des urbanen Istanbuls, diesen Sound, der Bewegungslosigkeit nicht duldet, mit der wanderfreudigen Naturliebe des Balkanbrass und der bretonischen Bagadmusik, die als westlicher Gegenpol das andere Ende des Kontinents darstellt. Das Album will unterhalten, mitreißen, Freude schenken. Es will nicht politisch sein. Doch wenn man sich in Zeiten drohenden Terrors, eines fragwürdig inszenierten Militärputsches und einer eigenwilligen Demokratieauffassung in der Türkei, dort zur Musik des Kolektif Istanbul zum Tanz bewegt, um all diese Unsicherheiten für eine Weile zu vergessen, um Friede, Gemeinsamkeit und Freude zu teilen, dann ist diese Musik doch sehr viel mehr, als oberflächliche Unterhaltung.
© Karsten Rube


Kolektif Istanbul & Bagad Penhars "Bagad Istanbul"
Coop Breizh, 2016

www.bagadistanbul.com

Betrachtet man die räumliche Distanz zwischen der Türkei und der Bretagne, so liegt ein ganzer Kontinent zwischen den beiden Regionen. Auch kulturell unterscheiden sich das keltische Westfrankreich und das morgenländische Vorderasien deutlich. Trotzdem sind Brückenschläge möglich, wie das Kolektif Istanbul & Bagad Penhars mit ihrem gemeinsamen musikalischen Projekt beweisen. Die laute Bagadmusik und die türkischen Klänge finden sich zu eigenwilligen Harmonien zusammen. Traditionelle Klänge und kraftvolle Arrangements treffen aufeinander und verbinden sich, wie eine chemische Reaktion, in der aus zwei unterschiedlichen Stoffen etwas völlig Neues entsteht. Laut, kraftvoll, energiereich - großartig.
© Karsten Rube


Banda Internationale "Kimlik"
Trikont, 2017

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www.bandacomunale.de

Als Banda Comunale haben die energiegeladenen Musiker aus Dresden bereits deutlich auf sich aufmerksam gemacht. Musikalische Einflüsse aus Osteuropa, Nordafrika und Lateinamerika haben sie seit ihrer Gründung im Konzept. Politisch sehr offen orientiert ziehen sie vor allem in ihrer derzeit etwas rechtsorientierten Heimatstadt auch mal laut durch die Straßen. Für ihr neues Bandprojekt Banda Internationale haben sie gezielt unter den Einwanderern nach Musikern gesucht, die nun ihre Band verstärken. “Kimlik” ist das Ergebnis mit frischer Verstärkung durch Musiker, die sie unter den ins Land gekommenen Flüchtlingen fanden. Das ohnehin schon weltmusikalisch orientierte Programm der Banda wirkt auf “Kimlik” noch bunter. Hits, die zwischen Tanger und Bagdad jeder kennt, sind auf dem neuen Album in kräftiger Brassmanier aufgepustet worden und sorgen nun nicht nur auf Dresdner Straßen für kräftigen und mit exotischen Gewürzen versehenen Wind.
© Karsten Rube


Bavaschoro "Bavaschoro"
Himpsl Records, 2016

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www.bavaschoro.de

München liegt ja in Deutschland so weit südlich, das man es gefühlt dem mediterranen Raum zuordnen will. Nicht umsonst nennen die Eingeborenen ihre Heimatstadt Monaco. Wenn man dann auch noch ein Faible für südländische Musik entwickelt, ist man schnell geneigt, die bayrische Gemütlichkeit mit der lateinamerikanischen Ungezwungenheit zu paaren. Bavaschoro aus München verbindet einiges mit der Musik Brasiliens. Zwei der Musiker stammen aus Südamerika, einer ist halb Portugiese, halb Bayer. Zwei Weitere sind Bayern, aber dem Brasilianischen sehr zugetan. Studiert haben sie klassische Musik und Jazz. Der Choro hat sich vor knapp 150 Jahren in der Gegend um Rio aus der Musik europäischer und afrikanischer Einwanderer entwickelt. Polka, Walzer und Xolo, ein afrikanischer Tanz standen als Paten zur Seite. Die Melange aus dem inzwischen als lateinamerikanischen Musikstil etablierten Choro und der bayrischen Volksmusik, wie sie Bavaschoro auf ihrem Album vorstellen, wirkt wie ein endlich geschlossener Kreis. Choro kommt nach Hause, nach Bayern. Deshalb verwundert diese angenehme Mischung auch nicht, sondern lädt zum Mitsingen und Mitschunkeln ein. Ein bisschen brasilianischer Karneval im Oktoberfestzelt, könnte man meinen. Allerdings scheint mir auf der CD des bayrischen Quintetts das künstlerische Niveau deutlich höher zu sein, als auf der Wiesn.
© Karsten Rube


Becaye “Offroad”
Etnisk Musikklubb, 2016

Becaye Aw stammt aus Mauretanien. Nachdem der Musiker einige Zeit im Senegal gelebt und sich dort zu einem Meister an der Kora, der afrikanischen Kürbisharfe hat ausbilden lassen, ging er vor nun mehr zwanzig Jahren nach Norwegen. Norwegen ist ein besonders aufgeschlossenes Land, wenn es um die Förderung der Weltmusik geht. Becaye nahm sein zweites Album “Offroad” im Etnisk Musikklubb auf. Neben der afrikanischen Leitlinie, die Becaye mit Kora und afrikanischen Liedern vorgibt, ist es vor allem die mystische Stimmung, die Liv Ulvik mit ihrem Gesang, sowie Anna Hytta auf der Hardangerfiddle erzeugen. Nordische Mystik, afrikanische Tradition und experimenteller Klang finden auf diesem kurzweiligen Album bestens zusammen.
© Karsten Rube


Blue Rose Code "The Water of Leith"
Navigator Records, 2017

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www.bluerosecode.com

Ross Wilson heißt der Musiker, der sich hinter dem Namen Blue Rose Code verbirgt. Seine Musik hat bereits zahlreiche Fans, die auch gern für einen Gastauftritt auf seinen Alben bereitstehen. Auf dem neuen Album “The Water of Leith” ist es Beth Nielsen Chapman, die dem umtriebigen Songwriter ihre Stimme leiht. Ebenso gehört die preisgekrönte gälische Sängerin Kathleen MacInnes zum Team. Aber Kopf der Produktion ist und bleibt Ross Wilson selbst, der wunderschöne Lieder geschrieben hat. Lieder, die mal sentimental plätschern, mal zum Mitschwingen animieren. Das Album ist wie eine abwechslungsreiche Reise durch Sturm, Regen und Sonne. Nahtlos verbinden sich die Themen, als würden Wellen an Land rollen und sich wieder zurückziehen. Vorsicht, das Album löst Stimmungen aus, Stimmungen, denen sich Wilson selbst ausgesetzt sah und die offensichtlich in hoffnungsvoller Romantik endeten. Gut instrumentiert trat er zur Produktion von “The Water of Leith” an. Ein paar klassische Streicher treten gegen jazzige Bläser an und die Uillean Pipe pustet die notwendige schottische Folksequenz hinzu. Der Song “On the Hill Remains A Heart” ist wie eine Hymne auf das Heimkommen des Musikers nach Schottland. Ein Hauch Country weht durch die Arrangements der Songs. Ross Wilsons viertes Album, das nun nach zähen Jahren der Eigenfinanzierung endlich bei einer anständigen Plattenfirma verlegt wurde, wirkt unaufdringlich, aber nachhaltig in den Sinnen nach. “The Water of Leith” ist eine CD, die gleichzeitig beruhigt und aufwühlt. Und schnell zu einer Lieblingsplatte wird, die man gern für sich behält.
© Karsten Rube


Burgos Buschini Dúo “Entrevera Dos”
Felmay, 2017

Bei keiner anderen Besetzung geht man so innig auf das Spiel des Partners ein, wie in einem Duo. Diese musikalische Intimität kann man bei Carlos Buschini und Horacio Burgos deutlich fühlen. Der Kontrabassist Buschini und der Gitarrist Burgos spüren der Musik ihrer argentinischen Heimat nach. Der Rhythmus des Nordwestens im Stile einer Zamba geht den beiden besonders gut von der Hand, doch auch Milonga, Chacarera und Gato bestimmen den Ausdruck auf dem Album “Entrevera Dos”, das das italienische Weltmusiklabel Felmay 2017 aufgelegt hat. Voller Inspiration haben die beiden Künstler ihre Heimatverbundenheit auf dieser ruhigen CD demonstriert. Jedes Lied besitzt seine persönliche Note und offeriert die selten gezeigte melancholische Seite der Argentinier.
© Karsten Rube


Kari Bremnes "Det Vi Har"
Strange Ways Records, 2017

Artist Video

www.karibremnes.no

Fünf Jahre hat die norwegische Künstlerin Kari Bremnes benötigt, um ein Kunstwerk zu modellieren, das so faszinierend, wie ungewöhnlich ist. Auf ihrem neuen Album “Det Vi Har” betritt der Hörer eine eigene Klangwelt. Eine Klangwelt die die fast schon mystisch anmutenden norwegischen Landschaften beschreibt und gleichzeitig mit urbaner Realität kokettiert. Kari Bremnes Familie lebt im Norden Norwegens. Dort hat sie ein Haus und die Ruhe zu komponieren, mit Klängen zu tüfteln und ihre musikalischen Sternbilder zum Kreisen zu bringen. In Oslo lebt sie ebenfalls übers Jahr. Ihr Zugeständnis an die Welt und gleichzeitig die Bodenhaftung in der Gegenwart. Die Lieder auf dem Album “Det Hi Var” sind geeignet, für eine Weile auszusteigen aus dem Trubel der Realität. Nordlichter tanzen vor den Augen. Wolken kratzen an den schneebedeckten Spitzen der Berge, die aus den Fjorden steigen. Fjordgeister tanzen. Kari Bremnes zieht ihre Kraft aus den nordischen Sagen und der traditionellen Musik ihrer Heimat. Das ist der Boden, in dem sie wurzelt. Doch ihr Streben gilt den Sternen. Alle Songs sind elektronisch aufbereitet, erinnern an den Synthesizersound der achtziger Jahre, als Jean Michelle Jarre in den elektronischen Kosmos entführte. Manche Klänge auf der CD wirken zerbrechlich wie filigrane Eisblumen, andere haben die Kraft eines Gebets. Karg wie die Landschaft am Polarkreis, aufs wesentliche reduziert sind ihre Lieder. Kari Bremnes Musik ist rhythmische Stille. Nichts an ihren Songs und Kompositionen erinnert irgendwie an die Geräusche, die gewöhnlicherweise aus dem Alltagsradio krachen. “Det Vi Har” wirkt dabei wie ein schleichendes Gift. Schnell wird man süchtig nach ihrer Stimme, den dezenten, treibenden Rhythmen, der Stimmung, die in Trance zu versetzen mag. Auch ohne norwegische Sprachkenntnisse kann man sich in diesem verführerischsten Album des Jahres 2017 verlieren.
© Karsten Rube


Los Dos Y Compañeros "Mir wollen Bewegung"
Timba Records, 2017

www.losdos-online.de

Der bayrische Dialekt ist ja von Natur aus schon rhythmisch genug, um auf Salsa und Rumbamusik zu passen. Ja der Bayer an sich ist quasi der Latinlover der deutschen Bevölkerung. Das hat schon Gerhard Polt so oder so ähnlich festgestellt. Wenn man sich die Musik der Ambacher Band Los Dos Y Compañeros anhört, bleibt einem jeder Widerspruch im Hals stecken. Die Mannen um Michael Deiml alias Don Michon und Walter Tröster alias Don Macson spielen Salsa, Son, Rumba, Cha Cha als wäre das bayrische Bierzelt ein Tanzsaal im vorkommunistischen Havanna. Deutschlands Buena Vista Club lässt auf ihrer neuen CD “Mir woll’n Bewegung” die musikalischen Muskeln spielen. Kraftvolle Bläsersequenzen, brillante Arrangements, die nicht gerührt, sondern ordentlich geschüttelt wurden, alles gewürzt mit deftigen bayrischen Texten beweist, dass Kuba bei den Künstlern keine Frage der Entfernung, sondern eine Frage der Einstellung ist. Kuba im Herzen heißt Sonne im Blut und genau diese heiße und dabei irgendwie gelassene Stimmung bringen Los Dos Y Compañeros auf ihrer neuen CD auf mitreißende Art zu Gehör. Das beste Mittel gegen Winterblues.
© Karsten Rube


Masaa "Outspoken"
Traumton Records, 2017

www.masaa-music.de

Jazz ist zu einem großen Teil Anarchie. Man muss Freigeist sein, um jeder musikalischen Ausdrucksform respektvoll und respektlos gleichermaßen zu begegnen. Diese Form des Ausdrucks prägt die Musik der deutsch-libanesische Jazzband Masaa seit einigen Jahren. Ihr drittes Album “Outspoken”, das 2017 bei Traumton erschien, greift auf Jazzstandarts zurück, bedient sich bei der arabischen Klangharmonie, beim Chanson und der Weltmusik, verbindet unterschiedliche Linien zu einem eigenen musikalischen Bild. Die sanfte Stimme des gebürtigen Libanesen Rabih Lahoud liefert sich improvisatorische Gefechte mit dem Flügelhorn von Marcus Rust. Clemens Pötzschs Piano brandet wie Wellenschlag ans melodische Ufer und wird von den dezenten perkussiven Momenten Demian Kappensteins untermalt. Die Songs besitzen emotionale Tiefe und strahlen eine bewundernswert herzliche Wärme aus. “Outspoken” ist eine Herzensplatte, die keinerlei Zugeständnisse an den Kommerz erkennen lässt. Es klingt nach musikalischer Freiheit, stilistischer Vielfalt und kultureller Grenzenlosigkeit und besitzt damit einen kaum abschätzbaren Seltenheitswert.
© Karsten Rube


Michael Graefe "Ode to Whisky"
Relax Records, 2017

www.relaxrecords.de

Der Hamburger Fingerstyle-Gitarrist Michael Graefe veröffentlichte mit “Ode to Whiskey” seine bislang fünfte Solo-CD. Aufgenommen hat der virtuose Musiker Kompositionen des blinden irischen Harfenspielers Turlough O’Carolan. Der hatte um die Wende zum 17. Jahrhundert zahllose Lieder über das irische Landleben geschrieben und auf seiner Harfe gespielt. Graefe setzte einige der Lieder für seine 12-saitige Konzertgitarre um. Neben den Kompositionen des alten irischen Meisters, bringt Graefe auch noch Klassiker der keltischen Folklore zum Klingen, die man unvermittelt mitsummt. “Ode to Whiskey” besitzt den Reiz, den das Gitarrenspiel immer dann zeigt, wenn es Folklore und Klassik verbindet.
© Karsten Rube


Nikolaj Efendi "Temper"
Dramatic Pause, 2017

www.nikolajefendi.com

Die zweite Veröffentlichung des Österreichers Nikolaj Efendi heißt “Temper” und ist ein kraftvolles Album aus komplexer rockiger Poesie. Vom Punk scheint er sich entfernt zu haben. Seine Band stellte er komplett um. Neben den Aufnahmen zu seiner CD schrieb er ein Theaterstück. “Temper” besteht aus ruppigen, meist bildhaft wirkenden Songs, die schnell ins Ohr gehen und zum Geschichtenerfinden anregen. Eine düstere Atmosphäre entwickelt sich aus den Kompositionen und Texten. Am Ende des Albums erfüllt den Hörer eine gewisse Rast- und Ratlosigkeit, die sich am besten dadurch besänftigen lässt, das Werk noch einmal von vorn zu hören.
© Karsten Rube


Randi Tytingvåg Trio "Roots & Wings"
Kirkelig Kulturverksted, 2017

www.tytingvaag.no

Randi Tytingvåg bezaubert auf ihrem neuen Album “Roots & Wings” mit zarter Stimme und galanten Jazz- und Countrytönen. Die renommierte Sängerin aus Stavanger hat sich nun mit Dag S. Vagle an der Gitarre und Erlend E. Aasland an Piano und Banjo zu einem Trio vereinigt, in dem sie sich zu Hause fühlt. “Roots & Wings” lotet die Grenzen zwischen Americana und Jazz gekonnt aus. Die Songs sind eingängig und leben von der Zurückhaltung, mit der die Musiker sie interpretieren. Das Album fließt wie ein ruhiger Fluss vorbei, ein Fluss, dessen Tiefe man aber deutlich spürt. Man ist geneigt, sich mit der Musik ein bisschen treiben zu lassen.
© Karsten Rube


Sarakina "Balkantron”
Pismo Folkowe, 2017

Artist Video

www.sarakina.art.pl

Sarakina ist eine Folkband, die sich deutlich der Balkanmusik verschrieben hat. Die Musiker stammen aus Polen, Mazedonien, Bulgarien, Tschechien. Seit 1999 haben sie zahlreiche Konzerte gegeben und sich intensiv um die Pflege und Bewahrung der Musik des Balkans bemüht. Ihr aktuelles Album “BalkanTron” begeistert durch das Geschick, mit dem die Künstler traditionelle und ethnische Musik mit Improvisation und Jazzelementen verbinden. Die großartige Stimme der Sängerin Anna Klebus erinnert an die Bulgarian Voices mit ihren spektakulären Klangfarben. Die Virtuosität, mit der die Instrumente gespielt werden, von Klarinette, über Dudelsack, Akkordeon, bis hin zu Tupan und Gadulka, sorgt ebenfalls für eine wunderbare Stimmung, angereichert mit der kulturellen Vielfalt von Okzident und Orient.
© Karsten Rube


The Bulgarian Voices Angelite "Passion, Mysticism & Delight" [Doppel-CD]
Jaro Medien, 2017

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www.jaro.de/...

Der berühmte bulgarische Frauenchor Angelite besteht seit 1992. Zum 25. Bestandsjubliäum ging es auf große Tour. Einige der dabei entstandenen Live-Aufnahmen sind Ende 2017 bei Jaro-Medien in einer Jubiläumsausgabe auf Tonträger erschienen. Das aufwändig und schön gestaltete Album trägt den Namen “Passion, Mysticism & Delight”. Der Titel fasst das vielfältige Wesen dieses einmaligen Frauenchors sehr genau zusammen. Angelites Repertoire, das sich auf dem Doppelalbum wiederfindet, hat sich über die Jahre quer durch Weltmusik, Folklore und Klassik bewegt. Auf dem ersten Tonträger sind vor allem traditionelle Titel aus Bulgarien und dem Balkan zu hören, sowie eine Interpretation einer Tschaikowskikomposition. Auf der zweiten CD finden sich Liveaufnahmen, die sie gemeinsam mit bekannten Künstlern aus Jazz, Weltmusik und Folklore gemacht haben. So kann man Bobby McFerrin hören, die mongolischen Stimmwunder Huun-Huur-Tu, die portugiesische Sängerin Dona Rosa, die Balkan Brass Band Fanfare Ciorcalia und die Türkin Sezen Aksu. Die Liveatmosphäre des Albums unterstreicht akustisch die Mystik, die die wunderschönen Stimmen auszudrücken in der Lage sind. Besonders der Hall großer Konzertsäle und Kirchen ermöglicht, es den Hörer dieses würdigen Jubiläumsalbums zu verzaubern.
© Karsten Rube


Rupert Wates "The Lights of Paris"
Bite Music Ltd, 2018

Artist Video

www.rupertwatesmusic.com

Kennen Sie jemanden, der Paris einfach nur schrecklich findet? Vermutlich gibt es von diesen Menschen mehr, als man ahnt. Sicher vor allem in Paris selbst. Doch Menschen auf Besuch singen der Stadt gern ein Liebeslied. So auch der britische, meist in Amerika lebende Songwriter Rupert Waites. Sein Album “The Lights of Paris” ist aber mehr als ein Liebesbeweis eines Kurzzeitbesuchers. Waites residierte für fünf Jahre in der französischen Hauptstadt, genoss die Lichter am Abend, ließ sich inspirieren. In der Erinnerung, zehn Jahre nachdem er die Stadt des Lichts wieder verließ, leuchten die Bilder immer noch nach. Sentimental wirken die Songs von Wates, aber das tun sie auch auf anderen Alben von ihm, denn Wates ist ein hoffnungsvoller Romantiker. Dezent instrumentiert hat er diese anrührende CD eingespielt. Rupert Wates‘ sanfte Stimme wird lediglich von seiner Gitarre begleitet, sowie von einer Geige und einem Cello. »The Lights of Paris« ist ein Album, so nichtfranzösisch es musikalisch auch klingen mag, das einlädt, Paris mal wieder einen Besuch abzustatten.
© Karsten Rube


Black Patti "Red Tape"
Rhythm Bomb Records, 2017

www.black-patti.de

Mississippi Delta Blues, wie vor einem knappen Jahrhundert bekommt man zu hören, wenn man sich mit dem Album “Red Tape” des Duos Black Patti beschäftigt. Authentischer kann man den Blues kaum spielen. Die beiden Musiker stammen aus Bayern und haben scheinbar ganz tief in die sumpfigen Untiefen des Mississippi in Louisiana geschaut. Etwas schaurig klingen manche ihrer Lieder, nach zu viel erduldeten Demütigungen, nach Streit, aber auch nach Gottvertrauen angesichts erlittenem Unrechts. So wie der Blues mit seiner leicht dem Gospel zugewandten Note klingen muss, wenn er aus dem tiefen Süden stammt. Nur das er bei Black Patti nicht aus dem Süden der USA kommt, sondern aus dem Süden der Bundesrepublik. Aber musikalisches Empfinden ist keine Frage der geografischen Zuordnung, sondern der seelischen. Und die beiden Bayern klingen, als hätten sie den Mississippi Blues mit der Muttermilch aufgesogen. Die gefühlvollen, manchmal melancholischen, aber auch andeutungsweise ausgelassenen Songs besitzen einen subtilen Hang zur Ironie. Die Musik von Black Patti klingt dabei nicht alt, obwohl sie stilistisch durchaus ihre hundert Jahre drauf haben könnte. Mit “Red Tape” gelingt es dem Duo frische Musik aus einer vergangenen Epoche vorzustellen und zugleich nahtlos an ihr Debüt-Album “No Milk, no Sugar” anzuknüpfen.
© Karsten Rube


Cary Morin "Cradle to the Grave"
Maple Street Music, 2017

www.carymorin.com

Cary Morin gilt als Spezialist für Fingerpickingstyle. Seine Bluesgitarre begleitet virtuos seine Lieder. “Cradle to the Grave” heißt das neue Album, das der gebürtige Crow wieder mit feinsten Bluesnummern bestückt hat. Weitgehend eigene Stücke sind darauf zu hören. Drei Coverversionen haben es ebenfalls auf die CD geschafft, wie die sehr gelungene Adaption der Prince-Komposition “Nothing compares 2 U”. Morin verlässt sich auch dieses Mal allein auf seine eigene Ausdruckskraft. Gitarre, Gesang und eingängige musikalische Leitthemen genügen völlig, um eine unaufdringliche, aber umso nachhaltigere Bluesplatte zu präsentieren.
© Karsten Rube


Chitinskaya Sloboda "Songs from Russian People" [Doppel-CD]
Sketis Music, 2016

Das russische Folkloreensemble Chitinskaya Sloboda greift mit dem Doppelalbum “Songs from Russian People” tief in den Fundus des russischen Volksliedgutes. Es sind Lieder von Menschen, die unter schweren klimatischen und sozialen Bedingungen ihr Leben gestalten. Lieder, wie sie in jedem Teil des riesigen russischen Reiches, von der Ostsee bis ins tiefe Sibirien gesungen wurden. Lieder vom Leben und von der Liebe, von Festen und von Verlusten zwischen Baikal und Ural, von Kosaken und von Bauern. Während die erste CD den Alltag ableuchtet, widmet sich die zweite CD der religiösen Seite. Der Glaube spielt in der russischen Kultur eine große Rolle. Siebzig Jahre sozialistische Diktatur konnten ihn nicht zum Schweigen bringen. Über zwei Stunden russischer Folkloregesang sind auf dem Doppelalbum zu hören. Musik, so abwechslungsreich wie der russische Winter. Man muss einen ausgesprochen deutlichen Hang zur russischen Folklore besitzen, um dieses umfangreiche Werk wahrhaft würdigen zu können.
© Karsten Rube



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