FolkWorld #67 11/2018
© Karsten Rube

Le Vent du Nord & De Temps Antan

Standesgemäß unangepasst

Im heißen und trockenen Sommer 2018, startete das Festival in Rudolstadt standesgemäß unangepasst. Kurz vor Beginn des Eröffnungskonzertes schloss sich der Himmel und es öffneten sich die Schleusen. Der Rudolstadtbesucher trägt das mit Langmut und ungebremster Festivallaune. Jedenfalls der Großteil.

De Temps Antan

5. - 8. Juli 2018

Rudolstadt Festival 2018:
Natürliche Weite und Hightech-Gedanke


Artist Video Rudolstadt Festival
@ FROG


www.rudolstadt-festival.de

RUTH Weltmusikpreis 2018:
Kreative Impulse


www.weltmusikpreis.de

Im strömenden Regen feierte die israelische Sängerin Yael Deckelbaum und ihre Band The Mothers ein Fest der femininen Friedensbewegung. Ihr musikalischer Brückenschlag zwischen Israel und Palästina begeisterte die Menge zum Auftakt der Rudolstadt-Festivals vor der großen Konzertbühne im Heinepark. Lediglich im hinteren Bereich, unter den Überdächern der Bierstände murrten ein paar Jack-Wolfskin-Jacken über die vor ihnen stehenden Schirmträger. Und das war dann auch die einzige erlebte Quelle des Unmutes in einem musikalisch, wie stimmungsmäßig besonderem Jahr.

Noch immer verregnet, aber nicht minder stimmungsvoll, ließ Steve Earle kurz nach dem Ende des Eröffnungskonzerts seine mächtige Stimme auf der anderen Seite des Heineparks erklingen. Der amerikanische Country-Rocker trat engagiert gegen die Machenschaften in seiner Heimat auf, gegen Kriegstreiberei und Intoleranz, so wie er es seit Jahren ungebremst tut. Unverbogen und unverlogen tritt er auf, kraftvoll und konsequent, ohne dabei in die zickige Litanei manch anderer Klassenkämpfer zu verfallen. Mit der Wahl des aktuell wütenden Präsidenten hat Earle zu dem einen Gegner gefunden, auf den er gern verzichtet hätte.

Elida Almeida

Artist Video
www.elidaalmeida.com

Ja, der Klassenkampf spielte in der 2018er Ausgabe eine große Rolle. Ausstellungen zum Arbeiterlied konnte man sich anschauen, Mitsingworkshops und Konzerte besuchen, in denen das Arbeiterlied mal leise, mal laut auflebte. Das politische und soziale Engagement wird bei der Wahl der Gäste beim Festival ohnehin nie aus dem Auge verloren.

Ab Freitag schien dann die Sonne und Rudolstadt geriet wieder in diesen sonnigen Festivaltaumel, der die Gäste, Besucher, Künstler und die Anwohner jedes Jahr gleichermaßen verzückt. Aus dem kleinen baltischen Staat Estland reisten die meisten Künstler nach Thüringen an. Estland war Länderschwerpunkt und obwohl das Land eine recht übersichtliche Bevölkerung besitzt, bringt es eine erstaunlich klangvolle Vielfalt hervor. Von fetzigen Country bis zum klassischen Chorgesang, von Folklore bis Bhangra, in Estland kann man das alles und ließ den Festivalbesucher daran teilhaben.

Afrika schickte mit Fatoumata Diawara eine der besten neuen Stimmen ihres Kontinents nach Rudolstadt. Die junge Sängerin Elida Almeida reiste von den Kapverden auf die Bühne im Heinepark und präsentierte ein berauschendes Konzert, das weder das Publikum noch sie so schnell vergessen werden.

Berauschend ist vielleicht auch die richtige Wortwahl für das Konzert des altgedienten Barden Graham Nash. Der Woodstock-Veteran brachte den Heinepark zum Träumen. Wer keinen Platz vor der Bühne fand, saß mit Rotweinschorle und Peace-Strickmütze über den grauen Zotteln unter den Lampion geschmückten Bäumen in den Bauernhöfen, summte leise mit und ließ sich von der Gattin die Hand halten. Ach, die alten Zeiten.

Überhaupt war des Schwärmens kein Ende. Die Folkband Le Vent du Nord aus Quebec, die mit der ebenfalls aus dem französischsprachigen Teil Kanadas kommenden Kapelle De Temps Antan das Festival besuchten, konnte gleich in drei Konzerten Wiesen und Pflaster zum Beben bringen. Zunächst spielten beide Bands gemeinsam im Heinepark, später in Einzelgruppen auf dem Markt und der kleinen Bühne der Burgterrasse auf der Heidecksburg. Teufelsgeiger André Brunet freute sich, erneut auf einem Festival zu spielen, das ihn bereits vor 21 Jahren von den Socken riss. Damals geigte er bei der legendären Folkformation La Bottine Souriante, die 1997 das Highlight des Tanz- und Folkfestes war. Und nun war er wieder hier und fühlte sich, als wäre er angekommen, wohin es ihn seit Jahren zog - zu dem Festival, das kulturelle Grenzenlosigkeit feiert, wie kaum ein anderes in der Welt.

Und so möge es auch bleiben - nächstes Jahr und in den folgenden Jahren. Mit Freundlichkeit und Gastfreundschaft, Weltoffenheit und Toleranz lächelnd und tanzend beweisen, dass die Welt eine viel freundlichere ist, als uns die aufkommenden Horden der kulturellen Engstirnigkeit weiss machen wollen.




Von Estland in den Iran - Rudolstadt-Festival stellt 2019 persische Musik in den Mittelpunkt

Cymin Samawatie

Auf 28 Bühnen waren rund 130 Bands und Solokünstler*innen aus 48 Ländern zu erleben. Besonders im Fokus stand dabei Estland mit seiner außergewöhnlich lebendigen, kreativen Folkszene. Die Vielfalt beeindruckte nicht nur das Publikum in Rudolstadt, sondern auch den Botschafter Estlands in Berlin, Dr. Mart Laanemäe: „Die Möglichkeit, so viele estnische Musikgruppen an einem Tag zu erleben, gibt es sogar in Estland sehr selten. Überall trafen sie auf ein begeistertes Publikum. Fast alle Veranstaltungen, die ich besucht habe, waren bis auf den letzten Platz gefüllt. Wo es möglich war, haben die Leute getanzt und der Beifall war immer sehr groß. Ein großer Erfolg für das Festival und für die estnischen Künstlerinnen und Künstler!“

Die 29. Ausgabe des Rudolstadt-Festivals findet vom 4. bis 7. Juli 2019 statt. Tanz des Jahres wird im nächsten Sommer die französische Bourrée. Seinen Länderschwerpunkt im kommenden Jahr widmet Deutschlands größtes Festival für Roots, Folk und Weltmusik dem Iran. Ein Land, dessen reiche musikalische Tradition bislang eher einseitig wahrgenommen wird, wie Programmdirektor Bernhard Hanneken betont: „Persien ist eine der ältesten Kulturregionen der Welt, die auch maßgeblich das europäische Musikleben beeinflusst hat. Bei uns besonders bekannt ist die klassische persische Musik; weniger wissen wir aber über die Volksmusiken in den Regionen und über die aktuelle Musikszene. Das Festival will im kommenden Jahr versuchen, all diese Tendenzen abzubilden.“



Photo Credits: (1),(2),(4) Le Vent du Nord & De Temps Antan, (3) Elida Almeida, (5) Mari Kalkun & Runrorun, (6) Cyminoloy (by Karsten Rube).


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