FolkWorld #69 07/2019
© Detlef Stachetzki / Folk Club Bonn

Folk Club 42

Der Osten trifft den Westen

Folk Club Bonn

Folk Club Bonn @ FROG

folk-club-bonn.blogspot.com

Zuerst sollte das Motto des Folk-Club-Abends lediglich „Der Osten“ heißen. Aber mit einer Künstlerin mit Wurzeln im fernen Osten Russlands und der anderen von der Westküste Kanadas bot es sich natürlich an, das Treffen von Ost und West als Thema zu wählen. Um es vorweg zu nehmen: Das Treffen war mehr als inspirierend. Lindsay May aus Kanada trumpfte mit melodiösen Liedern meist im Country-Stil auf. Daria Kulesh, die Russin mit inguschetischer Herkunft, die in England lebt, interpretierte Lieder mit historischem oder märchenhaftem Inhalt, davon viele mit Bezug zu ihrer Heimat. Beiden gemein waren ihre herrlichen voluminösen und ausdrucksstarken Stimmen.

Lange hatte sie auf ihren Auftritt warten müssen, aber jetzt konnte sie ihrer großartigen Stimme freien Lauf lassen. Es ist immer wieder ein Mysterium, dass solche fantastischen Musiker wie Lindsay May aus Kanada auch im kleinen, bescheidenen Bonner Folk Club vorbeischauen und dort „nur aus Spaß an d’r Freud“ eine tolle Show bieten. Wir sind außerordentlich dankbar dafür, und das Publikum revanchiert sich mit ungeteilter Aufmerksamkeit und Hingabe. „Nashville“ lautete der Titel von Lindsays Lied zum Einstieg. Es geht um Hoffnung und Träume davon ein großer Musiker zu werden – eben in Nashville, der Heimat der Country-Musik, Erfolg zu haben. Beim schwungvollen Lied „Driving“ über lange Autofahrten musste Mandoline „Harry“ als Begleitinstrument ran. „Face Full of Sun“ beschreibt die Situation am Tag nach einem Schneesturm, wenn die Sonne auf den frisch gefallenen Schnee scheint, den man aus der warmen Stube betrachten kann, während man auf einen lieben Menschen wartet, der zu Besuch kommt.

Lindsay May

Artist Video
www.lindsaymay.com

Manche Lieder haben einen Hintergedanken, wie „Lie to You“, andere machen neugierig wie „Spinning 45s“ über ihre Erfahrungen damit, alte Singles zu hören. Lindsays bisherige Lieder enthielten meist viel Schwung und Energie. Dass sie auch anders kann, zeigte sie mit dem zart gesungenen und sparsam begleiteten Lied „Landslide“ von Fleetwood Mac über das Älterwerden und die Veränderungen, die den Menschen im Laufe ihres Lebens bevorstehen. Natürlich konnte sie nicht ohne Zugabe von der Bühne gehen. „The Star in the Sky“ ist ein Loblied darauf, dass, auch wenn du viel unterwegs bist, jemand daheim auf dich wartet. Mit „Roller Coaster“ beendete sie ihren Auftritt. Das Lied beschreibt die Aufs und Abs im Leben, wie eine Achterbahn halt - Riesenapplaus für Lindsay vom Publikum und Gratulation vom Chronisten für einen Auftritt mit vielen Gänsehautmomenten.

Völlig andere Musik gab es vom zweiten Featured Artist des Abends, Daria Kulesh. Daria hatte bereits einen umjubelten Auftritt im Folk Club im Mai vorigen Jahres. Daria erzählt zwar wie Lindsay mit ihren Liedern Geschichten. Diese haben aber meist einen historischen Hintergrund oder beziehen sich auf Sagen und Mythologie Russlands. Dies trifft auch auf das Lied „Vasilisa“ zu, das die Geschichte eines alten russischen Märchens erzählt, eine andere Version vom Märchen Aschenputtel. Darias Musik ist dominiert von ihrer ausdrucksstarken Stimme mit schönen Höhen und feinem Vibrato. Als Instrument verwendet sie bei vielen Liedern eine Schrutibox, ein kleines Borduninstrument, das wie ein kleiner Kasten aussieht und mit Blasebalg und Stimmzungen Begleittöne erzeugt. Dadurch kommen Gesang und der Text der Lieder wunderbar zur Geltung.

Daria Kulesh

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www.daria-kulesh.co.uk

Bei „Dorogi Dlimoju“ kam aber die Gitarre zum Einsatz. Das Lied, dessen Titel übersetzt „Entlang der langen Straße“ lautet, stammt aus der Zeit um den ersten Weltkrieg und war in Russland ein beliebter Schlager. Das Lied wurde in unserer Gegend durch die Version bekannt, die Ende der 1960er Jahre von Mary Hopkins gesungen wurde: „Those Were the Days“. Daria bescherte uns das Lied mit dem Refrain in mehreren Sprachen. „The Witch“ beschreibt die Geschichte der in England 1712 als Hexe zum Tode verurteilten Jane Wenham. Jane Wenham wurde aber von Königin Anne begnadigt und starb viele Jahre später eines natürlichen Todes. Das Lied, bei dem Daria sich nur mit einer Bodhran, einer keltischen Trommel begleitet, hat einen eindringlichen kurzen Refrain „A witch, a witch“, den das Publikum ausrufen darf.

„The Beauty and the Pilot“ ist eine traurige Geschichte mit einem Bezug zur Historie ihrer Familie in Inguschetien, einer autonomen Republik im Südosten Russlands. Stalin verbannte 1944 alle Inguschen wegen vermeintlicher Illoyalität aus ihrer Heimat, und sogar als Kriegshelden dekorierten Soldaten wie dem gefallenen Mann der Großmutter wurden ihre Auszeichnungen aberkannt. Zudem wurde die Großmutter von der Familie verstoßen, da sie einen Inguschen geheiratet hatte. Wieder begleitet mit der Schrutibox präsentierte Daria ein Lied, das einen Bezug zur russischen Version des Weihnachtsmannes hat. „Are You Cold, Are You Cold, Yet My Maiden Fair” lautet der Refrain des zarten und Liedes, das unter die Haut geht.

William Topaz McGonagall war ein schottischer Dichter, der wenig Anerkennung fand und dem nachgesagt wurde, der schlechteste Dichter zu sein, der je die englische Sprache traktierte. Aber er ließ nicht locker und dichtete und dichtete. Ähnliches schaffte Florence Foster Jenkins, allerdings mit scheußlichem Gesang. Aber auch sie ließ sich nicht davon abhalten, vor Publikum zu singen. Da sie reich war, konnte sie sich eine Zuhörerschaft zusammenstellen. Einmal schaffte sie es die Carnegie Hall zu füllen. Die Menschen wollten offenbar die verrückte Millionärin singen hören. Aber am Tag danach starb sie an einem Herzinfarkt – angeblich weil sie sich über die vernichtenden Kritiken aufgeregt hatte. Daria fühlt sich solchen Künstlern verbunden, die trotz Niederlagen Courage zeigen und einfach weitermachen und hat ihnen ein Lied gewidmet. „Shame for Glory“ setzt diesen Unglücklichen ein zartes und bezauberndes musikalisches Denkmal – der Favorit eures Chronisten. Lob für Darias Solidarität, aber seid versichert, Daria wird das Schicksal dieser bedauernswerten Existenzen nicht zu teilen brauchen.

Eine Ode an Liebe und Brüderlichkeit ist das Lied „The Quiet Joys of Brotherhood, das als einziges nicht aus Darias Feder stammt. Es wurde geschrieben von Richard Fariña und von ihm zur irischen Volksweise des Liedes „My Lagan Love“ gesungen. Mit „Heart’s Delight“, auch begleitet mit der Schruti Box, beendete sie ihr beeindruckendes Programm – Großer Applaus vom Publikum und auch vom Chronisten ein Glückwunsch für die schönen Lieder und die beeindruckende Interpretation.



Photo Credits: (1)-(2) Folk Club Bonn, (3) Lindsay May, (4) Daria Kulesh (by Folk Club Bonn).


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