Ausgabe 7 12/98

FolkWorld CD-Besprechungen

Boiled in Lead "Alloy"
Label:
Omnium Recordings; OMM 2017; 19 Tracks; Spielzeit: 71.13 min
Mit "Alloy" feiern die Folkrocker Boiled in Lead aus Minneapolis ihr 15-jähriges Bestehen. Die meisten der 19 Stücke sind bisher unveröffentlichte Demos, andere Abmischungen oder Live-Versionen alter Stücke. Damit ist die CD auch für BiL-Fans eine lohnende Anschaffung, und für alle anderen ein guter Einstieg.
Meiner Ansicht nach ist BiL den Ausstieg des Sängers und Gitarristen Todd Menton schlecht bekommen, und so gefallen mir persönlich auch vor allem die älteren Stücke auf der CD. Besonders das von Jane Dauphin gesungene Demo "The Dreadnaught" ist wunderschön. Aber auch der neue Sänger Adam Stemple singt das bizarre Wiegenlied "All The Little Horses" auf einmalig geniale Weise.
Die CD stellt die keltischen und Singer/songwriter-Einflüsse von BiL in den Vordergrund. Bekannt geworden sind sie aber eher dank ihrer originellen Fusionen westlicher Rockmusik mit osteuropäischen Tanzweisen. Beispiele dafür liefert die CD mit den Instrumentals "Arpad's Guz" und "Neda Voda".
BiL waren schon immer eine äußerst vielseitige Band, was auch diese Zusammenstellung widerspiegelt. Dementsprechend werden wohl auch nur eingefleischte Fans die CD durchgängig gut finden; andererseits wird mit Sicherheit jeder Freund guter Rockmusik mit deutlichen Folkeinflüssen etwas entdecken, was ihm gut gefällt.
Leadheads; Omnium Boiled in Lead website
Anja Beinroth


Deirdre Cunningham Band "Cry From The Heart"
Label:
KRL/Lochshore Records; CDLDL 1277; 11 Tracks; Spielzeit: 47.41 min
Dies ist eine von diesen CDs, die sich unauffällig in die Ohren schleicht und sich dort festsetzt, so daß sie einem mit jedem Hören besser gefällt. Es ist exzellent gemachte Folk/Pop-Musik nach Art der irischen Erfolgsalben "A Woman's Heart", und sollte ein ebenso großes Publikum ansprechen.
Deirdre Cunningham ist eine begabte Sängerin mit angenehmer Stimme und einer hervorragenden Begleitband. Geiger Steve Wickham ist bekannt von den Waterboys und Connaught Ramblers. Ehemann Liam Cunningham überzeugt am Akkordion, Deirdre selbst spielt Gitarre, die rhythmische Basis liefern Bassist und Cellist James Blennerhassit und Perkussionist / Djembespieler Conor Gillen, und Deirdres Sohn Fiachra steuert bei vielen Stücken E-Gitarre und Gesang bei. Daneben kommen nur noch auf zwei Stücken weitere Musiker zu Gehör: Lucy Cummings (Blockflöte) und Francis Bell (Viola) bei dem stimmungsvollen "Carrowkeel" und die Perkussionisten Colin Blakey, Ciaran Gallagher und Nial Gregory bei dem rockigen "Hard Edge".
Das Album (Deirdres drittes) ist eine echte Familienangelegenheit; Bandmitglied Liam Cunningham übernahm gleichzeitig die Produzentenrolle und als Aufnahmeort diente das eigene Tonstudio in der irischen Grafschaft Roscommon. So erklärt sich vielleicht auch die angenehm entspannte Atmosphäre, die die CD ausmacht.
Absolut zu empfehlen für jeden Fan der irischen Sängerinnen Maura O'Connell, Mary Black und Dolores Keane.
Weitere Infos auf der Lochshore Website
Anja Beinroth


Dirtball "The Well"
Label:
Planetary Records; Planetary 9006; 11 Tracks; Spielzeit: 51.42 min
Dirtball machen Rockmusik mit Country-Anklängen, etwa vergleichbar mit R.E.M. und Weddings Parties Anything, gut produziert und gefällig. Nach ein paar Durchläufen fand ich die CD ziemlich gut.
Dirtball sind eine achtköpfige Band aus den USA, deren Sänger Wes Freed etwas gewöhnungsbedürftig ist (sein Gesangsstil erinnert mich an Alan Tyler von den englischen Rockingbirds), wenngleich er hervorragend ins Klangbild der Gruppe paßt. Alle elf Lieder sind von Bandmitgliedern geschrieben worden, die meisten von Gitarrist Jeff Liverman. Sie behandeln die üblichen Themen der Country-Musik, insbesondere Liebe und Alkohol, soweit sich das ohne Liedtexte (nicht im ziemlich dürftigen Booklet abgedruckt) feststellen ließ. Produziert hat das Ganze Bob Rupe von der beliebten US-Rockband Cracker.
Mein Lieblingsstück ist "Cloudy Moon", das mit einem eingängigen Refrain zum Mitsingen einlädt und in einem weniger durchkommerzialisierten Musikbusiness echtes Hitpotential hätte. Allen Freunden der oben erwähnten Gruppen wärmstens empfohlen.
Dirtball ; Infos bei Planetary Records
Anja Beinroth


John Drury "Michael is Leaving Las Vegas"
Label: Yewtree Music; YTCD 001; 11 Tracks; Spielzeit: 43.29 min
Dem Waschzettel zufolge wuchs John Drury, umgeben von viel traditioneller Musik, in einer irischen Familie in London auf - was seine Musik aber überhaupt nicht vermuten ließe. Dies ist eine ziemlich durchschnittliche, altmodische Singer/songwriter-CD, ganz nett und wenig anstößig, aber nun wirklich nichts, was man unbedingt gehört haben sollte.
John Drury lebt mittlerweile in Yorkshire und wird hier von einer ganzen Reihe befreundeter Kollegen musikalisch unterstützt. Im Mittelpunkt steht Kev Martin, der nicht nur Gitarre spielt und mitsingt, sondern auch die Aufnahme durchgeführt und produziert hat. Daneben sind unter anderem Chris Newman, Steve Tilston and Maggie Boyle zu hören, um nur die bekanntesten zu nennen.
In den Liedern geht es um die üblichen Singer/songwriter-Themen: privates und sozialkritisches. Johns Kinder Paul, Joseph and Ann haben als Inspiration für je ein Lied gedient; "Stories She Told Me" befaßt sich mit seinen eigenen Kindheitserinnerungen von den Erzählungen seiner Mutter. "Under The Apple Tree" und "Glorious Moon" stellen christliche Vorstellungen in einen persönlichen Kontext, und "Chinese State Circus" prangert die politische Situation in Tibet an.
Insgesamt ist alles irgendwie ganz nett, aber doch mehr eine nette Erinnerung für persönliche Bekannte des Sängers als eine CD, die sich in größerem Rahmen verkaufen ließe.
John Drury
Anja Beinroth


Tom Flannery "Song About A Train"
Label:
KikoMusic; KM-101; 14 Tracks; Spielzeit: 52.25 min
Noch ein Singer/songwriter. Dieser hier stammt aus Pennsylvania und bewegt sich in den Fußstapfen Bob Dylans. Allerdings ist sein Gesang wesentlich eingängiger (er klingt ein bißchen wie Paul Brady). Musikalisch stehen Flannerys Gitarren- und Mundharmonikaspiel im Mittelpunkt; daneben steuern Gitarrist Neal Casal (aus New Jersey), Keyboarder John Ginty und Perkussionist Pat Marcinko weitere Nuancen bei.
Die Lieder behandeln ein breites Themenspektrum, von politischem wie der irischen Hungersnot im letzten Jahrhundert ("Marie's Song") und den Problemen von Arbeitern in Industriestädten ("Johnson's Station") zu Flannerys persönlichen Erfahrungen mit der Musikbranche ("I'm Gonna Fade Away", "Steve Earle Blues", "Moshing With David Crosby"). Wem diese Art Musik gefällt, der wende sich an Tom Flannery.
Anja Beinroth


K-Passa "The Morning After..?"
Label:
Harbourtown Records; HARCD 035; 36 Tracks; Spielzeit: 72.58 min (CD 1), 71.04 (CD 2)
K-Passa ist die Band von Simon Edwards, der in Deutschland vor allem als Mitglied von Urban Folk bekannt ist. Diese Doppel-CD gibt einen ziemlich vollständigen Überblick über die bisherigen (allesamt schwer zu bekommenden) Aufnahmen von K-Passa und wurde anläßlich des zehnjährigen Bestehens der Gruppe im Oktober '98 veröffentlicht.
K-Passa sind eine viel zu wenig beachtete Größe des britischen "Folk-Punk"-Genres (Pogues etc.). Im Zentrum steht das Wechselspiel von Simon Edwards' Melodeon und Barrie Morgans Geige. Letzterer hat K-Passa mittlerweile verlassen; es gibt aber weiterhin einen Geiger in der Band. Die akustischen Instrumente stehen im Kontext einer rockigen Rhythmustruppe aus Gitarre, Bass und Schlagzeug. Viele Aufnahmen erhalten außerdem eine besondere Note durch das Banjospiel von Ex-Mitglied Chris Thompson (bekannt von Barely Works und Big Jig).
K-Passas größte Schwachstelle ist der Gesang. Simon Edwards ist ein hervorragender Musiker, aber seine Gesangskünste lassen einiges zu wünschen übrig, was auch die Backing-Sängerinnen nicht wettmachen können. Chris Thompson singt hier seine eigenen Stücke "Empty Air" und "Running Out Of Loving", klingt dabei aber auch kaum besser. So gehen die teils durchaus beachtenswürdigen Texte leider völlig unter.
Dafür ist die musikalische Seite der Band umso besser. Die Musik ist voller Energie und Enthusiasmus - da bleibt niemand sitzen. Auch die Arrangements sind oft einfallsreich und originell - so zum Beispiel die einzige Coverversion des Albums, eine radikal andere Version des Songs "Feelings" der Boothill Foot-Tappers. Auf diesem wie auch auf einigen weiteren Stücken ("Do You Really Care", "Running Out...") kommen Reggae-Rhythmen und Blechbläser höchst effektiv zum Einsatz. Wunderbare Blechbläsersätze sind auch auf einigen der rockigeren Stücke ("Whirlpool", "All Fall Down") zu hören.
Wie die meisten Folkrocker wirken K-Passa unter Live-Bedingungen am besten, und so sind die Liveaufnahmen auf der CD die echten Highlights. Die meisten stammen von der 1992er "Two Back From The Front"-CD, und das Booklet verrät nicht, wo sie aufgenommen wurden. Der Rausschmeißer "Take Me Home" dagegen kommt vom diesjährigen Dranouter-Festival in Belgien und läßt einen bedauern, nicht dort gewesen zu sein.
Natürlich sollte man K-Passa am besten live erleben, was aber außerhalb ihrer Heimatstadt Bristol nicht einfach ist. Diese Doppel-CD ist eine gute Alternative. Sie enthält eine Version von so ziemlich jedem Stück, das K-Passa jemals aufgenommen haben. Interessant für jeden, der Rockmusik mit starken traditionellen Einflüssen - hier anglo-keltische Tanzmusik, Cajun-Fiddle, Banjo-Picking und Reggae/Dub - gerne hört. Besonders Leuten zu empfehlen, die die rauhe Energie der frühen Pogues-Platten schätzen.
K-Passa
Anja Beinroth


Nenes "Akemodoro Unai"
Label:
GlobeStyle Records; CDORBD 096 (licensed from Antinos Records, Japan); 11 Tracks; Spielzeit: 47.21 min
Der beste Einstieg für alle, die die wunderbare Musik aus Okinawa noch nicht für sich entdeckt haben. Nenes sind ein Frauenquartett hervorragender Sängerinnen, die von ihrem Mentor Sadao China auf dem Sanshin (ein Schlangenhaut-Saiteninstrument, das ähnlich wie ein Banjo klingt) sowie von seiner Band begleitet werden. Übrigens sind sie auch auf dem Titelstück der CD "OK" von Talvin Singh zu hören.
Der Gesang steht deutlich im Mittelpunkt und wird sensibel begleitet, vorwiegend von Sanshin und Gitarren (akustisch und elektrisch). Die Musik erinnert an chinesische und indonesische Musik und nutzt gleichzeitig Country- und Rockeinflüsse, ist in der Kombination aber ziemlich einmalig.
Nenes wurde 1990 gegründet, um die "shima uta" (Insellieder)-Tradition von Okinawa, der größten der Südjapanischen Ryukyu-Inseln, für junge Leute zugänglich zu machen (mit großem Erfolg!). Die Gruppe hat seither sieben Alben aufgenommen; "Akemodoro Unai" ist das jüngste und folgte einer signifikanten Umbesetzung. Dennoch klingt die Gruppe auf dieser geradezu bezaubernden CD äußerst kohärent und bestens eingespielt. Durch den Lizenzvertrag mit dem englischen Label GlobeStyle sollte die CD hoffentlich auch in Europa relativ leicht zu bekommen sein, und Nenes ein wenig wohlverdiente internationale Anerkennung zukommen lassen.
Nenes fanclub, Nenes home page
Anja Beinroth


Various "The Floating Folk Festival Vol. 1: A Compilation of Richmond Artists"
Label:
Planetary Records; Planetary 9007; 14 Tracks; Spielzeit: 55.06 min
Das "treibende Folkfestival" ist ein Zusammenschluß von Musikern aus Richmond, Virginia, die unter diesem Namen gemeinsame Konzerte mit wechselnden Teilnehmern veranstalten. Dabei ist "Folk" im amerikanischen Sinne von "alles, worin eine akustische Gitarre vorkommt" zu verstehen. Tatsächlich handelt es sich, der CD nach zu urteilen, vorwiegend um recht kommerziell klingende Country-Rockbands und einige Singer/songwriter. Ob sie sich auch bei den Aufnahmen gegenseitig ausgeholfen haben, läßt sich leider nicht feststellen, da bei dem Besprechungsexemplar der CD das Booklet fehlt.
Die meisten Stücke sind ganz nett, aber auch schnell wieder vergessen. Das einzige, was mir wirklich gut gefällt und zum Betätigen der "Repeat"-Taste einlädt, ist Gerry Lavertys "Die In Winter". Interessant ist auch noch das Stück der Burnt Taters, "Until The Time Is Right", nicht wegen dem Stück, sondern weil deren Sänger wirklich verblüffend wie Roy Orbison klingt.
Wohl eher eine CD, die man bei einem Konzert als Souvenir mitnimmt, als eine, die man sich mühevoll als Import besorgen sollte.
Floating Folk Festival
Anja Beinroth


Various "The Rough Guide To English Roots Music"
Label:
World Music Network; RGNET 1018 CD; 18 Tracks; Spielzeit: 70.53 min
Die CDs der Rough Guide-Serie haben den Ruf, eine maßgebende Auswahl der Musikszene der jeweiligen Gegend zu bieten (und das zu einem vernünftigen Preis). Dieser Sampler rechtfertigt den guten Ruf. Die englische traditionelle Musik wird im Schatten der keltischen Nachbarn gern übersehen - vielleicht hilft dieser Sampler, sie ein bißchen ins Rampenlicht zu rücken.
Wie definiert sich also englische "roots music"? Auf der CD sind mehrere Facetten traditioneller und folkbeeinflußter Musik aus England vertreten: von mehrstimmigem A capella-Gesang (The Watersons; Coope, Boyes & Simpson) über die traditionelle Ballade (Louise Fuller; Harry Cox; Waterson:Carthy; John Kirkpatrick; Martin Carthy & Dave Swarbrick) zu modernen Vertretern des Singer/songwriter-Genre (Billy Bragg; Rory McLeod); von beeindruckenden Solo-Instrumentalisten (Northumbrian Small Pipe-Spieler Billy Pigg) bis zu modernen Rockbands, die in der Tradition verwurzelt sind (Eliza Carthy & The Kings Of Calicutt; Oysterband; Hank Dogs; Albion Band) und zu denen, die die englische Tanzbandtradition fortführen (Walter & Daisy Bulwer, Billy Cooper, Reg Hall, Mervyn Plunkett & Russell Wortley); nicht fehlen dürfen natürlich auch jene, die ihre englischen Wurzeln in interessanten Fusion-Projekten zur Geltung bringen (Edward II; The Barely Works; Savourna Stevenson, June Tabor & Danny Thompson).
Und wie hört sich das dann an? Jeder wird nach Geschmack seine eigenen Favoriten herauspicken; der Qualitätsstandart ist insgesamt hoch. Natürlich könnte man endlos über die Auswahl streiten - so wird sich wohl erst mit der Zeit herausstellen, ob der Beitrag der gerade sehr angesagten Hank Dogs zur englischen Folk-Geschichte ihren Platz auf dieser CD rechtfertigen wird; und es wird wohl jeder irgendetwas vermissen, was seiner Ansicht nach bei einer Zusammenstellung englischen Folks eigentlich unbedingt dabei sein müßte. Solche Diskussionen sind aber letztlich sinnlos. Tatsache ist, daß diese CD einen guten Überblick über die Vielseitigkeit englischer "roots music" gibt, sich gut anhören läßt und Lust auf mehr macht. Mehr kann man nicht verlangen.
World Music Network
Anja Beinroth


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 12/98

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