FolkWorld Ausgabe 7 12/98

Neue Scheiben aus Irland

Die FolkWorld Kolumne für Liebhaber irischer Musik, zusammengestellt von Axel Schuldes

Nun hatte ich gerade mühevoll die Anzahl der Kandidaten für die Platte des Jahres '98 auf runde zehn reduziert (Näheres dazu in einer der nächsten Ausgaben), da drängt sich kurz vor Toresschluß eine Nr. 11 ganz nach vorn. Die Rede ist von Cathie Ryan, die sich mit The Music of What Happens endgültig einen festen Platz im Olymp der keltischen Sängerinnen sichert. Die ehemalige Lead-Sängerin von Cherish the Ladies besitzt eine klare, wunderschöne Stimme, die jeden in ihren Bann zieht, der nicht gerade ein Herz aus Stein hat. Ihr Repertoire ist perfekt ausbalanciert, die Mischung aus traditionellen Liedern, eigenen Kompositionen und Songs anderer Autoren ist genau richtig. Geadelt wird ihr zweites Solo-Album durch die geniale Arbeit des Produzenten. Der heißt Seamus Egan und ist - obwohl noch keine 30 Jahre alt - längst wohl die mit Abstand wichtigste Persönlichkeit der iro-amerikanischen Szene. Seine Band Solas wird von vielen Kritikern als weltweit beste irische Band erachtet. Dem bin ich geneigt mich anzuschließen, auf die Gefahr hin, daß sämtliche Altan-Anhänger den Bannstrahl gegen mich schleudern. The Words That Remain ist das 3. Album von Solas und hält mühelos das hohe Niveau der Vorgänger. Zwei illustre Gäste fanden sich zu den Aufnahmen im Studio ein: Iris DeMent für ein Duett mit Karan Casey und Bela Fleck mit seinem Five-String-Banjo - große Klasse!

Tommy Fleming war bis vor kurzem der Sänger von De Dannan, nun hat er das gemacht, was auch seine zahlreichen Vorgänger/innen getan haben, nämlich eine Solo-Karriere gestartet. Die Stimme dieses hochbegabten Tenors mag nicht jedem auf Anhieb zusagen, aber daß er einer der ganz großen Sänger ist, wird kaum jemand bestreiten. Restless Spirit ist eine vorzügliche Kollektion von weitestgehend zeitgenössischen Songs (u.a. von John Gorka), die allesamt von Fleming mit Kraft und enormen Einfühlungsvermögen interpretiert werden. Hinzu kommt, daß er mit Arty MGlynn und Rod McVey ein Produzentengespann an die Seite gestellt bekam, das es aufs beste verstand, seine Talente ins rechte Licht zu rücken. Wunderbar.

Mairin Fahy; photo by The Mollis Drei Jahre nach Veröffentlichung ihres vielgelobten Debütalbums legen Reeltime jetzt mit Live It Up ein Nachfolgewerk vor, das sich sowohl stilistisch als auch qualitativ nahtlos anschließt. Das kreative "Up-Beat Irish Trad"-Quintett um die Riverdance-Fiddlerin Mairin Fahy und Gitarren-As Chris Kelly hat wahrlich ein Händchen für überraschende Arrangements und sprüht nur so vor Spielfreude. Ebenfalls drei Jahre Zeit gelassen haben sich die Leute von Moving Cloud für Album #2. Die Gruppe stammt aus Clare und wurde 1989 vom Akkordeonspieler Paul Brock gegründet. Maeve Donnelly (Fiddle), Manus McGuire (Fiddle), Kevin Crawford (Flöte) und Carl Hession (Piano) sind allesamt mehrfache All-Ireland-Champions, die die Begeisterung für ursprüngliche traditionelle Musik verbindet. So überrascht es kaum, daß auch Foxglove wieder - wie die erste Platte - ein superbes Dokument mustergültig gespielter irischer Dance Music ist, verwurzelt in der Tradition des Olde-Timey-Swing der 20er- und 30er Jahre.

Für einen tollen Einstand des neuen irischen Label Malgamu Music sorgte der Gründer des Labels, der Musiker Paul Kelly, selbst mit seiner CD A Mandolin Album. Nun hat er mit Lia Luachra eine junge Trad-Gruppe unter seine Fittiche genommen, die auf seinem Label ihre erste Platte veröffentlicht hat. Was das Quartett auszeichnet, ist die gut ausgewogene Verschmelzung von Respekt gegenüber den Roots mit eigener Kreativität. Das Instrumentarium besteht aus Mandoline, Gitarre, Concertina, Bouzouki und Fiddle. Die Musiker bestechen sowohl durch ihre solistischen Fähigkeiten als auch durch ihr dichtes Ensemblespiel. Zu traditionellem Material gesellen sich etliche einfallsreiche Eigenkompositionen, die frischen Wind in das Klangbild zaubern. Im August gewann Lia Luachra beim großen Festival in Lorient die Auszeichnung als beste Gruppe. Wenn das keine Kaufempfehlung ersten Grades für Lia Luchra ist!

Drawing by German artist Annegret Haensel; for more info on the artist, look at the editorial page Mit dem Label Clo Iar-Chonnachta assoziieren Kenner spontan den wohl besten Katalog an Sean-Nos-Einspielungen überhaupt. Dieser Einschätzung wird eine der drei neuen Veröffentlichungen auch vollauf gerecht. Auf Seachran Si tragen vier große Könner ihres Fachs unbegleitet Lieder in irischer Sprache vor - ein Genuß für Freunde der Sean-Nos-Kunst! Der Akkordeonspieler Maidhc Dainin O Se kann Joe Burke und Joe Cooley zu seinen Mentoren zählen. Längst ist er inzwischen selbst ein unter Experten anerkannter Virtuose, der mit seiner Musik viel in der Welt herumgekommen ist - von Chicago bis West-Kerry, O Chicago go Carrachan. Der "Kulturschock" für nicht-irische Hörer dürfte hingegen die CD Failte von Peadar O Flatharta & Martin Joe O Flatharta sein. Daß in Connemara die irische Sprache lebendig und kulturell wichtig ist, das wissen wir. Daß aber amerikanisch anmutende Country-Klänge dort ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, das vergessen wir nur allzu schnell immer wieder. Das genannte Duo bringt es mit Nachdruck in Erinnerung. Auch wenn diese Variante von "Crossover" nicht unbedingt unser Ding ist, so muß aber doch anerkannt werden, daß die beiden ihre Sache wirklich sehr gut machen.

Eine wohltuende Brise von New Country Folk (à la Emmylou Harris oder Nancy Griffith) weht durch die neue CD von Rosemary Woods. Es wäre allerdings auch ein Jammer, wenn sie sich nicht - aus mißverstandener Loyalität gegenüber ihren Wurzeln - öffnen würde für ein vielfältigeres Repertoire. Denn da gibt es doch einige Lieder, die geradezu danach verlangen, von dieser großartigen Stimme interpretiert zu werden. Zur Erinnerung: Rosemary Woods ist jene Frau, der nachgesagt wird, vor Jahren das Angebot von De Dannan dankend abgelehnt zu haben, die Nachfolge von Dolores Keane, Maura O'Connell und Mary Black anzutreten! Für Journeys and Dreams haben prominente Musiker-Freunde wie Tom McFarland, James Blennerhassett, Kieran Goss und Colum Sands den Weg ins Aufnahmestudio gefunden und ihren Anteil dazu beigetragen, daß dies eine rundum gelungene Platte geworden ist.

Tionscnamh Lugh nennt sich ein Projekt, das Sorge dafür trägt, daß es in Donegal ein regelmäßiges Forum gibt, um die Musik der Region zu präsentieren, untereinander auszutauschen und Kontakt zu halten zu den Bewohnern und Besuchern der Region. Unter der Federführung von Manus Lunny (Capercaillie) wurde nun erstmals eine CD produziert, die anhand von Live-Aufnahmen die Vielfalt der Musik des irischen Nordwestens dokumentiert. Trad Trathnona ist mithin eine Muß-CD für alle Freunde der Musik Donegals. Die Gewinne, die durch den Verkauf erzielt werden, fließen übrigens in einen Fond, der die Finanzierung des nächsten Projekts bzw. der nächsten CD sichern soll - also ein weiterer guter Grund, unbedingt ein Exemplar dieses schönen Dokuments zu erstehen!

Drawing by Annegret Haensel Hin und wieder geschieht es doch das kleine Wunder, daß in der Flut von lieblos zusammengeferkelten Samplern als Ausnahme von der Regel eine wunderschöne Anthologie auftaucht. 1984 z.B., da veröffentlichte eine der renommiertesten Plattenfirmen Irlands einen Querschnitt durch die 25 Jahre ihres Bestehens. Nun, fast 15 Jahre später, gibt es Claddagh's Choice auch endlich als CD. Damit aber nicht genug, die netten Leute bei Claddagh haben zu der Einzel-LP von damals noch ein Pendant erstellt, so daß diese hochkarätige Kollektion auf eine Doppel-CD angewachsen ist. Ein schönes Weihnachtsgeschenk für Freunde traditioneller irischer Musik, die einmal ein wenig tiefer eintauchen und bis ins Jahr 1959 zurückwandern wollen in der Geschichte des Irish Folk.

Der kleine große Blues'n'Rock-Gitarrist Rory Gallagher hatte zu seinen Lebzeiten auch immer ein Herz für Folk Music. Gastspiele bei den Dubliners, Phil Coulter und Davy Spillane zum Beispiel sind aufgezeichnete Belege dafür. Und wie wir alle wissen, war diese Zuneigung keine Einbahnstraße, viele Folkies haben Rory Gallagher heiß und innig verehrt. Den Garagensound, in dem all seine Platten daherkamen, nahmen wir geduldig als unabdingbar hin, ja wir verstiegen uns sogar dazu, ihn zum bewußt gewählten Stilmittel hochzujubeln. Irrtum. Mit dem Adjektiv sensationell ist die Klangqualität der aktuellen CD-Wiederveröffentlichungen keinesfalls zu marktschreierisch bewertet. Der Remastering-Job, der hier besorgt wurde, ist von der gleichen Klasse wie bei den frühen Byrds- und Who-Aufnahmen. Hätte doch mein Lieblings-Song "I'm Not Awake Yet" (auf Deuce) schon 1971 dermaßen knackig und klar geklungen! Na ja, besser spät als nie. Nach und nach soll der komplette Back Catalogue auf diesem Standard aufgearbeitet werden. Wer sich nun welche Gallagher-Platten kauft, da will ich niemandem reinreden, aber ein paar davon sollten schon in jeder besser sortierten Sammlung stehen! Beispielsweise das legendäre Irish Tour '74-Album (die Doppel-LP nun als 2on1-CD)!

Barachois; photo by The Mollis Daß keltische Musik nicht unbedingt aus Irland oder Schottland kommen muß, hat sich herumgesprochen. Das Label Magnetic Music scheint derzeit in der Erschließung des keltischen Kanadas einen Schwerpunkt anzusiedeln, gleich drei Neuveröffentlichungen sind diesem Anliegen gewidmet. Die Geheimtip-Phase hat Rawlins Cross hinter sich gebracht, mit Make It on Time dürfte die Band ihren Ruf als einer der attraktivsten Acts auf der Celtic-Rock-Szene ausbauen. Wer die locker-swingende Stil-Mixtur aus schwebenden Hochland-Klängen und rauhen Rhythm'n'Blues-Sounds live erleben möchte: Im Frühjahr sind die Jungs aus Novia Scotia um den St. Patricks Day herum auf mehrwöchiger Tour in deutschen Landen. Im selben Zeitraum ist auch die Cape-Breton-Fiddlerin Jennifer Roland hier auf Festival-Tour. Ihrer Debüt-CD Dedication nach zu urteilen, reist eine hochbegabte junge Frau an, deren ganz besondere Stärke meines Erachtens die Slow Airs sind, die sie mit großer Hingabe spielt. Acadian Music from Prince Edward Island spielt Barachois, eine unglaublich vielseitige franco-kanadische Band. Die vier Vollblut-Musiker beherrschen eine Kunst, die hier kaum bekannt ist und immer wieder für extreme Verblüffung sorgt: Sie sind nämlich zugleich auch Step Dancer der Spitzenklasse. Was wörtlich zu nehmen ist, da tatsächlich simultan (!!!) musiziert und getanzt wird! Wer das im Dubliner Point Theatre mitgeschnittene Gael Force-Video kennt, dürfte beim Auftritt des Fiddlers Ashley MacIsaac von ungläubigem Staunen ergriffen worden sein. Daß es möglich ist, gleichzeitig spitzenmäßig zu spielen und zu tanzen, das glaubt man nur, wenn man's persönlich erlebt hat. Die Musikerinnen und Musiker von Barachois haben es auch drauf.

Photo Credit: Alle Photos von The Mollis:
Mairin Fahy von Reeltime (oben)
1/2 Barachois (unten)
Zeichnungen von Annegret Haensel; mehr Infos zur Künstlerin im Impressum.


Axel Schuldes ist Kenner der irischen Folk und traditionellen Musik Szene, er ist ein Mitorganisator der Irish Folk Festival Tour und schreibt schon seit vielen Jahren Rezensionen über die Neuerscheinungen der grünen Insel.


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 12/98

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