FolkWorld #77 03/2022

CD Rezensionen

Margit Myhr / Erlend Apneseth "Slåttesong"
Grappa/Heilo, 2021

English CD Review

Margit Myhr singt, Erlend Apneseth spielt Geige, beide haben sich der norwegischen Tradition verschworen und machen wunderbare Musik. Nicht unbedingt zusammen, Margit Myhr singt a-capella, wie es die Tradition verlangt, und das meisterliche Geigenspiel soll auch nicht zur Begleitmusik werden. So wechseln die beiden einander ab und es entsteht eine abwechslungsreiche CD. Es geht los mit einem Halling und endet mit einem Abendlied. Dazwischen hören wir Choräle, eine Ritterballade (natürlich mit unglücklicher Liebe), ein Hirtenlied (auch mit unglücklicher Liebe) und ein Wiegenlied. Im Beiheft sind (auf Norwegisch) die Texte abgedruckt, dazu gibt es Infos über die Herkunft der Instrumentalstücke, z.B. von bekannten alten Spielleuten wie Knut Hamre oder Kjetil Løndal. Und wir erfahren, dass der Titel, wörtlich, „Mahdlied“ aus einem Gedicht des großen Poeten Olav H. Hauge stammt. Und wirklich, die CD fährt reiche Ernte ein!
© Gabriele Haefs


Various Artists "I am of Ireland - Yeats in Song"
Merrow Records, 2021

English CD Review

Article: I AM OF IRELAND... Yeats in Song

www.yeatsinsong.com

Über William Butler Yeats, den irischen Dichter und Nobelpreisträger, war in den letzten Jahren eher Unerfreuliches zu lesen – sein Flirt mit dem Faschismus wurde aufgearbeitet, seine Anbiederungsversuche bei den Nazis, weil er sich die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt wünschte, wurde von der Yeats-Forschung an die Öffentlichkeit gebracht. In Irland wurden seine Gedichte aus dem Schulpensum gestrichen, aber nicht aus politischen Gründen, sondern weil die Kinder was „Modernes“ lesen sollen – und was immer von dem Mann zu halten ist, die Gedichte haben diese Ignoranz nicht verdient. 24 davon sind auf dieser CD versammelt, alle vertont von Raymond Driver. Die Auswahl stellt vielleicht seine Greatest Hits vor, es geht los mit „I am of Ireland“ und endet mit einer schmissigen Version vom „Fiddler of Dooney“. An dieser Stelle gleich eine Klage: Wäre es wirklich unmöglich gewesen, auf dem Cover zu schreiben, wer welches Lied sind? Klar, die geneigte Leserin findet diese Infos auf der o. a. Website, aber auch da ist es eine mühsame Suche. Yeatsens Hang zur Romantik kommt in den Liedern zum Ausdruck, seine Abkehr von dem, was ihm als moderne Welt erscheint, seine Liebe zu den irischen Sagas des Mittelalters, vorgetragen wird das von einer Vielzahl von MusikerInnen, hierzulande bekannten wie Kevin Burke, Eleanor Shanley und Christine Collister, und vielen, die wir entdecken können und sollten. Und das Hören regt an, mal wieder einen Band Yeats aus dem Regal zu nehmen und weiterzulesen, das Werk kann schließlich nichts dafür.
© Gabriele Haefs


Bett Padgett "Turning Over Stones"
Own label, 2021

English CD Review

www.bettpadgett.com

Bett Padgett, Liedermacherin aus den USA, erinnert stimmlich und vom Stil her (Clawhammer-Banjo) an ihre Landfrau Hedy West, und sie bezieht sich auch musikalisch auf sie und singt die von ihr zusammengestellte und bekannt gemachte Version von „500 Miles“. Die meisten anderen Lieder auf der CD hat sie selbst geschrieben, eine weitere Ausnahme: Das schottische „Wild Mountain Thyme“, das hier gar nicht mehr schottisch klingt, sondern in die USA ausgewandert und immer noch schön romantisch. In ihren eigenen Liedern widmet sie sich aktuellen Problemen, wie dem Entsetzen, das die Erstürmung des Capitol bei denen ausgelöst hat, die nicht für Trumps Weltsicht schwärmen. Sie beschreibt die Angst, die daraus entsteht: Wie kann dieses Land je wieder Frieden finden? Und was können wir gegen die wachsende Armut in unseren angeblich so reichen Ländern tun? Aber nicht jedes Lied hat einen so tragischen Auslöser, in „Don’t take my yard signs“ geht es um einen Streit in der Nachbarschaft, nervig, wenn es gerade passiert, witzig, wie Bett Padgett es beschreibt.
© Gabriele Haefs


Brooksie Wells "Stops Time"
Own label, 2021

English CD Review

Artist Video

www.brooksiewells.com

Brooksie Wells sieht auf dem Cover aus wie Dolly Parton light, und so klingt sie im Grunde auch – wobei das light nicht als leichtgewichtig oder leichtfertig verstanden werden darf. Sie spielt Gitarre und singt, hat eine Menge fähiger Studiogäste dabei (die Geigerin Polly Launay und den Mandolinenspieler Paul Bowlin, um nur zwei zu nennen), und neben ihren eigenen Liedern singt sie einige ihrer Liedermacher. „Early Morning Rain“ von Gordon Lightfoot ist immer ein Genuss, und ihre Version des uralten Monkees-Hits „I’m a believer“ erinnert auf wunderbare Weise daran, dass dessen Schöpfer, Neil Diamond, ursprünglich aus der Folkszene kam. Ihre eigenen Texte handeln von der Gegenwart, „Snakes in the trees“ z.B, erzählt die Geschichte des Hurrikans Katrina, der wirklich Schlangen in Bäumen hinterließ und ja noch sehr viel Schlimmeres anrichtete. Es gibt Lieder über Misserfolge, über durch Covid verlorene liebe Menschen, über Freundschaft … immer überwiegt doch die Hoffnung, „I’m a believer“, eben, Und wie es sich gehört, ist auch ein Lied dabei, dessen Melodie sich sofort festsetzt und noch Tage im inneren Ohr erklingt: „Talk to you.“
© Gabriele Haefs


Carole Wise "The Long Way Home"
Soulful Cricket, 2021

English CD Review

Artist Video

Artist Video

www.carolewisemusic.com

Die Schallplattenfirma der US-Liedermacherin heißt Soulful Cricket, allein das zu lesen, macht schon gute Laune. Auf dem Cover sitzt die Künstlerin mit ihrer Gitarre vor blühenden Bäumen, die Grillen hört man in Gedanken im Hintergrund. Dann aber die Musik, „The Long Way Home“, das klingt nach Heimweh und bitterer Mühsal, aber es ist eigentlich eine Sammlung von Liedern, die Hoffnung machen. Es geht ziemlich schwungvoll los, mit „View from our Window“, dann folgen zwei Walzer, und Titel wie „New Frontier“ und „Make your own way“ zeigen das Programm: Wir sind auf einer langen Wanderung, durch das Leben, durch die Welt, durch unser Herz, und es kommt darauf an, dass wir auf dieser Wanderung den Mut nicht verlieren und das Beste daraus machen. Das alles wird musikalisch reich variiert erzählt, alle Lieder hat Carole Wise selbst geschrieben, sie spielt Gitarre und Mandoline und hat u.a. die wunderbare Cellistin April Reed-Corr zur Verstärkung dabei. US-Folk vom Feinsten also.
© Gabriele Haefs


Väsen "Duo"
Noside, 2021

André Ferrari / Olov Johansson "In BeatWeen Rhythm"
Olov Johansson Musik, 2021

English CD Review

Artist Video

www.vasen.se

Väsen, ein schwedisches Duo, macht Musik wie eine ganze Kompanie. Olov Johansson und Mikael Mann spielen alle möglichen Arten der Nyckelharpa, dazu Geige und Violoncello. Vieles von ihrem Material stammt aus den Sammlungen älterer Spielleute, einiges schreiben sie selbst, wobei sie fest in der schwedischen Tradition wurzeln. Eine Ausnahme: „Den gröna ön“, inspiriert von Besuchen in Irland und der irischen höfischen Tradition, vor allem der Suantraí. Wunderbar sanft und melodisch. Sie können es aber auch schmissig, das hören wir bei der Eigenkomposition „Gruffalon“ („Der Grüffalo“), das ist einfach witzig und wir sehen ihn vor uns, und bei „Fröken ska få löken“ – das fast die Melodie von „Im Grunewald ist Holzauktion hat! Zum Heulen traurig ist schließlich „Marstalla-Olles Brudmarsch“. Die Braut wird namentlich nicht genannt, aber ehe wir jetzt eine Tragödie vermuten: Der Brautmarsch auf einer schwedischen Hochzeit musste so langsam sein, damit das glückliche (oder auch nicht) Paar dabei langsam an allen Gästen vorüberdefilieren konnte. Jedenfalls, eine CD, auf der ungeheuer viel zu entdecken ist!

www.olovjohansson.se
www.ferrarhythm.com

Artist Video

Zwei Schweden mit einem sehr unschwedischen Namen, aber fester Verwurzelung in der schwedischen Folkszene: Olov Johansson spielt nämlich auch bei Väsen. Dort eher der Tradition verhaftet, lässt der Virtuose auf der Nyckelharpa hier zusammen mit dem Percussionskünstler André Ferrari seiner musikalischen Phantasie freien Lauf. Ein Kalauer liegt nahe: Wenn jemand Ferrari heißt, muss Tempo dabei sein, und so ist es wirklich. Tempo und Drama. Das erste Stück dieser reinen Instrumental-CD geht los wie Tschaikowski auf Speed, mit gewaltigem Paukenschlag sozusagen, dann wird losgefetzt. Das Stück, wie alles hier von den beiden selbstgeschrieben, heißt „Skevschottis“, „Schiefer Schottisch“, und so klingt es auch – die traditionelle Melodieführung scheint durch, aber immer wieder ändert sich der Rhythmus, und sofort wirkt alles ganz anders. Auch andere Titel zeigen die musikalische Richtung an: „Dusch“, „Short Beats“ und „Intekonsekvenst“, was „nichtkonsequent“ bedeutet, aber konsequent ist die CD schon mit ihren vielen Überraschungen, und jedenfalls spannend.
© Gabriele Haefs


Christina Lux "Lichtblicke"
Luxuriant, 2021

English CD Review

Artist Video

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www.christinalux.de

Christina Lux liebt Macaronics, das sind Lieder, die von einer Sprache in die andere wechseln. Bei ihr sind das Deutsch und Englisch, besonders schön zu hören bei Liedern wie „True Self“ und „Ins Licht“. Sie schreibt alle ihre Lieder selbst, und ihr Gesangsstil erinnert ein bisschen an Udo Lindenberg, das Schleppende, Gedehnte, Lässige. Oft sind die Lieder im Walzertakt, gebührend akzentuiert vom Schlagzeug. Themen – das Wahre Selbst, klar, ein bisschen Hoffnung, obwohl die Welt in einem miesen Zustand ist: „Am Ende zählt nur eins, ob du ein Arsch wirst oder ein Liebender“ (in der maskulinen Form, warum auch immer, an anderer Stelle fordert sie uns auf, der Königin in uns auf ihren Thron zu helfen!). Wunderschön das Lied vom „Flieger aus Papier“, ein kleiner Gruß an Ikaros, sozusagen, fliegen wir los, und wenn es schiefgeht, wir haben es immerhin versucht! Es gibt so viel zu entdecken in diesen Texten, und es ist perfekte Musik zum Zuhören, am besten bei einem guten Glas Wein!
© Gabriele Haefs


Seinerzeit "Erste Runde"
Own label, 2021

English CD Review

www.seinerzeit.online

Die lippische Stadt Detmold scheint eine Art Brutstätte für Talente zu sein, die die Musikszene weit über Detmold hinaus bereichern, nennen wir nur Ferdinand Freiligrath, Georg Weerth und Josef Plaut. Was können wir also von einer neuen Band von dort erwarten, die sich noch dazu Seinerzeit nennt? Lippische Schützen und Trotz alledem, schön vermischt und zu etwas Neuem aufgekocht? Seinerzeit überraschen überaus angenehm, sie beschreiten ganz neue Wege, und doch schimmern die Traditionen und die großen Ahnen durch. Bei ihnen tost das Leben, Idylle ist ein holder Wahn, so verlockend sie auch erscheinen mag. Die belästigte Frau fackelt nicht lange, sondern zieht das Messer, und ein wilder Männerchor schreit nach Zärtlichkeit und droht, alles in Grund und Boden zu schmusen – so wunderbar wird mit verwurzelten Vorstellungen gespielt, und dass wir dann zu einem Mutausbruch aufgefordert werden, dass Freundschaft gelobt wird, dass wir erfahren, dass nur durch Helga das Heil kommen kann, und dass Gender delenda est und wir endlich weg wollen von den verdammten Rollenklischees, das alles wird musikalisch wunderbar serviert und aufs Feinste mit Bass, Kazoo, Streich- und Zupferei und Akkordeon untermalt. Mehr davon, her mit der zweiten, dritten und vierten Runde!
© Gabriele Haefs


Daniel Wahren "Celtic Mythos"
Own label, 2021

English CD Review

www.danielwahren.com

Der englisch-deutsch gemixte Titel zeigt die Richtung an: keltisches Zwielicht, Mythen, Musik, die das Gefühl anspricht, ideal für Menschen, die sich zur „keltischen“ Kultur hingezogen fühlen, aber nicht zu tief in die Materie einsteigen mögen. Die Musik, die Daniel Wahren mit seiner Band vorträgt, ist wunderschön. Er spielt Harfe und Nyckelharpa, und dieses schwedische Instrument passt hervorragend zur höfischen Musik der alten gälischen Oberklasse, wobei Suantraí überwiegt. Als letzter Vertreter der Harfner alter Zeiten ist hier Carolan vertreten. Dazu gibt es neugeschriebene Lieder, die sich an oft mit den keltischen Kulturen in Verbindung gebrachte Symbolik anlehnen. Gewöhnungsbedürftig sind allerdings die auf der CD vertretenen Lieder. Die Sängerin Marta Hornik hat eine phantastische Stimme, aber auch einen Hang zu dramatischem Sprechgesang, der nicht unbedingt zum Text passt. Das schottische „Tha mì sgith“ z.B. klingt, als solle der Teufel beschworen werden, im Text geht es eher harmonisch zu. Es klingt überhaupt, als sei der Sängerin die Sprache fremd, sozusagen per Lautschrift gelernt, und das nicht immer sauber. Der irische Politiker Cathal Brugha hat kein englisches th in seinem Namen, diesen Laut gibt es im Irischen nämlich gar nicht. Aber über solche kleinen Irritationsmomente tröstet die einfach wunderbar liebliche Instrumentalmusik spielend hinweg.
© Gabriele Haefs


Quote the Raven "Can’t Hold The Light"
Own label, 2021

English CD Review

Artist Audio

www.quotetheravenofficial.com

Quote the Raven ist ein Duo aus Kanada, bestehend aus Kirsten Rodden-Clarke und Jordan Coaker – furchtbar leicht, Croaker zu lesen, wenn wir schon beim Raben sind. Das hätte Jordan C. aber nicht verdient, er hat eine überaus klangvolle Stimme, dazu spielt er mehrere Gitarrentypen. Eine wunderbare Stimme hat Kirsten Rodden-Clarke, und beide zusammen sind ein wahrer Ohrenschmaus. Quote the Raven, es erinnert zu sehr an Edgar Allan Poes berühmtes Gedicht, um nicht nach Anspielungen zu suchen – quote statt quoth? Poe in modern? Die Suche ist verlockend und bringt überraschende Ergebnisse; die letzte Zeile im letzten Lied lautet: „Never is an awfully long time“. Mehr wird hier nicht verraten. Musikalisch geht es los mit Anklängen an Country, es gibt einen Walzer zum Dahinschmelzen, manchmal klingt es nach Barmusik, bei anderen Liedern – alle vom Duo selbstgeschrieben – könnte der große Landsmann Gordon Lightfoot als Inspiration gedient haben, kurzum, dieses Duo aus Kanada ist eine wahre Entdeckung!
© Gabriele Haefs


Declan O’Rourke "Arrivals"
East West, 2021

English CD Review

Artist Video

www.declanorourke.com

Declan O’Rourke, Liedermacher aus Dublin, beschäftigt sich schon lange ausführlich mit Themen verschiedenster Art, auch gern mit historischen. Eine lange Ballade (wie alle Lieder auf der CD von ihm selbst geschrieben) handelt z.B. von den irischen Feniern, die nach dem erfolglosen Aufstand von 1867 in Ketten nach Australien deportiert worden, als „slaves without the name of slaves“, wobei der Sänger behutsam und ohne lehrerhaft zu wirken Bezüge zur heutigen Wirklichkeit einbezieht. Auf allen Stücken hier zeigt er sein hervorragendes Gitarrenspiel, als Gastmusiker ist der bekannte Pianist Paul Weller dabei. Wenn schon das Gitarrenspiel gelobt wird, muss auch etwas über seinen Gesang gesagt werden, der ist nämlich auch virtuos, und Declan O’Rourke liebt die tiefen Töne und kommt wirklich sehr weit nach unten. In vielen Liedern widmet er sich dem Alltag, Heimweh, Fernweh, Sehnsucht nach geliebten Menschen und den Sternen über Kinvara, einem Ort im Co. Clare, der ihm sehr viel bedeutet. Und er hat eine jetzt nicht mehr heimliche Liebe zur griechischen Mythologie, das beweist sein Lied über Zeus und Apollo. Perfekter Hörgenuss für Percy-Jackson-Fans!
© Gabriele Haefs


Stampestuen "Brev fra Amerika"
Terjeb Production, 2018

English CD Review

Artist Video

www.stampestuen.com

Skandal, diese CD ist 2018 erschienen, wie konnte sie uns vier Jahre lang vorenthalten bleiben? Stampestuen sind ein norwegisches Quartett, eine Frau und drei Männer, die eine Vielzahl von Instrumenten spielen und grandios singen, egal, ob a-capella oder zu instrumentaler Begleitung, ob solo oder zu mehreren, jedes Lied ist ein Genuss. Und jedes Lied ist zugleich ein Zeitdokument, Briefe aus Amerika eben, wie der Titel verheißt. Es sind Lieder aus dem 19. Jahrhundert, als Norwegen – gemessen an der Bevölkerungszahl – das zweitgrößte Auswandererkontingent aus Europa in die USA lieferte, nur noch übertroffen vom durch Hungersnöte gepeinigten Irland. Die Texte unterscheiden sich so stark wie die Melodien, manche sind munter (endlich geht es los und in Amerika muss einfach alles besser werden), es sind Walzer darunter und wir hören geradezu den Leierkastenmann, der den Daheimgebliebenen diese Kunde vermittelte. Manchmal ist es furchtbar traurig, wenn die Erzählstimme im Lied eigentlich gar nicht weg will, will die alten Eltern nicht verlassen, die Liebste oder den Liebsten, die Heimat ganz allgemein, aber die Not zwingt dazu. Anders als in z.B. irischen oder deutschen Auswandererliedern spielt die Politik überhaupt keine Rolle als Grund zum Auswandern. Außer Not und Armut wird nur noch ein Grund genannt: Aus einer scheinbar ausweglosen Liebesbeziehung zu entkommen.
© Gabriele Haefs


Tune Wood "Natural Wood"
Own label, 2021

English CD Review

Artist Video

www.tunewood.de

Tune Wood ist ein Duo, bestehend aus den Musikerinnen Milena Hoge und Stefanie Gärtner, auf ihrer ersten CD zeigen sie, dass ihre musikalischen Vorlieben in Richtung Irland gehen. Milena Hoge spielt Harfe, Stefanie Gärtner Holzquerflöte. Irgendwer spielt auch Bodhrán (wer, wird nicht gesagt). Die Harfe hat es in sich, es ist eine böhmische Hakenharfe. Sie passt wunderbar zur derzeit üblichen irischen Musik, steuert aber auch einen besonderen Klang bei, ein heller Klang wie Glöckchen. Klar, dass auf der CD Stücke bekannter irischer Kollegen vertreten sind, wie Turlough O’Carolan und Ruairí Dall Ó Cathain – warum bei dem einen der Name in englischer Umschreibung angegeben ist, bei dem anderen jedoch das irische Original, verrät das CD-Cover nicht, überhaupt scheint das Duo der irischen Sprache eher gleichgültig gegenüberzustehen, aber sie wollen ja auch Musik machen und (offenbar) kein Irisch lernen. Bei der Musik wechseln sich langsame und schnelle Stücke ab, und neben den bekannten Stücken der blinden Harfner gibt es auch neue Kompositionen und als Instrumental gespielte Lieder, wie „As I roved out“ (die von Andy Irvine gesungene Version). Und alles ist gleich schön zu hören.
© Gabriele Haefs


Tworna "Tworna"
Own label, 2020

English CD Review

Artist Audio

Artist Video

tworna.jimdofree.com

Das Dresdner Trio Tworna wird von der Musikpresse enthusiastisch gefeiert als große Offenbarung und Erneuerung der Folkszene, der deutschen Volksmusik, ach, die Superlative wollen kein Ende nehmen und sollen hier nicht noch mal aufgezählt werden. Es reicht doch zu sagen: Sie treffen zu, aber sowas von. Die Twornen erzählen in Interviews, dass sie eher von der Klassik kommen und eher durch Zufall in die Folkwelt gestolpert sind – es gibt wahrlich wunderbare Zufälle. Die Herkunft von der Klassik scheint durch, zeigt sich immer wieder an überraschenden Arrangements. Das erste Stück klingt sakral, wie aus einer anderen Welt – es ist ein Choral von Paul Gerhardt, endlich wird also hierzulande mit dem Heben dieser musikalischen Schätze begonnen. Es geht weiter mit dem „Schweren Traum“, also, richtig lustig wird es nicht auf der CD, außer bei dem zungenbrecherischen Tanzlied „Heiße Kathreinerle“. Unbeantwortete Liebe („Und in dem Schneegebirge“), sexuelle Gewalt („Heideröslein“), Sehnsucht („Wenn ich ein Vöglein wär“), sogar das sonst gern schmissig vorgetragene „La Marmotte“ klingt hier eher zart und zagend. Aber so wunderwunderschön. Eine Art greatest traurige Hits aus dem deutschen Liederhort, und die fröhlichen kommen dann hoffentlich auf Vol. 2.
© Gabriele Haefs


Eric de Vries "Song and Dance Man"
MIG Music, 2021

English CD Review

Article: Stories with Depth and Passion

www.ericdevries.info

Der Niederländer Eric de Vries schreibt und singt in englischer Sprache, und das muss mal gleich gesagt sein: Er schafft die Aussprache ohne die Peinlichkeiten, die das Hören bei Leuten, die meinen, unbedingt Englisch singen zu müssen, oft zur Qual machen. Er ist bei beeindruckend vielen Festivals in den USA aufgetreten, z.B. bei Woody-Guthrie-Festivals, hat mit Iain Matthews zusammengearbeitet und wird von phantasielosen Rezensenten als „Chris Hillman der Niederlande“ bezeichnet. Aber er hat durchaus seinen eigenen Stil, inspiriert von Folk, Country und Blues. Song and Dance Man, nennt er sein Album, und es fehlt nicht an schmachtenden Walzern, z.B. „Ballad of a song and dance man“ (und auf dem Cover tanzende Füße, ein Paar in so furchtbaren Stiefeln, dass schon beim Hinsehen die Füße schmerzen, aber geht auch mit normalen Schuhen!). Titel wie „But for the grace“ und „Jericho Walls“ zeigen die Anlehnung an überlieferte sprachliche Bilder, das letzte Lied dagegen bricht mit der Country-Verbindung und versetzt uns ins abendliche Amsterdam, beim Hören unbedingt einen Genever zur Hand haben!
© Gabriele Haefs


Synnøve Brondo Plassen "Hjemve"
Own label, 2021

English CD Review

Artist Video

www.synnoveplassen.com

Die Liste der Stücke lässt eine reine Instrumental-CD vermuten – „Springar“, „Springleik“, aber „Bom-bom-leiken“ („Das Bum-Bum-Spiel“)? Was davon zu halten ist, hören wir sehr schnell. Synnøve Brondo Plassen aus dem norwegischen Folldal hat sich auf Lieder ohne Worte bzw. auf Lieder mit Zungenbrechern spezialisiert. Mit ihrer phantastisch klangvollen Stimme trällert sie Tanzmelodien, manchmal sind Wort- oder Textfragmente enthalten. So bei „Ha du sett nokor gåmmål kjerring“ – „Hast du eine alte Frau gesehen?“, die alte Frau, von der in der einzigen erhaltenen Strophe die Rede ist, sitzt drüben und kratzt Wolle, und aus Vergleichen mit anderen Textresten wissen wir, dass es sich hier um die allerletzten Reste eines uralten Zauberliedes handelt. Obwohl Synnøve Brondo Plassen auf die Lieder früherer SängerInnen zurückgreift, vieles hier stammt z.B. aus dem Repertoire von Jenny Eide (1911 – 2003), ebenfalls aus Folldal, geht es ihr um den Klang, um die Vermittlung von Sing- und Sprechfreude, und diese Freude überträgt sich beim Hören, man bekommt fast Lust, selbst loszuträllern.
© Gabriele Haefs


Ainsley Hamill "Not Just Ship Land"
Own label, 2021

English CD Review

Artist Video

www.ainsleyhamill.com

Ainsley Hamill ist eine Liedermacherin aus Schottland, genauer gesagt aus Glasgow, noch genauer gesagt, aus dem Stadtteil Govan. Der alte gälische Name des Ortes bedeutet „Schmiedestadt“, und das zeigt, wohin die Reise geht, die Geschichte von Govan, die Brücke hinüber nach Glasgow, die Menschen, die dort wohnen, viel Arbeit und viel Armut. Das klingt jetzt richtig schottisch-traditionell, aber Ainsley Hamill geht musikalisch ihre eigenen Wege, singt nicht einmal mit schottischer Aussprache, und die instrumentale Begleitung (leider furchtbar wenig Infos im Beiheft) klingt wie die Musik zu einem dramatischen Film. Nur im Lied „The Daffodil King“ klingt es ein bisschen schottisch, wie musikalische Zitate aus „Loch Lomond“. Der Osterglockenkönig war Peter Barr (1826-1909), der ein System zur Katalogisierung der verschiedenen Osterglockenarten ersann. Auch anderen Persönlichkeiten sind Lieder gewidmet, den Frauen, die während des Ersten Weltkriegs für menschenwürdige Behausungen kämpften und zum Vorbild für viele spätere Streikaktionen wurden.
© Gabriele Haefs


Deutschmann / Moheit / Stadlober
"HEYM - Vom Aufstoßen der Fenster"
Argon Verlag, 2021

English CD Review

www.robertstadlober.com

Stefan Heym ist als Lyriker im öffentlichen Bewusstsein sicher nicht richtig präsent, die Romane sind bekannt, seine späten Auftritte als Alterspräsident des Bundestages, und vielleicht ist es verzeihlich, die CD in die Hand zu nehmen und zu denken: Wunderbar, Georg Heym. Dann die große Überraschung, keine irren expressionistischen Sprachbilder, sondern die klare konkrete Sprache, die wir aus den Romanen kennen, Stefan Heym eben. Überraschend auch, wie viele Gedichte mit Endreim der Zeilen er verfasst hat – und das vorliegende Album bringt nur eine kleine Auswahl aus seinem in den 30er Jahren entstandenen lyrischen Werk. Naziterror, Exilerfahrungen, der Versuch zu überleben, die Suche nach Solidarität prägen die Texte, nicht unbedingt erheiternd, zumal die Stimme des Dichters auch Gedanken der Resignation laut werden lässt: „Das Wesenlose mag versinken, in aller Uhren Stundenrund. Ich will im Strom der Zeit ertrinken, still schlafen auf des Stromes Grund.“ Vertont wurden die Gedichte von Robert Stadlober, es singen Robert Stadlober und Klara Deutschmann, Daniel Moheit spielt Akkordeon. Bei den Mitwirkenden ist auch Andreas Spechtl für „Zauberei“ aufgelistet. Spannend!
© Gabriele Haefs


Dymala "Wellen"
Prosodia, 2017

Dymala "… von Kranichen und Krähen"
Prosodia, 2021

English CD Review

Artist Video

www.dymala.wordpress.com

Ohne Infos kommen diese beiden CDs von Sebastian Dymala, der in einem kleinen Ort am Deister lebt, arbeitet und musiziert. Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen: Er und seine Texte sind fragend, spiegelnd, spielend, übersetzend, allparteilich, differenzoffen, interessiert, diskriminierungskritisch, methodisch passend, kreativ, geduldig, humorvoll. Stimmt, melodisch ließe sich noch hinzufügen, jedenfalls, was die Melodien angeht. Er singt und spielt Gitarre, auf beiden CDs machen außerdem Johannes Westpfahl (Gitarre und Gesang) und Simon Lohse (E-Bass und Ukulele) mit. Die erste CD ist ruhiger als Nr. 2, ein bisschen alltagsmelancholisch. Nr. 2 dagegen setzt schmissig ein, mit einem Sufflied im Shantyrhythmus, Männergesang und so, das endet dann mit einer Liebeserklärung. Und gleich danach geht es sakral weiter, es ist aber auch ein „altes Lied“, vorgetragen wir eine Litanei. So abwechslungsreich sind die beiden CDs. Schön auch, dass auf jeder ein französisches Lied vertreten ist. Und schön, wie Redensarten auf ihren Sinn und Unsinn abgeklopft und auf den Kopf gestellt werden: „Wo rohe Kräfte sinnvoll walten …“
© Gabriele Haefs


"Manfred Pohlmann singt Peter Weißgerber -
Manfred Pohlmann hört Ute Zimmermann"
Schnoog, 2020

English CD Review

www.manfred-pohlmann.de

Der Infotext im Beiheft stimmt bedenklich: „Vielleicht wird dies meine letzte CD sein“, schreibt der moselfränkische Liedermacher Manfred Pohlmann, wieso das? Das wollen wir doch nicht hoffen … aber jedenfalls, diese CD wäre ein grandioser Abgesang. Wír hören eine Auswahl aus dem reichen Schaffen von Manfred Pohlmanns Landsmann und Freund Peter Weißgerber (ein Herz-Jesu-Marxist, von Franz Josef Strauß einst gesagt, um Norbert Blüm zu beleidigen, hier als Gütesiegel verwendet). Die Melodien sind ziemlich variiert, meistenteils auf Schriftdeutsch, aber mit moselfränkischen Einsprengseln, die Melodien manchmal jazzig, dann wieder im traditionellen Liedermacherstil, mitten dazwischen ein Liebeslied von François Villon („Ich hab mich in dein rotes Haar verliebt“, in Nachdichtung von Paul Zech), eine Huldigung an den großen Kollegen Georges Brassens, dazu eine Menge Instrumente: Akkordeon, Hackbrett, Gitarre, Mundharmonika, Flöte, Klavier, um nur einige zu nennen. Und dann der Wechsel: Die Mundartdichterin Ute Zimmermann kommt zu Wort und Manfred Pohlmann hört andächtig zu.
© Gabriele Haefs



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