FolkWorld Ausgabe 33 05/2007; Artikel von Walkin' T:-)M


Theodor Kramer

Theodor Kramer, Gesammelte Gedichte in 3 Bänden. Hrsg. von Erwin Chvojka. Paul Zsolnay Verlag, Wien.

Theodor-Kramer-Gesellschaft
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Wie geschaffen zu singen
Theodor Kramers Werk lebt ...

Theodor Kramer (1897-1958), ein ehemals populärer, während der Nazi-Diktatur emigrierter jüdischer Dichter aus Österreich. Nahezu vergessen und den meisten Zeitgenossen unbekannt erfreut sich sein Werk neuerdings wieder der Aufmerksamkeit deutsch-sprachiger Interpreten. Das Berliner Duo Harald Hahn und David Fuhr sowie der Magdeburger Liedermacher Thomas Riedel gaben Antwort auf die Frage, wie sie den Poeten für sich entdeckt haben.

Thomas Riedel: Durch Zufall bekam ich zu Beginn der 80er Jahre das Manuskript eines Gedichtbandes in die Hand, das kurz vor der Veröffentlichung in der DDR wohl nicht auf die richtigen Gönner traf. Damals war ich von einer Gier besessen, alle Gedichte, die mir inhaltlich aus der Seele sprachen, zu vertonen. Die vorliegenden Kramergedichte hatten Poesie und Kraft, somit entstanden die ersten Lieder. Mehr als fünf Jahre später erhielt ich meinen ersten Kramer-Gedichtband - eine Reprintausgabe der in England gedruckten Gedichte "Verbannt aus Österreich".

Harald Hahn: Über Zupfgeigenhansel. Die haben ihn in den 80ern in Westdeutschland bekannt gemacht mit der Platte "Andre die das Land so sehr nicht liebten". Die wiederum hatten die ersten Gedichte von Hans-Eckhardt Wenzel, einem Ostberliner Clown und Liedermacher, bekommen. Denn im Gegensatz zur BRD wurde in der DDR wenigstens ein kleines Bändchen von Kramer gedruckt.

Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan. Ich darf schon lang in keiner Zeitung schreiben,
Die Mutter darf noch in der Wohnung bleiben. Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan.

Der Greisler schneidet mir den Schinken an und dankt mir, wenn ich ihn bezahle, kindlich;
Wovon ich leben werd, ist unerfindlich. Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan.

Ich fahr wie früher mit der Straßenbahn und gehe unbehelligt durch die Gassen;
Ich weiß bloß nicht, ob sie mich gehen lassen. Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan.

Es öffnet sich in mir kein Land die Bahn, ich kann mich nicht von selbst von hinnen heben:
Ich habe einfach keinen Raum zum Leben. Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan.

Harald Hahn & David Fuhr

Harald Hahn & David Fuhr
Lob der Verzweiflung, 2006

Beim sechsten Bier / Für die, die ohne Stimme sind / Alte Arbeiter / Weißer Wein und roter Wein / Zu End / Die letzten Gewehre / Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan / Wer läutet draußen an der Tür? / Für die, die ohne Gräber sind / Stehn meine Bücher / Brief übers Meer / Immer / Nachtlied & Frühlied / Ich habe zuviel und zu gerne gelesen / In der Stadt, ihr Genossen!

Thomas Riedel: Als Liedermacher habe ich neben der Vertonung der eigenen Texte auch Texte gesucht, die erstens in mein Programm passen, eine politisch-gesellschaftliche Aussage beinhalten und unser Auge und unser Gefühl für Dinge wecken, die im alltäglichen Leben kaum eine Erwähnung finden bzw. nicht so populär sind. Da bin ich auf die Texte von Kramer gestoßen, der mit einem wachen Blick das Leben beschreibt. Über Randgruppen, Macht und Ohnmacht, erstarkenden Faschismus, Trinker, Arbeitslose, Soldaten, Krieg, Verachtung, Ausgrenzung usw. Und wenn ich so am Aufzählen bin, merke ich schon, dass diese vielen Themen überhaupt nicht erledigt sind, sondern immer wieder Stoff für neue Texte bilden.

Es ist augenblicklich ungeheuer populär, Gedichte von Theodor Kramer zu vertonen. Was kann der Grund dafür sein?

Harald Hahn: Die Gedichte von Kramer sind wie geschaffen, sie zu singen, und Kramer ist nicht so abgehoben und pathetisch. Und er ist nah dran an den Leuten, über die er schreibt, macht sich sozusagen - als Verfolgter und Flüchtling oft notgedrungen - auch dichterisch die Hände schmutzig. Er ist frech und hat keinen elitären Respekt vor menschlichen Themen.

Thomas Riedel: Bei Kramer begegnen wir einem Phänomen. Seine Texte scheinen uns oft aktuell, als seien sie heute und eben geschrieben, obwohl sie teilweise sechzig und mehr Jahre auf dem Rücken haben. Ein Zeichen, dass sich soviel im mitmenschlichen Umgang nicht geändert hat. Wenn man als Zuhörer oder als Leser auch nur einen Funken Gefühls- oder Herzensbildung besitzt, so wird man durch Kramers Zeilen ergriffen und fühlt auch die Verzweiflung und einen enormen Willen und Mut, die Dinge zu benennen, mit denen er sich nicht abfinden konnte. Man weiß um die Ausgrenzung seiner Person, die sich durch die jüdische Herkunft begründete, und wir können froh sein, dass Kramer in der letzten Minute Deutschland verlassen konnte, wodurch sein Werk erhalten blieb, das über 12.000 Gedichte umfasst. Diese drei- bis fünfstrophigen Gedichte kompensieren in wenigen Worten ein ganzes Universum oder charakterisieren die Personen, ihr Umfeld, ihr Denken und Handeln, und lassen sie plastisch vor uns stehen, zum Greifen nah. Man kann sie durch die Beschreibung förmlich riechen und ist betroffen durch die Beschreibungen von Tod, Elend, Hunger und Kerkerhaft.

Mein Leben war nichts als ein langes Verlieren, ich wuchs auf dem Dorf mehr als lässig heran;
Doch statt zu studieren hieß bald es marschieren zur Front, halb noch Kind und halb schon ein Mann.
Mir ward das Gesicht in Wolhynien zerschossen, das Blut strömte süß und gerann mir im Mund;
Ich trieb nach dem Krieg mich herum in den Gossen und ward davon nie mehr so richtig gesund.

Das Leben ging schwerer und leiser, und alles, was war, schien ein Traum;
Doch draußen am Kreuzweg, ein Weiser, glomm rot noch der Vogelbeerbaum. [...]

Heute feg ich den Rost und spül Teller und Tassen, einschrumpft mir der Mutterlaut schluchzend im Mund;
Wie tief wird das Leben mich sinken noch lassen, was leb ich, was geh ich nicht endlich zu Grund?

Das Leben geht niedrer und leiser, und alles, was war, scheint ein Traum;
Doch draußen vorm Fenster, ein Weiser, gleißt rot noch der Vogelbeerbaum.

Thomas Riedel

Thomas Riedel & Hubertus Schmidt
Verbannt aus Österreich

Verbannt aus Österreich / Die Nacht ist noch so jung / Nach einem Ausflug / Als ich schied zum ersten Mal / Das reuige Mädchen / Auf Schub / Im Burgenland / Liebe in London / Lied der Bahnwächtersfrau / Der Heimgekehrte / Wenn du schon schläfst / Wer läutet draußen an der Tür / Vom schwarzen Wein / Abend 1939 / Die Gaunerzinke / Mein Leben war nichts als ein langes Verlieren / Der Hügel / Wann sich im Herd die Asche wellte / Ich bin traurig, dass der Raps verblüht / Lass uns schlafen / Dürres Laub, das sich vom Stengel trennt / Rast am Wagram / Morgen wird umsonst der Milchmann klopfen / Die alten Geliebten

Was hat euch bei euren Vertonungen und Arrangements geleitet?

Harald Hahn: David Fuhr und ich wollten musikalisch etwas Eigenes machen, hatten aber wenig eigene Texte. Kramer war etwas Neues für uns, ein sehr eigener und den Menschen naher Stil. Wir haben einfach gemeinsam, im Kollektiv sozusagen, drauflos improvisiert und sehr schnell ein Kleinkunstmusical zusammengehabt.

Thomas Riedel: Hubertus Schmidt und ich haben uns damals bei den CD-Aufnahmen für eine Klavierbegleitung entschieden. Das macht es auch auf dem Konzertboden leichter, obwohl ich bei den Konzerten viel öfter zur Gitarre greife als auf der CD. Bei den Vertonungen habe ich zu vielen Liedern eine Besetzung für Gitarre mit anderen Instrumenten - teilweise mit Streichquartett, teilweise mit Bläsern - im Kopf gehabt.

Wie reagiert das Publikum auf diese Stücke? Wer wird von Theodor Kramer angesprochen?

Harald Hahn: Das kommt darauf an, was man aus ihm macht! In Einzelfällen haben Leute unser Programm verlassen, wenn sie sich auf einen edlen Kunstliedabend bei einem teuren Glas Rotwein eingestellt hatten. Aber im allgemeinen ist unser Publikum sehr dankbar, dass wir ihnen die ganze Person Kramer und darüber seine Zeit - auch die schrecklichen Aspekte - näherbringen und ans Herz legen. Wir haben sowohl vor sehr alten Mitgliedern der Kommunistischen Partei Österreichs - quasi noch Zeitgenossen Kramers -, als auch vor Schülerinnen und Schülern von 16 Jahren in ehemals besetzten Häusern, Studi-Kellern und Stadttheatern gespielt. Es war jedes Mal anders, aber immer sehr spannend.

Als mein Liebster seinen Ranzen schnallte und von mir zu den Soldaten ging,
Bogen wir vom Bahnhof noch ins alte Erlenholz ein, das uns schön umfing.
Durch die Stauden glommen Mohn und Rade, aus dem Korn her und der Kuckuck rief;
Ach wie ist es schade, ewig schade, das mein Freund nicht damals mit mir schlief!

Aus den Lüften lernte er zu zielen, und mich rief man zum Granatendrehn;
Und ich war oft müd', und mit so vielen war es leicht, am Abend auszugehn.
Oft nahm ich sein Bild nachts aus der Lade und wie plagte ich mich mit dem Brief;
Ach wie ist es schade, ewig schade, dass mein Freund nicht damals mit mir schlief!

Morgen wird mein armer Liebster kommen und von mir wird er nun nimmer gehn,
Denn sie haben ihm ein Bein genommen und ich hab derweil zuviel gesehn.
Wie das Dunkel, das um Mohn und Rade floss, ist nimmer eine Nacht so tief;
Ach wie ist es schade, ewig schade, dass mein Freund nicht damals mit mir schlief!

Heike Kellermann & Wolfgang Rieck
Was solln wir noch beginnen, 2006

Lied am Bahndamm / Zur Baumblüte / Wenn man hinter dem Dorf einen Bach reguliert / Trinklied vorm Abgang / Von den Furzen / Trinklied der Fünfziger / Der Traum vom vergessenen Mann / Das reuige Mädchen / Annemarie / Bitte um Geduld / Ich möcht mit dir, Liebste, gern liegen / Winterhafen / Schlaflied vom Rand der Welt / Ja, ich kann eine Liebste noch finden / Ich habe zu viel und zu gerne gelesen / Beim Stromwirt / Laternenlied / Es ist schön / Frühlied / Unter deine Decke / Und willst du mich am Abend sehn / Was solln wir noch beginnen
Wenzel, Vier Uhr früh, 2006
Nicht fürs Süße, nur fürs Scharfe / Von der Angst / Lob der Karten / Brief aus der Stadt / Vom Nicht-Beigeben / Laß uns schlafen / Stundenlied / Oh, käms auf mich nicht an / In schwerer Stunde gehen / Es war zur Zeit der Kirschen-blüte / Was die Vögel singen / Heut Nacht gehn die Akazien auf / Vier Uhr früh / Lob der Verzweiflung / Nachtlied

Thomas Riedel: Ich habe Kramer zu vielen Angelegenheiten gesungen und junge Menschen werden genauso angesprochen wie ältere. Man muss sich öffnen. Einer, der damit beschäftigt ist, sein Vermögen zu zählen oder den Chef herauszukehren, wird sich wohl kaum in den Kramerzeilen wiederfinden, durch sie ergriffen sein, noch einen Gefallen daran finden. So ist die Welt, sie ist aufgeteilt. Die Banker haben ihre Musik, ihre Repräsentationen, ihre Fernsehsendungen, und in der anderen Hälfte gibt es eben Dichter wie Kramer und viele, die ähnlich denken, fühlen und leben.

Was ist denn euer Lieblingsgedicht von Kramer?

David Fuhr: "Vogelbeerbaum". Weil es ein ganzes Leben in allen Aspekten erzählt, ohne pathetisch zu werden.

Harald Hahn: "Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan". Hat mich gleich berührt.

Thomas Riedel: Ein Lieblingsgedicht gibt es nicht.

Ich habe zu viel und zu gerne gelesen, ich hab mich bewegt wie auf ebener Bahn,
Ich bin all die Jahre zu sicher gewesen, ich habe mein Lebtag zu wenig getan.

Ich bin viel zu selten ins Grüne gegangen, ich habe bei Schmerzen zu viel oft gestöhnt,
Ich habe zu sehr an den Dingen gehangen, ich hab mich zu sehr an mein Tagwerk gewöhnt.

Ich hab mich zu viel in Gedanken betrachtet, ich habe die Worte zu wenig gesiebt,
Ich habe die andern zu wenig beachtet, ich hab meine Freunde zu wenig geliebt.

Ich bin ja auch stets viel zu offen gewesen, ich habe zuwenig an später gedacht,
Ich habe gelebt wie ein eigenes Wesen, ich hab es am Ende so schlecht nicht gemacht.

Photo Credits: (1) Theodor Kramer (unknown); (2) Harald Hahn & David Fuhr (website); (3) Thomas Riedel (website).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 05/2007

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