FolkWorld Issue 40 11/2009; Artikel von Morten Alfred Høirup (Übersetzung: John Høyer Nielsen)


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KLEZMOFOBIA
Die Geschichte einer einzigartigen Großstadtband

Kopenhagen hat sich in den letzten 10 Jahren in das nordische Zentrum für Klezmermusik entwickelt; eine Musik, die aus der jüdischen Musiktradition hervorgewachsen ist. Das Klezmer-Genre hat seit den 70er-Jahren ein Revival erlebt, und gedeiht bestens in ganz Europa, den USA und Süd-Amerika. In Kopenhagen beschäftigen sich besonders jüngere Musiker mit der Klezmermusik, so auch die Band Klezmofobia, die ihre Art von Klezmer als “New York Klezmer” bezeichnet; also jüdische Musik, die sich in der Großstadt unter dem Einfluss von neuen musikalischen Genren weiterentwickelt hat.

Klezmofobia

Es ist ein Sommervormittag auf der Wattenmeer-Insel Fanø im Südwesten Dänemarks. In der kleinen Inselstadt Sønderho sitzt der junge Klarinettist Bjarke Kolerus mit Kopfhörern versehen in einem kleiderschrank-ähnlichem Kleinraum und bläst auf seiner Klarinette. Erst neulich hat er vorzeitig sein Studium an der Klassischen Hochschule für Musik in Esbjerg abgebrochen, weil er - wie er selbst formuliert - “nicht die erforderliche Disziplin für die Klassische Welt besitzt, dafür aber eine große Lust auf musikalische Selbstbestimmung.” Bjarke Kolerus hat schon immer davon geträumt, eine Rock’n’Roll-Band zu gründen, mit seiner Klarinette im Vordergrund. Auf seiner Suche nach musikalischen Inspirationsquellen stolpert er über eine CD mit für ihn höchst interessanter Musik. Die CD ist “Rythm + Jews” von den Klezmatics aus New York.

Klezmermusik hat ihren Ursprung in der traditionellen jüdischen Musik aus Osteuropa der Vorkriegszeit: “Auf der CD Rythm + Jews versetzen die Klezmatics die alte traditionelle Musik in neue Zusammenhänge”, erzählt Bjarke Kolerus. “Als ich auf die CD aufmerksam wurde, wohnte ich in einem kleinen Zimmer in Sønderho auf Fanø. Meine Nachbarin, eine junge Frau, arbeitete Spätschichten in der Kneipe und hat lange geschlafen. Ich habe mich deshalb in ein ultrakleines Servicezimmer am fernen Ende des Flurs eingeschlossen, die Tür mit einer Matratze gedämpft, und hier habe ich meine Klarinette gespielt, Rythm + Jews genau abgehört, und bin dann auf die Jagd nach den Vorlagen der Klezmatics gegangen, also Aufnahmen jüdischer Einwanderer aus Osteuropa in die USA vom Anfang des 20. Jahrhunderts.”

Klezmofobias erster CD-Kontrakt

2004 ist Bjarke Kolerus nach Kopenhagen umgezogen. Er hat eine Ausbildung an der Carl-Nielsen-Hochschule für Musik auf Fünen absolviert (Folkmusik), und seine Studien über die jüdische Musik führten zur Gründung von Klezmofobia. Das Ziel ist, die alte traditionelle jüdische Musik mit allen möglichen musikalischen Genres zu verbinden, die man in Großstädten wie New York, Berlin oder Kopenhagen hören kann; kurz: ein Großstadthybrid des 21. Jahrhunderts, eng mit den alten Traditionen Osteuropas verknüpft.

Klezmofobia ist: Channe Nussbaum (Gesang), Bjarke Kolerus (Klarinetten), Ole Reimer (Trom-pete, Flügelhorn), Andreas Ugorskij (Gitarren), Jesper Lund (Bass-Balalaika), Jonatan Nuss-baum Aisen (Schlagzeug)

Icon Sound @ www.myspace.com/klezmofobia

Icon Movie @ www.klezmofobia.dk

Klezmofobia, die damals noch eine rein instrumentale Gruppe war, besteht aus Musikern, die früher alles Mögliche gespielt haben: von Latin über Funk, Surf und Rock’n’Roll bis hin zu klassischer Musik. Die Instrumente sind Klarinette, Trompete/Flügelhorn, E-Gitarre, Bassbalalaika und Schlagzeug, und die Musiker machen sich vorerst einen Namen in der Kopenhagener Untergrundszene.

Als Klezmofobia noch mit Anfangsschwierigkeiten kämpfen, geschieht aber etwas Spannendes. Die nordische Niedrigpreiskette “TIGER” beschließt, CDs in ihr Sortiment aufzunehmen, nach einem ganz neuen, vorher nie erprobten Konzept: Tiger fordert alle dänischen Bands auf, Demos einzuschicken. Mehrere hundert Bands bewerben sich, und Klezmofobia wird als eine von nur vier Bands für das Projekt ausgewählt. Das Angebot lautet: Klezmofobia kann eine CD auf dem neuen Label Tiger Records veröffentlichen. Sie müssen ein fertiges Masterband einreichen, Tiger Records übernimmt dann Layout und Herstellung, Vermarktung und Verkauf der CDs. Neu dabei ist, dass die CDs für unter 3 Euro verkauft werden; Klezmofobia erhält ungefähr 60 Cent pro verkaufter CD.

Ist das eine gute Idee oder reine Abzocke? Die Band hat ihre Zweifel: “Klar, wir haben uns genau überlegt, ob dies uns als Band abwerten würde. Ob wir - umgeben von billigen Bleistiften und Teekannen - unseren 'street credit' verlieren würden. Wie waren die anderen superbilligen Produkte im Laden hergestellt worden? Ist dies die entgültige McDonaldisierung unserer Musik, und was ist das eigentlich für eine Firma? Wir hatten unsere Bedenken, und haben den Kontrakt genau mit unserer Musikergewerbschaft studiert.”

Klezmofobia leitet eine Zusammenarbeit mit der Kopenhagener Sängerin Channe Nussbaum ein. Sie wird gebeten, die CD zu produzieren und auch ein paar Lieder einzubringen. Channe ist überall in Skandinavien als die “dänische Klezmer-Königin” bekannt. Sie bekommt nur zwei Probetage mit der Band und ihren skizzenartigen Entwürfen: “Ich habe dies gleich als supergeil empfunden. Die Band hatte diese wilde, jugendliche Punkenergie, die ich so sehr mag”, erzählt Channe, “aber sie ergänzten diese Energie mit der Fähigkeit, introvertiert, still und einfühlsam zu sein, und diese Aspekte entwickelten wir weiter.” Der CD-Kontrakt wird durchdiskutiert, einige der Bandmitglieder wollen lieber eine Weile für das Debütalbum warten, andere sehen das Angebot als die ganz große Chance. Die Band beginnt aber, ihr Material für das Album einzuspielen, in die Hoffnung, dass sie sich dadurch weiterentwickeln und in der dänischen Musikszene einen Namen machen können.

Klezmofobia

Klezmofobias Zukunft

Die Debüt-CD “Tanz!” von Klezmofobia wird kurz vor Weihnachten 2006 überall in Dänemark und Skandinavien von Tiger Records auf dem Markt gebracht, und es wird ein absoluter Verkaufserfolg. Bis heute ist “Tanz!” mit mehr als 20.000 Exemplaren verkauft worden, das bedeutet in Dänemark eine “Goldene Platte”, und ausserdem wurde “Tanz!” Ende 2007 mit dem Titel “Danish World Music Album of the Year” ausgezeichnet. Dieses Projekt hat die Bandmitglieder zusammengeschweisst, und die Sängerin Channe Nussbaum ist jetzt permanentes Mitglied von Klezmofobia, die dadurch ihr instrumentelles Repertoire mit Liedern in Jiddisch und Englisch ergänzt haben.

“Die CD “Tanz!” hat uns ausserhalb Kopenhagens bekannt gemacht” erzählt Bjarke Kolerus: “Wir hätten ohne das neue Konzept von Tiger Records nie so viele CDs verkaufen können. Aber eine gute CD zu produzieren, ist ja nur ein kleiner Teil der Arbeit. Wir müssen die ganze Zeit weiterarbeiten und unsere künstlerische Entwicklung vorantreiben, und das erfordert Kraft und Einsatz. Die CD hat uns aber eine Plattform geschaffen, wir haben einen Preis gewonnen, und das ist ein Vorteil auf dem Auslandsmarkt. In Dänemark ist die Konkurrenz sehr groß, und obwohl es unser Traum ist, wird es noch eine Weile dauern, bevor wir alle dänischen Provinzen erobert haben. Also schauen wir über die dänische Grenze hinaus und spielen jetzt oft im Ausland.”

Bjarke Kolerus und Channe Nussbaum aus Kopenhagen und ihre Band Klezmofobia haben die Herausforderung angenommen, und sehen die ganze Welt als ihren potentiellen Markt. Klezmofobia haben eine neue CD veröffentlicht: “Ganze Velt”, mit neue Kompositionen von den Bandmitgliedern, aber immer noch mit dem unverkennbaren “Großstadt-Klezmer-Sound”. Auch die Sängerin Channe Nussbaum hat neues Material eingebracht, und die Band hat mit ihr im Vordergrund das Konzept aufpoliert und auf Konzertbühnen, Festivals, in Rundfunk und TV präsentiert, in Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, Estland, Deutschland, Östereich und Mexiko.

Morten Alfred Hoirup
Morten Alfred Høirup (*1961) ist ein dänischer Musiker und Journalist. Er war Sänger und Gitarrist im Duo Haugaard & Høirup und arbeitet derzeit freischaffend für das Danish Roots-Projekt.

www.mortenalfred.dk, www.danishroots.eu
Channe Nussbaum: ”Wir hören oft nach unseren Konzerte im Ausland, in Deutschland zum Beispiel, dass die Vielseitigkeit und Variation in unserem Bühnenauftritt besonders geliebt wird. Es geschieht immer was Neues! Unsere Musik reicht von “Ost-Pop”-ähnlichen Liedern über traditionelle jiddische Balladen, Reihentänzen mit dem Publikum bis hin zu “Balkan Party” auf vollen Touren. Es ist supergeil, in den deutschen Universitätsstädten für russische oder osteuropäische Dissidenten und junge Deutsche mit Punkattitüden spielen zu dürfen, und dann am nächsten Tag in die Berge zu fahren, um dann in der örtlichen Synagoge mit jung und alt spielen und tanzen zu können. Diese Umstellungsbereitschaft ist für uns sehr wichtig, und wir meistern sie besser als die meisten. Da wollen wir gerne die Gelegenheit haben, dies dem Rest der Welt zu zeigen.”

Photo Credits: (1) Klezmofobia (from website); (2) Morten Alfred Høirup (by The Mollis).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 11/2009

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