FolkWorld Ausgabe 40 11/2009; Artikel von Christian Moll


„Ich wollte schon immer mal vier E-Gitarren auf Johann Strauß richten...“
Ernst Molden: Begegnung mit dem Wiener Lebensgefühl

Ich bin vor knapp zwei Jahren nach Wien gezogen – davor hatte ich mit Österreich oder speziell mit Wien nicht viel zu tun. Ich gebe zu, ich war doch etwas ignorant. So ist das halt. Ich habe Wien in der Zwischenzeit kennen und lieben gelernt.

Molden, Soyka, Stirner, Lee @ Karlsplatz

Ernst Molden @ FolkWorld: FW#38,#39,#40,#40

Icon Sound @ www.monkeymusic.at

Icon Movie @ www.youtube.com

www.ernstmolden.at
Ein Glücksgriff war für mich, dass ich Silvester 2008 bei FolkWorld-Redakteur Tom Keller die beiden Molden-Alben „Wien“ und „Foan“ gehört habe. Seitdem gehört Ernst Molden für mich untrennbar zu Wien. Er schafft es, die typische Wienerische Atmosphäre zu erzeugen.


luegerplatz
stubentor viertel zwölf und es kommt ein nebel
schnapp dir ein bier und dann rennen wir weg
stubentor bei der platane die zombies
ziehen dir mutter und schwester in dreck

Von seiner Biografie erfährt man von seiner Homepage: „Ernst Molden wird 1967 in eine Wiener Literaten- und Publizistenfamilie hineingeboren. Ein Studium der Germanistik bricht er ab, arbeitet stattdessen ab 1987 als Polizeireporter, später als Beilagenredakteur der Wiener Tageszeitung 'Die Presse'. 1991 bis 1993 ist er Dramaturg und Hausautor am Wiener Schauspielhaus unter Hans Gratzer (1940 - 2004). Seit 1993 arbeitet Ernst Molden als Musiker und Schriftsteller.“

Von seinen 4 Romanen habe ich bisher nur die beiden Neueren gelesen: „Austreiben“ und „Dr Paranoiski“. Er schafft es hier hervorragend, die verschiedenen Schauplätze sehr genau darzustellen. Besonders hervorzuheben ist dabei die passende Atmosphäre. Wenn man die Orte kennt, ist man beim Lesen direkt vor Ort – ansonsten bekommt man Lust, es sich selbst anzuschauen. Die beiden Geschichten sind schwer einem Genre zuzuordnen: ist „Austreiben“ wirklich ein Vampir-Roman? – vielleicht zum Teil. Dr. Paranoiski hat einen genialen Plot – der hier aber nicht verraten wird. Sehr nette Literatur!

verrückter alter Sommer
donner im himmel
und fliegen im kaffee
das bett ist ein schlachtfeld
und scheiden tut weh
vögel am abflug
sagen nicht wann
wohl oder übel
sind wir morgen dran

Vor gut einem Jahr erschien im Falter - einer sehr guten Wiener Wochenzeitung (jedem Bewohner und Besucher von Wien sehr zu empfehlen – enthält auch den besten Veranstaltungskalender von Wien) – ein ausführlicher Bericht über Ernst Molden anlässlich der beiden damals erschienenen Alben Wien und Foan. Folgende Ausschnitte sind aus diesem Beitrag von Wolfgang Kralicek:

“... Irgendwann um die Jahrtausendwende hat Molden ein paar grundsätzliche Entscheidungen getroffen. Erstens gründete er eine Familie; mit seiner Frau Veronika hat er mittlerweile drei Kinder, Leopold (7), Karl (4) und Nelly (2,5). Zweitens beschloss er, die Musik in den Mittelpunkt seines Schaffens zu stellen – wobei Letzteres auch mit den neuen Lebensumständen zu tun hat. Als er an seinem vierten und bisher letzten Roman „Doktor Paranoiski“ (2001) arbeitete, war gerade sein erster Sohn auf der Welt – und Molden stellte fest, dass Schreibklausur und Kinderaufzucht nicht gut zusammen passen. „Die Musik ist eine viel familienfreundlichere Tätigkeit. Ich kann im Kinderzimmer endlos lang an einem Song basteln und gleichzeitig auch beim Lego mitwirken.“ …

Ernst Molden Band @ Stadtpark

wiesenliegen
wiesenliegen frauenwinken
schlafen dann ein viertel trinken
sachen sehen aller art
wiesenliegen frauenwinken
auch wenn die kanäle stinken
riecht man selber richtig zart
Nach „Haus des Meeres“ (2005) und „Bubenlieder“ (2006) ist Molden mit „Wien“ jetzt dort angekommen, wo er eh schon immer war. Seit fast zwanzig Jahren arbeitet er sich in Reportagen, Romanen und Songs an Wien ab. Neben der alten Heimat Döbling wird auch der dritte Bezirk besungen, wo er seit elf Jahren wohnt. Einen Song hat Molden seinem albanischen Lieblingsfleischhauer aus der Markthalle in Wien-Mitte gewidmet: „Fleischhauer, Fleischhauer, Fleischhauer vor mir, gib mir ein Schnitzel. Oder gib mir gleich vier – damit ich mich nicht im Abstrakten verlier.“ Den vieldiskutierten Abriss der Markthalle empfindet Molden als schweren Verlust. „Ich hab mich davon aber schon in so vielen Kolumnen verabschiedet, dass ich nicht noch einmal zum Sudern anfangen will.“...
Dass das hochdeutsch getextete „Wien“ und das Dialektalbum „Foan“ zeitgleich erscheinen, ist Zufall. Molden hat dafür trotzdem eine schöne Begründung gefunden: „,Wien‘ zeigt der Welt meine Stadt, und ,Foan‘ zeigt der Stadt meine Welt.“ Und irgendwie ist das getrennte Doppelalbum schon auch bezeichnend für diesen Künstler, der an der Demarkationslinie zwischen Großbürgertum und Proletariat aufgewachsen ist und beides intus hat. Man kann sagen: Molden hat die hohe Kunst im Kopf und das tiefe Wien im Herzen. Den perfekten Ausdruck für diese Zerrissenheit hat er noch nicht gefunden. Cash oder Danzer? Prärie oder Vorstadt? Hochdeutsch oder Dialekt? Ein Mann sucht seine Stimme. …“

Ernst Molden Band ft. Alex Miksch & Roland Rotifer @ Stadtpark

wien
wieso kommt keiner morgens früh nach wien
und sieht die huren vor den straßenkehrern fliehn
und hört die engel durch die praterbäume ziehn
wieso kommt keiner morgens früh nach wien

2009 ist Ernst Molden nicht untätig gewesen – neben Auftritten mit verschiedenen Musikern hat mit Gastsänger Willi Resetarits ein neues Album, „ohne di“, herausgebracht. Auf der Seite seiner Plattenfirma Monkey Music wird das Projekt folgendermaßen von Christian Seiler vorgestellt:

Die Laimgrubengasse, und dann ein paar Stiegen hinunter. Ein Kellergewölbe, in das ein Rest von Tageslicht dringt, vollgeräumt mit Lautsprechern, Kabeln, Mikrophonen und den Quetschen des Hausherrn Walther Soyka. Vier Herrschaften, Soyka selbst, Akkordeonspieler, der Gitarrist Hannes Wirth, der Sänger Willi Resetarits und der Gitarrist und Sänger Ernst Molden haben sich ihre Sessel so hergerichtet, als wollten sie einen Durchgang Karten spielen. Dabei möchten sie einander nur sehen, wenn sie musizieren. Sie wollen die blauen Noten sehen. Sie wollen das Schleppen des Rhythmus sehen, das aus der kleinen Besetzung aufsteigt, und die Schatten der zweiten Stimmen. Sie wollen sehen, wie vor ihren Augen aus ein paar Akkorden und Melodien und Worten und Klängen zuerst kleine und dann große Kunstwerke entstehen: Ernst Moldens neue, kristalline Songs. …
Molden Band im Park

de beag
nimm en bisambeag med seine tausend lecha
gesd von heirign zaus kauns sei dass d di darschdessd
drum gee laungsam und geduldig schau dass di da wein ned rempelt
sunst liegst untn so wia da gaunze rest
Es ist einer Begegnung mit Willi Resetarits geschuldet, dessen Gast er in der Radioshow „Trost und Rat“ war, dass Molden das Dichten eigener Lieder nicht wie bisher in seiner zweiten, der hochdeutschen Distanzsprache unternimmt, sondern ohne Filter, im Wiener Dialekt: in der Musiksprache. Resetarits wünschte sich von Molden ein Lied, Molden schenkte ihm eines: die „Hammerschmidgossn“, von beiden auf Moldens letztem Album „Wien“ interpretiert. Man wusste beim ersten Mal Hören, dass dieses Lied ein moderner Wiener Klassiker ist. Man wusste außerdem, dass Willi Resetarits ein guter Umgang für Ernst Molden ist, musikalisch und sonst sowieso, und niemand wusste das so genau wie Ernst Molden selbst. Er wusste, dass er nahe dran war, eine, seine Form zu finden, eine neue, echte Wiener Popmusik. Er stürzte sich in die Arbeit. Er wollte, so lautete der imaginäre Arbeitstitel, einen Knäuel von Songs schreiben, die Wien genauso peripher und herzgenau beschreiben wie Springsteens beste Balladen das amerikanische Hinterland von Nebraska. Nicht weniger. … In der Laimgrubengasse klatschen ein paar Leute. Die Band hat die Songs dieses Albums zum ersten Mal einem Publikum von vielleicht fünfzehn, sechzehn Leuten vorgespielt, und jetzt wird die Tür zur Straße geöffnet und das Rauchverbot aufgehoben. Die Menschen lachen, und irgendwer hat Bier mitgebracht, aber die Stimmung ist nicht ausgelassen. Es hat sich etwas Feierliches über die Straße gelegt, durch die viel zu schnell kleine Autos nach Gumpendorf hetzen, eine feierliche Gewissheit: eben, das war eine Stunde der Wahrheit, einer Wahrheit, wie sie in diesen Tagen nur aus Wien Mitte kommt.“
Walther Soyka & Ernst Molden beim Stadtfest

sankt elisabeth
die polizisten
ordnen verbrecher
und die verbrecher
ordnen das geld
durch die halle vom bahnhof
knattern die tauben
und hintern stadtpark
endet die welt

Wenn man – gerade im Sommer – in Wien ist, bieten sich immer wieder Gelegenheiten, Ernst-Molden-Konzerte im Freien zu genießen. (Die aktuellen Konzerttermine finden sich auf www.ernstmolden.at - ruhig öfter nachschauen, einige Termine erscheinen recht kurzfristig). Ich habe in den letzten paar Monaten vier Gelegenheiten genutzt, Ernst Molden in unterschiedlichen Kombinationen an vier verschieden Orten open-air zu genießen:

  • Auf dem Wiener Stadtfest Ende April ist Molden zusammen mit seinem Duo-Partner, dem Knöpferlharmonikaspieler Walther Soyka, auf der Jazzbühne zu erleben. Die Unterstützung der Lieder durch Walther ist sehr gelungen – Molden kann auch im kleinen Rahmen auftreten.

  • Zur Eröffnung der O-Töne (einer Open-Air-Literatur Veranstaltung im MuseumsQuartier) Anfang Juli durfte Ernst Molden zusammen mit Willi Resetarits und der Molden Band die neue CD präsentieren. Die Molden Band besteht derzeit aus Walther Soyka (Knöpferlharmonika), Sibylle Kefer (Stimme, Flöte), Marlene Lacherstorfer (Bass), Heinz Kittner (Schlagzeug) und Hannes Wirth (Gitarre).

  • Einmal im Jahr wird im Stadtpark zum Abend im Park geladen. Dieses Jahr spielte die Ernst Molden Band nach Auftritten von Alex Miksch und Rotifer. Zum Abschluss der Veranstaltung hat Molden noch etwas besonderes zu bieten: „Ich wollte schon immer mal vier E-Gitarren auf Johann Strauß richten“ (Die goldenen Johann Strauß Figur ist steht einige Meter von der Bühne entfernt im Stadtpark.)

  • Der Abschluss des Sommers wird dann noch Ende August am Karlsplatz begangen. Der Kiosk Calypso hat Ernst Molden und Walther Soyka an den Teich vor der Karlskirche geladen. Als Gäste haben sich die beiden noch Franz Stirner und Jimmy Lee geladen. Franz Stirner hat gerade mit Walther Soyka eine Duo-CD „Tanz“ – Zither und Knöpferlharmonika – herausgegeben. Zu Beginn der zweiten Halbzeit wird ein kurzer Einblick in ihr Wirken erlaubt. Jimmy Lee ist Ernst Moldens E-Gitarren-spielender Nachbar aus Queens, New-York. Ein gelungener Abschluss des Sommers!

    Molden Band @ MQ

    Auch wenn ich schon bald Wien – leider – wieder verlassen werde: Wien mit der melancholischen Art zwischen Pomp und Vorstadt wird ein Teil von mir bleiben. Ernst Molden hat mir geholfen, Wien zu verstehen. Ich hoffe, in Zukunft wird sein Ruf weit über die Landesgrenzen schallen. Sonst muss ich, um seine Musik zu genießen, wieder nach Wien kommen – was eh gut ist.

    hammerschmidgossn
    und die gstettn is weg und vo die reihnhaustypn
    pflegt a jeda sei stickal natur
    i sog servas zu meina gossn
    und die gossn griasst ned retour

    Die kursiv gesetzten Passagen entstammen Ernst Moldens Liedern von den Alben „Nimm mich Schwester“, „Haus des Meeres“, „Wien“ und „Ohne di“.

    Photo Credits: Ernst Molden & Band & Friends @ (1) Karlsplatz; (2)-(4) Stadtpark; (5) Stadtfest; (6) MQ (by Christian Moll).


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    © The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 11/2009

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