Tom: Hallo Peter. Wir haben uns vor etwas mehr als 10 Jahren anläßlich des Schöneweile-Projekts schon einmal über Volks- und Folkmusik unterhalten,[33] nun ziehst du mit der CD/Buch-Retrospektive "Am Ende der Nacht" eine Art Lebensbilanz. Warum nicht einfach eine CD mit Booklet, sondern gleich ein fast 200seitiges Taschenbuch?
Peter: Ich hatte das Buch schon lange vor der CD fertig und dachte, es wär doch schön, beides zusammen zu packen. Heute kauft doch eigentlich keiner mehr CDs, nur nach Konzerten, und da ist die Kombination doch nicht schlecht. Außerdem kostet das Taschenbuch weniger als ein 16seitiges Booklet :)
Lass uns doch mal ganz früh beginnen, in deinem Heimatort Bockenem am Harz, der ja nicht so weit von meinen eigenen Gefilden liegt. Im Auftaktslied "Desperados" heisst es: "Wir sind großgeworden mit den Beatles, mit Bob Dylan und Bert Brecht. / Wir haben Karl Marx und Engels gelesen, auch Hermann Hesse war nicht schlecht." Ist das nun Wahrheit oder Dichtung?
Natürlich keine Dichtung. Wir hatten an unserem Gymnasium in Seesen schon früh eine - wie hieß das damals? - rote Zelle. Wir trafen uns wöchentlich in einem von einem Lehrer angemieteten Raum, lasen Marx und Lenin, diskutierten heiß und leidenschaftlich. Das waren nicht nur ein paar Typen, sondern bestimmt an die 40 SchülerInnen der 11. bis 13. Klasse. Dylan hab ich schon mit 13 Jahren gehört und geliebt und mein zweiter Song auf der Gitarre war selbstverständlich "Blowing in the Wind".
Du beschreibst ausführlich, wie du während eines Schottlandurlaubs anno 1970 im Folk Club Thurso spontan für den erkrankten Dick Gaughan einspringst. Klingt wie ein wichtiger Meilenstein in deinem Werdegang!?
Das war es auch. Fast wie ein Filmscript. Du gehst in einen Club, um einen der ganz Großen zu hören, dann kommt der nicht und plötzlich fragt man dich, ob du einspringen willst. Ich war natürlich stolz. Den Zeitungsartikel über den Gig hab ich mir vor ein paar Jahren vom Caithness Courier besorgt. Beweis ist Beweis.
Ich weiss nicht, ob dir Dick Gaughan einmal persönlich über den Weg gelaufen ist. Seine Musik hat sicherlich eine Rolle in deinem Leben gespielt. Du selbst nennst als damalige Lieblingsband Planxty und eine Übertragung von Andy Irvines "West Coast of Clare" findet sich auf der CD. Ist die Folkmusik der Siebziger Jahre also immer noch dein elementarer Bezugspunkt?
Gaughan habe ich nie persönlich getroffen. Aber viele andere der Siebziger-Stars. Mit den Fureys habe ich 1974 bei Conny Plank Aufnahmen gemacht, mit Derroll Adams war ich eine Woche auf Doppelgigs unterwegs, Andy Irvine traf ich, wie im Buch erzählt, bei Karsten Linde in der Küche und seither verbindet uns eine kollegiale Freundschaft wie mit kaum einem anderen Kollegen. Also, klar, die Folkmusik der Sechziger/Siebziger hat mich geprägt.
Mit Bernd Goymann spieltest du dich dann in den Jahren 1977 bis 1979 als Duo Schnappsack durch die ganze Republik. Du thematisierst den Traum, mit Liedern einen Beitrag zur Besserung der Welt beitragen, und den Versuch, mit deutscher Folkmusik Geld verdienen zu wollen. Ist die Vergeblichkeit beider Anliegen auch der Grund für das nur kurze Bestehen von Schnappsack?
Überhaupt nicht. Wir waren jung und passten eigentlich menschlich nicht so richtig zueinander. Wir sind uns eben am Ende auf die Nerven gegangen wie ein altes Ehepaar, dass keine kommunikativen Ansätze hat, um miteinander zurechtzukommen. Und das war schön blöd. Bernhard Hanneken hat mir vor ein paar Tagen einen Livemitschnitt von uns geschickt, Bonn 1979. Auf welchem Niveu wir damals gespielt haben, hatte ich längst vergessen. Da war damals noch verdammt viel Luft. Nach Oben.
"Am Ende der Nacht" endet mit der Gründung des Rillenschlange-Labels, das dann vor allem Kabarettisten verlegte. Zu Beginn stand aber das Debütalbum von Laway ("Laat jo nich unnerkriegen", 1983), das zwar den Vierteljahrespreis der deutschen Schallplattenkritik gewann, deiner Aussage nach aber "wie Blei in den Regalen" stand. War die Zeit noch nicht reif genug? Laway gibt's ja nun noch und feiert dieses Jahr das 40jährige Bestehen; hat Gerd Brandt etwas besser gemacht?[71]
Gerd hat nach dem Motto seiner ersten LP gehandelt und sich nicht unterkriegen lassen. Ich hab aufgegeben, als die Peter Braukmann Band nach drei Jahre wirtschaftlich am Boden war. Von irgendwas wollte ich schon leben, und Lehrer wollte ich nicht werden (hatte ich ja studiert). Da kam die Idee mit den Kabarettproduktionen und die Umsetzung verlangte vollen Einsatz. Also: Gitarre in den Schrank.
Über die Neunziger Jahre gäbe es sicherlich auch viel Spannendes zu erzählen. Zwischen langen Ruhepausen hast du dich immer mal wieder auch auf musikalische Abenteuer eingelassen. 2005 hast du die Band Schöneweile mitbegründet und deutsche Volkslieder im Popgewand arrangiert. Das Projekt ist aber über Volume 1 nicht herausgekommen; was ist passiert?
Die alte Weisheit ist: alles hat seine Zeit und wenn dein Konzept, und wenn es noch so geil ist, nicht in die Zeit passt, hast du verloren. Vielleicht war die Musik auch einen Tick zu intellektuell. Weiß ich nicht. Jedenfalls hat unser damaliger Plattenchef Jörg Hellwig weiter drangewurschtelt, und siehe da: SANTIANO hat den richtigen Zeitpunkt erwischt.
Als wir uns damals unterhielten, war die Rede davon, mit dieser Art von Musik auch "kommerziell erfolgreich" und "massenkompatibel" sein zu wollen. Ist das Thema jetzt abgehakt? Steht wieder das politische und soziale Engagement im Mittelpunkt? (Wenn auch mit der Einsicht "Die immer schneller auf uns zurasende Klimakatastrophe kann gewiss kein Lied aufhalten. Aber ein Lied kann helfen, den Willigen Kraft zu verleihen.")
Wenn ich wieder mal eine geile Rockband fände, mit der ich meine Ideen umsetzen könnte, sofort. Vielleicht tut sich ja mal was.
Dazu passt auch dein "Rabenlied" von 1976, inspiriert von den Demonstrationen gegen das AKW Brokdorf. Du hast es überarbeitet und kritisierst dich nun selbst als ehemaligen "Unterhaltungsjunkie"!?
Ich sehe mich heute nicht mehr als Unterhaltungsjunkie, die Zeit ist um. Aber der grüne Hype von heute hat ja nichts mit dem Ziel zu tun, die Gesellschaft zu revolutionieren. Die Grünen sind chic, tun keinem Weh und bedienen den wohlhabenden Mittelstand. Ich glaube aber, dass Klima, Atommüll, Überproduktion usw. nicht im Kapitalismus zu lösen sind. Kontrollierter Konsum, Ende der Wachstumsspirale, Einsicht und Einkehr zu "weniger gleich mehr" ist das Gegenteil von kapitalistischer Marktwirtschaft. Da die Grünen längst ihren gesellschaftskritischen Ansatz aufgegeben haben wird nicht Einschneidenes passieren, wenn die mal an den Drücker kämen. Die Hoffnung richtet sich tatsächlich auf die junge Friday-Bewegung. Vielleicht kommt da eine neue Partei auf uns zu, die unkorrumpiert die Welt neu bewegt.
Ist das jetzt alles nur noch "Spiegelbild und Reflexion"? Oder möchtest du ganz aktuell noch etwas sagen?
Ich spiele immer da, wo man mich haben möchte. Heisst, ich lauf keinen Gigs mehr hinterher. Alle zwei Monate machen wir in Meißen unser Mitsing-Programm mit zwei Liedermacherkollegen und ich denk mit Peter Wolter über Gigs mit mir und Schnaps im Silbersee nach. Meine Auftritte kann man auf meiner Homepage oder Facebook-Seite finden.
Was liegt noch an? Wird's "Am Ende der Nacht Teil 2" geben?
Da bin ich mir sicher, nach einer Nacht kommt bekanntlich ein neuer Morgen.
Photo Credits:
(1)-(4) Peter Braukmann,
(5)-(6) Martina Gemmar,
(7) Oliver Kraus
(from website/author/publishers).