FolkWorld-Artikel von Walkin' T:-)M:

Die FolkWelt zwischen Harz und Heide (5):

Vom Brocken nach Rio de Westphalia

Das Dorf Runstedt lag einst unweit von Schöningen im Bereich der heutzutage ausgedehnten Braunkohle-Tagebaue. Ein Schäfer aus Runstedt war ein Meister der Schalmei. Als in der Walpurgisnacht die Hexen auf den Brocken flogen, nahmen sie den bewährten Musikanten mit. Die höllischen Musikanten spielten schon zum Hexentanz auf; das Instrument des Schäfers passte jedoch nicht zu ihrer Musik und der Schäfer bekam vom Teufel höchstpersönlich eine neue Schalmei. Darauf spielte sich vorzüglich und deshalb bat der Schäfer, ob er nicht das Instrument mit nach Hause nehmen dürfe. Der Teufel nickte gnädig. Als der Schäfer nach Sonnenaufgang in seine neue Schalmei blasen wollte, hatte er nichts weiter als einen toten schwarzen Kater in den Händen, dessen Hintern er nachts auf den Brocken als Mundstück gebraucht hatte, weshalb er dort von Haaren völlig entblößt war.

So weit die Fama. Herzlich willkommen zu neuen Nachrichten aus der "Region Mitte Nord"; so soll jedenfalls nach dem Willen der Marketing-Experten der Großraum Braunschweig von fort an benannt sein. Bleiben wir aber alsweilen bei der Bezeichnung "Braunschweiger Land" bzw. "Zwischen Harz und Heide".

Allzuviel gibt es eigentlich nicht zu berichten, einige Kuriositäten am Rande: Den Bock schoss die Tageszeitung ab, als sie das alljährliche Dubliners-Konzert (-> FW#23) unter dem Titel "Irischer Rock" ankündigte. Dun Aengus Eine Folkpop-Gruppe spielte anlässlich einer Motocross-Veranstaltung - was eigentlich nicht weiter erwähnenswert wäre -, einen Tag später konnte man aber nachlesen, wie die Stromversorgung der Veranstaltung zustande gekommen war: man war in eine benachbarte, leer stehende Halle eingebrochen und hatte den Stromanschluss angezapft.

Berichten will ich aber davon, dass ein Teil der hiesigen Folk-Szene nach Westfalen aufbrach, um am Pigeon on the Gate-Festival (-> FW#20, FW#24, FW#27) teilzunehmen.

Den Beginn des vom Folk-Treff Münster (-> FW#27) alljährlich im November veranstalteten Irish Culture Festivals bestritt das aus Braunschweig und Salzgitter kommende Trio Dun Aengus. Benannt nach der imposanten Steinfestung vor der Steilküste Westirlands wurden einige der schönsten Steine aus alten irischen Gemäuern auf Hochglanz gebracht. Grundsolider Folk - eine Reihe von Songs hat man selbst verbrochen, zudem befindet sich das Lied über den Festival-Heiligen Colum im Gepäck. Der zu Beginn des 7. Jhds. den Rhein hinaufpaddelnde irische Missionar sprach sich gleichsam wie im Titanic-Film mit einem Lied auf den Lippen Mut zu: Das Schiff rast auf den Eisberg zu und im Zwischendeck werden Jigs & Reels gespielt.

Die Stimmung ist gut, was sage ich, nahezu ausgelassen. Klaus (bj, gt, bz) kann es nicht lassen, die sich an diesem Abend als besonders sangesfreudig erweisenden Münsteraner als die Brasilianer Nordrhein-Westfalens zu bezeichnen - Münster ist ja auch die westfälische Karnevals-Metropole. Peter Kerlin (Bouzouki -> FW#20, FW#21) und Jens Kommnick (Gitarre, Whistle -> FW#18, FW#23) vermuten anschließend denn auch, sie würden mit Laola begrüßt werden und wollen schon Samba-mäßig aufspielen.

Peter, wohnhaft in Goslar am Rande des Harz, Peter Kerlin & Jens Kommnick ist einer der profiliertesten Celtic Roots-Musiker in Deutschland. Er trägt überwiegend eigene Lieder und Instrumentalstücke vor, aber auch Interpretationen irischer Balladen und Gedichtvertonungen. Begleitet wird er von einem der umtriebigsten irischen Musiker hierzulande; mit seiner eigenen Band Iontach hat Jens eines der schönsten Irish-Folk-Alben des Jahres 2004 eingespielt (siehe CD-Rezension). Bei dem Dreamteam des deutschen Irish-Folk sozusagen gehen Singer/Songwriter-Qualitäten höchster Güte und Qualität eine reizvolle Synthese ein.

Zu den Dingen, die heutzutage alle Irish-Folk-Bands gemeinsam haben, gehört offenbar ein Hang zum Animalischen: Die einen haben ein Faible für die Fuchsjagd (aus dem Blickwinkel des gehetzten Fuchses natürlich), die anderen stimmen ein Lied über die BSE-Problematik aus Sicht einer Galloway-Kuh an. Zudem hat jeder neben traditioneller irischer Musik auch eine moderne Adaption im Repertoire, ob der "Fox on the Run" oder ein "Breakfast at Tiffanys" - mit Beef nehme ich an - an einem "Ruby Tuesday". Es gibt außerdem reichlich Multikulti: Peter und Jens servieren als Zugabe einen bulgarischen Eintopf; der passende Übergang zum abschließenden Programmpunkt.

Elphin ist eine polnische Tanzformation. Die fünf jungen Damen aus Danzig praktizieren aber keine indigenen Volkstänze, sondern original irischen Steptanz a la Riverdance. Die selbst-ausgearbeiteten Choreographien brauchen keine Vergleiche mit den Vorbildern von der Grünen Insel zu scheuen. Hier stimmt alles: Anmut, Technik, Timing und Finesse. Fehlt nur noch die Anleitung zum Hexentanz:

Wer das selber mal ausprobieren will, ist erst mal gut beraten, das in sich hineinzutanzen; ist am ungefährlichsten, den Brasilianer so nach innen reinlassen. Und dann mit den Fingern so nachvollziehn, was die so machen. Die nächste Stufe wäre dann, den Fuß mal so locker wippen lassen. Die nächste Stufe, dass man ein Bier trinkt; die Kronkorken nagelt man sich unter die Sohle. Den Rest kann man sich aus dem Internet herunterladen ....
Oder lässt man vielleicht doch lieber die Mädels machen. Aber es gibt nicht nur was für die Augen, sondern auch für die Ohren. Elphin & Deirin De Die musikalische Grundlage für den Elfenreigen liefern die (mehr oder weniger) rund um Münster beheimateten Déirin Dé (-> FW#24): Thomas Hecking (Knopfakkordeon), Ulrike Steinborn (Fiddle), Conan Connelly (Uilleann Pipes, Flute), Tobias Kurig (Bouzouki) und Benedikt Terrahe (Bodhran) begeistern mit ihren Arrangements irischer Tänze.

Das Herzstück der irisch-deutschen Formation ist jedoch die aus Dublin stammende und nun in Telgte beheimatete Ann Grealy. Mit prägnantem Gesang überzeugt sie durch eine gelungene Auswahl an innigen Balladen als auch ausgelasseneren Titeln; von Calicos "Metal Drums" (-> FW#17) über die erste irische Ballonfahrt im 18. Jhd. bis zu den Klassikern "Black is the Colour" und "Caledonia" ist für jeden Geschmack etwas dabei.

Eine gemeinsame und spontane Session mit allen beteiligten Musikern beendet ein Musikprogramm von rund vier Stunden Dauer. Zum Abschluss gibt es nicht - flachsenderweise - "All Our Ducks", sondern den hitzigen Reel "The Star of Munster". Und wer heute die Sterne von Münster sind, ist den Brasilianern Westfalens klar. Die danken denn auch mit stehenden Ovationen und die Gelehrten rätseln, woher die plötzliche Impulsivität und Heißblütigkeit stammen möge. Hat da etwa ein niedersächsischer Virus die Artenbarriere durchbrochen? Denn die Legende besagt:

Bei Räbke am Nordhang des Elm liegt ein Erdfall, von welchem die Menschen überliefert haben, dort hätten einst Häuser gestanden. Aber dort wohnten auch Menschen, die alles taten, was gegen Gottes Gebote war. Sie führten ein Leben in Saus und Braus - besonders am Sonntag. In einer Nacht, als man mit Trank und Tanz ausgelassen herumtollte, öffnete sich die Erde und das Dorf versank mit sämtlichen Einwohnern. Manchmal steigt heutzutage aus dem Grunde Dunst und man hört, wenn man das Ohr auf die Erde legt, ein dumpfes Brodeln, als wenn dort die große Küche der Teufel läge.

Die FolkWelt zwischen Harz & Heide (4): Musieke, wei willt musieke maken! (FW#29)
Die FolkWelt zwischen Harz & Heide (3): Klangwelten und Grenzgänge (FW#28)
Die FolkWelt zwischen Harz & Heide (2): Halloween & Liedermaching (FW#27)
Die FolkWelt zwischen Harz & Heide (1): Kles/zmer schpiln ein scheenes Schpil (FW#26)

Photo Credit: Photos by Tom Keller


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 01/2005

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