Ausgabe 31 1/2006
FolkWorld CD-Besprechungen
Carlos Nuñez & Amigos "En Casa"
Label: Sony
Music España 2004 (SM 2027467); CD & DVD; Galizien 2004
CD 14 Tracks, 60:00 min; DVD 17 Tracks + Bonusmaterial, ca. 85 min
Carlos Nuñez gehört zu den eigenwilligsten Musikern Europas. Der stolze Spanier
mit dem schütteren Haupthaar ist ein großartiger Bühnenmusiker. Er schwitzt
für sein Publikum und seine Animationen von der Bühne herab sind wirksam genug
Begeisterungsstürme selbst bei Dänen hervorzurufen. Ja, es gelang ihm sogar
dem begeisterungsresistente Publikum des Irish-Folk-Festes in der Berliner Passionskirche
gefällige Bravo-Rufe zu entlocken. Wenn Carlos Nuñez in seiner galizischen Heimat
spielt, dann zündet man ein Feuerwerk über Vigo und selbst die Sterne tanzen.
"Concerto das Estrellas" nannten die 30.000 Besucher das Konzerteereignis, dem
sie im Sommer 2004 auf der Open-Air Bühne De Castrelo in Vigo beiwohnten.
Nicht nur unter Sternen saßen sie, sondern auf der Bühne sammelten sie sich
auch, die Stars der keltischen Folkszene, mit denen Carlos Nuñez in den vergangenen
Jahren zusammenarbeitete. So begleiteten ihn seine zahlreiche Freunde: Leon
Gieco, die irische Akkordeonistin Sharon Shannon, sowie die Chieftains, die
wichtigste Folkband überhaupt. Mit den Chieftains verbindet Carlos Nuñez eine
lange arbeitsreiche Freundschaft, die ihn zum Chieftain ehrenhalber werden ließ.
Die Produktion des Albums "Santiago", das die Chieftains 1996 einspielten, kann
man getrost als den Zeitpunkt festlegen, von dem an Gaalizien in die Aufmerksamkeit
der europäischen Folk-Musik gelangte. Carlos gehörte damals zu den maßgeblichen
Förderern dieses musikalischen Projektes, zumal er kurze Zeit vorher mit einer
Vielzahl Künstler aus Europa seine CD "Brotherhood of Stars" veröffentlichte.
Einige von ihnen fanden sich bei der Einspielung von "Santiago" wieder in Vigo
ein.
Das Konzert in Vigo wird von einer Stimmung geprägt, der man sich nur schwer
entziehen kann. Es begeistert nicht allein, sondern rührt, besonders wenn Carlos
Nuñez die Chieftains ankündigt, aus deren Mitte kurze Zeit vorher der Harfenspieler
Derek Bell gerissen wurde. Nach vierzig Jahren gemeinsamer Bühnenpräsenz mussten
sie mit Triona Marshall für Nachwuchs in den eigenen Reihen sorgen. Carlos Nuñez
spielt nicht nur die Flöte unverwechselbar schön, sondern ist der Großmeister
des galizischen Dudelsackes, der Gaita. Die vielen hervorragenden Gaitaspieler
Galiziens, wie Xosé Manuel Budiño, Susana Seivane und Anxo Pinto sind trotz
allem eigenen Könnens seine Jünger. Auf der Gaita spielt Nuñez nicht nur eigene
Kompositionen und traditionelle Stücke. Während des Irish-Folk-Festes erklang
Bach auf seinem Dudelsack und in Vigo bekam er stehenden Applaus, nachdem er
einen Auszug des Concierto Aranjuez zu Gehör brachte.
Nun liegt dieses Konzert als CD und als DVD-Mitschnitt vor. Zahlreiche Zusätze
auf der DVDbringen die Welt dieses Menschen näher, der hauptsächlich für seine
Musik lebt. So extravagant er sich auf der Bühne gibt, in den "Making-Off"-Beiträgen
der DVD wirkt er uneitel, präzise arbeitend und komplett von seiner Musik umschlossen.
Zusätzlich präsentiert die DVD noch eine Videocreation, eine traumwandlerische
Theaterperformance auf den Stufen der Kathedrale von Santiago de Compostella
und einen Videoclip des Titels "El Pozo de Arán", den Carlos zusammen mit der
portugiesischen Sängerin Anabela für das Album "Mayo longo" aufgezeichnet hat.
Das Carlos Nuñez Konzert in Vigo mag nur für spezielle Freunde der Musik aus
diesem historisch so vielfältig geprägten Landstrich eine Empfehlung sein. Für
alle Kenner der kelto-galizischen Musikszene ist es jedoch ein Ereignis, das
zweifellos zeitlos bleiben wird und auch in zehn Jahren noch für großen Hör-
und Sehgenuß sorgen wird.
Homepage of the artist: www.carlosnunez.com
Karsten Rube
Orkiestra sw. Mikolaja "O milosci przy grabieniu
siana"
Label: Own; Polen 2004; 19 Tracks; 54:12 min
Weit und wild ist die Bergwelt der Karpaten, weit, wild und urig. Der veränderungssüchtige
Mensch hat sich gerade in Europa fast aller urwüchsigen Flecken des Kontinents
bemächtigt, mit seinen Maschinen, Kommunikationsmitteln und urbanen Lebenseinstellungen,
doch einige wenige Gegenden haben sich ihre Geheimnisse bewahren können. Die
Karpaten haben etwas ihrer Ursprünglichkeit gerettet, trotz wandelnder Diktaturen,
der faschistischen, der kommunistischen und nun der marktwirtschaftlichen. Dort,
in den wenig erschlossenen Gebirgsregionen, fühlt man sich in frühere Zeiten
zurückversetzt, in denen der Sonnenlauf die Tageszeiten festsetzte und nicht
der in der Jackentasche piepsende Terminkalender. Die volkstümliche Dichterin
Wanda Czubernat war im täglichen Leben eine Bauersfrau. Am Küchentisch und während
der täglichen Arbeit entstanden zahlreiche Gedichte aus dem bäuerlichen Leben.
Das über die Grenzen Polens bekannte Orkiestra sw. Mikolaja hat sich einiger
ihrer Gedichte angenommen und sie auf traditionelle Weise vertont. Die kulturellen
Einflüsse, die die Karpaten durchziehen, kommen deutlich zum Tragen. Neben polnischer
Hirtenmusik, leuchten die Melodien anderer slawischer Völker hervor, vor allem
die der Ungarn und die der lange die Region kontrollierenden Osmanen. Die unmittelbar
des alltäglichen Lebens mit der Natur entspringenden Lieder singen von der Freude
an der Arbeit, vom Feiern, vom Lauf der Jahreszeiten, von einem Hund, der in
der Sonne spielt, blutrünstigen Räubern, der Trauer und der Liebe im Heu. Man
spürt das Brummen der Hummeln in den Wiesen und die Macht der noch unbeherrschten
Wildnis. Das Orkiestra sw. Mikolaja, das in Deutschland auch als "Das Orchster
der Heiligen Nikoläuse" bekannt ist, vermittelt mit seiner Musik eine sommerliche
Landstimmung, die den allergischen Städter selbst im Winter die Erinnerung an
den Heuschnupfen nahebringt. Soviel Natur muss man erstmal in Noten fassen.
Urig, stimmungsgeladen, wunderbar.
Contact to artist: mikolaje@klio.umcs.lublin.pl
Karsten Rube
Rachelina und die Maccheronies "Terra, Terra"
Label: duophonrecords
LC12000; Deutschland 2004 14 Tracks; 58:34 min
Neapel an einem trockenen Sommertag. Der Vesuv atmet leise ein blasse Wolke
aus, wie ein schlafender Drache. Eine Windboe tanzt mit der Wäsche, die quer
über die Gassen gespannt vor sich hin trocknet, spielt mit herumliegenden Papier.
Nebenher rührt sie den Geruch aus Kochtöpfen, muffigen Hausfluren und vergessenem
Müll zusammen. Zwischen Vespageknatter und Kindergeschrei mischt sich ein Lied,
das ein alter Mann aus einem brüchigen Akkordeon und seinen Stimmbändern presst.
So oder ähnlich muss es ausgesehen haben, das kindliche Umfeld von Rachelina
Giordano. Zwar erblickte sie in Palermo das Licht der Welt, wo es etwas gedämpfter
zugeht, als in Neapel, doch der Einfluss dieses Molochs, der eigentlichen Hauptstadt
Süditaliens, weht auch bis nach Sizilien. Später wohnte Rachelina für ein Jahr
in Neapel, zog eine Zeit nach Padova.
Inzwischen lebt sie bereits 20 Jahre in Berlin, die Heimat in sich tragend und
wie jeder empfindsame Künstler, voller Sehnsucht. Sehnsucht jedoch ist kein
Kissen, auf dem man sich seufzend zur Ruhe bettet. Sehnsucht verlangt nach Ausdruck.
Das neapolitanische Lied ist wie geschaffen dafür, Rachelinas Sehnsüchten Ausdruck
zu verschaffen. Neapel ist eine pulsierende Metropole, altmodisch und modern,
verfallen und schick verglast, hecktisch und laut, sonnendurchflutet und verdreckt,
brutal und leidenschaftlich. In grellem Licht verzerrt erscheinende Gesichter
mit schattenwerfendem Make-Up tauchen in die dunklen Gassen ab. Aus unscheinbaren
Kellerfenstern wummert groovige Partymusik. Neapel, eine Stadt, die sich bei
einigen Sinnen besonders auffällig meldet. Neapel riecht und das nicht immer
gut, was nur eine weitere Eigenheit ist, die die Stadt mit Berlin gemeinsam
hat. Nur, dass in Berlin das Meer fehlt, ein Grund mehr sehnsüchtig zu singen.
Wer nach zwanzig Jahren nicht wieder aus Berlin geflohen ist, muss die Stadt
mögen und sich dort zu Hause fühlen. So könnten ihre neapolitanischen Lieder
ebenso gut einen Abriss des Berliner Lebens darstellen. Der Straßenjargon, das
Leben in den Hinterhöfen der Vorkriegszeit, Prostituiertenlyrik á la Brecht/Weill,
das Betteln nach den Kaugummies der Allierten, die Hoffnungen der Gastarbeiter
und das unendliche Thema Liebe, alles Themen, die sich im mediterranen Neapel
oder Palermo nicht anders verhalten, als im kühlen Berlin. In Rachelinas neapolitanischen
Liedern verschwimmen die Unterschiede. Stilistisch rührt sie zusammen, was sich
an Zutaten in einem Schmelztigel so findet. Die unvermeidliche Tarantella, das
Bühnenlied einer Brechtoper, Rumba. Selbst die böhmische Blasmusikschnulze "Rosamunde"
wird von ihr zu einem italienischen Lied. Da es überall auf der Welt eine Version
dieses Liedes gibt - die Amerikaner haben eine prächtige Saufhymne daraus gemacht,
die zu singen sich selbst die Andrew Sisters nicht zu schade waren - haben sich
die Italiener dieses Lied für den Befreiungskampf zurechtgemacht. So jedenfalls
lässt es uns Rachelina im Booklet ihrer CD "Terra, Terra" wissen. Vielleicht
kam “Rosamunda” ja aus Böhmen oder nahm den Umweg über die Amerikaner, bis es
in Italien landete. So genau weiß das keiner mehr. Die warme weiche Stimme der
Sängerin schmeichelt sich ohne Umweg in das Ohr des Hörers und erinnert wohl
absichtlich an das laszive Hauchen italienischer Filmdiven.
"Terra, Terra" ist ein raffiniertes Album, das den kühlen nördlichen Zuhörer
für die Dauer ihrer Lieder in einen Napolitaner zu verwandeln vermag.
Homepage of the artist: www.rachelina.com,
contact to label: music@duo-phon-records.de
Karsten Rube
Diverse "Italia 3" Atlante di Musica Tradizionale”
Label: Dunya
Records; Felmay (fy 8078); Italien 2004; 19 Tracks; 69:42 min
Zwar sieht das Cover der CD "Italia 3 Atlante di Musica Tradizionale" aus wie
eine missglückte Thunfisch-Tomaten-Pizza, der Inhalt des Samplers erscheint
dann eher wie eine umfangreiche pizza quattro stagioni. Alle Jahreszeiten und
alle Zutaten sind vorhanden, um die dritte Sammlung italienischer Musik, die
Dunya Records auflegt, so komplett wie möglich erscheinen zu lassen. Der Liedermacher
Beppe Gambetta gehört dazu, Elena Ledda, die große Stimme Sardiniens, die Banda
Ionica und Riccardo Tesi. Jedes Lied ist für sich ein Schmuckstück, gut ausgewählt
aus der Masse der Produktionen. Besonders herauszuheben sind dabei Franca Masu,
die ihre katalanischen Wurzeln einfließen lässt, der Marsch, den die Banda di
Avola anstimmen, wie einen Festumzug auf einer eher fröhlichen Beerdigung und
Daniele Sepes "Senza filtro", das eher groovig und elektronisch verzerrt daherschleicht.
Ein umfassender Blick auf das aktuelle Musikgeschehen Italiens.
Contact to label: info@felmay.it
Karsten Rube
Antonello Paliotti "La montagna fredda"
Label: Dunya
Records; Felmay; Italien 2004; 15 Tracks; 42:45 min
Halbvergessene Tarantellas, Lieder aus dem Gedächtnis des italienischen Südens
und eine traditionelle Leier, die als Schlager um die Welt ging, das sind die
Einzelteile aus denen Antonello Paliotti seine dritte CD zusammensetzt. Dabei
konzentriert er sich ganz auf eine Vortragskunst, die eher an die klassischen
Musik angelehnt ist, als an die folkloristische. "Tu m'haje prummiso" ist ein
Lied, das einst von einer Waschfrau zur Arbeit gesungen wurde. Klagend trägt
Brunella Selo dieses Lied vor, basierend auf einer alten Melodie aus dem 14.
Jahrhundert. "Santa Lucia", eines der Lieder, das als Volksweise bekannter ist,
als die Nationalhymne, wird hier von einem Cello und der klassichen Gitarre
vorgetragen, ruhig, verhalten, sentimental. "La montagna fredda" ist keine CD
mit typischer italiensicher Musik, sondern eher die spezielle Sichtweise Paliottis
auf eine Zeit des Bänkelgesangs, der verspielten Liebeslieder und der festlichen
Tanzmusik vergangener Jahrhunderte.
Contact to label: info@felmay.it
Karsten Rube
Massimo Ferrante "U Ciucciu - Voci e suoni
dal Sud Italia"
Label: Dunya
Records; Felmay; Italien 2005; 18 Tracks; 16:34 min
Mit der Musik von Massimo Ferrante gelangen wir auf Ferse, Spitze, Sohle und
Spann des italienischen Stiefels, also ganz weit in den Süden. Hier schlagen
sogar die Kirchenglocken langsamer. Unter dem selten zurückhaltenden Sonnenschein
und mit dem Wispern des Meeres in Hintergrund, dem Zirpen der Insekten und den
Geräuschen des Landlebens als Rhythmus, entwickelte sich eine eigenständige
Kultur. Emigranten, aus dem östlichen Mittelmeer, Afrikas glühende Nähe und
die durch feste Familienbindung geprägten sozialen Verhältnisse modellierten
das Leben der Menschen im Süden. "U ciucciu - Stimmen und Klänge aus dem Süden"
nennt Massimo Ferrante seine erste Solo-CD. Ferrante ist bekannt als die Stimme
der Daniele Sepe Band. Zu finden sind auf dieser CD Tarantellas, ohne die keine
Feste und Feierlichkeiten denkbar wären. Aber auch Verse aus dem 16. Jahrhundert
sind zu hören, Verse die sich um die Arbeit und das Leben der Einwohner ranken
und Verse mit deftigem erotischem Inhalt. Mit zahlreichen Musikern aus dem Umfeld
der Daniele Sepe Band hat Massimo Ferrante eine frische und lebendige CD eingespielt
aus einem Landstrich, der nicht nur musikalisch weit außerhalb des Fokusses
allgemeiner Aufmerksamkeit steht.
Homepage of the artist: www.massimoferrante.it,
Contact to label: info@felmay.it
Karsten Rube
Jydsk på Næsen "Gårn, så gårn"
Label: helikonrecords
HCD 1045; Dänemark 2003; 18 Tracks; 55:27 min
Wer an Jütland denkt, dem fällt meist nur eine kleine übersichtliche Sammlung
an Fakten über diese Gegend ein. Unendlich lange Sandstrände mit wanderlustigen
Dünen, sowie die Olsenbande beim Ausräubern alter Bunkeranlagen. Dass in dieser
Gegend auch Musik gespielt wird ist logisch, aber nicht sofort naheliegend.
Jydsk på Næsen, so heißt eine alte Polonaise aus Jütland. Den selben Namen gaben
sich vier Musiker, die sich vornehmlich auf Silberhochzeiten und traditionellen
Tanzabenden präsentieren. Zwei Geigen, ein Kontrabass sowie ein Akkordeon musizieren
traditionelle Stücke und Eigenkompositionen in stimmigen Arrangements. Das ist
saubere Handarbeit und gutgemeinte Traditionspflege, die die Dänische Folkmusikszene
mit einer Nominierung des dänischen Folkmusikawards für die CD "Gårn, så gårn"
honorierte. Nicht alle Lieder der CD sind tatsächlich aus jütländischen Quellen
geschöpft, denn es verirrt sich schon mal ein Tango ins Repertoire, was aber
dem freundlichen skandinavischen Charakter der CD nicht abträglich ist.
Contact to label: helikon@helikonrecords.dk
Karsten Rube
Soren Krogh "Fortroligt"
Label: Uwaki-Records, ncb; Dänemark 1999 11
Tracks; 46:30 min
Ich muss ja zugeben, dass ich über Soren Krogh nicht allzuviel weiß. Nur, dass
er Däne ist, Liedermacher und nicht zu verwechseln mit dem dänischen Fussballer.
In Dänemark hat er jedoch bereits sechs CD's auf den Markt gebracht und die
verkaufen sich mit ganz brauchbaren Zahlen. Die CD "Fortroligt" ist live und
solo eingespielt und Krogh trägt elf Songs aus seinem Repertoire vor, die in
der Kneipenatmosphere auf ein ruhig zuhörendes und nur selten mit Zwischenrufen
agierendes Publikum treffen. Mein Dänisch ist leider fast überhaupt nicht zu
gebrauchen. Aber allein die Stimmung, die vorherrscht, lassen Krogh als einen
Erzähler zur Gitarre erscheinen, dem das Publikum leise nickend zustimmt. Ein
bisschen erinnert er mich an Wolfgang Niedecken solo. Vielleicht doch ganz gut,
dass man nicht alles versteht.
Homepage of the artist: www.sorenkrogh.dk
Karsten Rube
Lang Linken "Lyst"
Label: CE Musik CEMCD 0597; Dänemark 1997;
15 Tracks; 48:07 min
Lang Linken sind fast schon so lange auf der folkmusikalischen Bühne Dänemarks
anzutreffen, wie es die Chieftains in Irland sind. 35 Jahre hat die Kapelle
bereits auf den Buckel. Da der Däne aber lieber auf den eigenen Inseln agiert
und das heimatliche Liedgut pflegt, bleibt die Welt drumherum meist uninformiert.
Im Falle von Lang Linken ist das schade, denn die alten Herren wissen ordentlich
aufzuspielen. "Lyst" ist eine muntere Sammlung von traditionellen Liedern und
Tänzen aus einem knappen Jahrhundert dänischer und schwedischer Tanzmusikkompositionen.
Die drei Multiinstrumentalisten bedienen dabei ein umfangreiches Repertoire
im Folk fußender Instrumente: das chromatische, wie das diatonische Akkordeon,
Violine, Drehleier, Flöte und Gitarre, sowie Sackpfeife und die eigenen geölten
Stimmbänder. Das ist bester Gute-Laune-Tanz-Folk zum geselligen Abhüpfen.
Homepage of the artist: www.langlinken.dk,
contact to artist: keld@langlinken.dk
Karsten Rube
Lirum Larum "Traditional Music of Denmark and
Scandinavia"
Label: Eigenverlag; Danmark 2000; 5 Tracks;
13:05 min
Gestandene Herren aus Dänemark, deren erste musikalische Schritte sich bereits
auf das Jahr 1970 zurückverfolgen lassen, im Booklet einer Demo CD mit "first
young folkgroup" einzuführen, das bedarf schon etwas Freude am Vergessen von
Zeit. Tatsächlich gehören Lirum Larum zu den Pionieren der traditionellen Folkmusik
unseres Nachbarlandes und Folkmusik gibt es in Dänemark, seit die ersten Seemänner
ihre Trinkfestigkeit in lautem Gesang manifestierten. Darauf baut sich das Liedgut
der Dänen auf, aus Liedern, die auf vielfältigen Wegen ins Land getragen wurden,
meist aus dem keltischen Raum, Skandinavien und den anderen baltischen Anrainerstaaten.
Die vorliegende Demo-CD wurde im November 2000 in einem Kopenhagener Conservatorium
in einer einzigen Session live eingespielt und beinhaltet fünf Stücke aus Schweden,
Dänemark und Norwegen, wobei sich ein Schottish, mit einer Ballade abwechselt
und zwei Shanties auf ein Polkamedley folgen. Ein kurzes, aber stimmungsvolles
Schnupperstück für Freunde skandinavischer Folkmusik.
Homepage of the artist: www.lirumlarum.dk
Karsten Rube
BNB "Ein song fra utsungne stunder"
Label: Lindberg
Lyd 2L (2L24); Norwegen 2005; 15 Tracks; 53 min
Berit Opheim, Nils Okland und Björn Kjellemyr haben nach alter skandinavischer
Tradition die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen zusammengestellt und daraus einen
Bandnamen gezaubert. Das hat schon bei ABBA geklappt. Hiermit enden jedoch alle
Gemeinsamkeiten mit der großen schwedischen Schlagertragödie. Wenden wir uns
der Musik der drei Norweger zu. Berit Opheim ist eine Sängerin mit glockenhelle
Stimme. Nils Okland gehört zu den Geigern seiner Heimat, die neben der Violine
und der Viola da Gamba auch die Hardanger-Fiddle beherrschen, ein altes und
wegen seiner unregelmäßigen Saitenzahl schwer zu handhabendes Instrument. Beide
kennen sich in der Folkmusik genauso gut aus, wie in der klassischen. In der
Ullensvang Kirche in der Husedalenregion trafen sie auf Björn Kjeelemyr, der
nicht nur als Jazzbassist bekannt ist, sondern zudem auf der Renaissance-Laute
einiges zum Klingen bringt. In der stillen Abgeschiedenheit der kleinen norwegischen
Kirche ließen sie ihrem Improvisationsgeist freien Lauf und spielten diese dunkel
und übersinnlich wirkende CD "Ein song fra utsungne stunder" ein. Eine Musik,
bei der man zunehmend dazu verleitet wird, in sich selbst zu hören. Eine rätselhafte
und inspirierende Aufnahme.
Contact to label: 2L@lindberg.no
Karsten Rube
Diverse "30 Years Fidelity: Kirkelig Kulturversted"
Label: Kirkelig
Kulturversted FXCD285; Norwegen 2004; 15 Tracks; 74:40 min
Seit 30 Jahren übt sich die "Kirchliche Kulturwerkstatt" im Spagat zwischen
Kirchenliedern und Popkultur. Erik Hillestad hat dieses ungewöhnliche Musik-Label
1974 in Oslo gegründet und bis heute läuft bei ihm als Produzent und Label-Chef
alles über einen Tisch. Jedes Jahr veröffentlicht sein Label eine überschaubare
Anzahl an CD's. Häufig wird dabei ein sakraler Kirchensaal zum Klangraum. Diese
Atmosphäre löst bei allen Künstlern ein besänftigendes Gefühl der Ruhe aus.
Die CD's sind von entspannender Langsamkeit geprägt. Zum Dreißigsten Geburtstag
des Labels erschien eine sehr schön gestaltete Sammlung mit Aufnahmen aus den
letzten 15 Jahren der "Kirkelig Kulturversted". Das Anliegen kirchliche Musik,
Folktraditionen und Popkultur unter einen Hut zu bringen, wird dabei hervorragend
dokumentiert. Neben der norwegischen Grammy-Preisträgerin Lynni Treekrem, Kari
Bremnes, die ein sehr inniges Verhältnis zur Werkstatt pflegt, Knud Reiersrud
und Ole Paus sind viele norwegische Künstler auf der CD zu finden. Das musikalische
Spektrum fächert sich auf zwischen dem Adagio zum Concerto Aranjuez von Joaquim
Rodrigo, Astor Piazzollas "Tango for 3" und einem von Kari Bremnes interpretierten
Poem Edvard Munchs. Dazwischen liegen Kirchenlieder und langsame Popsongs. Die
CD "30 Years Fidelity" der Kirkelig Kulturversted ist ein guter Querschnitt
der Arbeit dieses eigenwilligen Musik-Labels aus Norwegen.
Contact to label: kkv@kkv.no
Karsten Rube
Kollegium Kalksburg "Imma des söwe"
Label: Extraplatte
Musikproduktion LC 8202; Austria 2004 17 Tracks; 61:18 min
Die kleine Gemeinde Kalksburg am Rande des südlichen Wienerwaldes wurde 1938
von der großen Stadt Wien geschluckt und eingemeindet. Neben dem Jesuitengymnasium
befindet sich am Ort ein Genesungsheim für Alkoholiker. Das Kollegium Kalksburg,
ein Trio Infernale des Wiener Schmäh klingt, als wohnte es in diesem Heim. "Imma
das söwe" heißt die vorliegende CD. Das gute alte Wienerlied ertönt, das Akkordeon
jammert ein paar Töne hervor, es plongt der Kontrabass und Kamm und Tuba tun
ihr nicht gerade aufmunterndes Werk. "Wödmusi" (dtsch. Weltmusik) würden sie
es nennen, wenn die Welt nicht größer wäre, als Wien und doch tun sie einiges,
um ihre "Weltberühmtheit über die Grenzen der Stadt Wien hinaus auszudehnen",
allerdings in der Hoffnung dabei nicht ihr Wirtshaus verlassen zu müssen. Während
sich beim Hören Hans Moser ins Gedächtnis mogelt, gewöhne ich mich an den Dialekt
und beginne ihn zu verstehen. Hans Moser platzt wie eine zerdrückte Reblaus.
Da klingt ein Couplet plötzlich wie weinseliges Gedusel, indem sie sich nämlich
fragen, was denn mit Wien los ist. Kammblasend und schunkelnd sehen sie der
Stadt beim allmählichen Tod zu. In einem anderen Lied stellen sie die weltbewegende
Frage, was denn an anderen Orten der Welt gesoffen wird und ob es in der Sahara
weniger Wirtschaften gibt, als zu Hause, bis sie feststellen, dass sie sich
in der Welt nicht auskennen und lieber in der Wirtschaft am Eck bleiben. Dass
der "Schutzengel schon länger im Urlaub ist", wie sie in einem anderen Lied
behaupten, will ich nicht recht glauben, denn die Lieder des Kollegiums Kalksburg
sind allesamt hinterhältige anarchistische Schmuckstücke und passen in die Wiener
Cafégeselligkeit, wie Senf auf eine Sachertorte. Abstrus philosophierend, verstörend
aggressiv und schließlich weinerlich kommen die Lieder daher, so, wie das menschliche
Gemüt im fortschreitenden Stadium des Alkoholkonsums auf dem unruhigen Pflaster
der Realität daherschlingert, bis es schließlich unsanft im Rinnstein landet.
Doch jeder Kater ist vergänglich und der Mensch ergeht sich gern in wiederkehrenden
Ritualen. In diesem Falle heißen sie, CD mehrfach laufen lassen.
Homepage of the artist: www.kollegiumkalksburg.at,
contact to artist: heinz.ditsch@chello.at,
contact to label: info@extraplatte.at
Karsten Rube
Reinig, Braun und Böhm "Johreszeide"
Label: Pfalzrecords
2004 PRCD2004-03; No.; Deutschland 2004; 14 Tracks; 42:52 min
Die drei pfälzischen Urgesteine Paul Reinig, Peter Braun und Rüdiger Böhm tummeln
sich bereits einige Jahre in der heimatlichen Folkszene. Ende der 90ger Jahre
fanden sie sich zusammen, um als Trio ihr pfälzisches Musikgut zu überdenken,
es unversponnen und schnörkellos zu Gehör zu bringen. Auf ihrer CD "Johreszeide"
gelingt es ihnen mühelos, fern der pfälzischen Weinstubengeselligkeit, mundartliche
Authentizität zu bewahren. Lieder, wie "Schmedderling" und "E neies Friehjohr
kummt ins Land" wirken dabei so alterslos, dass man sie bereits aus dem Hausschatz
Deutscher Volksmusik zu kennen glaubt, obwohl es sich dabei um neu geschriebene
Lieder handelt. Eine Fusion aus Kammermusik und bretonischer Folklore legt Rüdiger
Böhm mit dem Lied "Cellotte" auf. Klavier, Cello und bretonisches Krummhorn
verbreiten dabei eine sentimental atlantische Stimmung. Auf dieser CD eindeutig
mein Lieblingsstück. "Johreszeide" ist ein gelungenes, abwechslungsreiches Beispiel
für mundartliche Folklore ohne anbiedernde Volkstümelei.
Contact to label: info@lieder-um-die-pfalz.de
Karsten Rube
Chelesta "Tanzmusik für Millionen"
Label: LC 08248; Deutschland; 2004 5 Tracks;
25:41 min
KlezmerBrassJazz wäre immer noch eine zu einengende Bezeichnung für die Musik
der Leipziger Kapelle Chelesta. Die Stilvielfalt, die die fünf Musiker vermengen
ist zwar unglaublich, aber sie mischen nichts in ihre Musik, was nicht miteinander
harmonieren würde. Mit Tuba, Saxophon, Akkordeon, Gesang und einem deutlichen
Hang zu ausgelassen tanzbaren Rhythmen machen sie aus den Grundelementen der
Osteuropäischen Musik zwischen Polka, Balkanbrass und Klezmer "Tanzmusik für
Millionen". Eine Musik, für die auch westeuropäische Ohren nicht zu eng sein
dürften.
Homepage of the artist: www.chelesta.de,
contact to artist: info@chelsta.de
Karsten Rube
Georges Dalaras "Tribute to Vamvakaris"
Label: Minos-EMI (LC9080) Tropical-Music
68.840; Griechenland 2003;
Doppel-CD; 28 Tracks, 43:40 min + 43:30 min
Markos Vamvakaris ist einer der Urväter des griechischen Blues, des Rembetiko.
In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts sang er in den Kneipen Athens
zur Bouzouki seine gefühlvollen Lieder, die aus den südosteuropäischen Gesangstraditionen,
den Liedern des Balkan, sowie den Einflüssen des nahen Orients entstanden. Der
Rembetiko ist die griechische Entsprechung des portugiesischen Fados, des Tangos
der Leute in Buenos Aires oder des Blues im Süden der U.S.A.. Im Gegensatz zu
einigen seiner Mitmusiker verschenkte Vamvakaris sein Leben nicht an Rausch
und Drogen, die unter dem griechischen Diktator Metaxa das Leben etwas erträglicher
erscheinen ließen, sondern konzentrierte sich hauptsächlich auf die Musik. Er
begründete damit seinen Ruf als größter Rembetiko-Dichter Griechenlands. George
Dalaras, einer der bekanntesten griechischen Sänger der Gegenwart widmet Vamvakaris
seine Tribute-CD. Zusammen mit einigen Söhnen Vamvakaris lässt er die besten
Songs des Altmeisters auf der Bühne des Apollo-Theaters in Ermopoulus auf der
Zykladeninsel Syros erklingen und das Publikum feiert mit den Musikern die Wiederauferstehung
dieser wunderbaren Musik. Uns zu Ohren brachte diese Doppel- Live-CD das deutsche
Tropical Music-Label, das zu den führenden Weltmusikaufspürern im Lande zählt.
Die CD erschien pünktlich zum 100. Geburtstag Vamvakaris.
Contact to label: info@tropical-music.com
Karsten Rube
Ulli Simon und La Kamanchaca "ATodo Trapo"
Label:
Pläne Verlag (LC0097); No.; Deutschland 2005; 12Tracks; 60:17 min
Meist sind es die großherzigen Menschen, die den finsteren Mächten zum Opfer
fallen. Auf das letzte Jahrhundert zurückschauend, sind es so viele, dass eine
große Zahl in Vergessenheit gerät. Doch einige bleiben und leuchten für lange
Zeit weiter in den Herzen der Menschen. Chiles singende Poet Victor Jara wurde
vor über 30 Jahren vom Pinochet-Regime ermordet. Das tragische Ende des Sängers
der Nueva Cancion Chilena, ist bis heute nicht gesühnt und wird auch nicht so
schnell in Vergessenheit geraten. Ebenso wenig die Lieder, an die immer wieder
erinnert werden wird. Ein anderer großer Chilene gerät ebenfalls nicht in Vergessenheit.
Der Dichter und Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda. Diesen beiden bekannten
Künstlern Lateinamerikas widmet Ulli Simon ein Hommage. Ulli Simon ist ein chilenischer
Liedermacher, der seit dem Putsch 1973 in Deutschland lebt. Er zählt zu denen,
die das Erbe Jaras weitertragen und das chilenische Lied über die Zeit der Diktatur
hinaus gerettet und weiterentwickelt haben. Auf der CD "A Todo Trapo" spielt
er zusammen mit der Band La Kamanchaca neu arrangierte Lieder Jaras und vertonte
darüber hinaus einige Verse Nerudas. Zwei Lieder des Sängers Patricio Manns
ergänzen die Sammlung, die den Hörer schnell in ein Land entführen, dass obwohl
von vielen schönen Landstrichen, der endlosen Küste und den majestetischen Bergen
der Anden geprägt, doch für lange Zeit ein Land der leidvollen Erinnerungen
bleiben wird.
Contact to label: info@plaene-records.de
Karsten Rube
Lutz Keller "Gnadenlos Handgestrickt"
Label: Eigenverlag; 5 Tracks; 15:07 Deutschland
2003
Lutz Keller "Sprachlos"
Label: Eigenverlag; 4 Tracks; 17:02 min Deutschland
2004
"Zwischen Kiez und Kudamm, Moabit und Rieselfeld, da gibts mehr Unikume, als
sonstwo auf der Welt." So sang einst Reinhard Mey, der Hinterhofpoet der Berliner-
Inselzeit. Ein typisches Inselkind ist Lutz Keller. Gitarrist, Sänger, Taxifahrer.
Eingemauert in der Stadt der Freiheit, widmete er sich früh dem Traum von einer
Musikerkarriere, der ebenso früh von Alltagsstreß und Familie aufgefressen wurde.
Seitdem ist Musik seine Passion, wenn auch keine diplomierte. Was nicht heißt,
dass er sich dieser nicht mit der gleichen Hingabe widmet, als hätte er es studiert.
Ein Beweis für hervoragende Musikalitiät liefert seine mit der akustischen Gitarre
eingespielte Mini- CD "Sprachlos", auf der er mit leichten Fingern vier Eigenkompositionen
präsentiert. Kleine Geschichten in Noten. Lutz Keller sieht sich aber auch gern
als Liedermacher. Ein eigenes Programm hat er "Gnadenlos Handgestrickt" und
genauso betitelt. Hier stechen ebenfalls seine Fähigkeiten als Gitarrist hervor,
die als Sänger bleiben leider dahinter zurück. Er passt sich gut ein in die
Riege derer, die ihrer Lieder um die eigene Alltagswelt herumstricken, also
um die Welt des Musikers mit eher flauer Auftragslage. Die fünf Songs auf der
CD "Gnadenlos Handgestrickt" sind recht witzig formuliert, etwas rotzig und
nicht lyrisch überfrachtet, bleiben aber thematisch im Selbstverständis eines
Inselkindes auf sich selbst beschränkt.
Homepage of the artist: www.lutz-keller.de.vu,
contact to artist: lu.keller@arcor.de
Karsten Rube
Diverse "plaene@world"
Label: pläne-records
2004 LC00972; Deutschland 2004; 20 Tracks; 76;09 min
Pläne-Records ist eine feste Größe in Deutschlands Musikgeschäft und das seit
40 Jahren. 40 Jahre das ist im Musikgeschäft eine Altersangabe von Dinosaurierformat.
Aber nix alt und knochentrocken. In diesen vierzig Jahren hat Pläne immer wieder
musikalische Diamanten gefunden und als Tonträger unter die aufmerksameren der
deutschen Musikliebhaber gebracht. Ein Querschnitt aus der Produktionspalette
von Pläne ist auf dem "Plaene@world" zu hören. Vertreten sind auf der kurzweiligen
Zusammenstellung zwanzig Musiker aus der Weltmusik, darunter Giora Feidman,
Lydie Auvray, Bernardo Sandoval, Salsa Picante und die Oysterband. Eine recht
gut bestückte Geburtstagsgala, mit der sich Pläne da feiert. Na dann, auf die
nächsten vierzig. Wir erwarten nur Gutes.
Contact to label: info@plaene-records.de
Karsten Rube
London Lasses & Peter Quinn "Track across the
Deep"
Label: LoLaRecords; England 2003; 13 Tracks;
54:06
Die Iren pflegen ihr Bier und ihre Musik. Manchmal fusionieren die beiden Dinge
so stark, dass man das eine nicht ohne das andere ertragen kann. Wenn man den
Dubliners lauscht, melden sich die Kopfschmerzen des nächsten Tages schon im
voraus. Die London Lasses & Peter Quinn wirken auf ihrer CD "Track across the
deep" nicht wie Leute, die in den Pub gehen, um die Zeit zu vergessen oder die
Umstände, die sie dorthin trieben. Unzweifelhaft irisch kommen sie mit Reels,
Jigs und Balladen daher. Fast schon ein bisschen nach Postkarten-Dublin hören
sie sich an, aber gerade so an der Grenze zum Irland-Kitsch vorbeischrammelnd.
Nach Kopfschmerzen klingt die Session der London Lassies dankbarerweise nicht.
Klare weibliche Stimmen singen unaufdringlich ihre Songs und die Musiker zelebrieren
eine Session, der man anhört, dass sie um der Musik willen beieinander sitzen.
Die Flöte erinnert an Matt Molloy und der Fiddler erfreut durch ein sauberes
Spiel, was einem selbst bei Irish-Folk-Festen und St.Patricks-Day-Touren nicht
immer vergönnt ist, von den musikalischen Begleiterscheinungen der unbedingt
zu meidenden irischen Reise- und Kulturinformationsmessen ganz abgesehen. Es
gibt sie also doch noch, die geradlinige irische Folkmusic, auf sich selbst
beschränkt und ohne die Gratistüte Reisedevotionalien zum mitnehmen. Keine irische
Butter, kein Guinness light aus der Dose, nur die Musik bitte.
Homepage of the artist: www.londonlasses.net,
contact to artist: london.lasses@virgin.net
Karsten Rube
Carlos Nuñez “Cinema do mar”
Label: BMG LC02540; Spanien 2005; 12 Tracks;
40:41 min
Carlos Nuñez' hat mit seiner Musik den oscarprämierten Film "Mar adentro" des
Spaniers Pedro Almodovar bereichert. Die Arbeit mit dem Erfolgsregisseur inspirierte
den Galizier zu seinem Album "Cinema do Mar". Filmmusiken und Kompositionen
aus der Klassik interpretiert Nuñez auf eigenwillige Art mit der Gaita - dem
galizischem Dudelsack - oder der Blockflöte. Das “Concierto Aranjuez” gehört
zu den Werken der Klassik, die spanischer nicht sein könnten. Im Original für
Gitarre und Orchester arrangiert wirkt es sauber, edel und ätherisch. In der
Version von Carlos Nuñez, nur auf der Gaita gespielt, wirkt es authentisch und
besitzt die nötige Bodenhaftung, die dieses Stück benötigt. Das selbe kann man
über den “Bolero” von Ravel sagen, den Nuñez spielt, nur das dieser bereits
in der ursprünglichen Form recht robust ist. Als drittes klassisches Stück versucht
sich Nuñez an Bach's "Suite für Violoncello", das in dieser Form eine sakrale
Hoheit erhält. Wer Nuñez in der Berliner Passionskirche erleben konnte, sah,
wie er würdevoll durch den Kirchgang schritt, nur von einem einzigen gezielten
Scheinwerfer verfolgt und dieses Bachwerk als Dudelsackversion zwischen den
Kirchenmauern hallte, weiß, dass die Orgel nicht das einzige allmächtige Instrument
ist, mit dem man Gott loben kann.
Nach den drei klassischen Stücken widmet sich das Album ausschließlich Filmmusiken.
Die meisten sind gut interpretiert, doch mindestens bei einem stellt sich die
Frage, ob er sich an diesem hätte wirklich versuchen sollen. Der gelungenste
Song ist eindeutig das Titelthema des Almodovar-Films "Mar adentro". Diese Eigenkomposition
gehört zu den besten Liedern, die Nuñez in den letzten Jahren geschrieben hat
und reicht mühelos an die Qualität seines Albums "Mayo longo" heran. Nino Rotas
Filmthema zu "Der Pate" gelingt ihm ebenfalls noch recht gut, doch seine Variation
von “Gabriels Oboe” aus dem Film "The Mission", eine von vielen großartigen
Morricone-Kompositionen, liegt leider völlig unter den Möglichkeiten, die diese
Komposition bietet. Souverän spielt sich Carlos Nuñez' aber wieder mit “Tristan
und Isolde" in die Höhe. Dies ist eine Arbeit vom Chieftain Paddy Moloney, mit
dem er seit Jahren hervorragendes zusammen geleistet hat. Und mit dem Schlusspfiff
schunkelt er den Zuhörer noch durch ein traditionelles schottisches Seemannsthema,
nämlich der “Sailors Hornpipe” aus dem Film "Popeye".
Das Album "Cinema do mar" ist eine gewagte Spielerei des galizischen Großmeisters
der Flötentöne. Nicht durchgängig perfekt, wie von ihm gewohnt, recht eigenwillig
arrangiert, aber auf jeden Fall hörenswert.
Homepage of the artist: www.carlosnunez.com
Karsten Rube
Cathrin Pfeifer & Band "Waiting for Valentine"
Label: VarisOne; Deutschland 2005; 12 Tracks;
59:40 min
Reiseeindrücke wiederzugeben ist einerseits sehr schön, weil man im Kopf die
Reise noch einmal antritt. Andererseits muss man einen ausreichenden Wortschatz
zur Verfügung haben, um alle Sinneseindrücke, vom leisen Rauschen der Bäume,
über die Gerüche der Felder und Restaurants, das staubige Knirschen des Straßenstaubs
auf den Zähnen oder dem Geschmack kaltgewordenen Cappuccinos wachzurufen. Oder
den Ärger mit dem schnöseligen Kellner in einem Pariser Bistro, der das deutlich
artikulierte Französisch nicht verstehen will, die nassen Füße nach einem Platzregen,
den exotischen, wunderschönen Schmetterling, den man in der Erinnerung für lila
hält. Für das, was ich mit einem langen Absatz beschreiben muss, benötigt Cathrin
Pfeifer ein paar Töne auf ihrem Akkordeon und schon ist man unterwegs. Die CD
"Waiting for Valentine" der Berliner Akkordeonistin ist wie eine sinnesfreudige
Reiseerzählung, voller Atem und Farbe, dem Geschmack nach süßen Früchten und
den schmerzenden Blasen unter den Fußsohlen nach langem erfolglosem Daumenraushalten.
Zwar sind alle Sinneseindrücke, die einem beim Hören der Musik durch den Kopf
gehen subjektiv geprägt, andere sehen andere Bilder. Der Wirkung Cathrin Pfeifers
Musik tut das jedoch keinen Abbruch. Mal sonnenverliebt mediterran, mal nachttrunken
schwebend, aber immer erlebnisgetränkt sind die zwölf Kompositionen, die Cathrin
Pfeifer im Laufe der vielen Konzertreisen aus ihrem Akkordeon gezaubert hat.
Und Zauber liegt in diesen Liedern, denn nach dem Ende der CD spürte ich ihn,
diesen wie Trauer wirkenden Trennungschmerz, der das Herz einengt, wenn man
nach einer schönen Reise die heimischen, vertrauten, aber lange nicht vermissten
Bilder seines eigenen Lebensraumes wiedersieht, während das Erlebte noch das
Gemüt streichelt.
Homepage of the artist: www.cathrin-pfeifer.de,
contact to artist: pfeicat@gmx.de
Karsten Rube
Mariza “Transparente”
Label: EMI Music Portugal; Portugal 2005;
14 Tracks; 41:32 min
Viele Mitteleuropäer verstehen sie nicht, diese portugiesische Sehnsucht, die
Saudade. Dabei muss man sich nur an das Gefühl erinnern, hoffnungstrunken einer
völlig aussichtslosen Liebe hinterherzuträumen. Hört man dem neuen Album der
Portugiesin Mariza zu, sollte sich diese wohlig sentimentale Stimmung mit dem
leichten Anflug eines Schwindelgefühls schnell einstellen.
Mariza gelingt es mit ihrem dritten Album "Transparente" alle in sie gesteckten
Erwartungen zu übertreffen. Sie tat einen gewagten Schritt und verschleppte
die portugiesische Angelegenheit Fado nach Brasilien. Unter der tropischen Sonne
tauchte sie die Lieder ihrer Landsleute in hellere Farben. Zur Seite stand ihr
dabei der brillante Cellist, Arrangeur und Produzent Jaques Morelenaum, der
Marizas Gesang eine fulminante Orchestrierung hinzufügte. Doch wo bei anderen
Gelegenheiten symphonische Kooperationen ins bombastisch Überzogene ausufern,
werfen Jaques Morelenbaums Arrangement einen schmeichelhaften Spot auf die Künstlerin.
Seine Streicheruntermalung, der dezente Einsatz der Bläser, heben Marizas Persönlichkeit
hervor, wie klug gewählte Garderobe die Schönheit einer Frau hervorheben, statt
sie zu ersticken.
"Ha uma musica de povo", das Eingangslied der CD basiert auf einem Text von
Fernando Pessoa, dem Dichter Lissabons, der seine Stadt, wie kein anderer in
Worte zu fassen in der Lage war. Vertont ist es eine Hommage an die Stadt am
Tejo und man scheint, wie von einem der zahlreichen Aussichtspunkte, den Miradouros,
auf die Dächer der Stadt herabzusehen. Dieser Eindruck verstärkt sich noch durch
"Meu fado". Geschrieben hat dieses Lied Paulo de Carvalho, einer der Musiker
Portugals, dessen Lieder am 25. April 1974 im Radio gespielt wurden und die
damit das Signal zur Nelkenrevolution gaben. Begleitet von den Streichern Jaques
Morelenbaums wird "Meu Fado" zu einer der hinreißendste Fadokomposition überhaupt.
Jedes Lied der CD "Transparente" ist ein Liebeslied an die portugiesische Heimat,
betrachtet aus der großen und doch verbindenden Distanz, die der Atlantische
Ozean aufwirft. Vielleicht benötigte Mariza diese Distanz, um unbeschwert und
mit unverstelltem Blick ihrer Musik diesen neuen Anstrich zu geben. Der Aufwand
hat sich gelohnt. Es ist erst ihre dritte CD, doch sie hat den Olymp der portugiesischen
Musik bereits erklommen. Mariza ist keine Kopie einer verstorbenen Fadoköngin,
sondern einzigartig und unvergleichbar.
Homepage of the artist: www.mariza.com,
contact to artist: info@mariza.com
Karsten Rube
Filipa Pais “A Porta do mundo"
Label: V&A edição; V&A 200302; Portugal 2003;
14 Tracks; 42:52 min
Filipa Pais ist vielseitig, verfügt über eine hervorragende musikalische Bildung
und treibt ihre Projekte selbst voran. Kritiker bezeichnen sie als eine der
besten Sängerinnen ihrer portugiesichen Heimat. Von der Tänzerin in Showbetrieb
zur wandlungsfähigen Allroundkünstlerin vergingen zwar etliche Jahre, doch heute
kann sie auf einige sehr eindrucksvolle Arbeiten auf verschiedenen künstlerischen
Ebenen verweisen. So sang sie in Michael Nymans Oper "Ciclo de Canções sobre
Fernando Pessoa", hatte ihre eigene Show auf der Expo 98, in der sie vom traditionellen
Lied, über den Fado zum Jazz schritt, trat mit Chico Cesar und der galizischen
Sängerin Uxia bei zahlreichen Großkonzerten auf und veröffentlichte 2003 ihr
zweites Soloalbum "A Porta do mundo".
Auf diesem Album präsentiert sie sich erstmals außerhalb der iberischen Halbinsel.
Dass dies so lange brauchte, verwundert, denn ihre perfekt ausgebildete und
trotzdem wunderbar warme Stimme lässt wirklich aufhorchen. Auf "A Porta do mundo"
breitet sie ihre enorme stilistische Bandbreite aus. "Zacaria" erinnert in seiner
jazzig verspielten Weise an die musikalischen Duelle von Maria João und ihren
Pianisten. "Em Todas as ruas e encontro" nur im Wechselspiel zwischen Filipa
Pais’ Stimme und dem verträumten Klavier von João Paulo Esteves da Silva, kommt
wie ein Abendgesang daher, der einem beruhigt zur Ruhe bettet. “Primeiro o amor”,
komponiert von Ricardo Dias tanzt auf dem Mandolinenspiel von Eduardo Miranda,
flink und ungebändigt. "Altinho" kenne ich bereits in einer wesentlich gedämpfteren
Version von ihr. Auf der CD “Danzas das areas” der galizischen Sängerin Uxia
erschien es vor einigen Jahren, leider ohne groß aufzufallen. Filipa Pais hat
sich für ihre Lieder vom Universum des “Kleinen Prinzen” Exupery’s inspirieren
lassen. Die Geschichten, die sie in erzählt, sind fantastische kleine Poeme
voller Fantasie, kindlichem Spieltrieb und farbenfrohen Träumen. Lieder, in
denen bunte Pferde über Wiesen galoppieren, und über die Frage nach dem “Was
wäre, wenn die Liebe die Welt auf den Kopf stellen würde” auf sehr poetische
Weise allerhand gemutmaßt wird. Filipa Pais übernimmt dabei die Rolle des kleinen
Prinzen, der von einem einsame Planeten zum nächsten hopst und sie alle miteinander
verbindet. Mit "A porta do mundo" erscheint eine CD voller schöner portugiesische
Lieder die Kunst, Jazz und Tradition in einer mühelosen Weise vereinen, dass
man auch noch der komplizierteste Melodieführung mit Leichtigkeit folgen kann.
Filipa Pais ist trotz ihrer bereits recht langen Karriere, der frischeste musikalische
Exportartikel, den Portugal zur Zeit zu bieten hat.
Homepage of the artist: www.vachier-producao.pt,
contact to artist: filipapais@vachier-producao.pt
Karsten Rube
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Special
Übersicht: Inhalt der CD-Rezensionen
Zum Inhalt der FolkWorld
Nr. 31
© The Mollis - Editors
of FolkWorld; Published 1/2006
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