Ausgabe 31 1/2006

FolkWorld CD-Besprechungen

Carlos Nuñez & Amigos "En Casa"
Label: Sony Music España 2004 (SM 2027467); CD & DVD; Galizien 2004
CD 14 Tracks, 60:00 min; DVD 17 Tracks + Bonusmaterial, ca. 85 min
Carlos Nuñez gehört zu den eigenwilligsten Musikern Europas. Der stolze Spanier mit dem schütteren Haupthaar ist ein großartiger Bühnenmusiker. Er schwitzt für sein Publikum und seine Animationen von der Bühne herab sind wirksam genug Begeisterungsstürme selbst bei Dänen hervorzurufen. Ja, es gelang ihm sogar dem begeisterungsresistente Publikum des Irish-Folk-Festes in der Berliner Passionskirche gefällige Bravo-Rufe zu entlocken. Wenn Carlos Nuñez in seiner galizischen Heimat spielt, dann zündet man ein Feuerwerk über Vigo und selbst die Sterne tanzen. "Concerto das Estrellas" nannten die 30.000 Besucher das Konzerteereignis, dem sie im Sommer 2004 auf der Open-Air Bühne De Castrelo in Vigo beiwohnten.
Nicht nur unter Sternen saßen sie, sondern auf der Bühne sammelten sie sich auch, die Stars der keltischen Folkszene, mit denen Carlos Nuñez in den vergangenen Jahren zusammenarbeitete. So begleiteten ihn seine zahlreiche Freunde: Leon Gieco, die irische Akkordeonistin Sharon Shannon, sowie die Chieftains, die wichtigste Folkband überhaupt. Mit den Chieftains verbindet Carlos Nuñez eine lange arbeitsreiche Freundschaft, die ihn zum Chieftain ehrenhalber werden ließ. Die Produktion des Albums "Santiago", das die Chieftains 1996 einspielten, kann man getrost als den Zeitpunkt festlegen, von dem an Gaalizien in die Aufmerksamkeit der europäischen Folk-Musik gelangte. Carlos gehörte damals zu den maßgeblichen Förderern dieses musikalischen Projektes, zumal er kurze Zeit vorher mit einer Vielzahl Künstler aus Europa seine CD "Brotherhood of Stars" veröffentlichte. Einige von ihnen fanden sich bei der Einspielung von "Santiago" wieder in Vigo ein.
Das Konzert in Vigo wird von einer Stimmung geprägt, der man sich nur schwer entziehen kann. Es begeistert nicht allein, sondern rührt, besonders wenn Carlos Nuñez die Chieftains ankündigt, aus deren Mitte kurze Zeit vorher der Harfenspieler Derek Bell gerissen wurde. Nach vierzig Jahren gemeinsamer Bühnenpräsenz mussten sie mit Triona Marshall für Nachwuchs in den eigenen Reihen sorgen. Carlos Nuñez spielt nicht nur die Flöte unverwechselbar schön, sondern ist der Großmeister des galizischen Dudelsackes, der Gaita. Die vielen hervorragenden Gaitaspieler Galiziens, wie Xosé Manuel Budiño, Susana Seivane und Anxo Pinto sind trotz allem eigenen Könnens seine Jünger. Auf der Gaita spielt Nuñez nicht nur eigene Kompositionen und traditionelle Stücke. Während des Irish-Folk-Festes erklang Bach auf seinem Dudelsack und in Vigo bekam er stehenden Applaus, nachdem er einen Auszug des Concierto Aranjuez zu Gehör brachte.
Nun liegt dieses Konzert als CD und als DVD-Mitschnitt vor. Zahlreiche Zusätze auf der DVDbringen die Welt dieses Menschen näher, der hauptsächlich für seine Musik lebt. So extravagant er sich auf der Bühne gibt, in den "Making-Off"-Beiträgen der DVD wirkt er uneitel, präzise arbeitend und komplett von seiner Musik umschlossen. Zusätzlich präsentiert die DVD noch eine Videocreation, eine traumwandlerische Theaterperformance auf den Stufen der Kathedrale von Santiago de Compostella und einen Videoclip des Titels "El Pozo de Arán", den Carlos zusammen mit der portugiesischen Sängerin Anabela für das Album "Mayo longo" aufgezeichnet hat. Das Carlos Nuñez Konzert in Vigo mag nur für spezielle Freunde der Musik aus diesem historisch so vielfältig geprägten Landstrich eine Empfehlung sein. Für alle Kenner der kelto-galizischen Musikszene ist es jedoch ein Ereignis, das zweifellos zeitlos bleiben wird und auch in zehn Jahren noch für großen Hör- und Sehgenuß sorgen wird.
Homepage of the artist: www.carlosnunez.com
Karsten Rube


Orkiestra sw. Mikolaja "O milosci przy grabieniu siana"
Label: Own; Polen 2004; 19 Tracks; 54:12 min
Weit und wild ist die Bergwelt der Karpaten, weit, wild und urig. Der veränderungssüchtige Mensch hat sich gerade in Europa fast aller urwüchsigen Flecken des Kontinents bemächtigt, mit seinen Maschinen, Kommunikationsmitteln und urbanen Lebenseinstellungen, doch einige wenige Gegenden haben sich ihre Geheimnisse bewahren können. Die Karpaten haben etwas ihrer Ursprünglichkeit gerettet, trotz wandelnder Diktaturen, der faschistischen, der kommunistischen und nun der marktwirtschaftlichen. Dort, in den wenig erschlossenen Gebirgsregionen, fühlt man sich in frühere Zeiten zurückversetzt, in denen der Sonnenlauf die Tageszeiten festsetzte und nicht der in der Jackentasche piepsende Terminkalender. Die volkstümliche Dichterin Wanda Czubernat war im täglichen Leben eine Bauersfrau. Am Küchentisch und während der täglichen Arbeit entstanden zahlreiche Gedichte aus dem bäuerlichen Leben.
Das über die Grenzen Polens bekannte Orkiestra sw. Mikolaja hat sich einiger ihrer Gedichte angenommen und sie auf traditionelle Weise vertont. Die kulturellen Einflüsse, die die Karpaten durchziehen, kommen deutlich zum Tragen. Neben polnischer Hirtenmusik, leuchten die Melodien anderer slawischer Völker hervor, vor allem die der Ungarn und die der lange die Region kontrollierenden Osmanen. Die unmittelbar des alltäglichen Lebens mit der Natur entspringenden Lieder singen von der Freude an der Arbeit, vom Feiern, vom Lauf der Jahreszeiten, von einem Hund, der in der Sonne spielt, blutrünstigen Räubern, der Trauer und der Liebe im Heu. Man spürt das Brummen der Hummeln in den Wiesen und die Macht der noch unbeherrschten Wildnis. Das Orkiestra sw. Mikolaja, das in Deutschland auch als "Das Orchster der Heiligen Nikoläuse" bekannt ist, vermittelt mit seiner Musik eine sommerliche Landstimmung, die den allergischen Städter selbst im Winter die Erinnerung an den Heuschnupfen nahebringt. Soviel Natur muss man erstmal in Noten fassen. Urig, stimmungsgeladen, wunderbar.
Contact to artist: mikolaje@klio.umcs.lublin.pl
Karsten Rube


Rachelina und die Maccheronies "Terra, Terra"
Label: duophonrecords LC12000; Deutschland 2004 14 Tracks; 58:34 min
Neapel an einem trockenen Sommertag. Der Vesuv atmet leise ein blasse Wolke aus, wie ein schlafender Drache. Eine Windboe tanzt mit der Wäsche, die quer über die Gassen gespannt vor sich hin trocknet, spielt mit herumliegenden Papier. Nebenher rührt sie den Geruch aus Kochtöpfen, muffigen Hausfluren und vergessenem Müll zusammen. Zwischen Vespageknatter und Kindergeschrei mischt sich ein Lied, das ein alter Mann aus einem brüchigen Akkordeon und seinen Stimmbändern presst. So oder ähnlich muss es ausgesehen haben, das kindliche Umfeld von Rachelina Giordano. Zwar erblickte sie in Palermo das Licht der Welt, wo es etwas gedämpfter zugeht, als in Neapel, doch der Einfluss dieses Molochs, der eigentlichen Hauptstadt Süditaliens, weht auch bis nach Sizilien. Später wohnte Rachelina für ein Jahr in Neapel, zog eine Zeit nach Padova.
Inzwischen lebt sie bereits 20 Jahre in Berlin, die Heimat in sich tragend und wie jeder empfindsame Künstler, voller Sehnsucht. Sehnsucht jedoch ist kein Kissen, auf dem man sich seufzend zur Ruhe bettet. Sehnsucht verlangt nach Ausdruck. Das neapolitanische Lied ist wie geschaffen dafür, Rachelinas Sehnsüchten Ausdruck zu verschaffen. Neapel ist eine pulsierende Metropole, altmodisch und modern, verfallen und schick verglast, hecktisch und laut, sonnendurchflutet und verdreckt, brutal und leidenschaftlich. In grellem Licht verzerrt erscheinende Gesichter mit schattenwerfendem Make-Up tauchen in die dunklen Gassen ab. Aus unscheinbaren Kellerfenstern wummert groovige Partymusik. Neapel, eine Stadt, die sich bei einigen Sinnen besonders auffällig meldet. Neapel riecht und das nicht immer gut, was nur eine weitere Eigenheit ist, die die Stadt mit Berlin gemeinsam hat. Nur, dass in Berlin das Meer fehlt, ein Grund mehr sehnsüchtig zu singen. Wer nach zwanzig Jahren nicht wieder aus Berlin geflohen ist, muss die Stadt mögen und sich dort zu Hause fühlen. So könnten ihre neapolitanischen Lieder ebenso gut einen Abriss des Berliner Lebens darstellen. Der Straßenjargon, das Leben in den Hinterhöfen der Vorkriegszeit, Prostituiertenlyrik á la Brecht/Weill, das Betteln nach den Kaugummies der Allierten, die Hoffnungen der Gastarbeiter und das unendliche Thema Liebe, alles Themen, die sich im mediterranen Neapel oder Palermo nicht anders verhalten, als im kühlen Berlin. In Rachelinas neapolitanischen Liedern verschwimmen die Unterschiede. Stilistisch rührt sie zusammen, was sich an Zutaten in einem Schmelztigel so findet. Die unvermeidliche Tarantella, das Bühnenlied einer Brechtoper, Rumba. Selbst die böhmische Blasmusikschnulze "Rosamunde" wird von ihr zu einem italienischen Lied. Da es überall auf der Welt eine Version dieses Liedes gibt - die Amerikaner haben eine prächtige Saufhymne daraus gemacht, die zu singen sich selbst die Andrew Sisters nicht zu schade waren - haben sich die Italiener dieses Lied für den Befreiungskampf zurechtgemacht. So jedenfalls lässt es uns Rachelina im Booklet ihrer CD "Terra, Terra" wissen. Vielleicht kam “Rosamunda” ja aus Böhmen oder nahm den Umweg über die Amerikaner, bis es in Italien landete. So genau weiß das keiner mehr. Die warme weiche Stimme der Sängerin schmeichelt sich ohne Umweg in das Ohr des Hörers und erinnert wohl absichtlich an das laszive Hauchen italienischer Filmdiven.
"Terra, Terra" ist ein raffiniertes Album, das den kühlen nördlichen Zuhörer für die Dauer ihrer Lieder in einen Napolitaner zu verwandeln vermag.
Homepage of the artist: www.rachelina.com, contact to label: music@duo-phon-records.de
Karsten Rube


Diverse "Italia 3" Atlante di Musica Tradizionale”
Label: Dunya Records; Felmay (fy 8078); Italien 2004; 19 Tracks; 69:42 min
Zwar sieht das Cover der CD "Italia 3 Atlante di Musica Tradizionale" aus wie eine missglückte Thunfisch-Tomaten-Pizza, der Inhalt des Samplers erscheint dann eher wie eine umfangreiche pizza quattro stagioni. Alle Jahreszeiten und alle Zutaten sind vorhanden, um die dritte Sammlung italienischer Musik, die Dunya Records auflegt, so komplett wie möglich erscheinen zu lassen. Der Liedermacher Beppe Gambetta gehört dazu, Elena Ledda, die große Stimme Sardiniens, die Banda Ionica und Riccardo Tesi. Jedes Lied ist für sich ein Schmuckstück, gut ausgewählt aus der Masse der Produktionen. Besonders herauszuheben sind dabei Franca Masu, die ihre katalanischen Wurzeln einfließen lässt, der Marsch, den die Banda di Avola anstimmen, wie einen Festumzug auf einer eher fröhlichen Beerdigung und Daniele Sepes "Senza filtro", das eher groovig und elektronisch verzerrt daherschleicht. Ein umfassender Blick auf das aktuelle Musikgeschehen Italiens.
Contact to label: info@felmay.it
Karsten Rube


Antonello Paliotti "La montagna fredda"
Label: Dunya Records; Felmay; Italien 2004; 15 Tracks; 42:45 min
Halbvergessene Tarantellas, Lieder aus dem Gedächtnis des italienischen Südens und eine traditionelle Leier, die als Schlager um die Welt ging, das sind die Einzelteile aus denen Antonello Paliotti seine dritte CD zusammensetzt. Dabei konzentriert er sich ganz auf eine Vortragskunst, die eher an die klassischen Musik angelehnt ist, als an die folkloristische. "Tu m'haje prummiso" ist ein Lied, das einst von einer Waschfrau zur Arbeit gesungen wurde. Klagend trägt Brunella Selo dieses Lied vor, basierend auf einer alten Melodie aus dem 14. Jahrhundert. "Santa Lucia", eines der Lieder, das als Volksweise bekannter ist, als die Nationalhymne, wird hier von einem Cello und der klassichen Gitarre vorgetragen, ruhig, verhalten, sentimental. "La montagna fredda" ist keine CD mit typischer italiensicher Musik, sondern eher die spezielle Sichtweise Paliottis auf eine Zeit des Bänkelgesangs, der verspielten Liebeslieder und der festlichen Tanzmusik vergangener Jahrhunderte.
Contact to label: info@felmay.it
Karsten Rube


Massimo Ferrante "U Ciucciu - Voci e suoni dal Sud Italia"
Label: Dunya Records; Felmay; Italien 2005; 18 Tracks; 16:34 min
Mit der Musik von Massimo Ferrante gelangen wir auf Ferse, Spitze, Sohle und Spann des italienischen Stiefels, also ganz weit in den Süden. Hier schlagen sogar die Kirchenglocken langsamer. Unter dem selten zurückhaltenden Sonnenschein und mit dem Wispern des Meeres in Hintergrund, dem Zirpen der Insekten und den Geräuschen des Landlebens als Rhythmus, entwickelte sich eine eigenständige Kultur. Emigranten, aus dem östlichen Mittelmeer, Afrikas glühende Nähe und die durch feste Familienbindung geprägten sozialen Verhältnisse modellierten das Leben der Menschen im Süden. "U ciucciu - Stimmen und Klänge aus dem Süden" nennt Massimo Ferrante seine erste Solo-CD. Ferrante ist bekannt als die Stimme der Daniele Sepe Band. Zu finden sind auf dieser CD Tarantellas, ohne die keine Feste und Feierlichkeiten denkbar wären. Aber auch Verse aus dem 16. Jahrhundert sind zu hören, Verse die sich um die Arbeit und das Leben der Einwohner ranken und Verse mit deftigem erotischem Inhalt. Mit zahlreichen Musikern aus dem Umfeld der Daniele Sepe Band hat Massimo Ferrante eine frische und lebendige CD eingespielt aus einem Landstrich, der nicht nur musikalisch weit außerhalb des Fokusses allgemeiner Aufmerksamkeit steht.
Homepage of the artist: www.massimoferrante.it, Contact to label: info@felmay.it
Karsten Rube


Jydsk på Næsen "Gårn, så gårn"
Label: helikonrecords HCD 1045; Dänemark 2003; 18 Tracks; 55:27 min
Wer an Jütland denkt, dem fällt meist nur eine kleine übersichtliche Sammlung an Fakten über diese Gegend ein. Unendlich lange Sandstrände mit wanderlustigen Dünen, sowie die Olsenbande beim Ausräubern alter Bunkeranlagen. Dass in dieser Gegend auch Musik gespielt wird ist logisch, aber nicht sofort naheliegend. Jydsk på Næsen, so heißt eine alte Polonaise aus Jütland. Den selben Namen gaben sich vier Musiker, die sich vornehmlich auf Silberhochzeiten und traditionellen Tanzabenden präsentieren. Zwei Geigen, ein Kontrabass sowie ein Akkordeon musizieren traditionelle Stücke und Eigenkompositionen in stimmigen Arrangements. Das ist saubere Handarbeit und gutgemeinte Traditionspflege, die die Dänische Folkmusikszene mit einer Nominierung des dänischen Folkmusikawards für die CD "Gårn, så gårn" honorierte. Nicht alle Lieder der CD sind tatsächlich aus jütländischen Quellen geschöpft, denn es verirrt sich schon mal ein Tango ins Repertoire, was aber dem freundlichen skandinavischen Charakter der CD nicht abträglich ist.
Contact to label: helikon@helikonrecords.dk
Karsten Rube


Soren Krogh "Fortroligt"
Label: Uwaki-Records, ncb; Dänemark 1999 11 Tracks; 46:30 min
Ich muss ja zugeben, dass ich über Soren Krogh nicht allzuviel weiß. Nur, dass er Däne ist, Liedermacher und nicht zu verwechseln mit dem dänischen Fussballer. In Dänemark hat er jedoch bereits sechs CD's auf den Markt gebracht und die verkaufen sich mit ganz brauchbaren Zahlen. Die CD "Fortroligt" ist live und solo eingespielt und Krogh trägt elf Songs aus seinem Repertoire vor, die in der Kneipenatmosphere auf ein ruhig zuhörendes und nur selten mit Zwischenrufen agierendes Publikum treffen. Mein Dänisch ist leider fast überhaupt nicht zu gebrauchen. Aber allein die Stimmung, die vorherrscht, lassen Krogh als einen Erzähler zur Gitarre erscheinen, dem das Publikum leise nickend zustimmt. Ein bisschen erinnert er mich an Wolfgang Niedecken solo. Vielleicht doch ganz gut, dass man nicht alles versteht.
Homepage of the artist: www.sorenkrogh.dk
Karsten Rube


Lang Linken "Lyst"
Label: CE Musik CEMCD 0597; Dänemark 1997; 15 Tracks; 48:07 min
Lang Linken sind fast schon so lange auf der folkmusikalischen Bühne Dänemarks anzutreffen, wie es die Chieftains in Irland sind. 35 Jahre hat die Kapelle bereits auf den Buckel. Da der Däne aber lieber auf den eigenen Inseln agiert und das heimatliche Liedgut pflegt, bleibt die Welt drumherum meist uninformiert. Im Falle von Lang Linken ist das schade, denn die alten Herren wissen ordentlich aufzuspielen. "Lyst" ist eine muntere Sammlung von traditionellen Liedern und Tänzen aus einem knappen Jahrhundert dänischer und schwedischer Tanzmusikkompositionen. Die drei Multiinstrumentalisten bedienen dabei ein umfangreiches Repertoire im Folk fußender Instrumente: das chromatische, wie das diatonische Akkordeon, Violine, Drehleier, Flöte und Gitarre, sowie Sackpfeife und die eigenen geölten Stimmbänder. Das ist bester Gute-Laune-Tanz-Folk zum geselligen Abhüpfen.
Homepage of the artist: www.langlinken.dk, contact to artist: keld@langlinken.dk
Karsten Rube


Lirum Larum "Traditional Music of Denmark and Scandinavia"
Label: Eigenverlag; Danmark 2000; 5 Tracks; 13:05 min
Gestandene Herren aus Dänemark, deren erste musikalische Schritte sich bereits auf das Jahr 1970 zurückverfolgen lassen, im Booklet einer Demo CD mit "first young folkgroup" einzuführen, das bedarf schon etwas Freude am Vergessen von Zeit. Tatsächlich gehören Lirum Larum zu den Pionieren der traditionellen Folkmusik unseres Nachbarlandes und Folkmusik gibt es in Dänemark, seit die ersten Seemänner ihre Trinkfestigkeit in lautem Gesang manifestierten. Darauf baut sich das Liedgut der Dänen auf, aus Liedern, die auf vielfältigen Wegen ins Land getragen wurden, meist aus dem keltischen Raum, Skandinavien und den anderen baltischen Anrainerstaaten. Die vorliegende Demo-CD wurde im November 2000 in einem Kopenhagener Conservatorium in einer einzigen Session live eingespielt und beinhaltet fünf Stücke aus Schweden, Dänemark und Norwegen, wobei sich ein Schottish, mit einer Ballade abwechselt und zwei Shanties auf ein Polkamedley folgen. Ein kurzes, aber stimmungsvolles Schnupperstück für Freunde skandinavischer Folkmusik.
Homepage of the artist: www.lirumlarum.dk
Karsten Rube


BNB "Ein song fra utsungne stunder"
Label: Lindberg Lyd 2L (2L24); Norwegen 2005; 15 Tracks; 53 min
Berit Opheim, Nils Okland und Björn Kjellemyr haben nach alter skandinavischer Tradition die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen zusammengestellt und daraus einen Bandnamen gezaubert. Das hat schon bei ABBA geklappt. Hiermit enden jedoch alle Gemeinsamkeiten mit der großen schwedischen Schlagertragödie. Wenden wir uns der Musik der drei Norweger zu. Berit Opheim ist eine Sängerin mit glockenhelle Stimme. Nils Okland gehört zu den Geigern seiner Heimat, die neben der Violine und der Viola da Gamba auch die Hardanger-Fiddle beherrschen, ein altes und wegen seiner unregelmäßigen Saitenzahl schwer zu handhabendes Instrument. Beide kennen sich in der Folkmusik genauso gut aus, wie in der klassischen. In der Ullensvang Kirche in der Husedalenregion trafen sie auf Björn Kjeelemyr, der nicht nur als Jazzbassist bekannt ist, sondern zudem auf der Renaissance-Laute einiges zum Klingen bringt. In der stillen Abgeschiedenheit der kleinen norwegischen Kirche ließen sie ihrem Improvisationsgeist freien Lauf und spielten diese dunkel und übersinnlich wirkende CD "Ein song fra utsungne stunder" ein. Eine Musik, bei der man zunehmend dazu verleitet wird, in sich selbst zu hören. Eine rätselhafte und inspirierende Aufnahme.
Contact to label: 2L@lindberg.no
Karsten Rube


Diverse "30 Years Fidelity: Kirkelig Kulturversted"
Label: Kirkelig Kulturversted FXCD285; Norwegen 2004; 15 Tracks; 74:40 min
Seit 30 Jahren übt sich die "Kirchliche Kulturwerkstatt" im Spagat zwischen Kirchenliedern und Popkultur. Erik Hillestad hat dieses ungewöhnliche Musik-Label 1974 in Oslo gegründet und bis heute läuft bei ihm als Produzent und Label-Chef alles über einen Tisch. Jedes Jahr veröffentlicht sein Label eine überschaubare Anzahl an CD's. Häufig wird dabei ein sakraler Kirchensaal zum Klangraum. Diese Atmosphäre löst bei allen Künstlern ein besänftigendes Gefühl der Ruhe aus. Die CD's sind von entspannender Langsamkeit geprägt. Zum Dreißigsten Geburtstag des Labels erschien eine sehr schön gestaltete Sammlung mit Aufnahmen aus den letzten 15 Jahren der "Kirkelig Kulturversted". Das Anliegen kirchliche Musik, Folktraditionen und Popkultur unter einen Hut zu bringen, wird dabei hervorragend dokumentiert. Neben der norwegischen Grammy-Preisträgerin Lynni Treekrem, Kari Bremnes, die ein sehr inniges Verhältnis zur Werkstatt pflegt, Knud Reiersrud und Ole Paus sind viele norwegische Künstler auf der CD zu finden. Das musikalische Spektrum fächert sich auf zwischen dem Adagio zum Concerto Aranjuez von Joaquim Rodrigo, Astor Piazzollas "Tango for 3" und einem von Kari Bremnes interpretierten Poem Edvard Munchs. Dazwischen liegen Kirchenlieder und langsame Popsongs. Die CD "30 Years Fidelity" der Kirkelig Kulturversted ist ein guter Querschnitt der Arbeit dieses eigenwilligen Musik-Labels aus Norwegen.
Contact to label: kkv@kkv.no
Karsten Rube


Kollegium Kalksburg "Imma des söwe"
Label: Extraplatte Musikproduktion LC 8202; Austria 2004 17 Tracks; 61:18 min
Die kleine Gemeinde Kalksburg am Rande des südlichen Wienerwaldes wurde 1938 von der großen Stadt Wien geschluckt und eingemeindet. Neben dem Jesuitengymnasium befindet sich am Ort ein Genesungsheim für Alkoholiker. Das Kollegium Kalksburg, ein Trio Infernale des Wiener Schmäh klingt, als wohnte es in diesem Heim. "Imma das söwe" heißt die vorliegende CD. Das gute alte Wienerlied ertönt, das Akkordeon jammert ein paar Töne hervor, es plongt der Kontrabass und Kamm und Tuba tun ihr nicht gerade aufmunterndes Werk. "Wödmusi" (dtsch. Weltmusik) würden sie es nennen, wenn die Welt nicht größer wäre, als Wien und doch tun sie einiges, um ihre "Weltberühmtheit über die Grenzen der Stadt Wien hinaus auszudehnen", allerdings in der Hoffnung dabei nicht ihr Wirtshaus verlassen zu müssen. Während sich beim Hören Hans Moser ins Gedächtnis mogelt, gewöhne ich mich an den Dialekt und beginne ihn zu verstehen. Hans Moser platzt wie eine zerdrückte Reblaus. Da klingt ein Couplet plötzlich wie weinseliges Gedusel, indem sie sich nämlich fragen, was denn mit Wien los ist. Kammblasend und schunkelnd sehen sie der Stadt beim allmählichen Tod zu. In einem anderen Lied stellen sie die weltbewegende Frage, was denn an anderen Orten der Welt gesoffen wird und ob es in der Sahara weniger Wirtschaften gibt, als zu Hause, bis sie feststellen, dass sie sich in der Welt nicht auskennen und lieber in der Wirtschaft am Eck bleiben. Dass der "Schutzengel schon länger im Urlaub ist", wie sie in einem anderen Lied behaupten, will ich nicht recht glauben, denn die Lieder des Kollegiums Kalksburg sind allesamt hinterhältige anarchistische Schmuckstücke und passen in die Wiener Cafégeselligkeit, wie Senf auf eine Sachertorte. Abstrus philosophierend, verstörend aggressiv und schließlich weinerlich kommen die Lieder daher, so, wie das menschliche Gemüt im fortschreitenden Stadium des Alkoholkonsums auf dem unruhigen Pflaster der Realität daherschlingert, bis es schließlich unsanft im Rinnstein landet. Doch jeder Kater ist vergänglich und der Mensch ergeht sich gern in wiederkehrenden Ritualen. In diesem Falle heißen sie, CD mehrfach laufen lassen.
Homepage of the artist: www.kollegiumkalksburg.at, contact to artist: heinz.ditsch@chello.at, contact to label: info@extraplatte.at
Karsten Rube


Reinig, Braun und Böhm "Johreszeide"
Label: Pfalzrecords 2004 PRCD2004-03; No.; Deutschland 2004; 14 Tracks; 42:52 min
Die drei pfälzischen Urgesteine Paul Reinig, Peter Braun und Rüdiger Böhm tummeln sich bereits einige Jahre in der heimatlichen Folkszene. Ende der 90ger Jahre fanden sie sich zusammen, um als Trio ihr pfälzisches Musikgut zu überdenken, es unversponnen und schnörkellos zu Gehör zu bringen. Auf ihrer CD "Johreszeide" gelingt es ihnen mühelos, fern der pfälzischen Weinstubengeselligkeit, mundartliche Authentizität zu bewahren. Lieder, wie "Schmedderling" und "E neies Friehjohr kummt ins Land" wirken dabei so alterslos, dass man sie bereits aus dem Hausschatz Deutscher Volksmusik zu kennen glaubt, obwohl es sich dabei um neu geschriebene Lieder handelt. Eine Fusion aus Kammermusik und bretonischer Folklore legt Rüdiger Böhm mit dem Lied "Cellotte" auf. Klavier, Cello und bretonisches Krummhorn verbreiten dabei eine sentimental atlantische Stimmung. Auf dieser CD eindeutig mein Lieblingsstück. "Johreszeide" ist ein gelungenes, abwechslungsreiches Beispiel für mundartliche Folklore ohne anbiedernde Volkstümelei.
Contact to label: info@lieder-um-die-pfalz.de
Karsten Rube


Chelesta "Tanzmusik für Millionen"
Label: LC 08248; Deutschland; 2004 5 Tracks; 25:41 min
KlezmerBrassJazz wäre immer noch eine zu einengende Bezeichnung für die Musik der Leipziger Kapelle Chelesta. Die Stilvielfalt, die die fünf Musiker vermengen ist zwar unglaublich, aber sie mischen nichts in ihre Musik, was nicht miteinander harmonieren würde. Mit Tuba, Saxophon, Akkordeon, Gesang und einem deutlichen Hang zu ausgelassen tanzbaren Rhythmen machen sie aus den Grundelementen der Osteuropäischen Musik zwischen Polka, Balkanbrass und Klezmer "Tanzmusik für Millionen". Eine Musik, für die auch westeuropäische Ohren nicht zu eng sein dürften.
Homepage of the artist: www.chelesta.de, contact to artist: info@chelsta.de
Karsten Rube


Georges Dalaras "Tribute to Vamvakaris"
Label: Minos-EMI (LC9080) Tropical-Music 68.840; Griechenland 2003;
Doppel-CD; 28 Tracks, 43:40 min + 43:30 min
Markos Vamvakaris ist einer der Urväter des griechischen Blues, des Rembetiko. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts sang er in den Kneipen Athens zur Bouzouki seine gefühlvollen Lieder, die aus den südosteuropäischen Gesangstraditionen, den Liedern des Balkan, sowie den Einflüssen des nahen Orients entstanden. Der Rembetiko ist die griechische Entsprechung des portugiesischen Fados, des Tangos der Leute in Buenos Aires oder des Blues im Süden der U.S.A.. Im Gegensatz zu einigen seiner Mitmusiker verschenkte Vamvakaris sein Leben nicht an Rausch und Drogen, die unter dem griechischen Diktator Metaxa das Leben etwas erträglicher erscheinen ließen, sondern konzentrierte sich hauptsächlich auf die Musik. Er begründete damit seinen Ruf als größter Rembetiko-Dichter Griechenlands. George Dalaras, einer der bekanntesten griechischen Sänger der Gegenwart widmet Vamvakaris seine Tribute-CD. Zusammen mit einigen Söhnen Vamvakaris lässt er die besten Songs des Altmeisters auf der Bühne des Apollo-Theaters in Ermopoulus auf der Zykladeninsel Syros erklingen und das Publikum feiert mit den Musikern die Wiederauferstehung dieser wunderbaren Musik. Uns zu Ohren brachte diese Doppel- Live-CD das deutsche Tropical Music-Label, das zu den führenden Weltmusikaufspürern im Lande zählt. Die CD erschien pünktlich zum 100. Geburtstag Vamvakaris.
Contact to label: info@tropical-music.com
Karsten Rube


Ulli Simon und La Kamanchaca "ATodo Trapo"
Label: Pläne Verlag (LC0097); No.; Deutschland 2005; 12Tracks; 60:17 min
Meist sind es die großherzigen Menschen, die den finsteren Mächten zum Opfer fallen. Auf das letzte Jahrhundert zurückschauend, sind es so viele, dass eine große Zahl in Vergessenheit gerät. Doch einige bleiben und leuchten für lange Zeit weiter in den Herzen der Menschen. Chiles singende Poet Victor Jara wurde vor über 30 Jahren vom Pinochet-Regime ermordet. Das tragische Ende des Sängers der Nueva Cancion Chilena, ist bis heute nicht gesühnt und wird auch nicht so schnell in Vergessenheit geraten. Ebenso wenig die Lieder, an die immer wieder erinnert werden wird. Ein anderer großer Chilene gerät ebenfalls nicht in Vergessenheit. Der Dichter und Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda. Diesen beiden bekannten Künstlern Lateinamerikas widmet Ulli Simon ein Hommage. Ulli Simon ist ein chilenischer Liedermacher, der seit dem Putsch 1973 in Deutschland lebt. Er zählt zu denen, die das Erbe Jaras weitertragen und das chilenische Lied über die Zeit der Diktatur hinaus gerettet und weiterentwickelt haben. Auf der CD "A Todo Trapo" spielt er zusammen mit der Band La Kamanchaca neu arrangierte Lieder Jaras und vertonte darüber hinaus einige Verse Nerudas. Zwei Lieder des Sängers Patricio Manns ergänzen die Sammlung, die den Hörer schnell in ein Land entführen, dass obwohl von vielen schönen Landstrichen, der endlosen Küste und den majestetischen Bergen der Anden geprägt, doch für lange Zeit ein Land der leidvollen Erinnerungen bleiben wird.
Contact to label: info@plaene-records.de
Karsten Rube


Lutz Keller "Gnadenlos Handgestrickt"
Label: Eigenverlag; 5 Tracks; 15:07 Deutschland 2003
Lutz Keller "Sprachlos"
Label: Eigenverlag; 4 Tracks; 17:02 min Deutschland 2004
"Zwischen Kiez und Kudamm, Moabit und Rieselfeld, da gibts mehr Unikume, als sonstwo auf der Welt." So sang einst Reinhard Mey, der Hinterhofpoet der Berliner- Inselzeit. Ein typisches Inselkind ist Lutz Keller. Gitarrist, Sänger, Taxifahrer. Eingemauert in der Stadt der Freiheit, widmete er sich früh dem Traum von einer Musikerkarriere, der ebenso früh von Alltagsstreß und Familie aufgefressen wurde. Seitdem ist Musik seine Passion, wenn auch keine diplomierte. Was nicht heißt, dass er sich dieser nicht mit der gleichen Hingabe widmet, als hätte er es studiert. Ein Beweis für hervoragende Musikalitiät liefert seine mit der akustischen Gitarre eingespielte Mini- CD "Sprachlos", auf der er mit leichten Fingern vier Eigenkompositionen präsentiert. Kleine Geschichten in Noten. Lutz Keller sieht sich aber auch gern als Liedermacher. Ein eigenes Programm hat er "Gnadenlos Handgestrickt" und genauso betitelt. Hier stechen ebenfalls seine Fähigkeiten als Gitarrist hervor, die als Sänger bleiben leider dahinter zurück. Er passt sich gut ein in die Riege derer, die ihrer Lieder um die eigene Alltagswelt herumstricken, also um die Welt des Musikers mit eher flauer Auftragslage. Die fünf Songs auf der CD "Gnadenlos Handgestrickt" sind recht witzig formuliert, etwas rotzig und nicht lyrisch überfrachtet, bleiben aber thematisch im Selbstverständis eines Inselkindes auf sich selbst beschränkt.
Homepage of the artist: www.lutz-keller.de.vu, contact to artist: lu.keller@arcor.de
Karsten Rube


Diverse "plaene@world"
Label: pläne-records 2004 LC00972; Deutschland 2004; 20 Tracks; 76;09 min
Pläne-Records ist eine feste Größe in Deutschlands Musikgeschäft und das seit 40 Jahren. 40 Jahre das ist im Musikgeschäft eine Altersangabe von Dinosaurierformat. Aber nix alt und knochentrocken. In diesen vierzig Jahren hat Pläne immer wieder musikalische Diamanten gefunden und als Tonträger unter die aufmerksameren der deutschen Musikliebhaber gebracht. Ein Querschnitt aus der Produktionspalette von Pläne ist auf dem "Plaene@world" zu hören. Vertreten sind auf der kurzweiligen Zusammenstellung zwanzig Musiker aus der Weltmusik, darunter Giora Feidman, Lydie Auvray, Bernardo Sandoval, Salsa Picante und die Oysterband. Eine recht gut bestückte Geburtstagsgala, mit der sich Pläne da feiert. Na dann, auf die nächsten vierzig. Wir erwarten nur Gutes.
Contact to label: info@plaene-records.de
Karsten Rube


London Lasses & Peter Quinn "Track across the Deep"
Label: LoLaRecords; England 2003; 13 Tracks; 54:06
Die Iren pflegen ihr Bier und ihre Musik. Manchmal fusionieren die beiden Dinge so stark, dass man das eine nicht ohne das andere ertragen kann. Wenn man den Dubliners lauscht, melden sich die Kopfschmerzen des nächsten Tages schon im voraus. Die London Lasses & Peter Quinn wirken auf ihrer CD "Track across the deep" nicht wie Leute, die in den Pub gehen, um die Zeit zu vergessen oder die Umstände, die sie dorthin trieben. Unzweifelhaft irisch kommen sie mit Reels, Jigs und Balladen daher. Fast schon ein bisschen nach Postkarten-Dublin hören sie sich an, aber gerade so an der Grenze zum Irland-Kitsch vorbeischrammelnd. Nach Kopfschmerzen klingt die Session der London Lassies dankbarerweise nicht. Klare weibliche Stimmen singen unaufdringlich ihre Songs und die Musiker zelebrieren eine Session, der man anhört, dass sie um der Musik willen beieinander sitzen. Die Flöte erinnert an Matt Molloy und der Fiddler erfreut durch ein sauberes Spiel, was einem selbst bei Irish-Folk-Festen und St.Patricks-Day-Touren nicht immer vergönnt ist, von den musikalischen Begleiterscheinungen der unbedingt zu meidenden irischen Reise- und Kulturinformationsmessen ganz abgesehen. Es gibt sie also doch noch, die geradlinige irische Folkmusic, auf sich selbst beschränkt und ohne die Gratistüte Reisedevotionalien zum mitnehmen. Keine irische Butter, kein Guinness light aus der Dose, nur die Musik bitte.
Homepage of the artist: www.londonlasses.net, contact to artist: london.lasses@virgin.net
Karsten Rube


Carlos Nuñez “Cinema do mar”
Label: BMG LC02540; Spanien 2005; 12 Tracks; 40:41 min
Carlos Nuñez' hat mit seiner Musik den oscarprämierten Film "Mar adentro" des Spaniers Pedro Almodovar bereichert. Die Arbeit mit dem Erfolgsregisseur inspirierte den Galizier zu seinem Album "Cinema do Mar". Filmmusiken und Kompositionen aus der Klassik interpretiert Nuñez auf eigenwillige Art mit der Gaita - dem galizischem Dudelsack - oder der Blockflöte. Das “Concierto Aranjuez” gehört zu den Werken der Klassik, die spanischer nicht sein könnten. Im Original für Gitarre und Orchester arrangiert wirkt es sauber, edel und ätherisch. In der Version von Carlos Nuñez, nur auf der Gaita gespielt, wirkt es authentisch und besitzt die nötige Bodenhaftung, die dieses Stück benötigt. Das selbe kann man über den “Bolero” von Ravel sagen, den Nuñez spielt, nur das dieser bereits in der ursprünglichen Form recht robust ist. Als drittes klassisches Stück versucht sich Nuñez an Bach's "Suite für Violoncello", das in dieser Form eine sakrale Hoheit erhält. Wer Nuñez in der Berliner Passionskirche erleben konnte, sah, wie er würdevoll durch den Kirchgang schritt, nur von einem einzigen gezielten Scheinwerfer verfolgt und dieses Bachwerk als Dudelsackversion zwischen den Kirchenmauern hallte, weiß, dass die Orgel nicht das einzige allmächtige Instrument ist, mit dem man Gott loben kann.
Nach den drei klassischen Stücken widmet sich das Album ausschließlich Filmmusiken. Die meisten sind gut interpretiert, doch mindestens bei einem stellt sich die Frage, ob er sich an diesem hätte wirklich versuchen sollen. Der gelungenste Song ist eindeutig das Titelthema des Almodovar-Films "Mar adentro". Diese Eigenkomposition gehört zu den besten Liedern, die Nuñez in den letzten Jahren geschrieben hat und reicht mühelos an die Qualität seines Albums "Mayo longo" heran. Nino Rotas Filmthema zu "Der Pate" gelingt ihm ebenfalls noch recht gut, doch seine Variation von “Gabriels Oboe” aus dem Film "The Mission", eine von vielen großartigen Morricone-Kompositionen, liegt leider völlig unter den Möglichkeiten, die diese Komposition bietet. Souverän spielt sich Carlos Nuñez' aber wieder mit “Tristan und Isolde" in die Höhe. Dies ist eine Arbeit vom Chieftain Paddy Moloney, mit dem er seit Jahren hervorragendes zusammen geleistet hat. Und mit dem Schlusspfiff schunkelt er den Zuhörer noch durch ein traditionelles schottisches Seemannsthema, nämlich der “Sailors Hornpipe” aus dem Film "Popeye".
Das Album "Cinema do mar" ist eine gewagte Spielerei des galizischen Großmeisters der Flötentöne. Nicht durchgängig perfekt, wie von ihm gewohnt, recht eigenwillig arrangiert, aber auf jeden Fall hörenswert.
Homepage of the artist: www.carlosnunez.com
Karsten Rube


Cathrin Pfeifer & Band "Waiting for Valentine"
Label: VarisOne; Deutschland 2005; 12 Tracks; 59:40 min
Reiseeindrücke wiederzugeben ist einerseits sehr schön, weil man im Kopf die Reise noch einmal antritt. Andererseits muss man einen ausreichenden Wortschatz zur Verfügung haben, um alle Sinneseindrücke, vom leisen Rauschen der Bäume, über die Gerüche der Felder und Restaurants, das staubige Knirschen des Straßenstaubs auf den Zähnen oder dem Geschmack kaltgewordenen Cappuccinos wachzurufen. Oder den Ärger mit dem schnöseligen Kellner in einem Pariser Bistro, der das deutlich artikulierte Französisch nicht verstehen will, die nassen Füße nach einem Platzregen, den exotischen, wunderschönen Schmetterling, den man in der Erinnerung für lila hält. Für das, was ich mit einem langen Absatz beschreiben muss, benötigt Cathrin Pfeifer ein paar Töne auf ihrem Akkordeon und schon ist man unterwegs. Die CD "Waiting for Valentine" der Berliner Akkordeonistin ist wie eine sinnesfreudige Reiseerzählung, voller Atem und Farbe, dem Geschmack nach süßen Früchten und den schmerzenden Blasen unter den Fußsohlen nach langem erfolglosem Daumenraushalten. Zwar sind alle Sinneseindrücke, die einem beim Hören der Musik durch den Kopf gehen subjektiv geprägt, andere sehen andere Bilder. Der Wirkung Cathrin Pfeifers Musik tut das jedoch keinen Abbruch. Mal sonnenverliebt mediterran, mal nachttrunken schwebend, aber immer erlebnisgetränkt sind die zwölf Kompositionen, die Cathrin Pfeifer im Laufe der vielen Konzertreisen aus ihrem Akkordeon gezaubert hat. Und Zauber liegt in diesen Liedern, denn nach dem Ende der CD spürte ich ihn, diesen wie Trauer wirkenden Trennungschmerz, der das Herz einengt, wenn man nach einer schönen Reise die heimischen, vertrauten, aber lange nicht vermissten Bilder seines eigenen Lebensraumes wiedersieht, während das Erlebte noch das Gemüt streichelt.
Homepage of the artist: www.cathrin-pfeifer.de, contact to artist: pfeicat@gmx.de
Karsten Rube


Mariza “Transparente”
Label: EMI Music Portugal; Portugal 2005; 14 Tracks; 41:32 min
Viele Mitteleuropäer verstehen sie nicht, diese portugiesische Sehnsucht, die Saudade. Dabei muss man sich nur an das Gefühl erinnern, hoffnungstrunken einer völlig aussichtslosen Liebe hinterherzuträumen. Hört man dem neuen Album der Portugiesin Mariza zu, sollte sich diese wohlig sentimentale Stimmung mit dem leichten Anflug eines Schwindelgefühls schnell einstellen.
Mariza gelingt es mit ihrem dritten Album "Transparente" alle in sie gesteckten Erwartungen zu übertreffen. Sie tat einen gewagten Schritt und verschleppte die portugiesische Angelegenheit Fado nach Brasilien. Unter der tropischen Sonne tauchte sie die Lieder ihrer Landsleute in hellere Farben. Zur Seite stand ihr dabei der brillante Cellist, Arrangeur und Produzent Jaques Morelenaum, der Marizas Gesang eine fulminante Orchestrierung hinzufügte. Doch wo bei anderen Gelegenheiten symphonische Kooperationen ins bombastisch Überzogene ausufern, werfen Jaques Morelenbaums Arrangement einen schmeichelhaften Spot auf die Künstlerin. Seine Streicheruntermalung, der dezente Einsatz der Bläser, heben Marizas Persönlichkeit hervor, wie klug gewählte Garderobe die Schönheit einer Frau hervorheben, statt sie zu ersticken.
"Ha uma musica de povo", das Eingangslied der CD basiert auf einem Text von Fernando Pessoa, dem Dichter Lissabons, der seine Stadt, wie kein anderer in Worte zu fassen in der Lage war. Vertont ist es eine Hommage an die Stadt am Tejo und man scheint, wie von einem der zahlreichen Aussichtspunkte, den Miradouros, auf die Dächer der Stadt herabzusehen. Dieser Eindruck verstärkt sich noch durch "Meu fado". Geschrieben hat dieses Lied Paulo de Carvalho, einer der Musiker Portugals, dessen Lieder am 25. April 1974 im Radio gespielt wurden und die damit das Signal zur Nelkenrevolution gaben. Begleitet von den Streichern Jaques Morelenbaums wird "Meu Fado" zu einer der hinreißendste Fadokomposition überhaupt. Jedes Lied der CD "Transparente" ist ein Liebeslied an die portugiesische Heimat, betrachtet aus der großen und doch verbindenden Distanz, die der Atlantische Ozean aufwirft. Vielleicht benötigte Mariza diese Distanz, um unbeschwert und mit unverstelltem Blick ihrer Musik diesen neuen Anstrich zu geben. Der Aufwand hat sich gelohnt. Es ist erst ihre dritte CD, doch sie hat den Olymp der portugiesischen Musik bereits erklommen. Mariza ist keine Kopie einer verstorbenen Fadoköngin, sondern einzigartig und unvergleichbar.
Homepage of the artist: www.mariza.com, contact to artist: info@mariza.com
Karsten Rube


Filipa Pais “A Porta do mundo"
Label: V&A edição; V&A 200302; Portugal 2003; 14 Tracks; 42:52 min
Filipa Pais ist vielseitig, verfügt über eine hervorragende musikalische Bildung und treibt ihre Projekte selbst voran. Kritiker bezeichnen sie als eine der besten Sängerinnen ihrer portugiesichen Heimat. Von der Tänzerin in Showbetrieb zur wandlungsfähigen Allroundkünstlerin vergingen zwar etliche Jahre, doch heute kann sie auf einige sehr eindrucksvolle Arbeiten auf verschiedenen künstlerischen Ebenen verweisen. So sang sie in Michael Nymans Oper "Ciclo de Canções sobre Fernando Pessoa", hatte ihre eigene Show auf der Expo 98, in der sie vom traditionellen Lied, über den Fado zum Jazz schritt, trat mit Chico Cesar und der galizischen Sängerin Uxia bei zahlreichen Großkonzerten auf und veröffentlichte 2003 ihr zweites Soloalbum "A Porta do mundo".
Auf diesem Album präsentiert sie sich erstmals außerhalb der iberischen Halbinsel. Dass dies so lange brauchte, verwundert, denn ihre perfekt ausgebildete und trotzdem wunderbar warme Stimme lässt wirklich aufhorchen. Auf "A Porta do mundo" breitet sie ihre enorme stilistische Bandbreite aus. "Zacaria" erinnert in seiner jazzig verspielten Weise an die musikalischen Duelle von Maria João und ihren Pianisten. "Em Todas as ruas e encontro" nur im Wechselspiel zwischen Filipa Pais’ Stimme und dem verträumten Klavier von João Paulo Esteves da Silva, kommt wie ein Abendgesang daher, der einem beruhigt zur Ruhe bettet. “Primeiro o amor”, komponiert von Ricardo Dias tanzt auf dem Mandolinenspiel von Eduardo Miranda, flink und ungebändigt. "Altinho" kenne ich bereits in einer wesentlich gedämpfteren Version von ihr. Auf der CD “Danzas das areas” der galizischen Sängerin Uxia erschien es vor einigen Jahren, leider ohne groß aufzufallen. Filipa Pais hat sich für ihre Lieder vom Universum des “Kleinen Prinzen” Exupery’s inspirieren lassen. Die Geschichten, die sie in erzählt, sind fantastische kleine Poeme voller Fantasie, kindlichem Spieltrieb und farbenfrohen Träumen. Lieder, in denen bunte Pferde über Wiesen galoppieren, und über die Frage nach dem “Was wäre, wenn die Liebe die Welt auf den Kopf stellen würde” auf sehr poetische Weise allerhand gemutmaßt wird. Filipa Pais übernimmt dabei die Rolle des kleinen Prinzen, der von einem einsame Planeten zum nächsten hopst und sie alle miteinander verbindet. Mit "A porta do mundo" erscheint eine CD voller schöner portugiesische Lieder die Kunst, Jazz und Tradition in einer mühelosen Weise vereinen, dass man auch noch der komplizierteste Melodieführung mit Leichtigkeit folgen kann. Filipa Pais ist trotz ihrer bereits recht langen Karriere, der frischeste musikalische Exportartikel, den Portugal zur Zeit zu bieten hat.
Homepage of the artist: www.vachier-producao.pt, contact to artist: filipapais@vachier-producao.pt
Karsten Rube


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Zum Inhalt der FolkWorld Nr. 31

© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 1/2006

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