FolkWorld #72 07/2020
© Walkin' T:-)M

Von Anfang an ein eigener Sound

An Erminig: Plomadeg

Mit ihrem nunmehr fünften Album macht An Erminig abermals die traditionelle Tanzmusik und die historischen Balladen der Bretagne dem deutschen Publikum vertraut. Gitarrist Hans Martin Derow erinnert sich, wie es vor fünfundvierzig Jahren zur Gründung der Folkformation gekommen ist.

Bretagne


Tri Yann

Artist Video Tri Yann @ FROG

triyann1.wixsite.com

Hans Martin: Ich und Andreas hatten die bretonische Musik bei einem Bretagne-Urlaub mit unserer Familie entdeckt und angefangen, ein paar Stücke, vorwiegend von Platten von Alan Stivell, nachzuspielen. Barbara war sofort begeistert von dem folkigen Sound und so haben wir zusammen - damals noch mit der Besetzung Geige, Gitarre und Blockflöte - angefangen, ein paar Stücke zu spielen. Wir wurden von der Folk-Welle in den 70ern mitgerissen und begannen sehr bald, tiefer in die Musik einzusteigen und Repertoire und Instrumentarium zu erweitern. Wir lernten schon sehr bald einige bretonische Musiker kennen, überwiegend aus unserer Altersgruppe, und manche von ihnen sind über die Jahrzehnte zu Freunden geworden, mit denen wir bis heute in Kontakt sind.

Gab es ein ausformuliertes Ziel?

Ein ausformuliertes Ziel gab es nicht, eigentlich sind wir eher zufällig gerade auf die bretonische Musik gestoßen, aber dass wir dabei geblieben sind, hat vor allem damit zu tun, dass wir, sobald wir die Bretagne live kennenlernten, von ihrer Kultur fasziniert waren und bald immer weiter in ihre Musik eingetaucht sind. Wichtig war uns allerdings von Anfang an ein eigener Sound, den wir vor allem dadurch erreichten, dass wir Instrumente wie Bombarde oder keltische Harfe ins Instrumentarium aufnahmen und dass wir tanzorientiertes Programm mit der Harfe spielten, was damals – außer gelegentlich bei Alan Stivell – so gut wie niemand machte.

Ein entscheidender Schritt in unserer Band-Geschichte, der uns wichtige Impulse für unseren Sound gegeben hat, war der Eintritt von Thomas Doll (Bass und Geige) und Amby Schillo (Percussion) in die Gruppe. Mit diesen beiden hervorragenden Musikern kam frischer Wind in die Band. Dass wir mittlerweile im fünften Jahrzehnt (ohne personelle Wechsel!) mit unserer Musik unterwegs sind, hätten wir uns zu Beginn nie träumen lassen!

Was waren denn eure Vorbilder?

Bevor wir anfingen, bretonische Musik zu machen, hatten ich und Barbara schon den einen oder anderen Folksong zur Gitarre gesungen, z.B. von Donovan,[60] den wir dann viele Jahre später auf einem Festival in Spilimbergo persönlich trafen. In der Bretagne war unser Vorbild dann zunächst Alan Stivell,[53] einfach, weil er der bekannteste bretonische Musiker war und weil es ihm gelungen war, die traditionelle Musik der Bretagne zu aktualisieren und in die Welt zu tragen. Als wir ihn Ende der 70er Jahre persönlich kennenlernten, hatte er mit seinem legendären Konzert im Olympia in Paris seinen internationalen Durchbruch geschafft.

An Erminig

Artist Video An Erminig @ FROG

www.an-erminig.de

Auch Tri Yann[50] waren schon über die Grenzen der Bretagne hinaus bekannt, aber die Musiker, an denen wir uns dann in den folgenden Jahrzehnten orientiert haben, lernten wir erst durch unsere Reisen in die Bretagne kennen. Zu ihnen zählen Yann-Fanch Kemener,[69] ein herausragender Sänger und Kämpfer für die bretonische Sprache, aber auch die Musiker von Skolvan,[69] Gwerz,[3] Barzaz, Gwenva oder Bleizi Ruz[9] zum Beispiel. Vor allem die sogenannten Fest-Noz-Gruppen, die Bands, die zum Tanz auf den bretonischen Nachtfesten aufspielen, haben uns geprägt.

Erzähl mir doch bitte etwas über den musikalischen Background jedes Bandmitglieds!

Bei einigen Musikern und Sängern haben wir zahlreiche Workshops gemacht, um uns den Stil und die richtige Rhythmik der bretonischen Musik anzueignen, z.B. bei Jean Baron & Christian Anneix, Soig Siberil, Jean-Michel Veillon, Youenn le Bihan, Gilles le Bigot, Christophe Caron, Marcel Guilloux oder Etienne Grandjean. An erster Stelle ist allerdings der leider im letzten Jahr verstorbene Yann-Fañch Kemener zu nennen. All diese Musiker haben uns auf unserem Weg musikalisch begleitet und unterstützt, wir haben viel von ihnen gelernt. Wir haben alle zuhause begonnen, klassische Musik zu spielen: Andreas lernte Geige, ich Klavier und Flöte und Barbara Gitarre und Flöte. Bei mir kam noch ein Ausflug in die Rockszene hinzu, bis wir dann mit 17 bzw. 18 Jahren den Folk für uns entdeckt haben, dem wir bis heute treu geblieben sind, auch wenn uns Exkurse in andere Szenen nicht fremd sind. Barbara z.B. spielt noch Saxofon in einem Jazz-Ensemble, ich und Andreas singen in Chören.

Alan Stivell

Artist Video Alan Stivell
@ FROG


www.alanstivell.bzh

Wir haben alle als Kinder mit klassischem Unterricht begonnen und uns dann über Workshops und z.T. auch wöchentlichen Unterricht immer weiter fortgebildet. Thomas hatte vor seinem Einstieg bei uns schon umfangreiche Erfahrung im Folkbereich gesammelt, insbesondere als Geiger bei der Gruppe Espe und durch seine Kontakte zu Hein und Oss Kröher.[70] Er ist aber auch Leiter und Dirigent eines Madrigal-Chores, um nur eines seiner Projekte zu nennen. Amby gehört zu den beeindruckendsten Rock- und Jazzmusikern im Südwesten Deutschlands, u.a. begleitete er die legendäre Sängerin Joy Fleming und er spielte und spielt in diversen Jazzformationen. In den letzten Jahren hat er auch die südosteuropäische und asiatische Perkussionsmusik für sich entdeckt.

Das ist immerhin viereinhalb Jahrzehnte gutgegangen. Fallen dir spontan ein paar Highlights eurer musikalischen Karriere ein?

Mit Sicherheit Festivals wie Folkest (Spilimbergo, Italien), wo wir mehrmals teilnehmen durften, Skagen (Dänemark), Folkwoods (Niederlande), Hallein (Österreich) oder Labadoux (Belgien). Außerdem zählt die jahrelange Beteiligung am Sommermusikfest, das Rüdiger Oppermann ins Leben gerufen hat und bei dem wir Kurse zu bretonischen Tänzen gegeben haben, zu den Highlights. Ein für uns sehr emotional aufgeladenes Konzert war außerdem unser Jubiläumskonzert zum 40. Bandjubiläum zusammen mit unseren Nanteser Kollegen Tri Yann und Jeu à la Nantaise. Dies war das erste Konzert nach Barbaras schwerer Krebserkrankung und besonders bewegend war, dass bei diesem Konzert auch zwei ihrer Söhne mit auf der Bühne standen. Weiterer Höhepunkt war auch unser gemeinsames Konzert mit Alan Stivell 2013 anlässlich des 50. Geburtstages des ‚Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrages‘ (Elysée-Vertrag).

Eine Frage, die wahrscheinlich schon dutzende Male gestellt worden ist, aber zur Vollständigkeit dazugehört: Wie seid ihr eigentlich auf den Bandnamen gekommen?

Der Name An Erminig bedeute "Das Hermelinchen" und er geht auf eine Sage zurück, laut der die Herzogin Anne de Bretagne auf der Jagd war und ein Hermelin verfolgte. Als dieses an einen schmutzigen Bach kam, blieb es stehen und überlegt sich, ob es hineinspringen solle, wobei sein weißes Fell dreckig werden würde, oder ob es stehenbleiben und den Tod riskieren solle. Das Tier wählte das Motto: Lieber tot als schmutzig! Die Herzogin war so beeindruckt von seiner Haltung, dass sie das Hermelinchen verschonte und sogar zu ihrem Wappentier machte – so sagt man. Die Motive, die man - außer den Streifen - in der schwarz-weißen bretonischen Fahne, der "Gwen ha Du" sieht, sind stilisierte Hermeline.

An Erminig

Inwieweit fügt sich nun die aktuelle CD "Plomadeg" in eurer Gesamtwerk ein?

Zu Beginn hatten wir unser Programm einfach danach zusammengestellt, was uns an Melodien gefiel und was ein gewisses Spektrum der bretonischen Musik abbildete. Als Andreas dann begann, sich mehr und mehr mit dem Stil des bretonischen Gesangs und mit dieser keltischen Sprache auseinanderzusetzen, fanden nach und nach Lieder Eingang in unser Repertoire, und diese wählten wir so aus, dass sie sich – in Verbindung mit den Instrumentalstücken – zu einem Programm zusammenfügten, das einem roten Faden folgte.

Bei der CD "Tennadeg"[18] geht es um die Tradition der Verbindung von Arbeiten und Feiern, die CD "Gourlen"[39] befasst sich mit dem Leben der Menschen, die am und vom Meer leben, und die aktuelle CD "Plomadeg"[71] greift die Tradition der fahrenden Sänger auf, die von Ort zu Ort zogen und über aktuelle Ereignisse berichteten oder erfundene Geschichten vortrugen.

Die Produktion von "Plomadeg" gestaltete sich etwas anders als die der vorherigen CDs. Wir haben die CD zwar wieder im Saarland bei Soundfactory aufgenommen, das Mastering haben wir diesmal aber von Pascal Mandin, dem Tontechniker von Tri Yann in deren Studio Marzelle in der Nähe von Nantes machen lassen, vor allem um von Pascals enormer Fachkompetenz zu profitieren, was den Klang der traditionellen Instrumente angeht.

"Plomadeg" ist auch eine Hommage an Yann-Fañch Kemener, der im vergangenen Jahr verstarb. Was hat er für euch bedeutet?

Yann-Fañch Kemener

Artist Video Yann-Fañch Kemener
@ FROG


www.yfkemener.com

Wir kennen Yann-Fañch schon sehr lange. Zum ersten Mal haben wir ihn 1976 auf der Bühne gesehen und damals trug er – für uns zu der Zeit noch sehr ungewöhnlich – a capella ein Gwerz, eine Ballade, vor, die aus etwa 100 Strophen bestand. Obwohl wir nichts von dem verstanden, was er sang, waren wir völlig fasziniert von seinem Gesang und seiner Ausstrahlung. Da war er – wie wir – 19 Jahre alt und hatte gerade einen wichtigen Preis gewonnen. Als wir ihn dann später persönlich kennenlernten, bot er uns an, mit uns an unserem Repertoire, am Gesang, am Stil und an der Sprache zu arbeiten. Wir waren begeistert und er hat uns bei den letzten CDs unterstützt.

So ist er im Laufe der Jahre zu einem guten Freund geworden und sein Tod im letzten Jahr hat uns sehr getroffen. Wir haben ihn in den letzten Jahren jedes Mal besucht, wenn wir in der Bretagne waren und waren beeindruckt davon, wieviel Kraft er trotz der schweren Krankheit noch aufgebracht hat, um seine letzte CD und einen Porträtfilm in bretonischer Sprache fertigzustellen, Interviews zu geben und sich weiter für seine Kultur einzusetzen. Er fehlt uns und er fehlt der ganzen Bretagne.

Abgesehen davon, dass dank Corona die nächste Zukunft eher ungewiss ist... Was steht auf eurer Agenda?

Wir werden uns sicher weiter treu bleiben, weiterhin in der Bretagne recherchieren und ein nächstes Programm aus Gesangs- und Tanzstücken zusammenstellen. Wie bisher. Allerdings ist momentan gar nicht klar, wann wir wieder in unsere "musikalische Heimat" fahren können, denn die Bestimmungen in Frankreich, was den Umgang mit dem Virus angeht, sind sehr rigide, und wir fühlen uns hier im Grenzgebiet – wir wohnen ja sowohl im Saarland, als auch in Lothringen, einem Gebiet, das zum Risiko-Departement Grand Est gehört – ziemlich verunsichert.

Zum ersten Mal in unserem Leben stehen wir vor geschlossenen Grenzen und können, da wir auf beiden Seiten der Grenze leben, nicht zusammen Musik machen. Eine sehr belastende Situation, die zu der Tatsache, dass keine Konzerte stattfinden können, hinzukommt. Wir haben unsere Musik und die gesamte Folkszene immer als ein die Kulturen verbindendes Element verstanden und unsere Erfahrungen waren auch im Laufe der viereinhalb Jahrzehnte unserer Bandgeschichte immer so, dass wir Grenzen entweder gar nicht mehr wahrgenommen oder überwunden haben, ob reale, sprachliche oder mentale.

Durch die Grenzschließungen der letzten Wochen, die man zum Teil in ihrer Ausprägung durchaus hinterfragen kann, kommt Unmut in der Bevölkerung auf, und wir hoffen, dass nicht eine der Folgen dieses Virus eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Ländern, in unserem Fall zwischen Deutschland und Frankreich, sein wird, denn wir lieben nicht nur die Bretagne und die vielen Menschen, die wir dort kennen, sondern auch unsere Grenzregion, die für uns immer ein Gebiet der fließenden Übergänge war. Wir möchten keine neuen Grenzen im Kopf!

Wir freuen uns, wenn wir wieder für unser Publikum spielen können und wir freuen uns jetzt schon auf das Jahr 2025, wenn wir das halbe Jahrhundert voll haben.



Photo Credits: (1),(4),(6) An Erminig, (2) Bretagne, (3) Tri Yann, (7) Yann-Fañch Kemener (unknown/website); (5) Alan Stivell (by Hans Martin Derow).


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