FolkWorld #76 11/2021
© Till Schmidt / amnesty international

Stimme der Frauen

Markanter Gesang, engagierte Texte. Nahawa Doumbia ist eine der bekanntesten Sängerinnen Malis. Nach zehn Jahren hat die malische Sängerin Nahawa Doumbia wieder ein Album veröffentlicht. Sie singt über den Kampf gegen Armut und für Gleichstellung von Frauen.

Nahawa Doumbia © Edoardo Genova

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Auf der musikalischen Landkarte internationaler Hörer_innen ist Mali schon seit Langem ein wichtiger Ort. Große afrikanische Popstars wie Ali Farka Touré und Salif Keïta stammen aus dem Land, das aktuell vor allem mit Krieg, Islamismus und Armut in Verbindung gebracht wird. Nahawa Doumbia ist eine der bekanntesten Sängerinnen vor Ort. Nun hat die 62-Jährige nach fast zehn Jahren wieder ein Album veröffentlicht: "Kanawa", auf Deutsch: "Geht nicht".

"Die Inspiration für meine Songs kommt aus der Beobachtung, wie die Welt funktioniert", sagt Doumbia. "Die Bedeutung von 'Kanawa' ist einfach: Wir sehen, wie unsere Kinder versuchen, das Mittelmeer zu überqueren – und dabei oder bereits in der Sahara sterben. Da jedoch so viele junge Leute das Land wegen familiärer Probleme, Armut und Arbeitslosigkeit verlassen, ist es wichtig, ihnen hier endlich eine Perspektive zu bieten", meint Doumbia. "Wir brauchen Jobs, und hierfür müssen die UNO und die Politiker in Afrika eine koordinierte Lösung ­finden."

Entdeckt wurde Nahawa Doumbia in den 1980er Jahren, als Beamte des malischen Kulturministeriums sie gemeinsam mit Freudinnen singen hörten. Trotz religiös begründeter Einwände ihrer Familie trat Doumbia anschließend beim Festival Youth Week in Bamako auf – und gewann direkt den dazugehörigen Gesangswettbewerb, der den Startschuss für ihre Karriere bildete. Seither spielte Nahawa Doumbia immer wieder auch in Europa, bereits einige ihrer frühen Alben erschienen bei international ausgerichteten Labels. Vor allem in Frankreich ist ihre Musik beliebt.

"In Westafrika gibt es gewiss keinen Mangel an besonderen Stimmen", sagt der Musikethnologe Hauke Dorsch von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. "Nahawa Doumbias nasaler und kraftvoller Gesang ist allerdings unverwechselbar." Während seiner Forschungsaufenthalte in Westafrika liefen Doumbias Songs im Radio und waren in der Öffentlichkeit zu hören. Ihre Veröffentlichungen finden sich auch in der über 15.000 Tonträger umfassenden Sammlung des Archivs für die Musik Afrikas an der Universität Mainz, das Dorsch leitet.

Brian Shimkovitz vom Label Awesome Tapes from Africa (ATFA) ging es ähnlich. Auch er stieß bei einem seiner Aufenthalte in Mali auf Doumbias Musik. Zufällig entdeckte er unter den vielen Kassetten auf den Märkten in Bamako einige ihrer Veröffentlichungen. Neben ihrer eindringlichen Stimme fasziniert ihn das kongeniale Zusammenspiel Doumbias mit ihrem musikalischen Partner, dem Produzenten und Arrangeur N’gou Bagayoko. Dazu kommen ihre zum Teil politischen Lyrics, die, so Shimkovitz, "eine wichtige Perspektive aus Afrika abbilden".

Nahawa Doumbia

Nahawa Doumbia "Kanawa", Awesome Tapes, 2021

Shimkovitz hat ATFA vor über 15 Jahren als privates Blog gestartet, um einem internationalen, jungen Publikum äthiopischen Jazz, Tassou aus dem Senegal, ghanaischen Hiplife und andere musikalische Schätze aus sämtlichen Regionen Afrikas zugänglich zu machen. Seit 2006 veröffentlicht er einige dieser alten Kassetten auch offiziell über sein gleichnamiges Label. Sein erstes Release war von Nahawa Doumbia: "La Grande Cantatrice Malienne Vol 3" aus dem Jahr 1982. Die Musik auf diesem Album ist traditioneller als die aus den 1990er Jahren, die sich stärker in Richtung Afro-Pop orientierte und vermehrt Synthesizer, Drums, E-Gitarren und E-Bass verwendete. Charakteristisch für die Songs auf "La Grande Cantatrice Malienne Vol 3" ist neben Doumbias markantem Gesang der Didadi. Dieser traditionelle Tanzrhythmus bildet die musikalische Grundlage vieler ihrer Songs. Gesetzt wird er vor allem durch Saiteninstrumente wie die Ngoni und durch Perkussion.

2011 veröffentlichte ATFA Doumbias erstes Album "La Grande Cantatrice Malienne Vol 1" wieder, das sie im Alter von 20 Jahren aufgenommen hat. "Wenn ich daran denke, wird mir klar, wie lange das her ist. Es zählt zu den Alben, die ich am meisten liebe, weil es mich an meine Jugend erinnert. Darauf bin ich richtig stolz, denn es steht dafür, wie alles begann", sagte Doumbia damals.

Wie bei den Vorgängern behandelt Doumbia auch auf ihrem neuen Album "Kanawa" soziale und politische Themen und die Situation von Frauen in Mali. Vor allem die Bildung von Frauen und Kindern ist ihr ein Anliegen. "Wir müssen für die Rechte von Frauen und Kindern kämpfen, und das bedeutet auch, für ihr grundlegendes Recht auf Bildung", sagt Doumbia. Sie fordert, Frauen auch viel stärker in die Regierung und in öffentliche Angelegenheiten einzubinden, und verweist dabei auf die enormen Widerstände seitens vieler Männer, die nicht wollen, dass ihre Ehefrauen Bildungsmöglichkeiten erhalten. "Mit besserer Bildung können die Frauen sich besser um ihre Familien kümmern und um das gesamte Land – denn nichts funktioniert ohne Frauen", sagt Doumbia.

Die 62-Jährige stammt aus der Wassoulou-Region im Süden Malis, die einige der besten Sängerinnen des Landes hervorgebracht hat. Neben Nahawa Doumbia sind das etwa die legendäre Oumou Sangaré, Sali Sidibe, Dieneba Diakité oder Fatoumata ­Diawara. Große Bedeutung haben in der gesamten Region die Griots, eine Sänger_innen-Kaste, die in ihren Liedern seit Jahrhunderten das Zusammenleben vor Ort thematisiert. Anders als viele ihrer Kolleg_innen stammt Nahawa Doumbia nicht aus dieser Tradition. Doch seit Kindheitstagen war ihr klar, dass sie Sängerin werden wollte – trotz der Widerstände ihrer Familie. Nun dauert ihre Karriere schon über 40 Jahre. Hoffentlich ist sie bald wieder auf den Bühnen Europas zu hören.


amnesty international


Till Schmidt ist freier Journalist. Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung dem Amnesty Journal entnommen (www.amnesty.de/journal/).



Photo Credits: (1)-(2) Nahawa Doumbia (by Edoardo Genova); (3) amnesty international (unknown/website).


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