FolkWorld #53 03/2014
© Walkin' T:-)M

Orvuse on Oanwe

Orvuse on Oanwe

Trailer: Orvuse on Oanwe
Orvuse on Oanwe
Servus in Wien: Wiens letzte originale Dudlerinnen


Regie: Christina Zurbrügg
70 Min., 4:3, Stereo, Wiener Dialekt (optional mit englischen Untertiteln)
© 1998/2013 GAMSedition

Folk on the Silver Screen: Der sogenannte Dudler ist die spezifisch Wiener Form des alpinen Jodlers (die Lautform du-lie ersetzt weitgehend andere Jodelsilben). Seit etwa 1820 in der Donaumetropole beheimatet, erfreut sich die Kunstfertigkeit einer Renaissance. Dies ist nicht zuletzt der in Wien lebenden Schweizerin Christina Zurbrügg zu verdanken.

Das Bayrisches Wörterbuch definiert den Jodler als eine mit großen Intervallen wechselnde Melodie so singen, daß mit Ausnahme der Mittelstimme nur immer Brust- und Kopfstimme gehört werden. Im Unterschied zum ländlichen Jodler ist der Dudler mit der Tradition des Heurigen (Lokalität, wo der selbst erzeugte Wein ausgeschenkt wird) und damit dem Wienerlied und der Schrammelmusik verbunden.

Die letzte der großen Wiener Volkssängerinnen, die das traditionelle Dudeln noch beherrschten, war die 1928 in Schwechat (wo sich heute der Wiener Flughafen befindet) geborene Trude Mally. Bereits im zarten Alter von zehn Jahren trat sie gemeinsam mit ihrer Tante auf und wurde bald eine Art Kinderstar.

»Naja, wo san die Leut hingangen? Mei Gott, schau: Es hat net viel geben. Da hats ja viel, viel Kaffeehäuser geben damals, so klane, liabe. Und da ham s' mi als Kind aufs Klavier auffigsetzt, und er hat zu mir gsagt: >Was singst denn?< Und i hab gsagt: >Den Erzherzogjohann in C-Dur, waßt eh.< Ja, und so hat des angfangen, net, mit dera Singerei ...«

Trude Mally
Artist Video
Das Dudln das is halt mei anzige Freud, i dudl ob guat oder schlecht is die Zeit. Ob's hü oder hott, ob so oder so, das bleibt si mir Buttn, i dudl halt do. Ho-lo-da re-i ... Wann i amol gstorbn bin, i stell ma des so vor, wird spieln bei mein Grab d'Musi, Werdn s' singen an Chor. Auf amol wird's haßn: wer gibt denn da kan Fried? Daweil werde das i sei, und dudl unt' no mit. Ho-lo-da re-i ...

Im 2. Weltkrieg wurde Trude für das Fronttheater verpflichtet.

»Dann war i net amol no 15 Jahr, da war i während des Krieges auf Wehrmachtstournee. Und da war i vier Monat in Rußland draußen. Mir ham an richtigen Heimatabend gmacht, an österreichischen Volksliederabend. Des war mit Jodlern und mit Farbaufnahmen ...«

Nach der Kapitulation wurde Trude von der österreichischen Regierung engagiert, um die alliierten Besatzer mit Wein und Musik bei guter Laune zu halten.

»Im Jahr 1947, da war der Abschiedsabend im Bundeskanzleramt vom General Mac Clark, vom Hochkimmissär von die Amerikaner, und da war i mit den Kemmeter-Schrammeln dabei. Und es war scho sehr sche. Warum: Weil die Amerikaner tan des do net so kennen, des Jodeln. Mit ham ja da oft so Empfänge ghabt ...«

Auf Tourneen trat Trude u.a. mit dem Volksschauspieler Hans Moser auf und bekam auch die Möglichkeit, im Film mitzuwirken.

»Ja, der Hans Moser, mit dem war i auf Tournee, in Oberösterreich. Bin auf der Bühne drauß gstanden und hab gsungen die 'Schindergruabm.' Und der is hinter der Bühne gstanden und hat si des drei Wochen anghört. Weil's ihm so gfallen hat aa ...
Wie hat denn der Film ghaaßn? "Wiener Melodien" hat des ghaaßn. I hab aa gsungen in dem Film, mit an Zitherspieler. Waß net, hab i da d' "Schindergruabm" oder was gsungen ...«

Der meisterhafte Dudler der "Schindergruabm" ist von der ersten Geigenstimme von J. Winbarts "D' Anwandler Tänze" (1866) übernommen und als eigenständige Melodie zurechtgesungen worden: Hul-jo-i di jo-lo di, drunt in der Schindergruabm, da-rei-i di jo-lo di, tanzn zwa Hiatabuam, da-ri-i di jo-lo di ...

Wer no net draußn war im schönen Liebhartstal,
wo zwischn Bergerl stehn die Häuser klan und schmal,
wer not net trunkn hat dort draußt a Glaserl Wein,
der kann do meiner Seel ka echter Weana sein!
Tuat die Sunn untergehn
wird's dort draußn erst schön,
wann im Garterl die Lichter hell blinkn.
Wann die Musi fein klingt,
daß das Herzerl si schwingt,
da vergißt ma beinah auf das Trinkn.

Der Westen Wiens mit seinen Heurigen und Buschenschanken - der Bezirk Ottakring, insbesondere das Liebhartstal - wurde das musikalische Betätigungsfeld von Trude und anderer Sängerinnen.

»Ottakring, da diese Bezirke san scho sche. Da war's no gmiatlich, da warn die Leut gmiatlich, san zum Heurigen gangen, ham si anstrudeln lassen. Da ham die Leut aber dann a schöne Musi ghört, und des hat eahna gfalln. Es war aa ruhig, die Leut ham zuhörn können, des war aa sche, damals ...«

2009 starb Trude Mally im Alter von 81 Jahren, die letzte Vertreterin ihrer Art. Gerade rechtzeitig noch, genauer gesagt 1993, hatte Christina Zurbrügg damit begonnen, die Kunst und das Leben der letzten Wiener Dudlerinnen zu dokumentieren. Sie interviewte Trude Mally, sowie die Sängerinnen Poldi Debeljak und Luise Wagner und die singende Wirtin Anny Demuth.

Es entstand ein Panorama Wiener Lebens im 20. Jahrhundert. Die Künstler erzählen ihre persönlichen Lebensgeschichten (nicht nur musikalischer Natur), mit dem 2. Weltkrieg als das einschneidende Erlebnis in der Mitte des Jahrhunderts.

Christina Zurbrügg

Artist Video Christina Zurbrügg
@ FolkWorld:

FW#40, #40, #41, #53

www.zurbruegg.cc

Der Filmtitel "Orvuse On Oanwe" resultiert aus der Geheimsprache der Wiener Volkssänger- und sängerinnen, wobei die erste und letzte Silbe vertauscht werden und an den Wortanfang ein O und an das Wortende ein E kommt. "Orvuse On Oanwe" heisst dann schlicht und einfach Servus in Wien.

»Es hat in Wien a Sprach gebn, die die Musikanten gredt ham. Und da ham si halt immer die Musikanten, wann irgendwas war, wann s' ham wollen was sagn, was der Wirt net versteh soll oder die Gäst net versteh solln, ham si die so unterhaltn ...«

Christina Zurbrügg: doodle it

Der kurzweilige Dokumentarfilm "Orvuse On Oanwe" liegt nun in einer neuen Fassung auf DVD vor. Das 160-seitige Begleitbuch präsentiert in vier Kapiteln die während der Recherche entstandenen Interviews, als auch 20 Lieder mit Texten, Noten und Akkorden. Viele sind zum allerersten Mal transkribiert und um Harmonien ergänzt worden. Ein nützliches Glossar - von abgwatscht (ohrfeigen) bis z'wuzeln (Platzen vor Lachen) - vereinfacht das Verständnis für den Hochsprachler.

Kurz vor ihrem Tod klagte Trude Mally über Niedergang und Ableben des Dudelns:

»Dudeln - des is des, was man entweder hat oder net hat. Aber des muaß man von der Familie her kriegn. In der Art, wie i no sing - i bin a nimmermehr so jung -aber i weiß niemand hinterher, der des no kann. Und so tamma halt weiter, bis mir amol nimmermehr san. Wer weiß, wie lang des no sein wird. In zwanzig Jahren wird dann niemand mehr wissen, was des eigentlich is: Dudeln.«

Keine der Sängerinnen hat die Kunst des Dudelns direkt weitergeben können. Die Mitte der 1990er-Jahre in Vergessenheit geratenen Techniken wurden indes von einer neuen Generation Sänger und Sängerinnen wiederentdeckt. Zu nennen sind hier vor allem Agnes Palmisano, Doris Windhager, Tini Kainrath und Rudi Koschelu.

Und auch Christina Zurbrüggs aktuelle CD "doodle it!" selbst ist das Fazit (oder vorübergehende Etappe) ihrer seit zwei Jahrzehnten andauernden Beschäftigung mit dem Wiener Dudler, bei dem 13 klassische Jodler in einen zeitgemäßen Klangteppich von Jazz bis Elektronik eingebettet werden.[53]


Photo Credits: (1) "Orvuse on Oanwe - Servus in Wien: Wiens letzte originale Dudlerinnen", (2) Trude Mally, (3)-(4) Christina Zurbrügg (unknown/website).


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