FolkWorld Live Review von Walkin' T:-)M; 09/2002:
Anfrage
an Radio Jerewan: Was wäre, wenn man das TFF um eine Woche verschieben würde?
- Dann würde es in Thüringen sieben Tage später regnen! - Böse Zungen
meinen ja, dass das schlechte Wetter extra bestellt würde, um den Besucherandrang
im überschaubaren Rahmen zu halten. Nein, man kann doch nicht jedes Jahr über
das Wetter schreiben. Wir wäre es zur Abwechslung mal mit etwas Musikalischem:
Kniegeige, Polen und Ruhrpott waren die Schwerpunktthemen des diesjährigen Tanz&FolkFestivals
Rudolstadt, über das die "Zeit"
urteilt: "60.000 Enthusiasten strömen zu dieser Love Parade der bodenständigen
Musik und erleben 60.000 verschiedene Festivals. Je nach Neigung ist Rudolstadt
Tanzorgie, Trachtenspektakel, Völkerkundeseminar, World-Pop-Messe oder das Bayreuth
der ethnischen Musik."
Walkin' Tom wandelt und lästert vom Heinepark über Saale und Altstadt bis zur
Heidecksburg hinauf und wieder zurück.
Donnerstag, 17:00
Nach fünf Stunden Fahrt Ankunft in Rudolstadt.
Unterwegs grüßt schon der "Straßenunterhaltungsdienst". Toll, was einem so
alles geboten wird. Selbiger ist aber "schallgedämpft".
Ich schlage mein Zelt im Freibadgelände auf und hämmere die
Heringe in den harten Boden.
Donnerstag, 20:00
Die Innenstadt ist noch ziemlich ausgestorben. Das Sonderkonzert mit Yann
Tiersen (Die fabelhafte Welt der Amélie) schenke ich mir, da es mich
weder besonders interessiert, noch das extra Eintrittsgeld wert ist. Später
höre ich, es sei o.k., aber zu kurz gewesen. Ich stärke mich stattdessen im
"Gast- und Rasthaus Adler" mit thüringischen Spezialitäten. Die älteste Schenke
Rudolstadts darf seit 1601 "Gastgerechtigkeit" ausüben.
Ein Warpiper - Quest, der mit der
Band Staffa Straßenmusik spielt - sucht einen Spielplatz. Gott-sei-dank
nicht direkt neben mir. An den Tischen finden sich auch Phil Beer (Show
of Hands -> FW#19)
und einige Kniegeiger ein. Letztere dürfen anschließend schon mal auf der Marktbühne
probesitzen.
Die Kniegeige - nicht zu verwechseln mit der oftmals ebenso benannten Viola da Gamba, vielleicht sollte man besser Kniefiedel sagen - ist das "magische Instrument" des diesjährigen Festivals. Ein gezupfter Musikbogen ist schon auf den altsteinzeitlichen Höhlenmalereien im südfranzösischen Trois Frères abgebildet (10.-15.000v.C.). Eine Malerei in der in bulgarischen Rabisch-Höhle wird als Musikbogen mit Streichbogen interpretiert. Um 900 tritt von China bis Spanien die Rebab auf, der älteste bekannte Vorläufer der modernen Violine, die noch heute in der gesamten islamischen Welt gespielt wird - und zwar auf den Knien. Miniaturen aus dem Codex Alonsos el Sabio von Kastilien (Cantigas de Santa Maria, 13. Jhd.) zeigen die keltisch-germanische Chrotta, die heute in der europäischen Tradition weitgehend ausgestorben ist. Präsentiert werden auf dem TFF u.a. die griechische Lira (Ross Daly; eine Lira in der Sammlung alter Musikinstrumente im Kunsthistorischen Museum Wien trägt die griechische Inschrift "Musik ist Medizin für das Weh des Menschen" und zeigt das trübselige Gesicht eines bärtigen Patriarchen, dessen Stirn aus weiblichen Brüsten zusammengesetzt ist), die bulgarische Gadulka (Georgi Petrov -> FW#9), die persische Kamancheh (Kayhan Kalhor), die indische Sarangi (Dhruba Ghosh) und die chinesische Er-hu (Wu Wei).
Donnerstag, 24:00
Am Eingang zum Zeltplatz wiegen ein Banjo- und ein Bouzoukispieler die
Leute mit irischen Standards in den Schlaf. Ich kann später hören, wie sich noch
Flöte und Bodhrán dazugesellen.
Nebenan werden noch Zelte aufgeschlagen und Luftmatratzen aufgepumpt.
Freitag, 7:30
Das Lager erwacht langsam zum Leben. Erfrischung im Pool und Bad in der Sonne.
Ich stelle fest, dass im Gegensatz zum Westen dieser Republik wenigstens auf
dem kulinarischen Sektor noch reelle Preise bestehen.
Freitag, 15:30
"Plüsch und Pütt - Die Wärme und die Härte des Revierlebens" heißt
die Ausstellung im Schillerhaus über den "homo ruhrgebietiensis" und dessen
Sitten wie Brieftaubenzucht, "Eisenbahnerkuh" (d.i. die Ziege) und "Gelsenkirchner
Barock". Es sind kitschige, gestickte Plüschkissen mit Sprüchen wie Ein
Musikus, ein Musikus, weiss immer, was er spielen muss ausgestellt. Vergangenes
Jahr hatten wir uns gefragt, wer wohl bei dem Ruhrpott-Focus auftreten
würde: Die Prognose ist zu 90% eingetreten, nur ein Mandolinen- oder Bandoneonorchester
ist nicht vertreten. Folk-, Roots- oder Weltmusik im eigentlichen Sinne gibt
es nicht arg viel. Man hätte auch Michael Zachcial (Grenzgänger,
Zaches & Zinnober -> FW#21)
oder Sheevón (siehe CD-Rezension in dieser
Ausgabe) ausgraben oder den pläne-Verlag
würdigen können. Und
was machen eigentlich das Kifferduo Witthüser
& Westrupp, der "Gitarrenlehrer der Nation" Peter
Bursch, Ape, Beck & Brinkmann,
und Frank der Schwartenhalß? Nicht zu vergessen: 1992 belegt die deutsch-türkische
Baba Jam Band den 1.
Platz beim ersten ausgeschriebenen Deutschen Folkförderpreis.
Der Länderschwerpunkt ist Polen (-> FW#21). Hier hat sich das TFF eine Region ausgesucht, in der sich im Augenblick einiges zu tun scheint. Unter dem Motto "Die letzten Dorfmusikanten" werden in der KulTourdiele (Touri-Info) Bilder des Warschauer Fotografen Andrzej Bienkowski und Musikinstrumente aus dem Museum Poznan ausgestellt, darunter Raritäten wie eine Teufelsgeige und ein Pedal-Akkordeon.
Freitag, 20:00
Ein T-Shirt "War is terrorism with a bigger budget"
passt wie die Faust aufs Auge zum Auftritt der Navajo-Band
Blackfire.
Wer hier traditionelle indianische Tänze oder irgendeine Form von Weltmusik erwartet, liegt definitiv falsch. Das ist Punkrock pur.
"Punk erklärte dieser Gesellschaft den Krieg und schließlich den Kaptalismus zu einem andauernden Kriegsschauplatz."
(-> FW#22)
Vorne tobt die Pogofraktion nach dem Motto: Es muss bluten, damit sich das
Wochenende gelohnt hat.
Ich frage mich, wie wohl das Blackfire-Programm beim Kinderfest in "Klamaukien"
aussieht und prognostiziere einen Rückgang der Karl-May-Lektüre bei der deutschen Jugend.
Freitag, 21:00
Der gebürtige Essener Rocker Stoppok
(->
FW#16,
FW#18,
FW#21)
hat sich bislang nicht als Themenschwerpunkt gesehen.
Stoppok hat sich einst als Straßenmusiker durch die Fußgängerzonen des Potts gespielt und
1979 den Folkclub Augsburg mitbegründet. So weit zu den folkigen Anfängen.
Das Konzert wird live im Radio übertragen,
"normalerweise wäre das egal, dass meine Gitarre total verstimmt ist,
aber wir nehmen jetzt, wenn schon mal was Gutes im Radio läuft,
da nehmen wir jetzt mal drauf Rücksicht und ich stimmme meine Gitarre
halbwegs richtig."
Er wehrt sich gegen den allgegenwärtigen Rudolstock-Trend
und will kein "Wetterprophet" sein. Wir auch nicht.
"Da die Leute am Radio natürlich nicht mitkriegen,
warum ich mich zwischendurch verspiele, ihr habt's gesehen,
hier ist gerade eine Giraffe über die Bühne gelaufen
und deswegen war ich so irritiert, dass ich danebengegriffen habe."
Freitag, 22:30
La
Lionetta (benannt nach einer italienischen Ballade, in der die gute
Dame gleichen Namens mit den Soldaten fortzieht -> FW#19)
feiern bereits ihr Silberjubiläum. Hier bei uns sind sie noch ziemlich unbekannt.
Zu Unrecht, denn hier bahnt sich der erste Höhepunkt des Wochenendes an. Tanzbar
und quirlig, gute Laune versprühend, doch ernsthaft bewegen sich Akkordeon,
Flöte, Geige, Dudelsack und Mandoline entlang der mediterranen Kulturen, die
in Nordwestitalien aufeinandertreffen. Die Tuba gibt stetig, doch unaufdringlich
den Rhythmus an. Eine qualitativ und stilistisch mit B.E.V.
(-> FW#11,
FW#14, FW#21)
vergleichbare Formation, die vor zwei Jahren in Rudolstadt begeistert hat.
Freitag, 24:00 Die Tuaregband Tinariwen
aus Mali spielt im Grateful Dead-Stil
traditionelle Stammesklänge mit modernem Instrumentarium.
Ob nun Country, Blues und Reggae von Afrika auf den amerikanischen Kontinent
migriert sind, oder umgekehrt von Amiland zurückgefunden haben,
ist nicht so wichtig. Am Schluss steht das gesamte Publikum auf den Beinen
und groovt mit. Soviel Sand macht durstig.
Freitag, 1:30 Zum ersten Mal gibt es einen "Tanz des Jahres", diesmal ist es passend zum Polenschwerpunkt
die Mazurka, der polnische Nationaltanz im 3/4-Takt.
Wie schrieb doch Hennemeyer im Jahre 1936:
Im Tanz slawischer Völker drücke sich "ihre rasende und überschäumende
Lebenskraft" aus, bei den "Romanen" sei Tanz "dekoratives Spiel" und auch
die nordischen Völker "tanzen ihr Lebensgesetz. Aber es ist ein anderes Gesetz,
das am deutlichsten sichtbar wird in den Männertanzen mit Schwert, Stab und
Gerät. In ihnen ist alle Bewegung gebändigt und beherrscht, das virtuose
Können des einzelnen in eine soldatische Übereinstimmung der Bewegung mit der
der Kameraden verwandelt." Da muss man doch dankbar sein für die Entwicklungshilfe,
die jedes Jahr in Rudolstadt geleistet wird.
Ich versuche einzuschlafen, während Gnawa-Beats zum Campingplatz hinüberdröhnen.
Samstag, 11:00 Samstag, 13:00 Samstag, 18:00 Samstag, 22:00 Auf dem Markt überziehen die Polen gnadenlos. Mit viel Verspätung tritt
Cara Dillon
(Oige,
The Equation
-> FW#22)
auf. Durch die überzogene Hype, die um die junge Dame gemacht wird (A New Dillon! har! har!),
wird man trotz der engelsgleichen Stimme
von der erzeugten Erwartungshaltung zwangsläufig enttäuscht.
Der durchgehend ruhige Folkpop ist etwas anstrengend
(das schnellste Stück ist noch "Black is the Colour"),
auch wegen des Laberpublikums.
Samstag, 23:15 Samstag, 1:30 Auf dem Zeltplatz kommt ein Mix aus "Lostörndemeisterabajo" an. Gut, dass es
tragbare CD-Spieler gibt: "Da kannst du beseligt schnarchen, mein Michel,
was willst du noch mehr, mein Michel, was ..."
Sonntag, 11:00 Sonntag, 13:30 Sonntag, 15:00 Sonntag, 16:30 Sonntag, 19:00 P.S. Na, mit dem Wetter war es doch nicht so schlimm, oder?
Jedenfalls meint J. Rohr:
P.P.S.: Nächsten Jahr wird es die Schwerpunkte Xylophon
und Senegal geben. Dazu fällt
uns jetzt schon mal Youssou N'Dour,
Baaba Maal, Cheikh
Lô, Ismael Lô, Mansour
Seck und Touré Kunda
ein. Das Bala(fon)
ist das senegalesische Xylophon. Es gibt aber auch die die lateinamerikanische
Marimba oder die südostasiatischen Ranat
und Gambang.
Der "Tanz des Jahres" soll aber nicht der senegalische "mbalax", sondern der
Salsa sein. Da sollten genügend Interpreten
zu finden sein, z.B. die senegalesische Salsaband Africando.
Nicht zu vergessen, der Regionalfokus Berlin: Mal schauen, was uns da wieder
Merkwürdiges angeboten wird.
Photo Credit: Alle Kissenfotos von Tom Keller, alle Musikerfotos von
The Mollis: (1) Trebunie Tutki aus dem Polen Special, (2) La Lionetta, (3) Grond,
(4) Triakel
Einen weiterer Bericht vom TFF Rudolstadt 2002, "Ein
Ägypter und viele Musiker in Rudolstadt", hat Karsten Rube beigetragen. Zum Inhalt der FolkWorld Beiträge All material published in FolkWorld is © The
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"Rassenschande", grunzt der Kontrollfuzzi der Black Guard Security,
als er ein schwarz-weisses Päarchen einlässt.
"So tolerant und weltoffen dürfte es nicht an vielen deutschen Orten sein",
schreibt die Leipziger Volkszeitung über das letztjährige Festival.
"Denk da lieber nochmal drüber nach", wäre jetzt wohl Stoppoks Antwort gewesen.
Da fällt mir auch noch das Abschlusslied des Konzerts gegen Rassismus und Neonazis
1992 in Essen ein: "Kommt ausse Pötte, es ist wieder soweit. Kommt ausse Pötte, wir sind über der
Zeit. Lasst die Faschos nicht ran. Kommt ausse Pötte, sonst sind wir alle arm dran..."
Im Tanzzelt spielt Hoven Droven als
das Bo lycklig gammeldansorkester für die Tanzbesessenen auf. Bei dem
Gestampfe auf dem Parkettboden hört man leider fast nur noch Rhythmus, aber
kaum Melodie.
Ach, diese Tänzer haben doch einfach kein Gefühl für Musik. Auch bei den Bretonen
Djal,
die ganz schöne Sachen spielen, wird einem so das Vergnügen etwas verleidet.
Einzig der zunehmende Lärm treibt einen hoch. Die Zeltdichte hat zugenommen.
Nachdem mich die Doppel- und Dreifachnumerierung der Spielorte im Programmheft
zuerst in die falsche Richtung gebracht hat, komme ich verspätet zur
Diskussionsveranstaltung "Muse und Maloche". Es ist völlig überfüllt, also nix.
Es wird sich noch herausstellen, dass der erste Act an diesem Tag durch nichts
zu toppen ist.
Kontraburger,
der Liedgesang erinnert mich an Jefferson Airplane,
spielt "fantasy folk" auf solider Jazz- and Rock-Grundlage.
In polnischen Texten werden sogar Szenen aus Tolkiens "Herrn der Ringe" umgesetzt:
Bilbo Beutling verlässt seine Hobbithöhle (nach dem ersten, zweiten Frühstück
etc.) bis er auf den Grünen Drachen trifft.
"In his journey of his life, he went through rain ..."
Vom Wetter schweigen wir fortan.
Mit einem Abstecher zum "Verrückten Kartoffelhaus" am Markt geht es erst mal zum
Zelt, um sich wasserfest zu machen.
Samstag,
17:00
Das Wetter hat wieder aufgehört. Die niederländischen Grond
klingen ein wenig wie das belgisch-flämische Gegenstück Kadril,
nur nicht ganz so elektrisch. Den harten Kern der Truppe um Bouzoukispieler
Guy Roelofs habe ich noch vergangenes Jahr als "Cadans der Getouwen" (-> FW#22)
auf dem Festival in Tilburg erlebt
(-> FW#18).
An den Neumarkt schließt sich die Instrumentenbaustraße an. Folkies können Eckermann
Drums betrommeln, sich Overton Whistles
reinpfeifen oder mit MadforTrad-CD-ROMs
(-> FW#21,
FW#21)
fit für das 21. Jahrhundert machen.
Die Gnade der Geburt am richtigen Ort hat auch Pit Budde in den Ruhrpott versetzt.
Pit ist Begründer des Dortmunder Sextetts Manderley,
das 1976 behauptet "eine zeitgemäße Form für Volksmusik gibt es nicht.
Eine Möglichkeit bietet sich in der Synthese aus volkstümlichen und
elektrischen Instrumenten, der Schaffung von Texten in einem der
täglichen Umgangssprache nahekommenden Stil einerseits sowie der
Verschmelzung von Elementen der traditionellen Volksmusik und der
populären Rockmusik andererseits."
Umgesetzt wird das 1979 in der Anarcho-Kapelle Cochise und
Mitte der 90er-Jahre in der Weltmusikgruppe Radio Ethiopia.
Heute spielt er jedoch mit
Karibuni
Weltmusik für Kinder
(-> FW#19,
FW#20) -
wenn auf dem Marktplatz auch eher ältere Semester das Bild beherrschen.
Auf dem Programm steht Lateinamerikanisches.
Ein Cochise-Remake wäre mir persönlich lieber gewesen.
Die
Dresdner Buckijit ("eejit" = irischer
Slang für "idiot", der "buck..." ist die Steigerung davon) spielen (und singen
gelegentlich) europäische Instrumentalmusik, vom Balkan bis nach Irland. Schön,
dass solch eine Band, wenn sie auch keine besonders aufregende Show bietet,
es auch mal auf eine Bühne und nicht nur ins Straßenmusikprogramm gefunden hat.
Warum wundert man sich eigentlich immer über die Begeisterung für die insulare
Musik? Immerhin ist es der Ire Kilian
(+689) gewesen, der bis in den Thüringer Wald hinein misionierte (Thüringens
"erste und einzige Großgemeinde" heisst - St.
Kilian), später der Angelsachse Wunibald
(701-61).
Bei Hoven Droven (-> FW#6,
FW#13,
FW#19,
FW#19)
trifft traditionelle schwedische Fiddlemusik auf das rockige Gewand von Saxophon,
Stromgitarre, Bass und Schlagzeug. Der Bandname bedeutet im jämtländischen Slang
etwa so viel wie "was-auch-imme. Genauso könnte man auch ihren Stil
beschreiben. Nach einem etwas schleppenden Anfang wird die Combo von Stück zu
Stück besser. Geiger Kjell-Erik Eriksson schwitzt sich die Seele aus dem Leib.
Er spielt nicht auf den Knien, sonst könnte er auch nicht so herumhüpfen. Zwischendurch
werden die Kollegen von Triakel
zu Gast auf die Bühne gebeten.
Der
rappige Anfang von Los de Abajo
treibt mich an das andere Ende des Heineparks. Kein Glück. Der deutsche Folkpreisträger
(-> FW#22)
in der Sparte "Neue Roots" (d.i. "populäre Musik mit Wurzeln in der Folk-
und Weltmusik") sind die Kölner Törnmeister, die laut Eigenbeschreibung
"Global Sounds & Electronic Beats" bieten. (Die Klezmerband Di
Grine Kuzine ist Gewinner in der Sparte "Globale Roots"; keine Ahnung,
wer der dritte Preisträger ist, die Folkpreis-Website
schweigt sich auch Wochen später noch aus, geschweige denn, man erfährt etwas
über die Preisträger der vergangenen Jahre.) Törnmeister sind ein Lecker-Sachen-Klon.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Raus mit dem HippHopp aus dem Folk, meine
ich so ganz persönlich!
Das Zelt neben mir ist bereits weg.
Dafür hat sich dort eine Familie zum Picknick niedergelassen.
Selber alles abbauen und verstauen und sich dann noch einmal ins Getümmel stürzen.
Im Heinepark bummele ich an den CD-Ständen vorbei:
Old Songs New Songs,
Kaspar Hauser,
Jump Up.
"Kauft unsere CD!", hört man auch in Rudolstadt von allen Bühnen.
Das ist wahrscheinlich der einzige sichere Weg, einen Musiker mit nach Hause zu nehmen.
An der Stiege zum Schluss musizieren
Laridée
Französisches.
Zum ersten Mal dieses Wochenende schaffe ich es auf den Hausberg Rudolstadts. Bei
Triakel
(-> FW#9,
FW#18)
gibt es schwedische Volksmusik mal nicht mit Schwermetall und modernen
Beats, sondern den lockenklaren Gesang der
Garmarna-Sängerin
Emma Härdelin und die sparsame Begleitung des
Hoven Droven-Geigers
Kjell-Erik Eriksson plus Janne Strömstedt am Harmonium.
Aus den populären schwedischen Krimis weiss man ja schon, wie es im Norden
so zugeht. Die Tradition bestätigt dies.
Der Alltag besteht offenbar nur aus Mord & Totschlag:
"This one was sad, the next one is more sadder ..."
An "Alternative Country" hat man sich noch nicht dran gewagt, man setzt
auf Altbekanntes. Die Lynn Morris Band
spielt traditionellen Bluegrass. Auch wenn ich kein Country-Fan bin, und
in diesem Idiom erklingt so einiges, finden die
halsbrecherische Improvisationen und Solis auf Fiddle und Mandoline
mein vollstes Gefallen.
"Bluegrass-Musik kennt drei klassische Themen:
Grubenunglücke, Eisenbahndesaster und mom and
daddy tot", weiss die
"Zeit".
"Im idealen Bluegrass-Song müssten mom
and daddy bei einer unterirdischen
Eisenbahnkatastrophe sterben. Dieser Song ist noch
ungeschrieben, obwohl es Bluegrass schon über 60
Jahre gibt." Vielleicht sollten sie sich mal mit Triakel zusammentun.
Es wettert mal wieder. Die bayrischen Blasmusik-Popper Haindling
feiern das 20jährige Bandjubiläum mit einem Streifzug durch Antikes, Mittelalterliches
und Neues. Ein würdiger Abschluss des TFFs.
Team-Chef Hans-Jürgen Buchner weckt Erinnerungen an das Live-Album "Meuterei"
aus dem Jahre 1985, als er zum Schunkeln - "es ist so, dass da wo Geschunkelt
wird, wir niemals hingehn taten, weil Schunkeln einfach was Geschissenes ist;
aber da wir so schee beieinander san wie heut" - animiert: "Sollte
jemand dabei sein, der heute zu feig ist zum Mitschunkeln, der bereut es spätestens
am morgigen Tag. Und dann sieht er sich am Fernseher und sagt sich: ,Da schau
hi, das bin i, die feige Sau, die sich nicht ein mal traut hat beim Mitschunkeln.'
Und das lasst er natürlich nicht auf sich ruhn, weil er nimmer fertig wird damit.
Und dann geht er in Rudolstadt am nächsten Tag, weil er sich denkt, ich muss
des mache, sonst kann ich mich nimmer in den Spiegel schauen, dann geht er in
Rudolstadt irgendwo aus seinem Haus raus und fängt zum Schunkeln an und wird
sofort vom Sanitätswagen abgeholt. Also, nütz mers lieber do herrin aus. Sollte
jemand dabei sein, der keine Lust zum Schunkeln hat - braucht er natürlich nicht.
Dann muss er sich zwar gegen die Anderen ein bisserl dagegenstemmen, dann schunkelt
er zwar wieder, aber in Wirklichkeit schunkelt er - nicht."
Rückreise. Wie hieß es doch an der "nicht seh&verstehbaren Landeskränze"
von "Klamaukien":
"Sie verlassen jetzt unser Land. Nun müssen Sie sehen, wie sie selber klar kommen!"
Die ersten Orientierungsschwierigkeiten stellen sich schon am Ortsausgang ein.
Aber ich wollte schon immer mal die
Burg Greifenstein und das
Kloster Paulinzella
sehen.
"Hallo, liebe Folkies, lt. Wettervorhersage wird es dieses Jahr in Rudolstadt wohl wieder
ähnlich schmuddelig-nass-kühl werden, wie in den vergangenen 3-4(?) Jahren. :-((
Weiß irgendjemand, ob es mal Überlegungen gab, das Festival auf ein
statistisch weniger regenreiches Wochenende zu legen?
Nicht erst beim letzten Mal habe ich mich ziemlich darüber geärgert,
ein echtes Highlight wie etwa Dick Gaughan nicht in einer lauen
Sommernacht unterm Sternenhimmel, sondern vor Nässe und Kälte
schlotternd vor einem Meer von Regenschirmen zu erleben.
Es gibt dieses Mal wieder derart viele Highlights, die ich unbedingt
hören will. Aber die Aussicht, auch dieses Mal wieder im Heinepark
nachts frierend durch den Matsch zu waten, macht wirklich keinen Spaß.
Wäre es - so rein theoretisch - denkbar, RU einfach in den August zu
verlegen? Was meint Ihr?"
Das TFF Rudolstadt der vergangenen Jahre in FolkWorld: 2001a,
2001b, 2001c,
2000a, 2000b,
2000c, 2000d,
1999a, 1999b
Zum Inhalt der FolkWorld Nr. 23
Layout & Idea of FolkWorld © The
Mollis - Editors of FolkWorld