FolkWorld-Artikel von Walkin' T:-)M:

Der Löwe unter den Pipern

Das Leben und Wirken des Leo Rowsome (1903-70)


Sie nähren sich nur von wilden Tieren und sie leben wie wilde Tiere, schrieb der Normanne Giraldus Cambrensis im Jahre 1185 von den Iren. Nur beim Bau von Musikinstrumenten entwickeln sie eine gewisse Geschicklichkeit. Bei keinem Instrument mehr als den einzigartigen Uilleann Pipes. Einer der bemerkenswertesten und produktivsten Musiker und Instrumentenbauer war sicherlich Leo Rowsome (1903-70), was sicherlich nicht nur an seinem animalischen Vornamen gelegen hat. Was der Name Stradivari für den Geigenbau bedeutet, das ist der von Leo Rowsome für den irischen Dudelsack, begeisterte sich ein Verehrer. Leos ausserordentlicher Stil wurde der Maßstab, an dem die nächste Generation Piper gemessen werden sollte. Am 5. April wäre Leo Rowsome hundert Jahre alt geworden.

Die Uilleann Pipes sind der spezifisch irische Beitrag zur Familie der Dudelsäcke und Sackpfeifen (bagpipes). Die ältesten Rohrblattinstrumente datieren ins 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung und sind aus dem William Rowsome (1870-1928), www.esatclear.ie/~rowsome asiatischen Raum nach Europa gelangt. Die altirische Fama berichtet von Conors neun Cuisleanach und ihrer kriegerischen Arbeit. Um Dudelsäcke nach heutigem Verständnis dürfte es sich dabei nicht gehandelt haben (allerdings ist die wesentlich ältere Geschichte erst im Mittelalter aufgeschrieben worden), vielleicht gar um Trompeten wie die eisenzeitliche Carnyx aus dem nordirischen Loughnashade.

Hochkreuze aus dem 10. Jhd. in Monasterboice (Co. Louth) und Clonmacnoise (Co. Offaly) zeigen noch Triple Pipes ohne Luftsack (bag), die den in Sardinien gespielten Launeddas ähneln. (Irische und sardinische Folklore sind sich allerdings nicht einig, ob der Schilf für die Rohrblätter vor oder nach Vollmond geschnitten werden soll.) Ein Gedicht über den Jahrmarkt von Carman (Co. Wexford) aus dem 11. Jhd. erwähnt sowohl Cuislennaig als auch Pípaí.

Irgendwann war man auf die Idee gekommen, dem Instrument einen Windbehälter zum bequemeren Spielen hinzuzufügen. Das aus den Darstellungen Breughels bekannte, also der galizischen Gaita (-> FW#5, FW#15, FW#16, FW#17) und der schottischen Highland Pipe (-> FW#3, FW#14, FW#16, FW#20) ähnelnde Instrument, ist, man höre und staune, vermutlich über England zu den Kelten Schottlands und Irlands gelangt (-> FW#19). Berühmt ist die Darstellung des dudelnden Schweines in der Melrose Abbey (1136 -> FW#17).

Der älteste erhaltene Hinweis aus Irland ist eine Holzschnitzerei aus dem 15. Jhd. im Woodstock Castle (Co. Kilkenny). Berichte von militärischen Aktionen erwähnen immer wieder Warpipes & Drums; Derricke im Jahre 1581 stellt eine solche Szene dar. Im selben Jahr rühmt Galileo Galileis Vater den emotionellen Reiz der irischen Pipes. Manchmal scherzen die Iren, sie hätten die martialischen Warpipes erfunden und den Schotten geschickt, die den Witz bis heute nicht verstanden hätten. (Ein Revival der Warpipes um 1900 bringt im übrigen die sogenannten Brian Boru Pipes hervor -> FW#23.)

Die Uilleann Pipes (ir. Ellbogen; urspr. Union Pipes von der Verbindung zwischen Melodiepfeife und Regulatoren, s.u.) haben ihren Ursprung im 18. Jahrhundert. Das vertrackte Instrument, fast so kompliziert wie Watts Dampfmaschine (J. Ryan), wird nicht wie die allermeisten Dudelsäcke mit dem Mund geblasen, sondern der Luftsack wird durch einen unter den Ellbogen geklemmten Blasebalg aufgepumpt. Sie sind damit mit den Scottish Lowland Pipes (z.B. -> FW#16) und den Northumbrian Pipes (-> FW#10, FW#15) verwandt.

Die Spielpfeife für die Melodie (chanter) hat einen Tonumfang von zwei Oktaven; die zweite Oktave wird durch Überblasen erzeugt. Klappen erlauben vollständige Chromatik. Drei Basspfeifen (drones) ermöglichen eine kontinuierliche Bordunbegleitung; die drei Regulators sind zusätzliche Melodiepfeifen, mit denen man einfachen Akkorde, einen improvisierten Bass oder sogar Kontrapunkt spielen kann. Deshalb konnten protestantischen Geistliche die Uilleann Pipes u.a. als Orgelersatz einsetzen, eine Kapelle im kleinen (Praetorius). Der warme Klang des Instruments ergibt sich aus einem sehr nachgiebigen und elastischen Rohrblatt.

Die Hugenottenfamilie Rousome emigriert im späten 17. Jhd. nach Irland und siedelt sich im Südosten der Insel an. Das County Wexford ist damals eine Bastion von Piper-Familien wie den Recks und den Potts. Samuel Rowsome (*1820), ein wohlhabender Farmer in Ballintore bei Bunclody, greift als erster zu dem Instrument. Sein Lehrmeister ist Jemmy Byrne aus Shangarry (Co. Carlow); Samuel selbst wird Mentor des berühmten Pipers John Cash (Cash the Piper, +1909). Leo Rowsome (1903-70), www.esatclear.ie/~rowsome Seine gastfreundliche Heimstatt gewährt vielen fahrende Musikanten Obdach.

Samuels drei Söhne spielen alle Pipes und erhalten nebenbei Unterricht bei Jacob Blowitz, einem deutschen Musikprofessor, der von 1878 bis 1885 in Ferns lebt. Thomas Rowsome gewinnt 1899 den ersten Preis beim Feis Cheoil (heute Siemens Nixdorf Dublin Feis Ceoil).

William Rowsome (1870-1928) konvertiert zum Katholizismus und heiratet Ann Murphy aus Boolavogue (verwandt mit dem berühmten Father Murphy der 1798er-Rebellion -> FW#4). Er zieht nach Dublin und eröffnet eine Werkstätte. Das sogenannte Hell's Kitchen in der 125 Harold's Cross Road wird ein populärer Stopp für vorüberziehende Musiker.

Leo Rowsome wird am 5. April 1903 in Dublin geboren und folgt in den väterlichen Fußstapfen. Sein erster Versuch, Pipes anzufertigen, soll im Alter von dreizehn Jahren erfolgt sein. Er benutzt dazu Reibahlen aus Bayonetten; die Spielpfeife stellt er aus Polizeischlagstöcken her.

Mit siebzehn wird Leo Lehrer für Uilleann Pipes an der Municipal School of Music, später College of Music, in der Chatham Row. Eine Aufgabe, die er bis zu seinem Tod innehat. Joe McKenna erinnert sich: Leo Rowsome unterrichtete von sieben bis neun Uhr am Abend. Und wenn ihn jemand überredete, blieb er für den Rest der Nacht. Zwischen neun und zehn zauderte er, dann ging jemand mit ihm ein Pint trinken und zurück ging es in die Session.

Beim Feis Cheoil in Dublin 1921 gewinnt Leo den ersten Preis und setzt sich u.a. gegen James Ennis, den Vater von Séamus Ennis (1919-82), durch. 1926 spielt er bei der Einweihung von 2RN, dem Vorgänger von Radio Éireann. Er gründet das All Ireland Trio mit Fiddler Séamus Ó Mathúna und Flötist Nelius Cronin (+1930) und ist Stammgast im Rundfunk und bei Plattenaufnahmen. 1934 ist Leo Mitbegründer von Cumann na bPíobairí Uileann (Dublin Piper's Club) im Áras Ceannt in der 14 Thomas Street (benannt nach dem Warpiper Éamon Ceannt (1881-1916), der vor dem Papst gespielt hat und nach dem Osteraufstand hingerichtet wurde) und wird der erste Präsident der Organisation.

Einen Einschub kann ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen: 1934 spielt Leo Rowsome zusammen mit Seán Dempsey (*1910) im ersten irischen Tonfilm Irish Hearts. Zwei Jahre später scheibt Seán insofern deutsch-irische Musikgeschichte, als er anlässlich der Olympischen Spiele in Berlin auftritt. Da keine Sitzgelegenheit aufgetrieben werden konnte, sitzt er während der Vorführung auf dem Rücken eines SS-Mannes. Anschließend sollen seine Pipes ausgiebig von Hitler, Göring und Goebbels begutachtet worden seien.

Aus der 1934 geschlossenen Ehe Leos mit Helena Patricia Williams (1912-86) gehen die Söhne Leon (1936-1994) und Liam (1939-97) sowie die Zwillinge Helena und Olivia hervor. In der 9 Belton Park Road baut er eine Werkstatt an das Haus an. 1936 publiziert das Musikgeschäft Waltons ein Lehrbuch für Uilleann Pipes. Auch die Gründung von Comhaltas Ceoltóirí Éireann Leo Rowsome & Schüler, u.a. Joe McKenna & Peter Browne, www.esatclear.ie/~rowsome (Irish Traditional Music Association) im Jahre 1950 und der erste Fleadh Cheoil verlaufen nicht ohne die Rowsomes. Bruder Tom wird der erste Vorsitzende.

In den fünfziger Jahren gründet Leo ein vielgepriesenes Pipe-Quartett, dem zeitweilig auch Willie Clancy (1918-73) angehört. 1969 tritt Leo als Soloist mit dem Radio Éireann Orchestra auf, gegeben wird Archie Potters (1918-80) Arrangement des "Fox Chase", dem Partystück par excellence für Uilleann Piper. Man kann sich also durchaus der Behauptung anschließen, dass Leo in De Valeras Irland die Funktion des amtlichen nationalen Staatspipers ausgefüllt habe. (T. Walsh)

Seán Reid (1907-78) will einmal von einer Krankheit genesen sein, nachdem er einen Reel von Leo gehört hat. Er schreibt später: Leo hat mehr als jeder andere Piper das Potential der Regulatoren ausgenutzt. Sein konkurrenzloses Geschick, sie zu handhaben, und seine Fähigkeit, sie in perfekter Stimmung zu halten, gaben den Pipes eine neue Dimension und plazierten sie zuvorderst unter die Orchesterinstrumente dieser Welt.

Leo spielt dabei mit dem sog. open fingering (traveller style) Nur die notwendigen Finger verbleiben jeweils auf der Spielpfeife und man erzeugt somit einen Legatoeffekt.

Von Leos magischem Spiel erzählt auch folgende Anekdote: Während des sehr warmen Sommers 1942, trat Leo im County Galway auf. Auf Einladung eines Father Larkins gingen sie in einem Boot auf dem Loc a' Toraigh fischen. Als die Fische nicht anbissen, begann Leo Pipes zu spielen und nach ein paar Tönen sprangen die Fische ins Boot.

Das Schicksal ereilt Leo Rowsome viel zu früh: Am 20. September 1970 ist er Preisrichter beim Fiddler of Dooney-Wettbewerb in Riverstown (Co. Sligo). Nach dem Auftritt Paddy Glackins hat Leo einen schweren Herzinfarkt. (An Paddys mangelndem Talent wird es nicht gelegen haben, dieser ist wenig später Gründungsmitglied der Bothy Band.) Er starb wie er gelebt hat, lächelnd und zufrieden, mit der Musik im Ohr, wie er es sich nur wünschen konnte, urteilt Sohn Liam. Begraben wird Leo auf dem Balgriffin Cemetery (Co. Dublin).

Traditionelle Musik war im Irland der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht unbedingt der Knüller, weder bei der Jugend noch der älteren Generation. Am Leben erhalten wurde die überkommene Kunstform nur von einer Handvoll Enthusiasten. Einer der bemerkenswertesten und produktivsten traditionellen Musiker dieser Zeit war sicherlich Leo Rowsome. Fintan Vallely bringt es auf den Punkt: Leo Rowsome praktizierte seine Kunst und sein Handwerk in der schwierigen Übergangszeit irischer Musik von einer Unerlässlichkeit im alltäglichen Leben Kevin Rowsome + Benedict Koehler, www.pipersgathering.org zum Revival traditioneller Musik. Er ist einer der Architekten dieser Wiedergeburt gewesen. Finbar Furey ergänzt: Ohne Leo und all die anderen Rowsomes wäre das Piping gestorben.

Viele, wenn nicht die meisten, der aktuellen Piper spielen im Stil von Leo Rowsome. Dazu nur ein flüchtiger Blick auf Leos persönliche Schüler:

Peter Browne, Willie Clancy, Finbar Furey, Joe McKenna, Gay McKeon, Paddy Moloney, Liam O'Flynn, Al Purcell, Seán Seery, ...

Heute hält Leos Enkel Kevin Rowsome die Familientradition aufrecht (-> FW#21). Seine ersten Unterrichtsstunden erhielt er noch von seinem Großvater. Kevin spielt u.a. ein Instrument in D-Stimmung, das Leo um das Jahr 1948 gebaut hat, sowie eines einen Halbton tiefer in Cis gestimmtes seines Urgroßvaters William von etwa 1898. Beide wurden liebevoll von Andreas Rogge (-> FW#20) instandgesetzt. Kevins spezielles Interesse gilt der Herstellung von Rohrblätter - Als Leo Rowsome starb, war dieses Land nahezu blattlos (F. Furey): Es gibt eine Menge Geheimnisse und verschiedene Techniken, die verlorengegangen sind, um Rohrblätter herzustellen. Es gibt noch genug Leute, die Rohrblätter spielen, die Leo vor über 30 Jahren fabriziert hat. Das ist es, was ich versuche wiederzubeleben.

Eine Tradition, die es wert ist, fortgesetzt zu werden.


King of the Pipers The Rowsome Tradition The Drones and the Chanter Classics of Irish Piping

Diskographie:
Kevin Rowsome, The Rowsome Tradition (Kelero 001, 1999 -> FW#21, www.esatclear.ie/~rowsome/)
Leo Rowsome, Classics of Irish Piping (Topic TSCD471, 1993 -> www.topicrecords.co.uk)
Leo Rowsome, Rí na bPíobairí (Claddagh CC1, 1959 -> www.claddaghrecords.com, www.mustrad.org.uk)
V/A, The Drones and the Chanters (Claddagh CC11, 1971 -> www.claddaghrecords.com)

Bibliographie:
Liam Rowsome, Leo Rowsome: The Man I Knew (Comhaltas Ceoltóirí Éireann, 1995)
The Leo Rowsome Collection of Irish Music (Waltons, 2003)

PipeWorld A-Z:
Leonard Barry (FW#23), Ronan Browne (FW#4, FW#10, FW#21, FW#24, FW#24), Chris Byrne (FW#20), Noel Carberry (FW#23), Patrick Davey (FW#15), Eoin Dillon (FW#4, FW#19, FW#26), Finbar Furey (FW#9), Donnchadh Gough (FW#2, FW#5, FW#7, FW#16), Evertjan 't Hart (FW#21), Michael Horgan (FW#8, FW#9, FW#10, FW#21), Dermot Hyde (FW#19), Paddy Keenan (FW#23), Kirk Lynch (FW#14), Michael McGoldrick (FW#10, FW#14), John McSherry (FW#, FW#12, FW#24), Paddy Moloney (FW#7, FW#8, FW#8, FW#12, FW#13, FW#22), Brendan Monaghan (FW#21), Diarmaid Moynihan (FW#5, FW#17, FW#20), Neil Mulligan (FW#23), Martin Nolan (FW#24, FW#24), Liam O'Flynn (FW#5), James O'Grady (FW#14), Brendan Ring (FW#22), Kevin Rowsome (FW#21), Johannes Schiefner (FW#23), Davy Spillane (FW#11), Cillian Vallely (FW#21, FW#24), V/A (FW#21).

FROG: Pipe makers



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