Ausgabe 28 04/2004
FolkWorld CD-Besprechungen
Woltähr "Trier by night"
Label: Op der lay; CD 60800; Spielzeit: 72.35
min
Wenn es Belgien nicht gäbe, läge Luxemburg am Meer; wenn es Luxemburg nicht
gäbe ... Die Phantasien an der Mosel, aber Trier - ein altes Pfaffennest,
das in einer angenehmen Gegend liegt (Goethe) oder deutsches Italien
(Schinkel), je nach Standpunkt - hat mehr zu bieten als römische Thermen und
das Geburtshaus von Karl Marx: Walter
Liederschmitt, nach seinem Rufnamen französisiert "Waltère" zu "Voltaire"
und "Woltähr" geworden, ist nach eigenen Angaben Autor, LiederMacher,TeilzeitLehrer,
GästeFührer; Schrift(enEr)steller, VerDichter, Verse&LiederSchmied, TrevererBarde,
MoselFranke, WinzerSohn, BaureJong, TagTräumer, NachtSchwärmer, SchneeMann +
SonnenAnbeter. Seit den späten 1970ern schmiedet der Multiinstrumentalist
Lieder in moselfränkischer Sprache, mit Gitarre, Keybord, Concertina - und neuerdings
auch auf einer Leier (Nachbau eines 6-saitigen Instruments eines alamannischen
Barden des 7. Jhd.). Der "Trierer Nachtspaziergang" - oder lokalpatridiotischer
Bänkelsang von hinter den Trierer Kulissen - beginnt am Weinstand (hei
stiehn die, die ömmer hei stiehn), als die Lumpenglocke vom Gangolfs-Turm
verstummt und der Nachtwächter den letzten Schluckspechten heimleuchtet. Da
geht Woltähr auf Jück, zusammen mit Freunden wie Andreas Sittmann von
den Rambling Rovers (-> FW#24). Woltähr
entpuppt sich in den besten Momenten fast als Trierer Gegenstück zum Goiserer
(-> FW#26, FW#27):
Gieh'mer riewer oder stieh'mer liewer wu mer ömmer stiehn? Gieh'mer möt iewer
de Maort riewer? Göt et wat se siehn? Gieh'mer riewer oder wat ös? - laosdert
stiehn? Das muss man sich gesungen vorstellen. - Global denken, lokal handeln:
Kyriakos Tekoutsof packt die Bouzouki aus, denn griechische Musik wird auch
schon vor 2000 Jahren in der römischen Treveris zu hören gewesen sein. Willie
Dunn, halbindianischer Singer/Songwriter aus dem kanadischen Ottawa, singt
von der "Schwatz Kaatz". Das Moselfränkische erinnere ihn an das Flämische,
welches er in den 1960ern von seinen belgischen Kameraden bei den UN-Truppen
im Kongo gehört habe. Und zum Schluss gibt es das zünftige "Mosellied" von Georg
Schmitt (1846).
www.voltaire-woltaehr.de
Walkin' T:-)M
Seán Tyrrell "Man of Galway - The Best
of Seán Tyrrell"
Label: ARC
Music; EUCD 1859; 2004; Spielzeit: 52.25 min
Das Beste vom Besten von einem der besten irischen Sänger: Seán
Tyrrell (-> FW#23). Vor gut fast
einem Jahrzehnt war der Sänger aus dem westirischen Galway Mitstreiter auf dem
Irish Folk Festival (-> FW#27)
und gelegentlich ist er immer mal wieder zu Gast auf Tournee in deutschen Landen.
C. MacKenzie (Living Tradition) schrieb
einmal, wenn Guinness singen könnte, würde es sich anhören wie Seán Tyrrell:
weich, aber mit einer Brise Bitterkeit. Ich persönlich denke da ja immer an
einen irischen Whiskey, dreifach destilliert und daher von außergewöhnlicher
Sanftheit. Seán selbst nennt sich einen irischen Blues-Sänger.
Dies Best-of-Album versammelt 14 Titel von den Alben "Cry
of a Dreamer" (1996), "The
Orchard" (1998) und "Belladonna"
(2002). Vier Titel sind bislang noch nie veröffentlicht worden. "One Starry
Night" ist das einzige traditionelle Stück, Seán hatte schon immer ein
gutes Händchen dafür, die Gedichte anderer zu vertonen: das Titelstück "The
Man for Galway" von Charles
Lever z.B. oder "Cap & Bells" von Yeats.
Der alte martialische Rebel-Song "Rising of the Moon" hat neue abgerüstete Lyrics:
Will we just destroy the planet or is peace to be the prize? One more word
must now be spoken, or sung to an old tune: Let's be friends this New Year coming
at the Rising of the Moon. Seán gelingen immer wieder kleine Wunder,
"John O'Dreams" habe ich eigentlich nie gemocht, ich beginne jetzt umzudenken.
Dazu gibt es ein Paar Jigs, eingespielt auf der Mandola und mit Hilfe von Liam
Lewis (Fiddle), Josephine Marsh
(Akkordeon) und Johnny Mulhern (Gitarre). Das Ganze kann natürlich nur eine
Einführung sein, so fehlt z.B. eins der vertonten Gedichte von Francis
Ledwidge, der 1917 in Ypern starb. Aber wenn man den Mann aus und für Galway
mag, kann man sich ja den Rest auch noch anschaffen.
ARC Music
Walkin' T:-)M
Yalla Babo Express Orchestra "Limon?"
Label: Verlag
der Spielleute; CD0304; 2003; Spielzeit: 65.10 min
Das Multikulti-Ensemble Yalla Babo Express Orchestra
entstand aus Musikern aus der Türkei, dem Iran und deutschsprachigen Landen.
Im Kern sind das Atilla Öztürk (Klarinette, Gesang) aus Ankara, Enkel eines
kosovarischen Großvaters, und Davoud Nourdanesh (Darbuka, Davul, Doholla, Zarb,
Duff, Gesang), Iraner mit Vorfahren in Azerbaidjan. Zu diesem Cocktail gebe
man noch einige deutsche und österreichische MitstreiterInnen und ein exotisches
Instrumentarium: Viola, Tamburica, Baglama, Oud, Gajda, Tammorra, Ney, Sax,
Riqq, Cister, Tapan, Zils, Hang, Pandeiro, Castanuelas, Cabaca, Bass - und wer
diese Instrumente alle kennt, mag sich bei mir melden. YBEO spielt traditionelle
Musik, von Indien über den Nahen Osten, die Türkei und den Balkan bis in den
Mittelmeerraum hinein (man solle das Album unter Gypsy Oriental einordnen);
die Hauptsache ist,man kann dazu tanzen. Ganz nach dem Motto: Ich komme zum
Tanzen, auf Hochzeiten und Festen; Limonenhändler nennt man mich, keiner kann
es wie ich! Wird einer nüchtern, kriegt er Gazoz; fällt einer um, bekommt er
Limon. Hervorragend. Prickelnder als Champagner und auch für Personen geeignet,
die nicht unbedingt auf südöstliche Schrägtakter stehen.
Verlag der Spielleute
Walkin' T:-)M
Johan Meijer "Von der Maas bis and die Memel"
Label: Stichting
Holländerei; HDS 030801; 2003; Spielzeit: 68.25 min
Heut wird noch einmal Kohlsuppe gegessen, die Wanzen lecken nochmal unser
Blut. Heut hören wir die Bomben wieder pfeifen und über uns hinweg rast noch
der Tod. Heute sind wir bei unsren Kameraden, die in dieser Hölle damals sind
krepiert. Wir können vieles schon verzeihen, aber nie und nimmer vergessen wir.
"Von der Maas bis and die Memel" ist ein musikaliches Denkmal für Menschen,
die den Krieg im Gebiet zwischen Maas und Memel und darüber hinaus überlebten
und mit den Folgen noch heute konfrontiert werden. Ihre Überzeugung, dass sich
Widerstand lohnt sowie ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft für sich und die
Nachgeborenen, inspirierten den Niederländer Johan
Meijer. Drum schreibt er Bücher zum Thema Zwangsarbeit und nahm als "Jean
van Adorp" bereits eine niederländisch-sprachige CD mit entsprechendem Liedmaterial
auf (-> FW#24). Auf "Von der Maas bis
and die Memel", die Textzeile von Hoffmann von Fallerslebens (-> FW#21)
"Lied der Deutschen" aufgreifend, gibt es nun einige Übersetzungen der ursprünglich
niederländischen Lieder auf "Stenen Man" sowie einige weitere Originale in deutscher
Sprache. Das eindrucksvollste Bild ist der überlebende Zwangsarbeiter auf des
Gröfaz Adlersnest: Tanzen auf dem Obersalzberg, Tanz am Felsenrand, Tanzen
auf den selben Stellen, wo einst Hitler stand. Millionen hielt er fest im Griff,
einer davon war auch ich. Froh, dass ich damals entkam, dass ich hier noch tanzen
kann. Weiterhin das jiddische Partisanenlied "Schtil, di Nacht is ojsgeschternet"
und niederländische Versionen der "Moorsoldaten" (-> FW#25,
FW#25), inspiriert durch die Interpretation
der belgischen Folkband RUM in den 1970ern, und "Es zogen einst fünf wilde Schwäne",
ursprünglich ein masurisches Volkslied und Vorlage für Pete
Seegers (-> FW#20, FW#21,
FW#26) "Where Have All the Flowers Gone"
(Sag mir, wo die Blumen sind).
Stichting Holländerei
Walkin' T:-)M
Matthias Kießling "Unfolked"
Label: JMG
Records; 2003; Spielzeit: 52.13 min
So kann man "Friday night in Cottbus" verbringen: Ich trinke mir tagtäglich
die Rübe blitzeblau. Drei Kästen Bier sind nicht zu viel, mir wird schon ganz
flau. Im Magen da rumort es, die Leber rebelliert. Doch der Regenwald wird leben,
das Geschäft läuft wie geschmiert. Korea, Syrien, Libyen und auch der Iran,
ich sitze vor dem Atlas und schau mir das Elend an. So böse, schlecht und undankbar
kann man doch gar nicht sein. Doch dann denk ich an den Regenwald und zieh'
mir einen rein. Es lebe die Bierindustrie und ihre Vermarktungsstrategien,
die noch dem letzten Spießer ein gutes Gewissen verschaffen können. Matthias
Kießling prägte als Sänger, Keyboarder und Gitarrist über 20 Jahre den Erfolg
von Wacholder. Nach der Auflösung 2001 spielt er als Keyboarder mit Norland
Wind (-> FW#7, FW#22,
FW#26) sowie als Trio mit Thomas
Loefke (Keltische Harfe), Máire
Breatnach (Violine -> FW#25). Zusammen
mit dem Gitarristen Lutz Jank stellt Matthias Kießling nun neue und alte Lieder
"Unfolked" vor, im Januar 2004 zur "CD des Monats" in der Liederbestenliste
gewählt. Lieblich-sanft bis bissig-heiter: Bist du mal zu schnell gefahr'n
und deinen Lappen los, fährst du dann seit vielen Jahr'n mal wieder mit dem
Bus. Hängst in der Halteschlaufe, die dir in die Finger beißt, fliegst du prompt
in die Ecke, wenn sie in der Kurve reißt: Wir bleiben niemals steh'n... Gehst
du auf die Fünfzig zu und hattest guten Sex mit jeder Menge Lebewesen weblichen
Geschlechts. Doch eines Tages kommt er dann, der Riesen-Schock für dich - Du
brauchst die blaue Pille, den ohne geht es nicht: Wir bleiben niemals steh'n...
Oder: Es gibt halt noch Männer und besonders Frauen, auf die kann man auch
in harten Zeiten vertrauen. Die sind kreativ, die schonen sich nicht, die tun
bei jedem Wetter ihre Pflicht. Die Herren und Damen Strafzettelverteiler
nämlich: Der hat dreißig Sekunden zu lange geparkt, er kniet im Rinnstein
und bettelt um Gnade, doch die Politesse grinst wie Marquis de Sade. Nichts
wie weg! Ich kann gerade noch flieh'n, bevor sie ihm bei lebendigem Leib die
Pappe entzieh'n. Drei Ecken weiter wird grade 'ne Oma überfallen, nebenan ein
Bankraub, Kalaschnikows knallen. Das ist alles nicht so schlimm, denk' ich mir
unverzagt: Die Hauptsache ist, ich hab' richtig geparkt. Unterstützt von
Máire Breatnach an Geige und Viola und Thomas Loefke an der Harfe, gibt
es eine deutsche Version des irischen Traditionals "Fiddlers's Green"
(aber kein Trad., sondern eine Komposition von John Connolly aus den 1960er
Jahren, und der war auch noch Engländer). Die Melodie von "Wir ziehn durch fremdes
Land" ist die von "Welcome Paddy Home". Willkommen, Matthias, zurück beim deutschsprachigen
Liedgut!
JMG Records
Walkin' T:-)M
Hiss "Polka für die Welt"
Label: Eigenverlag; 2004; Spielzeit: 51.30
min
Die Polkarocker Hiss (-> FW#18,
FW#20) um den Akkordeonisten Stephan
Hiss (-> FW#25) als Hausband im Bordell
"Zum Kleinen Tod" spielen Polka jede Nacht von elf bis drei. wir werden ausgelacht,
vergöttert und bedroht, und unser Lohn bleibt oft auf Zimmer zwei. Bleibt
oft nur die Polka, da für Jazz schnell disqualifiziert, für Rock zu wenig
tätowiert, versauten sie den Blues mit Chorgesang. Spielten Hiss bei den
früheren Produktionen noch hauptsächlich Eigenkompositionen mit ziemlich originellen
Texten, so wird diesmal ein Polka-Potpouri aus aller Welt abgeliefert: aus Finnland
(eine Aufzählung finnischer Skispringer) und Rumänien, polnischer Reggae und
überhaupt eine Voreingenommenheit für Lateinamerikanisches, Zydeco von Michael
Doucet und Pee
Wee Kings "Get Together Polka", als Texas noch als sympathischer Kleinstaat
am südlichen Ende einer verbündeten Nation galt, bevölkert von fröhlichen,
unkomplizierten, echten Männern und sittsamen Frauen. Dazu gibt es "Muss
i denn zum Städele hinaus" als späte Rache aus dem Alten Europa: Und dann
kam Elvis und hat es uns geklaut. Nimm dies, Elvis. Natürlich gibt es auch
noch die ein und andere Weisheit des Hiss-Frontmanns; wie heisst es in "Polka
für die Welt": Ich hab die ganze Welt bereist, ich kenn die Tropen und das
Eis hab von der Heimat mich entfernt und auf die harte Tour gelernt, dass keiner
so wie ich die Polka spielt. Das mag stimmen.
Hiss
Walkin' T:-)M
Lady Godiva "Zooperation"
Label: Rock
Up Records; RUP 73073-2; 2003; Spielzeit: 56.52 min
When the lady rides again ... Nein, nicht die Lady
Godiva Gemahlin des Grafen von Mercia, die ihren Männe bat, nicht zu hohe
Steuern zu erheben. Der unedle Adelsmann willigt ein unter der Bedingung, dass
seine Dame am Markttag nackt durch Coventry reitet. Alle anständigen Bürger
wenden sich schamvoll ab, nur nicht Peeping Tom, der prompt erblindet. (Diese
Art von Steuerrecht wäre mal zu überdenken, aber wenn ich mir ausmale, dass
Gerhard oder Eduard seine, oder Angela - da würde ich auch erblinden.) Bei dieser
Lady Godiva handelt es sich um das Septett
aus dem Sauerland, das seit einem guten Jahrzehnt Deutschlands Bühnen mit Irish
Folk Punk rockt: started playing to have a good time, for some drinks and
chicks for free, with an unusual kind of music and old instruments on our knees.
Auch das 4. Album bietet weniger Folk, mehr Punk-Rock. Mit verzerrter Stromgitarre
und der üblichen Blechflöte, Akkordeon und Mandoline erhält man tanzbaren Fun-Punk
mit gelegentlich sozialkritischem Einschlag. Wovon man so in deutschen Wohnzimmern
träumt, every day a good strong drink, some drugs and a bitch on my knees,
aber realistisch genug ist einzusehen: this would be a god deal in life,
but it's a dream so far away. Eine ganze Reihe von (Irish-)Folk-Rock-Scheiben
aus deutschen Landen in der letzten Zeit haben mich eher gelangweilt (-> FW#22,
FW#22, FW#25),
"Zooperation" - obwohl auf Dauer vielleicht etwas eindimensional, möglicherweise
der Fluch dieses Genres - zählt zu den gelungeneren Produktionen (-> FW#18).
Weiterhin gibt es einige Traditionals: das Kinderlied "Kensington", "Springhill
Disaster" (schöne Version), "Peggy Lettermore" (nur brachial), und "Love Is
All Around" von den Petards, einer deutschen
Beatkapelle der 60er Jahre. Am Schluss finden sich als Hidden Track Rolf Zuckowskis
"Weihnachtsbäckerei" und die Ballade "City of Lights" über das Städtchen Neheim,
der Stadt der Leuchten(industrie), in der langsam, aber sicher die Lichter
ausgehen. Aber: when the lady rides again, the sun will displace the rain.
Rock Up Records; Vertrieb durch
ZYX Music
Walkin' T:-)M
The Saw Doctors "Live in Galway"
Label: Shamtown;
SAWDOC010CD; 2004; Spielzeit: 72.36 min
The Saw Doctors "Live in Galway" [DVD Video]
Label: Shamtown;
SAWDVD01; 2004; Spielzeit: ca. 130 min
Eingestandenermaßen höre ich dieser Tage nur noch wenig Popmusik. Warum auch?
Viel zu viel Mist und viel zu aufwendig, die wenigen Nadeln im Heuhaufen zu
finden! Ich war daher etwas überrascht, als ich im Jahre 2000 auf einmal Post
in meinem Briefkasten fand: Erste Überraschung, Absender war das "Department
of Enterprise, Trade and Employment" in Irland. zweite Überraschung, im Umschlag
steckte die Best-of-CD "Sing a Powerful Song" der Saw
Doctors (-> FW#20). Hatte ich das
als Rezensionsexemplar angefordert? Konnte mich gar nicht daran erinnern! Erst
später fiel mir wieder ein, dass ich anlässlich der Expo in Hannover bei irgendeinem
Preisrätsel mitgemacht hatte, und - bingo - ich hatte gewonnen. So kam ich in
den Genuss, die Band endlich einmal hören zu können, die mir bis dato nur per
Namen bekannt war.
Die Sägenschärfer seien besser live als im Studio, hat man ihnen häufig
genug gesagt. Also hat die 1987 gegründete Band aus dem westirischen Tuam endlich
den größten Wunsch ihrer Fans erfüllt: eine Live-CD und gleichzeitig auch noch
eine DVD mit dem Konzert plus einer wunderbaren 50-minütigen Dokumentation.
Die Glimmer Twins Davy Carton und Leo Moran schreiben eingängige, aber
bodenständige Popsongs über ihre repressed, catholic, conservative, small-town,
agrarian, angst-ridden and showband infested society, ohne gleichzeitig
die positiven Wesenszüge der ländlichen irischen Gemeinschaft zu verleugnen.
Die Medizin-Show steigt stark ein mit "N17", ihrer Route 66, und
geht fast ohne Tiefpunkte weiter. Eine Mischung aus Up-Tempo-Nummern, rockiger
als auf den Studio-Alben, und eindringlichen Balladen. "I Useta Lover" natürlich,
ihr erster Nr. 1-Hit und für eine Weile eine Art zweite Nationalhymne, das aufzeigt,
dass auch in Irland ein Hinterteil interessanter ist als die Sonntagspredigt.
Aber die Saw Docs sind nicht einfach eine beliebige Popband, sie sind tief in
der Musik Irlands verwurzelt. Das beweist nicht zuletzt, wenn sie als "Joyce
Country Ceili Band" aufspielt - mit der Gastband Ri-Ra aus Tuam und dem Lunasa-Fiedler
Sean Smyth (-> FW#27).
Die Best-of ist seit damals eine meiner Lieblingsscheiben gewesen, die regelmäßig
immer mal wieder in meinem CD-Spieler landet. Jetzt habe ich eine Alternative.
Shamtown Records/Saw Doctors
Walkin' T:-)M
Capercaillie "Who Will Raise Their Voice?"
Label: Vertical/Sanctuary;
VRTXD007; 2003; Spielzeit: 8.17 min
Singleauskopplung anlässlich der Deutschlandtournee im März: Das Kurzwerk der
schottischen Keltenrocker Capercaillie
(-> FW#3, FW#8,
FW#12, FW#17,
FW#23) enthält zwei Titel, das folkpoppige
"Who Will Raise Their Voice?" als Radio Edit, eine Komposition von Donald
Shaw und Auskopplung aus dem aktuellen Album "Choice Language"; und das traditionelle
gälischsprachige "Mile Marbhaisg" (Tausend Flüche). Mit den typischen Capercaillie-Zutaten:
engelsgleicher Gesang von Karen Matheson, Folkinstrumentarium (Bouzouki, Fiddle,
Akkordeon, Dudelsack, Flöten) wabernder Synthesizer-Sound (wusste gar nicht,
dass die alten Kelten Synthis kannten, würde Kollege O'Regan jetzt wieder
sagen), funkige Rhythmen, Loops & Samples. Die keltischen Traditionen wird bis
auf letzte ausgequetscht und zu zeitgenössischer Weltmusik aufgeblasen. Folkmusik
im Popgewand, trotz moderner Grooves aber immer noch natürlich swingend. Kein
Grund also, die Stimme zu erheben und in tausend Flüche auszubrechen.
Vertical/Sanctuary
Walkin' T:-)M
Janis Ian "Live - Working Without a Net"
Label: Cooking
Vinyl; COOKCD 268; 2003; Spielzeit: 120.55 min
Im Alter von 14 Jahren schrieb die amerikanische Singer/Songwriterin Janis
Ian "Society's Child", mit dem sie nicht nur an die Spitze der US-Charts
schoss, sondern gleichzeitig kontroverse Diskussionen über Rassendiskriminierung
in den Vereinigten Staaten auslöste. "Tattoo" wurde von der niederländischen
Regierung ausgewählt, um das Land bei den Gedenkfeierlichkeiten zum Ende des
2. Weltkrieges zu repräsentieren. "Breaking Silence" befindet sich in mehr Therapiebüchern,
als man noch zu zählen vermag. Janis Ians Songs wurden von Joan Baez bis Nana
Mouskouri, John Mellencamp bis Katja Riemann gecovert; der Song "Stars" allein
über 35 mal. Dies alles und noch vielmehr ist auf der Doppel-Live-CD "Working
Without a Net" enthalten, aufgenommen bei Konzerten zwischen 1990 und 2003.
Das deckt eine 40jährige Karriere ab, musikalisch im Niemandsland zwischen entspanntem
Folk, Country, Jazz und Pop angesiedelt. Da Janis aufgrund eines Unfalls nicht
mehr Piano spielen kann, erklingen einige der alten Hits nun auf der Gitarre.
Auch nicht schlechter als im Original.
Die Live-CD "Working Without a Net" ist brandneu, gleichzeitig wurden insgesamt
11 Alben digital remastered und mit Bonusmaterial angereichert wiederveröffentlicht.
Cooking Vinyl; Vertrieb: Indigo
Walkin' T:-)M
Trio Balkan Strings "Guitares des Balkans"
Label: Playasound;
PS 65277; 2004; Spielzeit: 45.52 min
Vater Zoran Starcevic und seine beiden Söhne Nikola und Zeljko aus der Bundesrepublik
Jugoslawien lassen ihre flotten Finger über die Griffbretter ihrer akustischen
Gitarren flitzen. Alle Stücke sind Kompositionen Zorans, ein Mix aus serbischer,
rumänischer und bulgarischer Folklore, Zigeunermusik und orientalischen
Einwürfen. Ein Stück mit dem Titel "Seven Grains" ist natürlich im 7/8-Takt,
"Eleven Pearls", wie sollte es auch anders sein, in 11/8. Einige Verzierungen
und Techniken wurden dabei von Spieltechniken von Instrumenten so verschieden
wie Geige und Saxophon geraubt und sind möglicherweise so noch nie vorher
auf Gitarren erklungen. Sind Zorans Werke insgesamt auch eher modern und pop-orientiert,
als Hintergrundmusik im Balkanrestaurant sind sie nichtsdestotrotz weniger geeignet.
Playasound; deutscher Vertrieb:
Sunny Moon
Walkin' T:-)M
Na Mahones ó Inis Beag "Not to Tame"
Label: Pocket Sized Sun Records; 2001; Spielzeit:
57.13 min
Die "Mahones von der kleinen Insel", die
in Baden in Österreich liegt, sind nicht zu verwechseln mit den Kölner Mahones
(-> FW#5, FW#22)
und einem weiteren halben Dutzend Irish-Folk-Bands mit ähnlich klingendem Namen.
Stammt das Mahones doch vom ursprünglichen Bandnamen der Pogues
(-> FW#22), nämlich Pogue Mahone.
Das ist Gälisch und, was dies auf Deutsch heisst, ist im Götz von Berlichingen
nachzulesen. Der Name der Badener bedeutet also wörtlich ..., nein, das übersetze
ich jetzt nicht. Seit 1993 gibt es die Gruppe, damals ein Kollektiv aus 13 Musikern,
mittlerweile zu einer vernünftigen Besetzung gesundgeschrumpft, mit dem üblichem
Folkinstrumentarium. Aus der Mischung von bekannten traditionellen keltischen
Stücken und Covern bekannter keltischer Bands, hat sich im Laufe der Jahre ein
Programm mit Eigenkompositionen herausgeschält. Abgesehen von den irischen Traditionals
"Rambling Irish Man" und "Johnny I Hardly Knew Ye", dem englischen Shanty "Leave
Her Johnny Leave Her" sowie dem aus jeder Session berühmt-berüchtigten Polka-Set
von Planxty, stammen die Stücke auf "Not to Tame" also denn aus eigener Feder.
Einige Titel sind durchaus gelungen, insbesondere live dürften sie viel Stimmung
machen. Persönlich würde ich mir nur ausdrucksstärkere Gesangsstimmen wünschen
und am th etc. könnte man und frau auch ein wenig üben.
Eliza Music / Mahones
Walkin' T:-)M
Abi Wallenstein "Step in Time"
Label: nullviernull;
NVN 03001; 2003; Spielzeit: 56:11 min
Diese Scheibe geht mit der Stones-Nummer "Off the Hook" sofort rasant los, doch
so richtig spannend wird sie gerade nach dem flotten Auftakt. "Ramona" ist hörbar
von New Orleans infiziert, "Gimme more", mein persönliches Lieblingsstück auf
der CD, steht eher in der Tradition des Deltablues. Beide sind Eigenkompositionen
Abi Wallensteins, ebenso wie das
starke "Written by a Friend of mine" und "Rockin´ Shoes" (von Howling Wolf inspiriert?)
und "Destination Mississippi", daß von der Bläsersektion "Die Liberos" angeschoben
wird. Aufgelockert wird das Album durch die Rockklassiker "Thing called love"
(John Hiatt, bereits klassisch von Bonnie Raitt gecovert) und George Harrisons
"Taxman", der hier zum akustischen Stomper auf der Resonatorgitarre wird. Aus
der Abteilung Bluesklassiker gibt es "Titanic" (Ersteinspielung von Blind Willie
Johnson unter dem Titel "God moves on the water", hier allerdings wird die Komposition
seinem texanischen Landsmann, dem Songster Mance Lipscomp zugeschrieben) sowie
den "Death Letter Blues" von Son House. Den "Blue Bird Blues" von Sonny Boy
Williamson I. gibt uns Abi mit der elektrischen Slidegitarre.
Das Album ist abwechlungsreich und doch in sich geschlossen. Mittelpunkt ist
natürlich Abi Wallenstein mit seinem erdigen, ausdrucksstarken Gitarrenspiel
(das akustische Instrument hat ein leichtes Übergewicht) und seiner rauhen Stimme.
Auf 12 von 13 Stücken steht ihm abwechselnd die Bluesharp von Henry Heggen bzw.
Steve Baker [-> FW#27] kongenial zur
Seite. Neben weiteren Begleitern sei hier noch auf Martin Roettger hingewiesen,
dessen Rhythmusarbeit an Cajon (!) und Snare ebenfalls auf 12 von 13 Nummern
zu hören ist. Fans zeitgenössischer Bluesmusik dürften an dieser Aufnahme ihre
helle Freude haben.
nullviernull tonproduktion
Ansgar Hillner
Silberfisch "Im Namen des Fisches"
Label: dachbodenproductions; 2003; Spielzeit:
63.16 min
Wenn du meine Unterhosen wäschst, dann sing' ich dir ein Lied... Nicht
nur dann. Das Braunschweiger Trio Silberfisch
besteht klassisch aus Gitarre, Bass und Schlagzeug. Die Musik ist Krautrock
pur, stilistisch durchaus abwechslungsreich, mit gelegentlichen Country- und
Folk-Einschlägen. Die Stücke sind wie die Band in einem Moment noch euphorisiert,
im nächsten schon wieder deprimiert; in einem Moment noch interessant, im nächsten
schon wieder irrelevant, sprich: spaßig, spritzig, mit Schnauze. Was
nützt es Dir Porsche zu fahr'n und am Arsch Armani zu tragen ... Man muss auch
rocken woll'n! Eben.
www.silberfischmusik.de
Walkin' T:-)M
Ludwig Hirsch "Perlen"
Label: Universal; 066 674-2; 2002; Spielzeit:
47.03 min
Perlen vor die Säue? Bestimmt nicht! I geh ham noch Kärnten, singt Ludwig
Hirsch, der doch aus dem steirischen Hartberg stammt. Die Grazer meinen, das
Hartberger Steirisch klinge wie Gebell und vielleicht ist das der Grund für
sein ungewöhnliches Gesamtkunstwerk. Wenn Ludwig Hirsch singt: Bist traurig?
A bissl traurig? Du des macht nix. Setz di afoch hin und horch ma zua, dann
sind das ungewohnte Töne. Auch die Musik ist regelrecht entspannt, und weiter
heisst es: i möcht a Billasackerl voll mit Busserl von dir. Wie Kollege
Danzer hat Hirsch das Sexuelle entdeckt
(-> FW#20): Der Sepp und ich am Herrenklosett.
Hinten in der Discothek. Ich kraul dem Sepp das Godl und der Sepp, der Sepp
der jodelt. Doch im Grunde ist er der Alte geblieben und Gartenzwerge
erschießen, von hinten, das tät ihm g'fallen. Und einmal so richtig Gas geben
und an Geisterfahrer überholen. Die alten Hadern sind wieder präsent, wenn
es heisst: Die Kinder gehen in Zweierreihen zum Friedhof, hinter dem Sarg;
nur ned die Lotte, weil sie ist die Tote. Die Kinder sitzen in einem Boot und
füttern den weißen Hai; nur ned der Peter, weil er is der Köder.
Walkin' T:-)M
V/A "Armut war schuld daran"
Label: Dickworz
Bladde; DWCD 0602; 2002; Spielzeit: 53.19 min
O Wandrer, hüte Dich! Es packt dich kaltes Schauern, musst einsam über Land
du gehen. Kaum bist du aus den Mauern, so ist's um dich geschehn. so Carl
Zuckmayer in seiner Moritat. Der edle Räuber nimmt dem Reichen, um den Armen
zu geben - so sah sich selbst der Johannes Bückler, nach dem Abdeckerberuf seines
Vaters "Schinderhannes"
gerufen. Sein Vorbild war der von Goethes Schwager Vulpius geschaffene fiktiven
Räuberhauptmann Rinaldo Rinaldini,
was wie ein brasilianischer Fußballspieler klingt und der damals mindestens
so populär war. Durch die rosa-rote Brille - oder dem zeitgenössischen Äquivalent
- sahen ihn viele Menschen; in seinem Gerichtsverfahren 1803 verteidigte er
sich damit, er habe doch nur Juden und die französischen Besatzer beraubt. Die
Räuberbanden, die im 18. und 19. Jhd. ihr Unwesen trieben, waren wohl kaum Sozialrevolutionäre.
Und die meisten Straßenräuber erlebten ihre größte und einzige Popularität auch
nur im Moment ihrer Hinrichtung und haben sich nicht im kollektiven Gedächtnis
festgesetzt: der Hölzerlips,
der immerhin einer Folkrockband seinen Namen gab (-> FW#19);
der Heidenpeter, der vor seiner Hinrichtung seinen Untersuchungsrichter in einem
Lied verewigt; der Mannefrieder, der Gedichte in seine Kerkerwand einritzt,
die der Amtsschimmel abschreiben lässt. Jedenfalls haben sie Dutzende von Balladen
inspiriert (-> FW#15). Bodo Kolbe und
seine lustige Räuberschar haben erneut Räuberlieder 1802-1824 vom Schinderhannes
bis zu den armen Leuten von Kombach eingespielt und singen in hohem Deutsch
und in der jenischen Vagantensprache (-> FW#26).
Armut mag vielleicht Schuld an dem Werdegang manch eines Strauchdiebs gewesen
sein, musikalisch reich ist diese CD. Also: Auf, auf, ihr Kameraden ... Erbrechet
Tür und Schlösser, wo groß Paläste sein, durchbohrt gefüllte Fässer und sauft
den besten Wein. Doch hört die Bitt' der Armen, springt bei in ihrer Not. Mit
ihnen habt Erbarmen, mit ihnen teilt das Brot.
Dickworz Bladde Verlag
Walkin' T:-)M
Willie Mac Art "Take these sunken eyes"
Label: own; 2002; Spielzeit: 53.40 min
Willie Mac Art hat nicht vor, keltisch zu spielen - "Das können Davy
Spillane, Alan Stivell, die Chieftains und all die anderen Kelten ohnehin viel
besser", sagt er, und da hat er wohl recht. Willie geht dafür mit
seiner Musik sehr stark in die esoterische Ecke. Fast alle Instrumente spielt
Willie selbst, und jeder Titel hat einen im Vordergrund stehenden Keyboard-Klangteppich,
beigefügt.wurden Klänge von Piano, Gitarren, Whistle, Donner, Wellen
und Sythesizer (die eventuell alle vom Keyboard kommen könnten - das Booklet
weist nicht darauf hin, ob andere Instrumente als das Keyboard gespielt werden).
Zu jedem Titel gibt es eine Geschichte, die auf keltischen Legenden basiert.
Nur geeignet für Leute mit esoterischem Musikgeschmack; denjenigen, die
traditionelle Musik auf vorwiegend akustischen Instrumenten bevorzugen, werden
sich die Haare sträuben. Es trifft definitv nicht meinen Geschmack.
Band/Musiker-Homepage: http://www.doc-willie.de
Michael Moll
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Nr. 28
© The Mollis - Editors
of FolkWorld; Published 04/2004
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