FolkWorld-Kolumne von Walkin' T:-)M:


T:-)M's Nachtwache

Zensur, Moorsoldaten, Volks- & Popmusik, Hackbrett & Johnny Cash

Carl
Spitzweg ,Der arme Poet', www.spitzweg.de

Capitel XII
--- Die Deutschen Censoren --
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------- Dummköpfe ------
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Soweit Heinrich Heine zum Thema. Wenn Musik verboten wird, würgt man die Seele der Kultur. Dieser Meinung ist zumindest Werner Pieper (zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Kolumne referiert er auf dem Festival Musik und Politik (-> FW#23) zum Thema "Zensur und die Reaktion der Musikszene nach dem 11. September"). Verfemt - Verbannt - Verboten ist eine Tour de Force zum Thema Musik & Zensur in all seinen Formen, sei es Musikzensur, Textzensur, Tanzverbot, in Form politisch anrüchiger Texte, Körper- und Ekstasefeindlichkeit, Rassendiskriminierung, etc.

Schon Platon will nur die phrygische und dorische Tonart zulassen, Instrumente wie Harfen, Zimbeln und die Flote verbieten. Augustinus warnt vor Ablenkung von Andacht und gottesfürchtiger Buße; www.gruenekraft.net Instrumentalbegleitung und Frauengesang gelten als zu sinnlich. Das Mittelalter wettert vor allem gegen unschickliche Tanzsitten, Umschlingen und andere böse Geberden (Magdeburg 1544), ungebührliches Verdrehen und Schwänken (Würzburg 1572). Welcher Spielmann zum Tanze geigt, soll in den Thurm kommen. (Frankfurt/Main 1604) Die Spielleute sind des Teufels Blasebälge und dürfen sich keine Hoffnung auf das ewige Seelenheil machen.

Es ist noch nicht allzu lange her, dass in Südafrika auf Platten bestimmte Tracks zerkratzt - und das Scratching erfunden - worden ist. Im (2.) Golfkrieg gibt die BBC eine Liste mit unerwünschten Musiktiteln heraus (inkl. Light My Fire, Waterloo, Walk Like an Egyptian, Everybody Wants to Rule the World, A Little Peace, Boom Bang A Bang). Ein DJ, der "Give Peace a Chance" spielt, wird gefeuert: Er dürfe doch unseren Jungs am Golf nicht in den Rücken fallen. (Eine Praxis, die in den USA auch im Afghanistankrieg geübt wird -> FW#20, FW#22, FW#24.) Am radikalsten ist sicherlich das Taliban-Regime gewesen: Musik war bis auf wenige Propagandasongs grundsätzlich verboten.

Der chilenische Folksänger Victor Jara war einer der bekanntesten Musiker dieses Jahrhunderts, der die ultimative Form der Zensur zu spüren bekam: staatlich sanktionierten Mord. Populäre Lieder mit politischen Bezügen (nueva canción) entwickelten sich alsbald zu einem potenten Machtinstrument der Befreiungsbewegungen, das sich in Windeseile in Südamerika verbreitete. Die nueva canción spielten in der Kampagne, die zur Wahl der Popular Unity Regierung unter Salvador Allende führte, eine Schlüsselrolle. Dieser zeigte sich folgerichtig nach der gewonnenen Wahl auch umgeben von Musikern unter einem Banner mit der Aufschrift: Ohne Lieder kann es keine Revolution geben. Jara erklärte: Die authentische Revolution sollte in der Gitarre stecken, so dass diese ein Instrument des Kampfes wird, dass sie abgefeuert werden kann wie ein Gewehr. So überraschte es nicht sonderlich, dass Jara, als die demokratische Regierung vom brutalen, von den USA unterstutzten Diktator Pinochet, gestürzt wurde, eines der ersten Opfer war. In der Tat wurden die nueva canción so eng mit der Popular Unity identifiziert, dass General Augusto Pinochets Regime nicht nur die Lieder verbot, sondern auch gleich jene traditionellen Instrumente, auf denen diese Lieder gespielt wurden.
Ein politisch Lied, ein garstig Lied: 1525 suchen die Behörden den Urheber des Liedes mit den Zeilen sie würgen jo die armen leut. Die Vormärzler protestieren mit Liedern gegen die Restauration, Fallersleben verliert dabei seine Professur und wird des Landes verwiesen (-> FW#21). Kaiser Wilhelm II. (nach dem in Münster immer noch die Uni benannt ist) verfügt: Eine Kunst, die sich über die von Mir bezeichneten Gesetze und Schranken hinwegsetzt, ist keine Kunst mehr. Der Kölner Oberbürgermeister Adenauer setzt 1926 Bartoks "Der wunderbare Mandarin" vom Spielplan ab. Für die Nazis ist "Entartete Musik" (-> FW#13, FW#13) das Abbild eines wahrhaftigen Hexensabbats und des frivolsten, geistig künstlerischen Kulturbolschewismus und ein Abbild des Triumphes von Untermenschentum, arroganter jüdischer Frechheit und völliger geistiger Vertrottelung. Bei Alban Berg handelt es sich um ein Kapitalverbrechen und Jazz ist eine Pervertierung von Ohr und Auge mit Urwaldgejaule. Ralph Siegel Sr. reimt unter "N = Niggerjazz": Dieser ist mit Recht verpönt, darum schleunigst abgewöhnt! Heines "Lorelei" steht übrigens in den Schulbüchern mit dem Vermerk Dichter unbekannt.

Zwanzig, dreissig Jahre später ist Rockmusik eine jüdisch-marxistische Verschwörung, um die weisse Jugend auf das Niveau des Negers herunterzuziehen. Es gilt als erwiesen, dass Negermusik und Micky Maus direkt zu Tobsucht und Raserei führen. Die ZEIT empfiehlt 1958: Isolierung der Tanzwütigen, Anwendung von Prügeln und Güssen. 1972 verbietet der bayrische Innenminister alle Pop-Festivals und Kardinal Ratzinger ist noch 1985 sicher: Gott mag weder Pop noch Rock.

Werfen wir an dieser Stelle einmal einen Blick gen Osten (Die Protest-Chronik 1949-1959):

3. April 1954: Das Tanzorchester "Karl Walter" flüchtet von Karl-Marx-Stadt nach West-Berlin. Den Musikern war unter dem Vorwurf, sich zu sehr an amerikanischen Rhythmen zu orientieren, von den DDR-Behörden Auftrittsverbot erteilt worden.
April 1955: Auf Veranlassung des Ministeriums für Kultur findet in Ost-Berlin eine "Aussprache" über den Jazz statt. Mehr als eine Stunde lang hagelt es Angriffe auf den mit einer sozialistischen Kulturauffassung angeblich nicht zu vereinbarenden Charakter der Jazzmusik. [Musikprof. Georg] Knepler wirft [Jazzjournalisten] Reginald Rudorf vor, er stehe mit seiner redaktionellen Arbeit objektiv im Dienst des amerikanischen Imperialismus.
Februar 1956: Nachdem sich ein Musiker des Rochus Brunner-Quintetts beim abendlichen Auftritt im [Leipziger] Ringcafé über das guldurelle Nifo der Partei mokiert hat, werden am nächsten Morgen zwei Mitglieder der Band verhaftet. Der Geschäftsführer des Cafés hatte ein Mikrophon in der Nähe des Podiums instalieren lassen, um die als regimekritisch eingeschätzten Kommentare der Jazzmusiker mitschneiden zu können.
5. April 1956: Im Elektro-Apparate-Werk "J.W. Stalin" im Ost-Berliner Stadtteil Treptow findet ein Jugendforum zu dem Thema "Jazz - ja oder nein?" statt. Der Komponist und Nationalpreisträger Hanns Eisler erklärt, dass die Jazzmusik ihre Quelle zwar in der aufsässigen Traurigkeit der Neger habe, jedoch nicht zum Kult werden dürfe, der den jungen Menschen ihr Gehirn verkleistere. Während [Rundfunkkommentator Manfred] Klein verspricht, in Zukunft im Rundfunk regelmässig Jazz zu senden, und Eisler zusichert, dass dieser Musik völlige Freiheit gewährt werden müsse, bleiben [FJJ-Zentralrat Hans] Modrow und [Junge Welt-Chefredakteur Joachim] Hermann strikt bei ihrer ablehnenden Haltung.
November 1956: An der Karl Marx-Universität in Leipzig kommt es während eines Vortrages über den Jazz zu einer oppositionellen Manifestation. Einige Studenten rufen, sie hätten es satt, sich die überflüssigen Bemerkungen bezahlter Dogmatiker anzuhören. Anstatt hohle Worte zu verkünden, sollten SED und FDJ endlich mit taten für ihre demokratischen Ansprüche einstehen. Die Angegriffenen [drohen,] mit Konterrevolutionären könnten sie sich auch noch anders unterhalten.
21. Dezember 1956: Reginald Rudorf wird von einem Schlägerkommando daran gehindert, im Klubhaus des Kirow-Werkes in Leipzig einen Vortrag über die diffamierte Musik zu halten. Plötzlich sprang einer der Hörer auf und schrie, wir sollten doch mit unseren Provokationen aufhören. ,Ihr seid es doch gewesen, die jüdische Denkmäler umgeworfen haben. Ihr seid die Faschisten, die die ungarische Bevölkerung zum Aufstand aufgeputscht haben. Nieder mit euch Schweinen!' Nach diesem Gebrüll warf einer einen Kristallglas-Aschenbecher nach mir. Einer der Polit-Gangster schlug mir mehrere Zähne aus. Gehetzt von der Meute, die ,Haltet die Konterrevolutionäre' rief, rannten wir die Treppen hinunter auf die Straße. In rasendem Tempo versuchten mehrere der Gangster, uns auf offener Straße zu überfahren.
25. März 1957: Rudorf wird verhaftet. In der Wächterburg, ein Untersuchungsgefängnis des MfS, wird er an einem eisernen Ring angekettet und 16 Stunden ohne Unterbrechung verhört. Ein halbes Jahr lang ist Rudorf völlig isoliert.
29. August 1957: Der 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Leipzig verurteilt Rudorf zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren. Der Gerichtsvorsitzende hat sein Unverständnis darüber ausgedrückt, wie sich ein Erwachsender so intensiv für ein nebensächliches Gebiet wie das der Musik interessieren könne. Die Zeit verlange nicht nach Musikexperten, sondern nach Kämpfern für die Sache des Friedens. Wer sich trotzdem für die Musik entscheide, könne nur militaristischen und reaktionären Kräften dienen, weil die Musik, insbesondere der Jazz, die Bürger von ihren wirklichen Problemen ablenke. Danach wird Rudorf in das Haftarbeitslager Röcknitz verlegt, in dem er mit Hammer und Pickel Granitbrocken aus einer 100 m hohen Felswand herausschlagen muss.
25. März 1959: Rudorf wird aus dem Zuchthaus entlassen. Als er mit dem Zug nach Sachsen fährt, wird er am Hauptbahnhof von Freunden überschwenglich begrüßt. Eine Band spielt allen Drohungen zum Trotz und ihm zu Ehren "When the Saints go marchin' in".
Zur gleichen Zeit meint Verteidigungsminister F.J. Strauß im Westen, der Jazz sei auch in der Truppe verwendbar, denn bei Dixieland zum Beispiel wäre das kollektive Putzen von Unterkünften eine wahre Menschenfreude (aber es wird gegen den Leiter einer Tanzkapelle ermittelt, der das "Deutschlandlied" als Foxtrott spielt). Das Grundgesetz besagt zwar Eine Zensur findet nicht statt, aber die 1954 eingerichtete Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hat die Aufgabe, Medienobjekte auf ihre für Jugendliche unsittliche, verrohende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen und Rassenhass anreizende sowie den Krieg verherrlichende Wirkung zu untersuchen. Eine Indizierung soll nur ein Jugendverbot darstellen, hat aber meist so weitreichende Vertriebsbeschränkungen - es darf nicht öffentlich ausliegen, nicht beworben oder auf dem Postweg versandt werden -, dass es oft einem Verbot gleichkommt. Man schätzt, dass 14.000 Medien auf dem Index gelandet sind. Zu Beginn waren es vor allem Schallplatten mit frivol-schlüpfrigem Inhalt, die wie Hugo Wieners Stück "Der Novak lässt mich nicht verkommen" vor allem als Witzlieder an Herrenstammtischen kursierten. Die Mehrheit der zur Zeit 250 indizierten und 61 verbotenen Tonträger haben rassenhetzerische und neofaschistische Inhalte (-> FW#24).

Vergessen wir aber auch nicht den Pastor in Eutin, der gedeckelt wird, weil er Biermanns "Ermutigung" im Konfirmandenunterricht behandelt: Gerade das Fehlen aggressiver politischer Aussagen in diesem Stück sei bedenklich. Von Konzertverboten und Anklagen kann Hans Söllner mehr als ein Lied singen (-> FW#13, FW#14). Achim Reichels "Amazonen" wird 1993 wegen des Wortes "Männerarsch" aus dem Radioprogramm genommen. Es haben Hörer angerufen, um sich über den Text zu beschweren. Ein Privatsender lebt von der Werbung und unsere Werbekunden wünschen sich, dass der Hörer nur bei der Werbung aufhorcht. Die Globalisierung fordert eben marktkompatible Produkte. Und wer sich oder einem Freund eine Musikkonserve kopiert, wird von der Industrie und einigen Musikern gleich als Killer diffamiert (-> FW#23). (Seit es Privatradio gibt, soll sich übrigens die Zahl der gespielten Stücke halbiert haben.)

Springen wir noch mal in 50er Jahre zurück:

3. April 1953: Die Kreisvereinigung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) führt in Altena eine Gedenkveranstaltung für die von der Gestapo im [Dortmunder] Rombergpark ermordeten Widerstandskämpfer durch. Zum Abschluss singen die Kundgebungsteilnehmer das Lied "Die Moorsoldaten".
27. September 1953: Zur "Internationalen Kampfwoche gegen Krieg und Faschismus" ziehen 2.000 Demonstranten durch die Straßen Hamburgs zum Ohlsdorfer Friedhof. Als der Zug auf dem Platz vor dem Ehrenmal auf dem Friedhof eintrifft, singen mehrere tausend Hamburger, die sie hier bereits erwarten, das KZ-Lied "Wir sind die Moorsoldaten".
8./9. September 1956: Zu einem "Internationalen Treffen der Moorsoldaten" kommen in Papenburg rund 2.000 ehemalige KZ-Häftlinge zusammen. Trotz der verbreiteten Meldung, es handle sich dabei um ein getarntes kommunistisches Propagandaunternehmen. Nachdem Simon Cordet aus Brüssel das Moorsoldatenlied gesungen hat, hält der Intendant des Deutschen Theaters in Ost-Berlin, Wolfgang Langhoff eine Ansprache.
Wohin auch das Auge blicket, Moor und Heide nur ringsum: Das "Moorsoldaten"-Lied aus den KZ Börgermoor gehort zum festen Repertoire von Gedenkveranstaltungen im In- und Ausland. Ich habe eine Weile gezögert, ob ich nun über Das Lied der Moorsoldaten eine CD-Rezension (siehe dort) oder in dieser Kolumne schreiben soll. Jedenfalls handelt es sich um eine Doppel-CD mit einem ausführlichen Beiheft in einem ansehnlichen Karton, zusammengestellt und herausgegeben vom Dokumentations- und lnformationszentrums (DIZ) Emslandlager.

Fünfzehn Lager dienten den Nazis im Emsland zur Ausschaltung und "Umerziehung" von Regimegegnern und zur Bestrafung von zivil- und militärgerichtlich Verurteilten. Die Gefangenen wurden zu schwerer körperlicher Arbeit bei der Kultivierung der emsländischen Moore und, ab Kriegsbeginn, in kriegswichtigen Bereichen herangezogen. Insgesamt wurden ca. 80.000 KZ-Häftlinge und Strafgefangene und zwischen 100.000 und 180.000 www.diz-emslandlager.de Kriegsgefangene inhaftiert. Bis zu 30.000 Menschen, überwiegend sowjetische Kriegsgefangene, kamen in den Moorlagern um.

Das Moorsoldatenlied entsteht 1933 nach einer nächtlichen Prügelorgie der SS, der Nacht der langen Latten. Die Inhaftierten beschliessen, einen "Zirkus Konzentrazani" zur Aufmunterung aufzuführen:

Zwischen den Baracken war eine Art Manege eingerichtet worden; ein Clown bot vor der Vorstellung Torfstücke als "Mooreis" an; eine "Schrammelkapelle" mit Ziehharmonika, selbstfabrizierter Geige und Schellenbaum eröffnete das Programm und bestritt die Zwischenmusik; es traten fünf bauchtanzende "Moorgirls" auf, eine turnende "Arabertruppe", zwei "dumme Auguste", zwei Keulenschwinger, ein Humorist, das "Moorballet", bestehend aus den fünf dicksten Gefangenen, Ringer, Akrobaten, zwei Boxer, ein wahrsagender "Storch", zwei Clowns als "Moorsoldaten" in der Art von Pat und Patachon, die das verhasste Singen-Müssen auf die Schippe nahmen, sowie ein 40köpfiger Gesangschor, der u.a. "Es steht ein Soldat am Wolgastrand" vortrug; zum Abschluss erfolgte als Höhepunkt die Premiere des "Borgermoorlieds", das von den Inhaftierten nach Aufforderung begeistert mitgesungen wurde.
Getextet wird das Lied von dem Bergmann Johann Esser (1896-1971) und dem Schauspieler Wolfgang Langhoff (1901-66), ein Lied, das wir alle zusammen im Lager singen konnen, kein Lied, das die SS uns verbieten kann. Es musste auf unser Lager Bezug nehmen und auf unsere Familien zu Hause. Ein Heimatlied, bloss nicht so kitschig. Der kaufmännische Angestellte Rudi Goguel (1908-76) simuliert eine Verletzung, um in zwei Nächten mit Hilfe einer Gitarre eine Melodie und einen vierstimmigen Männerchorsatz zu schreiben - seine einzige Komposition. Das fertige Lied wird im Waschraum heimlich einstudiert.
Die sechzehn Sänger, vorwiegend Mitglieder des Solinger Arbeitergesangvereins, marschierten in ihren grünen Polizeiuniformen (unsere damalige Häftlingskleidung) mit geschultertem Spaten in die Arena, ich selbst [Goguel] an der Spitze in blauem Trainingsanzug mit einem abgebrochenen Spatenstil als Taktstock. Wir sangen, und bereits bei der zweiten Strophe begannen die fast 1.000 Gefangenen, den Refrain mitzusummen. Von Strophe zu Strophe steigerte sich der Refrain, und bei der letzten Strophe sangen auch die SS-Leute einträchtig mit uns mit, offenbar, weil sie sich selbst als "Moorsoldaten" angesprochen fühlten. Bei den Worten Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit dem Spaten ins Moor stießen die sechzehn Sänger die Spaten in den Sand und marschierten aus der Arena, die Spaten zurücklassend, die nun, in der Moorerde steckend, als Grabkreuze wirkten.
Wenige Tage nach der Uraufführung wird das Lied verboten. 1935 lernt es der exilierte Hanns Eisler kennen. Er bringt es in die USA, Ernst Busch singt es für die Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg und führt es in der UdSSR ein. In der DDR wird das Lied geschätzt - die Moorsoldaten hatten fast die Wichtigkeit von Goethes Faust -, in der BRD wird es eher abgelehnt. Erste Einspielungen eines der wichtigsten deutschen Lieder des 20. Jhds. erfolgen in den 1960ern, u.a. von Hein und Oss Kröher (-> FW#21); in den Konzerten des Ost-Berliner Festival des politischen Liedes 1970-90 erklingt es häufig (-> FW#23). 1998 taucht es in der ARD-Serie "Lindenstraße" auf, griechisch vertextet und folklorisiert. Die Rolle des griechischen Gastwirts wird nämlich von Kostas Papanastasiou gespielt, der das Lied "Jaros" 1972 für ein freies, demokratisches Griechenland sang. Die Insel Jaros war eines der Gefangenenlager, in denen während des Bürgerkriegs 1945-49 Kommunisten und während der Militärdiktatur 1967-74 Regimegegner inhaftiert waren (u.a. ein gewisser Mikis Theodorakis).

Gehen wir noch einen Schritt zurück und fangen ganz vorne an. Damals, als man begann, es Volksmusik zu nennen. Die alten Lieder, sprich: modale Tonarten und freier Rhythmus, waren gegen Ende des 18. Jh. in West- und Mitteleuropa schon weitgehend vergessen bzw. ihrer ursprünglichen Zusammenhänge und Funktionen beraubt. Da schuf Johann Gottfried Herder 1773 der Begriff "Volkslied". Sein Ziel ist es, anzutreiben, dass man noch die Reste von Nationalliedern aus dem Mund des Volkes sammle. Herders eigene Liedsammlung verzichtet allerdings selbst auf eine ganze Reihe mündlich überlieferter Lieder zugunster barocker Lyrick, Claudius und Goethe.

Claudius und Co. schaffen volkstümliche Lieder und das Volk greift das neue Repertoire gerne auf und macht sie zu Volksliedern. www.baerenreiter.com Selbst Melodien aus Opern und Operetten, der direkte Vorläufer des heutigen Schlagers, in dem all dessen Züge - Parodie und Exotik, Sentimentalität und Verfügbarkeit - bereits vorgebildet sind.

Eine Tatsache ist, dass die Volksmusik in ihrer traditionellen Form fast in allen Teilen Europas so gut wie nicht mehr existiert. Mehrere Ursachen sind für die Verkümmerung und Einebnung schon lange vor dem Zeitalter der Technik verantwortlich: Unterdrückung von Bräuchen, mit denen eigenwüchsig-freie Volksmusik verknüpft war; der Buchdruck, professionelle Unterhaltungsmusik, Industrialisierung, Technik und Verkehr.
Volkslieder werden schon früh aus dem Schulunterricht verdrängt. Perfekte Stimmbildung für kunstvollen Chorgesang ist gefragt und nicht die geistlosen und unsittlichen Volkslieder. Von nun an kann man zwei sich auseinanderentwickelnde Richtungen verfolgen: (1) Die Pflege der Volksmusik mit kommerzieller Ausrichtung in der Werbung und Touristik und, damit eng verbunden, die Pseudovolksmusik mit harmlosen einfachen Liedmelodien (-> FW#12).
Ein völlig neues Musik-Genre, das aus Fragmenten von Folklore, von Marsch- und Militärmusik, von deutschem Schlager, von internationaler Popmusik und von bestimmten Produktionstechniken entstand. Das aber ist gerade die Musik der breiten Masse, der Durchschnittsmenschen, die durch die ständig berieselnde Hintergrundmusik des Alltags mit Werbungs- und Konsumeffekt verlernt haben, strukturell, analytisch und kritisch Musik zu hören.
(2) Die Jugendmusikbewegung: Die Rückbesinnung auf das Volkslied und die Verdrängung anderer Instrumente durch die Gitarre führt in direkter Linie zu den Liedermachern.
Der Begriff Liedermacher ist in Anlehnung an die Bezeichung Stückeschreiber entstanden, mit der Bertolt Brecht den strahlenderen Begriffen Dichter oder Schriftsteller, die er für sich nicht beanspruchte, aus dem Weg gehen wollte. Für sich benutzte es zum ersten Mal Wolf Biermann in der DDR. [Apropos: 1979 untersagt der WDR Biermann einen Auftritt in einer Jugendsendung, und das ZDF schneidet 1980 ein Lied über Carl Carstens weg. Sein Kommentar Ich fühle mich schon ganz wie zu Hause.]
Die Zwillingsbruder Oelbermann gründen 1920/21 den Nerother Wandervogel und richteten die Burgruine Waldeck als Begegnungsort her. Die Wandervögel werden von den Nazis verboten, erleben nach dem Krieg aber noch eine zweite Blüte. Die Mehrzahl der deutschen Folksänger entstammt dieser Tradition, inkl. F.J. Degenhardt (dessen "Befragung eines Kriegsdienstverweigerers" 1978 vom NDR aus einer Sendung gestrichen wird; -> FW#23) und den Kröhers (-> FW#21). 1964 kommt es auf Waldeck zum ersten internationalen Festival, dem weitere folgen sollen. Unter den Kabarettisten debütiert Hannes Wader ( -> FW#18, FW#20). Neben den politischen Folkies gibt es
aber auch eine andere Gruppe von Liedermachern, nämlich jene, die bei ihrem Metier ein Geschäft wittert. Nach dem rapiden Rückgang des deutschen Schlagers sind es die Liedermacher, welche die Einbußen am Gesamtumsatz in erträglichen Grenzen halten. Leute wie Otto Walkes, Ulrich Roski, Reinhard Mey, Hermann Van Veen, Klaus Hoffmann, Konstantin Wecker [-> FW#18, FW#22], Udo Lindenberg und André Heller machen zum Teil Millionen-Umsätze. Das rasch zu erlernende Metier mit seinen raschen Aufstiegsmöglichkeiten entfaltete große Anziehungskraft und weckte so manchen Ehrgeiz. Mit der Zeit wechselten die neuen Liedermacher auch ihre Themen. Konkrete Standpunkte, Kritik am Zeitgeschehen, eine bestimmte Grundhaltung verblassen zugunsten der reinen Unterhaltung klischierter Unverbindlichkeiten oder gar harmloser Blödeleien.
Warum erzähle ich das eigentlich alles? Nun, die überarbeitete Neuauflage von Hartmut Brauns Volksmusik - Eine Einführung ist nicht nur für den Fachmann der Wissenschaftsdisziplin "Musikalische Volkskunde" eine geeignete Einführung. In dem kleinen Band geht es um den Begriff Volkslied, Musik & Tanz, Instrumente, Musikpflege, Geschichte, Erneuerung, uswusf. Über das Hackbrett schreibt Braun:
Eine Sonderform der Zither bzw. eine Abart des Psalteriums stellt das Hackbrett (Cimbalon, engl.) dar. Die Besonderheit liegt darin, dass das Instrument kein Griffbrett besitzt. Die Saiten sind mehrchörig über einen trapezförmigen Holzrahmen gespannt und werden zur Klangdifferenzierung mit unterschiedlichen Klöppeln angeschlagen. Durch auf der Decke angebrachte Stege werden die Saiten meist im Verhältnis 2:3 geteilt, so dass ein größerer Tonvorrat entsteht, der bis zu drei Oktaven umfasst. Dadurch wachsen die musikalischen Möglichkeiten erheblich. Das Hackbrett wird sowohl solistisch als auch im Ensemble verwendet. Der Klang ist eigenartig rauschend und tragt zu einem starken Rhythmus bei; das Piano klingt gedämpft, das Forte sehr scharf, mit vielen Obertönen gesättigt. Das Instrument war im 15.-18.Jh. auch in Deutschland verbreitet; länger hat es sich in abgelegenen Gebirgsgegenden erhalten. Heute ist es in erster Linie Ensembleinstrument der Zigeunerkapellen, wird aber auch als Begleitinstrument in neu entstandenen Volksmusikgruppen Bayerns und der Schweiz eingesetzt.
Wir haben bereits über die Geschichte des Hackbretts berichtet (-> FW#22). Braust man durch fünf Jahre FolkWorld, stößt man immer mal wieder auf das Instrument, nicht besonders häufig, aber beständig (s.u.) Karl-Heinz Schickhaus, Professor am Bruckner-Konservatorium LInz, hat sich ganz dem hölzernen Gelächter gewidmet. Cork Dulcimer Festival 2002 Seit gut dreissig Jahren ermittelt und veröffentlicht Schickhaus alte und neue Originalliteratur für das Hackbrett. Parallel dazu verfasst er eine Serie über die Geschichte des Instruments: Das Hackbrett. Geschichte & Geschichten. Teil 1 und 2 beschäftigen sich mit Österreich und Deutschland, weitere Folgen sind in Vorbereitung.

In Schrift wird das "salterio tedesco", "Dulcimer" oder "Cimbalon" (in Rotwelsch bezeichnet "cimpelmann" einen Virtuosen) erstmals 1447 in der Schweiz und 1499 in Augsburg genannt. Ein Fresko in der Karmelitenkirche Frankfurt/Main von 1435 zeigt eine Darstellung. Ein Instrument von 1514 im Leipziger Musikinstrumentenmuseum hat leider den Krieg nicht überstanden. Die Violine ist das tonangebende Instrument, aber das sogenannte Hackebrett und die Bassgeige müssen unerlässlich ihre Gefährten sein. Eine derartige Besetzung wird schon im 17. Jhd. erwähnt; noch der jüdische Kantor Isaac Judah Eberst aus Offenbach, Vater von Jacques Offenbach, tritt in solch einem Ensemble auf.

Das Hackbrett ist nicht der Volksmusik zugehörig, sondern auch Instrument zu Hofe. 1571 bestellt Herzog Julius von Wolfenbüttel ein Hackbrett bei seinem Lautenmacher. Pantaleon Hebestreit (1668-1750) aus Kleinheringen bei Naumburg entwickelt ein überdimensionales Dulcimer mit 180-200 Saiten und 3-4-chörigem Bezug. Als er 1705 vor dem Sonnenkönig spielt, tauft dieser es "Pantaleon". Sein Schüler Maximilian Hellmann (+1763) findet im Wiener Hofkapellmeister Fux (1660-1741) seinen Mentor. Fux' Oper "Giunone placata" (1725) mit einem einzigartigen Salterio-Part gibt Hellmann Gelegenheit, frei zu improvisieren.

Der barocken Hochspannung vokaler und intrumentaler Virtuosität musste in der Jahrhundertmitte eine Entspannung im Willen zum Einfachen, Allgemeinverständlichen, Volkstümlichen folgen. Entlehnung volkstümlicher Elemente aus Lied, Tanz und Marsch, auch gänzliche Übernahme von wirklichen Volksmelodien für Variationszwecke bringen eine neue Musik hervor, die vollendete Kunst und zugleich höchst volkstümlich, die wahrhaft menschheitsumfassend ist, keine Standes- und Bildungsunterschiede mehr macht und alle Menschen Brüder sein lässt.
Mozarts "Bauernhochzeit" (1755) denkt nicht nur an "Leyer" und "Dudlsack", sondern auch an ein "Hackebrettl", um das bäuerliche Kolorit der Komposition zu unterstreichen. Cork Dulcimer Festival 2002 Im 19. Jhd stirbt das Hackbrett langsam aus. Schon Rosegger (Gedichtband "Zither und Hackbrett", 1869) findet um 1880 nur unter Schwierigkeiten noch ein ausgedientes Exemplar in einem Kohlfeld, auf dem es als klingender Hasenschrecker dient. Die mangelhafte Dämpfung der lange schwingenden Saiten [macht] bei raschem Harmoniewechsel den Klang verschwommen und rauschend. Das Hammerklavier als seine Weiterentwicklung hatte diesen Mangel behoben und gewann immer mehr Bedeutung.

Die alten Hackbretter sind diatonische Instrumente, ein vollchromatisches bauen 1938 erstmals Tobi Reiser und Heinrich Bandzauner, für Stubenmusik intim genug, für den Tanzboden in allen Tonarten spielbar. Das Salzburger Hackbrett wandert ins Bayrische Nachbarland. Der Rest ist Geschichte. Fast. Auf Anregung von Schickhaus, um klassische Hackbrett-Musik wieder aufführen zu können, experimentiert der Fraunberger Alfred Pichlmaier mit erweitertem Tonumfang. Für Rudi Zapf und die Fraunhofer Saitenmusi entwickelt er ein Instrument mit Dämpfpedal - nicht länger nur zur ungedämpften Spielfreude.

Ob Popmusik nun die Volksmusik von heute ist, sei einmal dahingestellt. Das Pop-Lexikon bringt sie jedenfalls, die Sternchen und die Aussenseiter der letzten 50 Jahre, Fakten!Fakten!Fakten! (oder Kohle, Koks, Kopulieren und Kritikergeschwätz) von R&B bis HipHop. Ein Blick über den Tellerrand hat ja noch niemandem geschadet. Und wenn es nur dafür sein sollte, einmal erleichtert zu bemerken, wie normal und harmlos eigentlich Folkmusiker sind. Ja, man soll doch noch tatsächlich Musik machen können, ohne zum selbstgefälligen Geldtrottel oder zum selbstgefälligen Talk-Show-Clown zu werden.

Einen gelegentlichen Abstecher in Folk und Country bietet auch ein Poplexikon, z.B.: www.rororo.de

Billy Bragg (proletarisch gerüstet mit einer verstimmten elektrischen Gitarre, bissigen Texten und punkiger Anmache in einem Tonfall, flacher noch als ein Pooltisch -> FW#13, FW#23);
Tamara Danz (deutsche Tina Turner, rigoros, konsequent und so wenig easy going wie ihre Musik -> FW#11);
Ani Difranco (Wörter als Schwert gegen Abstumpfung, Rassismus, Republikaner, Justizmüll -> FW#9, FW#11);
Bob Dylan (Stimme, die klingt, als käme sie über die Mauern eines Tuberkulose-Sanatoriums -> FW#20);
Woody Guthrie (tausend Songs, die ein realistisches Bild des proletarischen Amerika während der Depressionszeit nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 ergaben -> FW#20);
Inchtabokatables (Menschen, die gern in einer Bar rumhängen, so tun, als gehörte sie ihnen, und dabei nicht einmal ihren eigenen Drink bezahlen können -> FW#24);
Pogues (pockennarbige Liebeslieder, beduselte Gebete, Gossen-Balladen, Anti-Thatcher-Tiraden, Kneipen-Couplets voller Joyce-Romantik -> FW#22);
Pete Seeger (die grandiose Verkörperung von 100 Jahren amerikanischer Folklore -> FW#20, FW#21);
Townes Van Zandt (Dylan Thomas der Rockgeschichte -> FW#23); ...
Die Auswahl zeigt auch das Bild, das man sich ausserhalb der Szene von Folk macht: Liedermacherei, Klampfe, irgendwie links. Die Folkrockpioniere fehlen genauso wie Weltmusiker und Traditionalisten.

Über den "Man in Black" heist es:

Cash, John R. Johnny (voc, g), am 26. Februar 1932 in Kingsland, Arkansas, als Sohn eines Baumwollfarmers geboren, sang mit seiner Begleittruppe Tennessee Three amerikanische Geschichte fur die Massen als eine Art Dylan ohne Metaphern. Der Mann in Schwarz (Albumtitel) mit dem Gesicht wie aus einem Steckbrief und der sonoren Patriarchen-Stimme war der erste zornige Poet unter den Country-Sängern. Seine oft als Sprechblues zu simplen Harmonien vorgetragenen Sympathie-Erklärungen für rechtlose Indianer, verketzerte Hippies und eingesperrte Kriminelle machten den Cherokee-Abkömmling und einstigen Drogenkonsumenten 1968/69 zum Superstar der Subkultur-Anhänger, die immer mehr nach unverfälschten Klängen aus der amerikanischen Musik-Vergangenheit verlangten und in Cash einen sozial engagierten Mann aus dem Volk zu sehen glaubten. Doch der selbsternannte Feld-, Wald- und Wiesen-Missionar war ein Idol voller Widersprüche: Er stand sich gut mit dem Alt-Protestler Bob Dylan und sang Plädoyers für die langhaarige Aktivisten-Jugend; interpretierte aber auch, zusammen mit dem Law & Order-Prediger Billy Graham, naiv-erbauliche Mittelklassen-Gospels ...
Na ja, das mit dem Cherokee ist leider nur eine schöne Legende. Wer war der Mann, von dem die Inchies (-> FW#24) sagen: Und dann gab's da noch diesen alten Sack, mit dem keiner mehr so richtig gerechnet hat, und der vor anderthalb Jahren ein Album gemacht hat, auf dem er u.a. auch U2 gecovert und die Jungs aus Irland um Längen in irgendeine hintere linke Ecke geworfen hat.

The Beast In Me hat Franz Dobler seine persönliche Annäherung an die "Ikone der Countrymusik" genannt, mit viel Liebe zum "Pure Drop" und nicht wenig Gehässigkeit zum musikalischen Ausverkauf des Genres.

Johnny Cash ist 1932 in Kingsland, Arkansas, geboren; seine schottischen Vorfahren mit dem Motto Better Times Will Come sind 1667 in Amerika hängengeblieben. Er beginnt 1938 Gesangsunterricht zu nehmen. Als er einen Blues vorträgt, sagt die Lehrerin, der Unterricht wäre damit beendet und er solle sich niemals von irgendjemandem sagen lassen, wie er zu singen habe. www.kunstmann.de www.kunstmann.de Von der US-Air-Force-Basis in Landsberg (in der Nähe ist Dobler aufgewachsen) nimmt er nicht nur eine tiefe Narbe im Gesicht mit, die ein betrunkener Arzt hat beim Versuch, eine Zyste zu entfernen, hinterlässt, sondern auch seine erste Gitarre. "Landsberg Barbarians" ist der Name seiner Band (ob damit auf die dort einsitzenden Kriegsverbrecher angespielt wird). Cashs Vorgesetzter verabschiedet sich immer mit den Worten Just don't step on my blue suede shoe, man, woraus Rockabilly-Pionier Carl Perkins später einen Hit macht.

1955 macht Cash seine ersten Plattenaufnahmen. Gitarrist Luther Perkins kommt mit dem Gitarrenpart nicht klar und es entsteht der charakteristische "Boom-Chicka-Boom"-Stil. Es war etwas Eignes. Schon nach den ersten paar Takten wusste man genau, wer gleich singen würde. Lieder wie "Folsom Prison Blues" und "Ring of Fire" machen Cash zu einem der bekanntesten Countrysänger der Welt. Doch durch die Droge On The Road und die Droge Nightlife ging ich dann tatsächlich so weit, dass ich versuchte, in Apotheken einzubrechen, um mir einen ausreichenden Vorrat [Speed] zu beschaffen Cashs Bande ballert in Hotels herum, verwüstet Zimmer oder streicht sie schwarz an.

Es ist aber nicht ausgeschlossem, dass er auch die Verantwortung für ein viel größeres Verbrechen trägt. [1973] erschien das erste Album einer Gruppe namens Truckstop, die hierzulande bis heute für das Image von Country als Schlager-mit-Cowboyhut verantwortlich ist.
Johnny Cash gehört mit Willie Nelson, Waylon Jennings und Merle Haggard zu den Widerständlern gegen das Pop-Country-Establishment der Marke Garth Brooks. Die Musik dieser alten Typen dagegen wirkte so, als würden sie in den Appalachen-Bergen in Höhlen leben und ein Reh mit den Händen töten. Als 1994 "American Recordings" herauskommt, hat ihn die Industrie eigentlich schon lange abgeschrieben. Dennoch wird er populärer als je zuvor.
American Recordings stand in Billboard im Mittelpunkt, es bekam die Höchstwertung im Rolling Stone, es wurde in Blättern besprochen, die eigentlich von Country ohne o handeln, und in Magazinen, die Holzgitarren für etwas halten, das die Axt zu erledigen vergessen hat. Zu seinem alten Publikum bekam er ein neues, junges hinzu, das keine Ahnung hatte, wer Hank Williams gewesen war, aber nach dem Selbstmord von Kurt Cobain nachdenklich zum Sternenhimmel aufsah und sich fragte, ob's dahinter überhaupt noch ein Nirvana geben mochte. Er kam nicht zurück als eine Art männliche Tina Turner, als sensationell gut erhaltener Opa, sondern als der Bad Lieutenant der Countrymusik. Eine düstere, spartanische Platte mit gelegentlich sarkastischem Humor. Der Sänger als unheimliche, biblische Gestalt mit einer Mir-ist-alles-egal-Haltung - ich sage, was ich zu sagen habe, ob ihr mir zuhört, ist eure Sache. Kein Soundtrack für wirtschaftliche Aufschwünge, schon eher die Erinnerung daran, dass der Amerikanische Traum nicht nur Nashville oder der Wall Street gehört. Er wirkte wie der Grossvater, der gekommen war, um für seine verstorbenen Enkel Sid Vicious und Kurt Cobain Rache zu üben.
Cash kauft sich eine ganzseitige Anzeige im Billboard Magazine. Das Bild aus dem Jahr 1969 zeigt sein wutverzerrtes Gesicht und seinen ausgestreckten Mittelfinger. Text: American Recordings and Johnny Cash would like to acknowledge the Nashville music establishment and country radio for your support. Auf seinem bislang letzten Album "Solitary Man" singt er Nick Caves "Mercy Seat", als sich Gouverneur George "Trouble You" Bush weigert, den Fall eines Hinrichtungskandidaten zu prüfen. Über den Vietnamkrieg sagt er einmal: Das einzig Gute, das ein Krieg je hervorgebracht hat, ist ein Song, und das ist eine höllische Art, an seine Songs zu kommen.

Franz Dobler ist auch der Autor von diversen Westerngedichten, die unter dem Titel Der Tag an dem ich allen Glück wünschte (u.a. mit einer Übersetzung des "Folsom Prison Blues") nun auch als Hörbuch erschienen ist. Ein kurzer Ausschnitt nur:

Ich lag auf dem Boden und konnte nicht mehr.
Steh auf und mach weiter, du schaffst es, nur weiter.
Es gibt nur eine Regel im Leben und die heisst weitermachen,
Denn wer liegenbleibt, ist tot.

Aber ich bin keiner von denen, die kriechen, um weiterzukommen.
Aber um noch ein letztes Mal auf das Thema Zensur zurückzukommen. Yehudi Menuhin meint: In einer idealen Welt sollte es möglich sein, Menschen vor ,Musik' zu schützen, die Ohr, Seele und Sensibilitat verletzt. Solche Musik ist das nervtötende Gedudel in Lifts, Arkaden, Restaurants und Flugzeugen, das einem ungefragt zugemutet wird (-> FW#23). Gute Nacht, T:-)M.


Ausländer, Fietje et al. (Hg.), Das Lied der Moorsoldaten. Bearbeitungen - Nutzungen - Nachwirkungen. DIZ Emslandlager, Postfach 1132, 26851 Papenburg, 2002, ISBN 3-926277-15-7, 64 S, EUR 25,- (mit Doppel-CD).
Braun, Hartmut, Volksmusik. Eine Einführung. Gustav Bosse, Kassel, 1999, ISBN 3-7649-2665-1, Taschenbuch, 182 S, EUR 16,80.
Dobler, Franz, The Beast In Me. Johnny Cash und die seltsame und schöne Welt der Countrymusik. Kunstmann, München, 2002, ISBN 3-88897-302-3, Taschenbuch, 272 S, EUR 18,90.
Kraushaar, Wolfgang, Die Protest-Chronik 1949-1959 - Eine illustrierte Geschichte von Bewegung, Widerstand und Utopie. Rogner & Bernhard/Zweitausendeins, Hamburg, 1996, ISBN 3-8077-0338-1, Hardcover, 2712 S (4 Bände), EUR 14,80.
Pieper, Werner (Hg.), Verfemt - Verbannt - Verboten. Musik & Zensur weltweit. Grüne Kraft, Löhrbach, 1999, ISBN 3-922708-06-4, Taschenbuch, 224 S, EUR 12,50.
Pieper, Werner (Hg.), 1000 Jahre Musik & Zensur in den diversen Deutschlands. Grüne Kraft, Löhrbach, 2001, ISBN 3-922708-09-9, Taschenbuch, 256 S, EUR 15,-.
Schickhaus, Karl-Heinz, Das Hackbrett. Geschichte & Geschichten, Folge 1 Österreich. edition TYMPANON, et.schickhaus@eduhi.at, Markt 52, A-4271 St. Oswald, 2001, ISBN 3-9500944-0-7, Taschenbuch, 84 S, EUR 15,-.
Schickhaus, Karl-Heinz, Das Hackbrett. Geschichte & Geschichten, Folge 2 Deutschland. edition TYMPANON, et.schickhaus@eduhi.at, Markt 52, A-4271 St. Oswald, 2002, ISBN 3-9500944-1-5, Taschenbuch, 94 S, EUR 17,-.
Schmidt-Joos, Siegfried & Wolf Kampmann, Pop-Lexikon. Rororo, Reinbek, 2002, ISBN 3-499-6114-7, Taschenbuch, 764 S, EUR 12,90.

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