Dass die Quelle irischer Musik einmal versiegen könnte, steht nicht zu befürchten. Davon konnte sich der Autor dieser Zeilen im November 2010 beim Irish Folk Festival im Forum Peine überzeugen.
Es ist die 19. Etappe der diesjährigen Festivaltour und dementsprechend sind die irischen und englischen Musiker auch bestens eingespielt. Dennoch sind keine Ermüdungserscheinungen auszumachen. Den Anfang macht der in Manchester lebende Mat Walklate mit einer Mundharmonika made in Germany, das Beste was Deutschland seiner Meinung nach - außer dem Bier - zu bieten hat. Und auf dem deutschen Instrument der Marken Hohner und Seydel lässt sich auch ein flotter "Kesh Jig" spielen. Aber der All-Ireland und All-Britain Harmonica Champion spielt auch eine flotte Flöte (Marke Aebi, also aus der Schweiz).
Sein Begleiter an der Gitarre ist Matt Fahey, mit dem der Mundharmonika-Virtuose zusammen bei den House Devils spielt. Matt (mit zwei T) singt ein traditionelles irisches Lied, das er von dem verstorbenen Frank Harte[31] gelernt hat. Ein typisch romantischer Song irischer Provenienz, d.h. das besungene Pärchen ist permanent am Trinken und Streiten. Mat (mit einem T), der sowohl in Folk-, Blues- als auch Jazzbands musiziert, spielt schöne Licks in den Gesangspausen.
Ein schwungvoller Auftakt, aber nun wird es erstmal ruhiger und dem Motto der diesjährigen Tour gerecht. Es geht zu den Quellen der irischen Tradition. Der 71jährige Tom O’Donovan widmet sein erstes Lied, "Rose of Tarbert Town", seinem Heimatort. Tarbert liegt im County Kerry im Südwesten Irlands; Touristen kennen vielleicht die Fähre, die von hier aus über den Shannon ins County Clare übersetzt.
Das nächste Stück besingt die "Flowers of Sweet Strabane", nun ein Ort im nördlichen County Donegal. Vielleicht ist es seinem musikalischen Partner Ian Smith gewidmet, der für die gefühlvolle Begleitung sorgt,[20][25][31] und bereits 2004 einmal Mitreisender des Irish Folk Festivals gewesen ist, damals als Gitarrist des inzwischen verstorbenen Jim Hayes. Nach diesen beiden romantischen Songs geht es mit "Future of Food" über gentechnisch manipulierte Nahrung dann richtig zur Sache, Tom ist ein engagierter Umweltaktivist. Das Emigrationslied "Hills of Kerry" schließt das kurze Set ab.
Es gibt Beifall für den schnellen Umbau und der Abend steuert auf den ersten Höhepunkt zu. Geigerin und Konzertinistin Niamh Ní Charra ist ebenfalls aus Kerry. Wie Tom O’Donovan nährt sie sich von den Quellen der Tradition, lässt sich aber auch gerne einmal von den Wassern mitreissen.
Zunächst greift Niamh zur Fiddle und nach einem kurzen Intro und einem swingenden Jig geht es mit zwei traditionellen Reels in die Vollen. Dann folgt eine Komposition von Niamh, "The Devil's Ladder". Der Name bezieht sich nicht auf das teuflische Tempo, sondern ist eine geographische Bezeichnung in den Bergen nahe Killarneys.
Im Jahre 2008 hatte das IFF bereits das Vergnügen, Niamh mit einem Begleitmusiker vorzustellen. Am heutigen Abend hat Niamh ihre Band - Flötist Cathall King, Gitarrist James Ryan und Bodhranspieler Robbie Harris (aka Bongo Bob) - mitgebracht. Zudem gesellt sich Steptänzer Mick Donegan bei jeder passenden Gelegenheit mit seinen Hard Shoes dazu.
Der Gelegenheiten gibt es viele. Zunächst folgt mit dem "Limerick Redowa" ein kontinentaler Walzer, gefolgt von drei Slides aus dem irischen Südwesten. Der erste hat den passenden Titel "Going for Water" und damit können doch nur die Wasser der Tradition gemeint sein.
Diese beide Instrumental-Sets starten - nur in umgekehrter Reihenfolge - auch Niamhs aktuelles Album "Súgach Sámh / Happy Out".
ZUr Abwechslung gibt es ein paar gälisch-sprachige Lieder. Bei "Cailleach an Airgid" (d.i. die Alte mit der Kohle). geht es um einen jungen Mann, der sich an eine ältere Dame heranmacht, die zwar mit Reizen geizt, aber stinkreich ist. Nimmt man die Melodie und spielt sie ein kleines bißchen geradliniger, erhält man einen bekannten Jig, der denn auch am Schluss angefügt wird.
"Sé Fáth Mo Bhuartha" kann man mit der Grund meines Kummers übersetzen. Ein Lied, das gut zu ihrer etwas mädchenhaften Stimme passt. Auf dem Album wird sie von ihrem Vater Eoin auf der Zither (sic!) begleitet. Hier schließt sich der Kreis, denn Niamhs Onkel Pádraig Ó Carra war nämlich ein passionierter Zitherspieler und zusammen mit Maire Ní Chathasaigh[37] und Maírtín O'Connor[39] unter dem Bandnamen Comhluadar zu Gast beim zweiten Irish Folk Festival im Jahr 1975.
Nur wenige Jahre später, etwa 1978, spielte der Flötist John Doonan beim Irish Folk Festival. Damals saß der heutige IFF-Veranstalter Petr Pandula als junger Spund im Publikum, heute geht Petr, die Haare sind etwas grauer geworden, mit den Doonan-Söhnen auf Tournee. Die von der Frankfurter Allgemeinen als graue Panther des Irish Folk beschriebene Formation ist eine fröhliche Truppe, die nichts anbrennen lässt. Im Gegensatz zu den Dubliners beispielsweise sind sie äußerst beweglich und agil und eher ältere Brüder der Oysterband.
Zunächst knüpfen sie mit einem Instrumentalstück - Flöte, Fiddle, Gitarre, Akustik-Bass-Gitarre - an das Vorprogramm an, vervollständigt durch zwei junge Stepptänzerinnen. Dann geht es mit dem angerockten Gassenhauer "Star of the County Down" los.
Das Programm besteht aus mehr oder weniger bekannten Lieder, die man so aber noch nicht gehört hat. Ewan MacColls "Moving On Song" (Go Mo Shift) aus der BBC Radio Ballad "The Travelling People"[37] entwickelt sich nach einem schleppenden Anfang zu einer Mischung aus Folk und Indie-Rock mit dem Gypsy-Thema gemäßen, Flamenco-artigen Einlagen. Sam O'Cooke liefert die Vorlage für einen irischen Blues. Mick Doonan hat genau die richtige Stimme dafür und lässt die Uilleann Pipes aufheulen; Mat Walklate gesellt sich mit der Blues-Harp dazu.
Gleich darauf greift Mick zur Low Whistle und spielt eines der Lieblingsstücke seines Vaters John. Es handelt sich dabei um "Mná na hÉireann" (Women of Ireland), das Sean Ó Riada[28] in den späten Sechzigern für Ceoltóiri Chualann, der Urzelle der Chieftains, komponiert hat. Das Stück ist mittlerweile so weit herumgekommen, z.B. im Soundtrack zu "Barry Lyndon",[37] dass es häufig für eine uralte, traditionelle Melodie gehalten wird.
Es folgen ein paar funkige reels, eine komische Tanzeinlage der älteren Herren mit anschließender Sauerstoff-Beatmung, und zum guten Schluss mit "I'll Tell Me Ma" ein weiterer Gassenhauer. Seltsam mitunter, aber nicht schlecht.
Ein Konzert des Irish Folk Festivals ist nicht vollständig ohne die obligatorische Session. Zu "Sweet Home Alabama" kommen alle beteiligten Musiker nach und nach auf die Bühne, um dem Publikum weitere Songs und Tunes um die Ohren zu hauen. Tom O’Donovan singt "Muirsheen Duirkin", Mat singt "Step It Out Mary" und spielt zweite Pipes. Es ist der 11.11. um 11 Uhr 11, als ich den Wagen anlasse, aber nachts, und es war wahrhaftig kein Narhalla-Marsch zu hören gewesen.
Photo Credits:
(1) Irish Folk Festival Logo
(by Magnetic Music);
(2) Mat Walklate,
(4) Niamh Ni Charra,
(6) Mick Doonan,
(by Walkin' Tom);
(3) Tommy Sands Trio
(5) The Cannons (unknown).