FolkWorld #44 03/2011
© Walkin' T:-)M

English Book Reviews

T:-)M's Nachtwache

Unsere Geschichte beginnt diesmal mit einem Wiegenlied - gesungen Ende der 60er Jahre von einer jungen Frau des 'Are'are-Stammes von der Salomoninsel Malaita im Südpazifik, aufgenommen von dem Schweizer Musikethnologen Hugo Zempt und von der UNESCO auf einer Schallplatte veröffentlicht.

Dylan - 100 Songs & Bilder George Harrison fragte: Kannst du dir vorstellen, was für eine Welt das wäre, wenn wir keinen Bob Dylan hätten? Es wäre furchtbar. Und Arlo Guthrie [43] fügte hinzu: Songs zu schreiben ist wie in einem Fluss zu fischen: Man wirft die Angel aus und hofft, dass man etwas fängt. Man muss nur darauf achten, dass man nicht flussabwärts von Bob Dylan sitzt, dann kannst du es vergessen. Die von Max Dax übersetzte Sammlung ist ein voluminöses Werk mit Noten, Akkorden und vollständigen Texten, dazu obskure Worte Dylans sowie eher erhellende Zitate der Kollegen, plus kurze Hintergrundinfos und Fotos. Hundert Dylan-Songs von "All Along the Watchtower" bis "You Ain't Goin' Nowhere": Frühwerke wie "Song to Woody" [35] und "The Lonesome Death of Hattie Carroll" [38], als er zum Rockmusiker mutierte - Dylan entführte die Musik aus dem Reich der Ignoranten, die auf ihren elektrischen Gitarren herum gniedelten, und entführte sie in eine ganz andere Sphäre -, Spätwerke (treffender Titel: "Things Have Changed"). Ein musikalisches Panorama der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Dylan - 100 Songs & Bilder. Bosworth Edition BOE7526, 2010, ISBN 978-3-86543-593-4, 496 S, €49,95.


Kerschowski, Rio Reiser Liederbuch Anglistik und Amerikanistik haben sich immerhin an Dylan abgearbeitet, die Germanistik hingegen hat das Lied vernachlässigt. Rio Reiser, ehemaliger Frontmann von Ton Steine Scherben, wäre ein treffendes Objekt gewesen (siehe auch links); und wenn sich der Schlagerbarde Heino damit brüstet, im Alleingang das deutsch-sprachige Lied gerettet zu haben, gebührt die Krone dann doch wohl eher dem König von Deutschland [41]. Der Gitarrist von Rios Band hat alle Songs der 6 Solo-CDs zwischen 1986 und 1996 sowie Single-B-Seiten, Raritäten und die Stücke der postum veröffentlichten CDs "Am Piano" 1 und 2 transkribiert. Das alles und noch viel mehr: nicht nur Noten und Akkordraster, Kerschowski hat möglichst viel von den Arrangements notiert - Riffs, Intros, Outros, Chöre, Klaviersätze. Dazu gibt es viele Bilder und ein paar Erläuterungen zu den einzelnen Titeln. Vom ironischen "Manager" bis zum ultimativen Liebeslied "Junimond". "Zu Hause", "Eislied" und "Nur Dich" wurden gerade erst von der Nichte des Scherben-Gitarristen, Nadine Germann, frisch und schmissig interpretiert [44]. Rios Solowerk zeigt einen ehrlichen, glaubwürdigen und authentischen Künstler. Dennoch war seine Solokarriere von dem Zwang geprägt, die Schulden von Ton Steine Scherben abbezahlen zu müssen. Entsprechend Mainstream gerieten gelegentlich musikalisch wie auch textlich seine Stücke. Durch seinen frühen Tod werden wir niemals mehr erfahren, was er noch produziert hätte. Der edle Wälzer ist keine leichte Bettlektüre, was das Gewicht betrifft, aber jeder, dem ich das Buch gezeigt habe, ist begeistert.
Kurt Kerschowski, Rio Reiser Liederbuch. Bosworth Edition BOE7428, 2010, ISBN 978-3-86543-303-9, 451 S, €49,95.


Banwarth, Irish Fingerpicking Guitar Vol. 1 Der Gitarrist Jean Banwarth ist Mitbegründer von frz. Bands wie Djal [27] und Dedale [25]. Nun folgt er auf den Fersen der DVDs von McManus und Sibéril [43,44] mit einem Lehrbuch, um keltische Musik auf der Fingerpicking-Gitarre zu spielen. Die 18 Titel - mit Noten und Tabs - beginnen mit einer Mazurka (die wird im Appenzellerland - Ääschrittler genannt - genauso gespielt wie in Donegal) und führen die DADGAD-Stimmung ein, was auch für Anfänger kein Problem darstellen sollte. Dann zunächst einmal wieder Normalstimmung mit dem "Blackbird"-Hornpipe (siehe z.B. die Red Wellies [40], hier umgearbeitet zu einer 6/8-Melodie. Der darauf folgende Strathspey/Highland "Bó Mhín na Toitean", inspiriert von Altan [31], wird sowohl in DADGAD als auch Normalstimmung vorgestellt (besser noch: dropped D). Es gibt den Reel "Cregg's Pipes" inspiriert von Lunasa mit reichlich Verzierungen [27]; sowohl "Eddie Kelly's Reel" als auch "Rights Of Man" sind beträchtlich verlangsamt worden; entlang des Weges lernt man Hammerings, Pullings und Slides einzubauen. "Speed the Plough" [44] bietet ein Daumen-Triplet im Tony-McManus-Stil (Anschlag aufwärts). Mit einer Carolan-Melodie, einem amerikanischen Song, einer Gavotte und einem Klezmerstück von der allerersten Lunasa-CD [5] (den "Itzkel Frejlech" habe ich selbst einmal, allerdings auf der Rhythmusgitarre eingespielt) handelt es sich um ein umfangreiches und vielseitiges Lehrbuch - und glücklicherweise zweispachig in Französisch und Englisch.
Jean Banwarth, Irish Fingerpicking Guitar Vol. 1. MusTraDem MTD 1037, 2010, ISBN 978-2-9509470-9-3, 32 S, €20,00 (inkl. CD).


Kommnick, Siúnta - The Scores Wer sich durch Banwarth durchgeackert hat, wird es leichter finden, sich mit Jens Kommnicks Kompositionen & Arrangements auseinander zu setzen. Der vielseitige Instrumentalist, vor allem aber Gitarrist, musiziert mit Peter Kerlin [40], Iontach [32] und Liedertach [43]; im Jahre 2008 nahm er sein Solo-Album "Síúnta" auf [37], deren Arrangements er nun - mit leichten Variationen zu den Einspielungen - vorlegt: 8 Eigenkompositionen, irische, asturische und schwedische Melodien, sowie eine Lauten-Komposition John Dowlands und nicht zuletzt Telemanns Concerto in D-Dur für 4 Violinen arrangiert für 4 irische Bouzoukis. Jens spielt Celtic Fingerstyle Guitar mit einer ganz eigenen und besonderen Note, meistens in DADGAD-Stimmung, und Anfänger sollten erst einmal die Finger davon lassen. Schön ist das klare Notenbild (nicht immer eine Selbstverständlichkeit), und Tabs gibt es natürlich auch.
Jens Kommnick, Siúnta - The Scores. Siúnta Music SM2205, 2010, ISBN 978-3-00-030972-4, 48 S, €15,00.


Herriges, Guitar Explorer Natürlich gibt es noch ein Reich jenseits des Keltischen. Gitarrist Greg Herriges schaut für experimentier-freudige Gitarristen über den Tellerrand, um Stile und Techniken von weltweiten Traditionen zu erkunden. Da ist die Pipa [38], die Ukulele, die Kora (die viele Gitarristen beeinflusst hat), aber auch das Gamelan-Orchester. Es würde mehrere Leben brauchen, um die gesamte Komplexität indischer Musik zu studieren, daher streifen wir hier nur die Spitze des Eisbergs ... Was für die Sitar gilt, gilt ganz allgemein. Er hat exotische Ideen wie mit einer Bürste zu spielen, um eine puerto-rikanische Cuatro-Gitarre zu imitieren, doppelte Besaitung mit einem einfach-besaiteten Instrument nachzuahmen, Bordunsaiten und Verzierungen, offene Stimmungen und ungradzahlige Metren zu benutzen. Das Buch enthält Noten, Tabs sowie eine CD und ist für mittlere bis fortgeschrittene Gitarristen gedacht. Insgesamt präsentiert es mal eine Herangehensweise an das Gitarrenspiel aus einem ganz anderen Blickwinkel. Ich habe ein paar Ideen bekommen und werde mal versuchen, sie in meine Stücke einzuarbeiten.
Greg Herriges, Guitar Explorer - A Guitarist's Guide to the Styles and Techniques of Ethnic Instruments from Around the World. Hal Leonard HL00695971, 2010, ISBN 978-1-4234-2356-0, 71 S, €18,10 (inkl. CD).


McIver, The Ginger Revolution Und nun legen wir die Gitarre zur Seite und wenden uns dem Dudelsack zu. Aber jedes andere Instrument tut es auch, wenn man eine schottische Weise darauf spielen kann. Joanne McIver von der Arran-Insel vor der Westküste Schottlands hat begonnen, Melodien für Pipes und Flöte zu schreiben, als sie 1994 nach Frankreich zog. Sie wurden daher nach Orten, Personen oder Erinnerungen benannt - inklusive von Arrans Fuballverein, der in 18 Jahren kein einziges Spiel gewann. Mit Ehemann und Harfisten Christophe Saunière hat sie vier CDs veröffentlicht [35]. Diese Sammlung beinhaltet 70 ihrer eigenen Tunes - Märsche und Strathspeys, Jigs und Reels, Hornpipes, Walzer und Slow Airs mit Noten und Verzierungen. Nur ein paar Beispiele, die mich aufhorchen ließen: Ein lebhafter Jig namens "Sauchiehall Street" ist nach Glasgows geschäftigster Einkaufsstraße benannt, wo sie selbst Straßenmusik gemacht hat; "The Sheep in the Sea" (Joannes Ur-Ur-Großvater ertrank, als er ein Schaf zu retten versuchte) und "John Loudon McAdam" aus der "Scottish Inventors Suite" sind schwungvolle Hornpipes (die gar nicht so wie typische Hornpipes klingen); "The White Stag" ist ein packendes Slow Air, fast ein Piobaireachd. Schließlich führt "The Clydeside Dockyards" in das Rock-Fusion-Genre und imitiert die Klänge von Glasgows Werften. Aber großteils entsprechen Joannes Tunes eher der "Lochranza Distillery", die nur traditionelle Methoden benutzt und einen herrlichen Malt produziert.
Joanne McIver, The Ginger Revolution - 70 Original Compositions for Scottish Pipes. Buda Musique, 2011, 78 S, €20,00 (www.mciversauniere.com).


Musik beim Wirt Zum zweiten Mal legt das Steirische Volksliedwerk einen Führer durch die Steiermark vor. Die Broschüre, die bei den Tourismusstellen und den 300 Partnerbetrieben der Aktion ausgelegt werden, aber auch im Internet zum Download zur Verfügung stehen soll, informiert über musikanten-freundliche Gaststätten und Buschenschanken, wo spontan musiziert und gesungen wird, wo Sänger- und Musikanten-Stammtische oder offene Singabende stattfinden, oder die Heimstätte von Tanzkreisen, Blaskapellen und Chören sind. Darüber hinaus wird Auskunft gegeben zu den Themen Interkultureller Musik-Stammtisch, Jodel-Stammtisch, Bal Folk, sowie Zither- und Saitenmusik-Stammtisch.
Musik beim Wirt - Harmonische Köstlichkeiten in der Steiermark. Steirisches Volksliedwerk, 2010.


Euro World Book Für außereuropäischen Künstler, die in Europa touren wollen und Infos und Kontakte suchen, hat das französische Weltmusik-Zentrum CIMT zusammen mit der deutschen alba Kultur einen Führer aufgelegt, der ca. 5.000 Kontakte auflistet. Das Euro World Book hat 3 Teile - jeweils Frankreich, Deutschland und 27 weitere europäische Länder. Die Einträge reichen von Östereich mit Euroots und dem Steirischen Volksliedwerk bis Großbritannien mit SAIN und Topic Records. Die Listen beinhalten Veranstalter, Agenturen, Presse, Labels und Festivals, der deutsche und französische Abschnitt auch ausgewählte Künstler-Websites. Kurze Essays in Französisch, Deutsch und Englisch führen in die Weltmusikszene in Frankreich und Deutschland ein und klären über Visa-Anträge, Arbeitsbewilligungen und Steuergesetze auf (Stand: Frühjahr 2010). Das Euro World Book ist zwar in keinster Weise vollständig, sollte aber für die ersten Schritte auf dem europäischen Markt genüge tun.
Euro World Book - The Road-Book to World Music. irma, 2010, ISBN 978-2-916668-30-7, 328 S, €37,00.

Die Musiker und Sänger von Malaita bestanden gegenüber Hugo Zemp darauf, dass er ihre Musik niemals kaufen könne, weil sie Teil bestimmter Rituale, von Bräuchen und Festen oder von Begräbniszeremonien war ...

20 Jahre später spielt das "Rorogwela Lullaby" Millionen ein - natürlich nicht für die Frau, sondern für das französisch-belgische Popduo Deep Forest. "Sweet Lullaby", basierend auf dem Sample mehrerer Takte, hält sich 25 Wochen in den Charts.

Deep Forests "World Mix"-Album konnte nur deshalb so enorme Verkaufszahlen erreichen, weil ganz offensichtlich bestimmte kulturelle Interessen dazu führten, dass dieser Tonträger nachgefragt wurde. Vermutlich waren es die ungestillten Sehnsüchte nach Ganzheitlichkeit, Einklang von Natur und Mensch, die Lust am Geheimnisvollen und Irrationalen, Magischen, an Rauschzuständen und Ritualen, wie mancher sie bei den so genannten indigenen Völkern im Regenwald und auf den Atollen des Südpazifik vermutet.

Binas-Preisendörfer, Klänge im Zeitalter ihrer medialen Verfügbarkeit

Susanne Binas-Preisendörfer, Klänge im Zeitalter ihrer medialen Verfügbarkeit - Popmusik auf globalen Märkten und in lokalen Kontexten. transcript, 2010, ISBN 978-3-8376-1459-6, 277S, €27,80

Der Song wird im folgenden der Werbe-Soundtrack für Porsche, Sony und Coca Cola. Noch einmal zehn Jahre später montiert der italienische DJ Mauro Picotto eine dem Wiegenlied nachempfundene Passage als Zwischenspiel in einen Techno-Track. Unter dem Titel "Komodo" (der Name einer der Sundainseln Indonesiens) singt nun eine Frauenstimme: if you want to believe in paradise come together with a smile.

Die CD enthält keinen Hinweis auf den Ursprung des verwendeten Materials, aber den Icon: Copy Kills Music.

Die Verbreitungsgeschichte dieses kleinen Liedes steht exemplarisch am Anfang der Studie Klänge im Zeitalter ihrer medialen Verfügbarkeit. Susanne Binas-Preisendörfer, Professorin an der Universität Oldenburg, die vor zwei Jahren die Laudatio für die Tuarag-Band Tinariwen[42] anlässlich der Verleihung des Prätorius Musikpreis gehalten hat,[35] untersucht die Prozesse von technischer Reproduktion, Bearbeitung und Verwertung populärer Musik im Zeitalter der Globalisierung.

Dabei steht zunächst einmal eine grundlegende Frage am Anfang: Warum folgen viele Menschen gebannt den perfekten Stepporgien der Riverdance-Show, sind fasziniert von zentralasiatischem Obertongesang oder der atemberaubenden Geschwindigkeit südosteuropäischer Bläserbands?

Während der Diskussion ergeben sich durchaus provokante Fragestellungen: Wer außer Peter Gabriel - music is a universal language - behauptet eigentlich, dass Musik eine Weltsprache sei? Wessen Musikverständnis wird verallgemeinert? Ist der für ein europäisches Publikum produzierte, algerische Raï Weltmusik oder der aus den Vorstädten der ganzen Welt kommende Rap und Hip-Hop?

Es wird die richtige Beobachtung gemacht, dass im Westen Innovation, Originalität und Urheberschaft Kriterien für die künstlerische Produktion sind, während in östlichen Kulturen mehr auf die Güte der technischen Reproduktion Wert gelegt wird. (Und das gilt nicht nur für Kalligraphie und Porzellanmalerei, sondern beweist auch die industrielle Fertigung von Musikinstrumenten und Automobilen.)

Im Mittelteil folgt eine kurze, lesenswerte Geschichte der World Music ab der Erfindung des Begriffes anno 1987 als Repertoire-Kategorie des Tonträgerhandels. Insgesamt aber ist die für die wissenschaftliche Diskussion zugedachte Untersuchung keine wirkliche Gute-Nacht-Lektüre.

Löding, Deutschland Katastrophenstaat

Deutschland Katastrophenstaat - Der Nationalsozialismus im politischen Song der Bundesrep. transcript, 2010, ISBN 978-3-8376-1567-8, 528 S, €36,80

Mir fehlt, wie soll ich sagen, ein wenig der Fokus. Die Diskussion springt hin und her, und ich kann dem Thema kaum folgen, geschweige manchmal überhaupt benennen, was das Thema eigentlich ist.

Dieses Problem besteht so nicht für Ole Lödings Deutschland Katastrophenstaat. Obwohl es sich um eine Dissertation handelt (zur Abwechslung mal eine, die selbst geschrieben wurde), ist es eine sehr gut lesbare Abhandlung, die die zeitgenössische deutsche Song-Szene durchleuchtet.

Trotz Adornos Diktum nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, äußern sich seit Mitte der 60er Jahre Musiker über die NS-Vergangenheit. Löding untersucht deutschsprachige Rock-, Folk- und Popsongs - von den ersten Festivals auf der Burg Waldeck[32] bis zum wiedervereinigten Deutschland.

Von 77 Künstlern und Gruppen und über 15.000 Songs wurden 300 Titel identifiziert, die den Nationalsozialismus behandeln oder als Referenz nutzen.

Franz Josef Degenhardt[32] beispielsweise hat wie kein anderer die deutsche Vergangenheit thematisiert. Sein komplexester Song ist "Wölfe mitten im Mai" aus dem Jahre 1965, die märchenhaft erzählte Geschichte - die Warnung eines Schäfers vor den Wölfen und die Missachtung dieser Warnung.

August, der Schäfer, hat Wölfe gehört,
Wölfe mitte im Mai
- zwar nur zwei -
doch der Schäfer, der schwört,
sie hätten zusammen das Fraßlied geheult,
das aus früherer Zeit,
und er schreit,
und sein Hut ist verbeult.
Schreit: "Rasch, holt die Sensen, sonst ist es zu spät.
Schlagt sie tot, noch ehe der Hahn dreimal kräht."
Doch wer hört schon auf einen alten Hut
und ist auf der Hut - und ist auf der Hut.

Der Name des prophetischen Schäfers, August, verweist möglicherweise auf August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, einem der Urväter der Liedermacher.[21] Fallersleben wiederum ist ein Stadteil von Wolfsburg.

Mit der von Löding geforderten Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart (Gründung der NPD 1964) erfüllt Degenhardt die Eigenschaften eines politischen Songs.

Walter Mossmann[40] ist ein weiterer Künstler, die den Opportunismus und den Vorwurf des Mitläufertums an die Erwachsenengeneration ins Zentrum zahlreicher Songs gesetzt haben. Erst 1979 wendet er sich von den Tätern ab und den Opfern des Nationalsozialismus zu - wie dem Deserteur Walter Gröger, an dessen Tötung der Marinerichter und spätere baden-württembergischen Ministerpräsident Hans Filbinger beteiligt war.

Der Krieg lag schon in' letzten Zügen
und in Trümmern die halbe Welt
trotzdem wurde die Sache betrieben
und das Todesurteil gefällt.

Den heimweh-kranken Matrosen
traf zehnmal die Kugel aus Blei
in sauber gebügelten Hosen
stand Herr Filbinger aufrecht dabei.

Weitere Künstler sind Georg Danzer[34] und Konstantin Wecker,[33] und schließlich folgt der kommerziell erfolgreichste Song über den Nationalsozialismus, BAP's[42] "Kristallnaach". Noch unlängst machten sich Wir sind Helden[36] Sorge über die Wiederholbarkeit der Geschichte: Der Krieg kommt schneller zurück als du denkst. Du kriegst zurück, was du verdrängst.

Rio Reisers[41] (siehe auch Kasten rechts) fast hermetische Dichtung voller Anspielungen und Zitate "Jenseits von Eden" - Eins Neun Dreiunddreißig in Drei-D und Farbe, dann ist Sendepause, das war der wilde Westen - wird als eine Auseinandersetzung über die mediale Aufarbeitung der Vergangenheit und ein Nachdenken über die (Un)Möglichkeit eines wie auch immer gearteten Schlussstriches unter die deutsche Vergangenheit interpretiert.

Löding leistet dabei nicht nur eine textliche Analyse, sondern untersucht auch die musikalische Umsetzung. Ein Manko der Analyse scheint mir allerdings darin zu bestehen, in poetischer Sprache und Metaphorik ein Defizit zu sehen. So heisst es beispielsweise über "Wölfe mitten im Mai":

Indem Degenhardt seinen Songtext als Mixtur aus schauerhaftem Bänkelsang, märchenhafter Erzählung, balladesken Elementen und quasireligiöser Prophetie gestaltet und mit zahllosen intertextuellen Verweisen, rhetorischen Stilmitteln und dichter Bildsprachlichkeit zu einem komplexen, artistischen 'schönen' Gebilde verwebt, wird er seinem Gegenstand nur bedingt gerecht.

Allerdings machen klare und eindeutige Diktion nicht unbedingt den besseren Song. Das weiss jeder, der einmal Wolf Maahn ohoho Tschernobyl, das letzte Signal vor dem Overkill hat trällern hören.

Wechseln wir das Thema. Es heisst: Nirgendwo entstand auf so engem Raum eine derart ausgeprägte volksmusikalische Kultur wie im Appenzellerland − eine Kultur, die nach wie vor lebendig ist.

In der hügeligen, vom Kanton St. Gallen umschlossenen Enklave haben sich viele traditionelle Bräuche erhalten. Wie ist das aber wirklich mit der Appenzellermusik, die innerhalb der Schweiz als die eigenständigste und bekannteste Volksmusik gilt?

Manser, Appenzellische Volksmusik

Joe Manser (Hg.), Appenzellische Volksmusik. Appenzeller Verlag Heft 39, 2010, ISBN 978-3-85882-528-5, 164S, €23,00

Die ältesten Schellack-Aufzeichnungen aus dem Jahre 1904 - als tooti Musig bezeichnet, weil die Musik nicht mehr lebendig wirke - sind tatsächlich Appenzellermusikstücke. (Man stellt interessanterweise fest, dass die Musik damals viel schneller gespielt wurde als heute üblich, was sich auch bei anderen Kulturen feststellen lässt.)[43]

Typisch appenzellerisch ist die Original Appenzeller Streichmusik bestehend aus zwei Geigen, Hackbrett, Cello und Streichbass. Das urtypische Hackbrett füllt mit seinen Akkorden die Harmonien zwischen Melodie- und Begleitinstrumenten aus. Und während die Streichmusikformation ein Kind des 19. Jahrhunderts ist, gibt es das Hackbrett immerhin schon seit dem 16. Jahrhundert als Fasnachtsinstrument.

Getanzt wurde allerdings zu allen Zeiten. Nicht immer zu aller Freude: Die Tanzfreudigkeit des Völkleins macht den geistlichen und weltlichen Behörden Appenzells viel Kopfzerbrechen; denn noch immer ist der Tanzsaal der Vorplatz der Hölle.

Es hat sich eine urige Praxis erhalten:

Wenn's auf dem Tanzplatz ganz urchig und löpfig zu und her geht, wird auch wacker pödeled, ein arhythmisches Klopfen (mit den Absätzen des Tänzers). Jener ist ein Könner, der es völlig wedetäktig macht, das heisst gegen den betonten Taktteil und gar synkopenhaft.

Joe Manser, Geschäftsführer des Zentrums für Appenzellische Volksmusik, hat mit Appenzellische Volksmusik ein Büchlein zusammengestellt, das vorbildhaft für viele ähnliche Darstellungen sein könnte. Die Beiträge stammen etwa von Urs Klauser, dessen Ensemble Tritonus Volksmusik vor 1800 rekonstruiert.[33][34]

Das Heft ist reich bebildert, enthält mehr als 20 Notenbeispiele und ein sinniges Glossar, wobei man Brauchtümer wie Ratzliedli (Neck- oder Spottlieder mit Jodelmelodie) oder Chuereie (Kuhreihen - Lockgesang des Sennen) kennenlernt.

Glaser, Bluegrass Fiddle and Beyond Modernes Bluegrass-Fiddling ist stark durch den Jazz beeinflusst. Aus diesem Hintergrund stammt auch dieses Buch. Der Autor Matt Glaser hat mit Stephane Grappelli zusammen gespielt und mit ihm bereits ein Buch zum Thema „Jazz Violin“ herausgegeben. Wie andere Bücher mit derart speziellen Inhalten ist auch das vorliegende auf Englisch. Etwas Wissen über musiktheoretische Begriffe sollte vorhanden sein, um von diesem Buch zu profitieren.
Auch diesem Fiddle-Buch ist eine CD beigefügt, denn man soll die Musik hören und imitieren anstatt nur die Noten herunterzuspielen. Die Aufnahmen sind mit voller Band im Hintergrund, einmal mit Geige und einmal ohne für eigene Experimente. Die Klangqualität ist allerdings zum Arbeiten, nicht zum Zuhören. Die CD beginnt mit zwei Beispielen, wie ein ausgedehntes Fiddle-Instrumental klingen könnte. Dann folgen die Improvisationsmöglichkeiten an einem ersten Beispiel (das Kinderlied „Mary Had A Little Lamb“). Im weiteren Verlauf ist jeweils ein Stück einem bestimmten Thema zugeordnet.
In dem Buch wird die spontane Natur der Bluegrass-Musik betont, daher versucht der Autor, möglichst wenig Festes vorzugeben, sondern Grundprinzipien vorzustellen, die allgemein anwendbar sind, und ein Gefühl für das Wesen einer Melodie zu entwickeln. Die Noten in dem Buch sind daher nur als Beispiele zu verstehen. Sie sind ebenfalls fast durchgehend mit Akkorden versehen, da diese beim Improvisieren eine wichtige Rolle spielen. Dabei entstehen teilweise sehr schräge Tonfolgen, und wenn als Grundlage traditionelle Melodien verwendet werden (es sind auch viele Eigenkompositionen dabei), sind sie so stark verfremdet, dass sie kaum erkennbar sind – das Wort „Modern“ im Untertitel ist wohl bewusst gewählt. Insofern ist dieses Werk nicht unbedingt als Einstieg in das Bluegrass-Fiddling allgemein zu empfehlen, sondern eher als Erweiterung für jemanden, der schon Grundkenntnisse in diesem Bereich besitzt.
Dabei enthält das erste und dritte Kapitel noch sehr grundlegende Prinzipien, wie man eine Melodie variiert, die nicht nur für die Bluegrass-Musik gültig sind. Auch die Verwendung des Dominant-Septimen-Akkords in Kapitel neun ist bei entsprechenden Akkordwechseln immer wieder gut zu verwenden. Anderes wie den Wechsel zwischen den Tonarten D- und F-Dur, der einen tieferen Eingriff in den Tonvorrat eines Stückes darstellt, wird man nur bei genau abgesprochenen Arrangements einsetzen können. Die chromatischen Doppelgriffe am Ende des knapp 50-seitigen Buches sind ein interessanter Vorschlag, aber nur mit entsprechener Fingerfertigkeit umzusetzen. So bleibt also auch der andere Teil des Untertitels zu beachten: „Ideas“ – es wird Sensibilität geweckt und eine Menge von Anregungen gegeben.
[Christian Zastrow]

Matt Glaser, Bluegrass Fiddle and Beyond - Etudes and Ideas for the Modern Fiddler. Berklee Press HL50449602, ISBN 978-0-87639-108-2, 48 S, US-$19,99 (inkl. CD).


Photo Credits: (1ff) Book Covers (from website/author/publishers).


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