FolkWorld #52 11/2013
© Walkin' T:-)M

English Book Reviews

T:-)M's Nachtwache

Trotz vieler Unterschiede kann man durchaus von einer kulturellen Einheit Lateinamerikas sprechen, die geprägt ist von der Unterwerfung der Ureinwohner durch die Europäer, vom Import der afrikanischen Arbeitskraft und der Etablierung eines kolonialen Herrschaftssystems.

Jäger: A song to take home Seit 1999 ist Kontrabassist Guido Jäger ein Mitglied des Giora Feidman Trios, und Feidman selbst [32] hat den Anstoß gegeben, 15 von Jägers Kompositionen für Bb- und C-Klarinette mit Noten und Akkordsymbolen als Beitrag einer lebendigen Klezmerkultur zu veröffentlichen. Auf der Begleit CD wurden erst alle Stücke in kompletter Besetzung, danach ohne Klarinette eingespielt. Im Vorwort schreibt der Meister: Die Schönheit seiner Melodien entspricht in wunderbarer Weise unserem tiefen Bedürfnis nach spiritueller Nahrung. Beginn von Jägers Kompositionstätigkeit als auch dieser Sammlung ist "Karolina", ursprünglich als Kinderlied gedacht und auf Feidmans "Journey" [12] verewigt, vorläufiger Abschluss "Sannas Song" vom jüngstem Album "Very Klezmer" [47]. "A Song to take home" schließlich ist der häufige Abschluss jeden Feidman-Konzerts. Standing Ovations auch von mir!
Guido Jäger, A song to take home: Klezmer - The new generation. Pianissimo PV1012, 2013, ISBN-13-42-6018404-0391, 37 S, €18,90 (inkl. CD).


Hox, Technical Basics Piano-Akkordeonist Heinz Hox will mit Technical Basics Anfängern als auch Fortgeschrittenen eine gute Spieltechnik beibringen bzw. zumindest Anregungen und Tipps zum Kräftigen der Finger, deren Unabhängigkeit und einem gleichmäßiges Spiel zu liefern. Beginnend bei einfachen Übungen für rechte und linke Hand beschäftigt er sich mit Spreizungen und gebrochene Akkorden, Dur- und Moll-Tonleitern, Terzbässen, Chromatik im Bass, Akkordzerlegungen über einen Blues oder Jazzharmonien, fünfstimmige Akkorde ... Die Übungen sollen jeweils zuerst legato eingeübt, dann rhythmischer gespielt werden, zunächst langsam, dann schneller, anschließend ist die nächste Übung dran. Eine Anzahl von Fingerübungen eignet sich deshalb auch zum Einspielen. (Siehe auch den ergänzenden Video-Clip @ Youtube!)
Heinz Hox, Technical Basics - Technische Übungen für Piano-Akkordeon (Standardbass). Holzschuh Verlag VHR 1850, 2013, ISBN 978-3-86434-016-1, 46 S, €13,80.


Stock, Meine ersten Weihnachtslieder für Akkordeon Wer den Hox durchgearbeitet hat, kann schon viel zu viel für Meine ersten Weihnachtslieder für Akkordeon, 22 populäre Titel von "A, a, a, der Winter, der ist da" bis "We Wish You A Merry Christmas". Zielgruppe sind blutige Anfänger, die Stücke bewegen sich zu Beginn im Fünftonraum und auf die Verwendung von Terzbässen wurde ganz verzichtet.
Ralf Stock, Meine ersten Weihnachtslieder für Akkordeon. Holzschuh Verlag VHR 1849, 2013, ISBN 978-3-86434-021-5, 28S, €9,80.


Schumeckers: Balkanmusik Die Kölner Komponistin und Liedermacherin Martina Schumeckers legt eine weitere Sammlung Balkanmusik mit Liedern aus der Sammlung von Henner Diederich (Ensemble Rossi) vor [43] [48]: Die 28 Titel für fortgeschrittene Anfänger führen von Armenien bis Serbien und beinhalten Wohlbekanntes wie z.B. den "Gankino Horo", betreten aber überwiegend unberührte Pfade. Es ist kein Lehrbuch, sondern eine Melodiensammlung; für Akkordeonisten gibt es allerdings Vorschläge für Phrasierung, Artikulation, Harmonik, sowie Verzierungen wie Praller und Vorschläge.
Martina Schumeckers, Balkanmusik. Holzschuh Exclusiv VHR 1783, 2013, ISBN 978-3-86434-007-9, 43 S, €14,50.


Kiermaier: Blasmusik Erfolge für Steirische Harmonika Speziell für Instrumentalisten der Steirischen Harmonika, hier fortgeschrittene Anfänger, hat Karl Kiermaier nun eine Melodiensammlung mit Titeln vorgelegt, die primär aus dem Blasmusik-Genre bekannt sind: 20 populäre Lieder (am bekanntesten und beliebtesten ist wohl "Rosamunde") sowie Instrumentalstücke (zumeist Polkas) aus den 1920er/30er Jahren als auch jüngerer Zeit. Man darf wohl sagen: Musik mit dem Urprung im Böhmischen, die ihren Bestimmungsort im Steirischen gefunden hat. Die Stücke sind in Griffschrift notiert und wurden auf der beiliegenden CD mit einer Steirischen Harmonika in GCFB-Stimmung eingespielt.
Karl Kiermaier, Blasmusik Erfolge für Steirische Harmonika. Musikverlag Preißler JP 6619, 2013, ISMN 979-0-2014-6619-4, 44 S, €19,80 (inkl. CD).


Ertl: Jede Menge Flötentöne! Auch die Nürnberger Musiklehrerin Barbara Ertl geht mit einem neuen Büchlein an den Start [48][49], diesmal mit einer Schule für Altblockflöte. Zielgruppe sind sekundär Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahren, die erste Erfahrungen mit der Blockflöte (vorzugsweise Sopran) gemacht haben, primär aber die Blockflötenlehrer. Da dem Lernerfolg eher abträglich werden keine Anweisungen und Erklärungen und auch keine Hinweise wie Atmung oder Haltung gegeben - das soll ein Lehrer in persona vermitteln -, dafür enthalten die beiden CDs jeweils die Stücke als Hör- und Mitspiel-Version ohne Flötenstimme. Die Auswahl an Liedern, Stücken und Übungen stammen häufig aus der Folklore, da die Volksmusik die wichtigsten musikalischen Grundbausteine in elementarer Form enthält: vom Menuett und Gavotte zu deutschem Liedgut ("Es führt über den Main") und Kinderliedern ("Hey, Pippi Langstrumpf"), über Jodler zu Liedern weltweit ("Sur le pont d'Avignon", "Tom Dooley").
Barbara Ertl, Jede Menge Flötentöne!- Die Schule für Altblockflöte mit Pfiff. Holzschuh VHR 3611-CD, 2013, ISBN 978-3-86434-003-1, 88 S, €24,80 (inkl. 2 CDs).


Um die Welt mit Lena und Tom Um die Welt mit Lena und Tom ist die Zusammenfassung dreier, nicht mehr aufgelegter Hefte - "Songs aus aller Welt", "Celtic Country Songs" und "Latin American Music" -, dito finden sich Stücke wie "Valssi ja kulkuri" und "Hava Nagila", "Molly Malone" und "Fiddlers Green", "El Cefiro" und "Las Mananitas". Insgesamt 28 einstimmige Lieder in erster und zweiter Lage für Anfänger auf der Gitarre und einer zweiten Stimme für fortgeschrittene Spieler (z.B. der Gitarrenlehrer). Neu ist die CD, auf der alle Titel mit beiden Stimmen zu hören sind.
Andreas Schumann, Um die Welt mit Lena und Tom - Lieder, Balladen und Folksongs aus der ganzen Welt in leichten Arrangements für 1-2 Gitarren. Bosworth BOE7644, 2013, ISBN 978-3-86543-741-9, 40 S, €12,50 (inkl. CD).


Hübner/Steitz, Gitarrespielen zur Weihnachtszeit Ein weiteres Liederheft für angehende Gitarristen ist passend zur Jahreszeit Gitarrespielen zur Weihnachtszeit. Alle Stimmen sind leicht spielbar, die Noten enthalten Melodiespiel und einfache Akkordbegleitung. Zwanzig bekannte und beliebte deutsche (z.B. "Morgen kommt der Weihnachtsmann" und "Leise rieselt der Schnee") und englische ("Jingle Bells" und "Joy to the World") Stücke sind in 2 Kapiteln angeordnet - (1) mit Begleitung im kleinen Akkordanschlag, (2) im großen Akkordanschlag - und davon elf Titel (3) als Solo-Bearbeitungen. Der Schwierigkeitsgrad steigt von Melodien in der 1. Lage, Vorzeichen kommen hinzu, bis zum Spiel auch in der 2. Lage. Wer jetzt damit anfängt, hat bis Heilig Abend die meisten Stücke drauf!
Thomas Hübner & Tilman Steitz, Gitarrespielen zur Weihnachtszeit - Liederheft für Anfänger und Fortgeschrittene. FingerPrint / Acoustic Music FP8148, 2013, ISBN 978-3-938679-93-7, 58 S, €14,90.


In einer dritten überarbeiteten Auflage liegt nun auch ein Klassiker aus dem Steirischen Volksliedwerk vor, Weihnachtslieder selber singen ... Eine Sammlung bekannter und unbekannterer Lieder zum Anstimmen zwischen erstem Advent und Lichtmesstag. Stücke wie "Is finster draußt" und "Süßer die Glocken nie klingen" sind zweistimmig gesetzt und mit Begleitakkorden versehen. Für die Steirische Harmonika ist auch ein Band in Griffschrift [46] erhältlich.
Weihnachtslieder selber singen ... Steirisches Volksliedwerk, 2013, ISBN 3-902516-24-0, 160 S, €8,50.


Songs by Ivanka Ivanova Die bulgarische Sängerin Ivanka Ivanova Pietrek, die mit der Schäl Sick Brass Band [23] [32] aus Köln gearbeitet hat, hat mehr als tausend Volkslieder aus der Pazardjik-Region gesammelt und aufgenommen. Jetzt sind verschiedene eBooks in den Sprachen Bulgarisch, Englisch und Deutsch mit Musik und Texten aus ihrem Repertoire erhältlich, die über die Jahre auf Kassetten und CDs, in Radio und TV aufgezeichnet worden sind. Die Stücke diese sind nach Genres klassifiziert; Fremdwörter und Dialekte werden erklärt. Desweiteren gibt es auch eine Einleitung in der Praxis des Bulgarischen Kehlkopfgesangs.
Ivanka Ivanova Pietrek, Die Lieder von Ivanka Ivanova - Bulgarische Volkslieder aus Pazardshiker Region. epubli, 2013, jeweils €24,99.

Was daraus folgte, war allerdings beileibe kein kulturelles Einerlei, sondern im Gegenteil der Nährboden für ein buntes Panorama stetig sich erneuernder Ausdrucksformen ... nicht zuletzt unzählige Spielarten von Musik.



Cornelius Schlicke, Salsa Rica Tango Caliente - Eine musikalische Reise durch Lateinamerika. Parthas Verlag, 2012, ISBN 978-3- 86964-065-5, 336 S, €19,90

Cornelius Schlicke, der zum Thema "Tonträgerindustrie und Vermittlung von Livemusik in Kuba" promoviert hat, hat mit Salsa Rica Tango Caliente eine Einführung in die traditionelle / populäre Musik Lateinamerikas verfasst. Er beleuchtet mehr oder minder aktuelle Stilrichtungen - Lieder, Rhythmen und Tänze, Instrumente - und nebenbei die politische Geschichte des Kontinents.

Die Reise beginnt in Kuba. "Guajira Guantanamera" ist wohl das meistkopierte kubanische Lied. Guajira kann sowohl ein Mädchen vom Land als auch eine Liedform mit ländlicher Thematik bedeuten. Das Genre mit dem charakteristischen Versschema décima (Strophen aus zehn achtsilbigen Zeilen mit der Reimform abbaaccddc) wurde zu Beginn des 20. Jhds. von professionellen Komponisten aus der volkstümlichen Musik der Tabakbauern entwickelt. Autor des Gassenhauers ist Joseíto Fernández:

Fernández wurde 1908 geboren ... Seine Mutter, eine Waschfrau, durch die er auch das Singen lieben lernte, unterstützte er früh mit harter Arbeit, mal als Zeitungs- und Losverkäufer, mal als Schuster-, Schneider- oder Friseurlehrling. Mit zwölf Jahren gründete er sein erstes Trio, mit dem er auf der Straße und bei Privatfeiern auftrat. Schließlich sang er in verschiedenen Son-Gruppen. Eine davon wurde von Alejandro Riveiro geleitet. Dieser machte den Vorschlag, die zuvor von Fernández komponierte Guantanamera-Melodie, die damals noch keinen Titel trug, als Erkennungslied der Gruppe zum Schluss der Auftritte zu spielen. Während die Strophen den jeweiligen Umständen entsprechend improvisiert wurden, passte man den Refrain dem jeweiligen Auftrittsort an - also Guajira Camagüeyana, Guajira Vueltabajera und so weiter. In Guantánamo spielte die Gruppe nie.

Wohl aber kam es in den 1930er Jahren zu ersten Radioauftritten. In dieser Zeit war Fernández mit einem Mädchen aus Guantánamo zusammen ... Als er einmal mit dem Mädchen Streit gehabt hatte und sie beleidigt von dannen gezogen war, improvisierte er im Radio einen Liebestext und sang im Refrain "Guajira Guantanamera". Das Radiopublikum war begeistert ...

Knapp zwanzig Jahre später jedoch setzte die Guantanamera zu ihrem internationalen Höhenflug an, denn am 8. Juni 1963 ließ sie der US-amerikanische Folk-Sänger Pete Seeger in der New Yorker Carnegie Hall erklingen. Als Text verwendete er ausgewählte Strophen aus den "Versos sencillos" ("Einfache/aufrichtige Verse") des in Kuba als Nationalhelden verehrten Dichters und politischen Aktivisten José Martí ...

Das erfolgreichste kubanische Musikprojekt war aber dann doch wohl der Buena Vista Social Club. Der ursprüngliche Gedanke, kubanische Musiker mit westafrikanischen zuammenzubringen, kam nicht zustande, da die beantragten Visa der afrikanischen Musiker auf dem Postweg verloren gingen. (Erst 2010 wurde die Ursprungsidee umgesetzt.)[43] Stattdessen ließen die Afro-Cuban All Stars den orchestralen son der 1950er Jahre wieder aufleben.[31][51]

Ibrahim Ferrer

"Un, Dos, Tres Soneros"

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Rumba bedeutet eigentlich - wie das keltische ceilidh - eine lockere Zusammenkunft in einer Atmosphäre fröhlicher Ausgelassenheit, bevor er einen spezifischen Paartanz bezeichnete.

In dieser Form einer für die Tanzorchester der Cabarets arrangierten Musik mit kubanischen Rhythmen, die europäische und nordamerikanische Hörgewohnheiten nicht überstrapazierten, garniert mit Texten, die in romantischer Verklärung das Leben in den solares [d.i. von Baracken umgebener Hof, auf dem sich mehrere Familien eine Kochstelle und eine Waschvorrichtung teilen] idealisierten oder klischeehafte Vorstellungen vom bunten Treiben in den Tropen bedienten, eroberte die Rumba schließlich die Welt.

Es folgt ein Abstecher nach New York. Die Geburtsstunde des Salsa - Tanz des Jahres auf dem TFF Rudolstadt 2014 - schlug nämlich am 26. August 1971 im Latin-Music-Club in Manhattan. Die Plattenfirma Fania hatte die Leiter und Sänger aus sieben Bands puerto-ricanischer Einwanderer, u.a. Hector Lavoe,[52] zu einer Supergruppe zusammengestellt. Der neue Sound war von den Traditionen der karibischen Immigranten inspiriert, zugleich aber urban, weltoffen und modern.

Südlich über die Grenze: Die mexikanischen narcocorridos nun sind volkstümliche Lieder rund um den Drogenhandel, textlich ähnlich dem Gangsta Rap, nur mit dem Akkordeon gespielten Polka- und Walzer-Rhythmen ganz anders klingend.

Auch in Kolumbien wurde Musik durch die Drogenbarone mitfinanziert, die einen Teil ihrer Gewinne in Studioaufnahmen und Konzerte investierten. Bereits im 18. Jhd. bildete sich im Nordosten des Landes die Cumbia als afrikanisch-indianisch-spanische Kultursymbiose heraus (heute wird oft die gesamte populäre Musik, die auf den Traditionen des Nordostens beruhen, unter den Begriff Cumbia subsumiert):[46]

Ihr treibender Rhythmus spornt die Fahrer der Überlandbusse zu waghalsigen Manövern auf Serpentinenstraßen an, während die Fahrgäste im lautstark stampfenden Wechselbass ihren eigenen Herzschlag zu erkennen meinen. Auf bierseligen Volksfesten wird inbrünstig mitgesungen, wenn Bands Potpourris bekannter Hits zum Besten geben, und in den Diskotheken und Clubs der Großstädte mischen DJs aus elektronisch produzierten Grooves immer wieder neue Cumbia-Varianten zusammen.

Jenseits von El Condor Pasa ...

Mauricio Velasierra

"Quena"

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Die Lebensweise der Indios und Mestizen ist heute vielfach von einer synkretistischen Weltsicht geprägt, die Elemente des Christentums mit diversen Schöpfungsmythen und kosmologischen Visionen verbindet. Ein wesentliches Prinzip ist der Dualismus, die paarweise Zuordnung aller materiellen und ideellen Phänomene, die in ihrem Zusammenwirken die Harmonie des Kosmos garantieren ... Diese dualistische Sichtweise beeinflusst auch musikalische Aspekte: Die verschiedenen Arten von Panflöten zum Beispiel werden als komplementäre Paare konstruiert, sodass sich jeweils zwei Instrumente zu einer Stimmung ergänzen. Beim Zusammenspiel übernimmt das als männlich gedachte Instrument die Führung in der Melodie, die dann vom weiblichen Gegenpart aufgegriffen wird. Längsflöten mit Kernspalt wie pinkullos oder tarkas werden traditionell während der (weiblichen) Regenzeit gespielt. Andere, ursprünglich aus Rohr gefertigte Längsflöten wie die weit verbreitete quena dominieren hingegen in der Trockenzeit.

... bildete sich eine neue Form des Protestliedes, das Nueva Canción - Neue Lied - heraus: in Chile Atahualpa Yupanqui[29] und Victor Jara,[27] in Argentinien Mercedes Sosa.[33][40]

Argentinien hat nicht nur, aber ganz besonders den Tango hervorgebracht, den traurigen Gedanken, den man tanzen kann:

Das Milieu, in dem sich der Tango gegen Ende des 19. Jahrhunderts herausbildete, war zu einem Gutteil von verarmten europäischen Einwanderern geprägt, die sich in ihrer Hoffnung auf Beteiligungam wirtschaftlichen Aufstieg Argentiniens zunächst getäuscht sahen. Ausgegrenzt aus dem Modernisierungsprozess suchten sie nach Zerstreuung und fanden diese im sinnlichen Tanz undin schlüpfrigen Texten. Mit der Zeit jedoch wurde der Tango salonfähig. Sein frivol-anzügliches Schmuddelimage wich schicksalhafter Dramatik. Ursprünglich in den Vorortslums und den Bordellen der Hafengegend angesiedelt, arbeitete er sich kurz nach der Jahrhundertwende allmählich in die Cafés der Innenstadt vor und erreichte schließlich sogar Paris - und somit die Welt.

Auch Brasilien hat musikalisch eine Menge zu bieten. Das Erbe der Sklaverei manifestiert sich in den Candomblé-Zeremonien und im Capoeira, von Musik begleiteter Kampfkunst, die möglicherweise ihren Ursprung in den quilombos genannten Siedlungen hat,[51] die entflohene Sklaven im schwer zugänglichen Hinterland errichtet haben.

In der Mitte der 1950er Jahre bildete sich im Nachtleben Rios der Bossa Nova heraus, kurz gesagt: ein Mix aus Samba und Jazz. In der venezuelanischen Steppe trifft man den joropo in der Besetzung Harfe, Maracas-Rasseln und Cuatro-Gitarre dargeboten. ("Bamboleo" der Gypsy Kings, eigentlich "Caballo viejo" (Altes Pferd) von Simón Díaz über Liebe im reifen Alter, ist ein Joropo.)

Victor Jara

"Nueva Canción - An
Uncompromising Song"


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Die vor der Küste Venezuelas gelegene Antilleninsel Trinidad ist die unumstrittene Heimat der Calypso-Musik. Und zuguterletzt endet die Reise wieder am Ausgangspunkt - beim sommerlichen Karneval in Kuba. Gemäß dem gängigen Klischee, dass Kubaner musikalisch und erfinderisch sind, werden ungewöhnliche Musikinstrumente vorgestellt, nicht nur Conga-Trommeln, Claves-Klangstäbe und Tres-Gitarren, sondern viele Unikate, die im ländlichen Kuba in Ermangelung anderer Mittel gebaut worden sind.

Fazit: Die Reise ist interessant, kurzweilig und unterhaltsam, bei der sich im besten Sinne einer Bildungsreise nicht nur hervorragend unterhalten wird, sondern man sogar noch eine ganze Menge lernen kann. Ich würde den Trip jederzeit wieder antreten.

Um tiefer in die Materie einzutauchen, findet man im Anhang Literaturlisten, auch einige CDs und Filme, sowie ein Glossar für Fachausdrücke und ergänzende Infos. Ich vermisse nur ein Personen- und Sachregister, um nicht die Reise jedesmal in Gänze unternehmen zu müssen, sondern punktuell an einen interessanten Ort springen zu können.

Angesichts der wechselvollen politischen Geschichte Lateinamerikas stellt sich immer wieder auch die Frage: wie hält es die Diktatur mit Musik und Folklore? Unter der Regierung von Juan Perón, dessen Ehefrau Evita zur Filmlegende geworden ist, wurden Volkslieder und Volkstänze stärker in den schulischen Musikunterricht integriert und eine nationale Folklore-Kommission geschaffen. Aber Atahualpa Yupanqui beispielsweise durfte nicht auftreten, seine Lieder wurden zensiert und er mehrfach inhaftiert.

Das franquistische Spanien liefert lehrreiche Lektionen.

1939 begann die weibliche Abteilung der faschistischen Partei Falange in speziellen Kursen Musiklehrerinnen auszubilden. Einige reisten anschließend in die verschiedenenen Provinzen, um in Feldarbeit beinahe vergessene Folklore-Tänze aufzuspüren.

Ihre Aufgabe war, die authentische Tänze des spanischen Volkes zu rekompilieren. Der Ausdruck recopiliar lässt sich sowohl als wieder-einsammeln als auch als neu-zusammenstellen übersetzen.

Insbesondere wurde der Versuch unternommen, die spanische Folklore zu reinigen, d.h. ent-sexualisieren und ent-vulgarisieren, sprich obszöne und derbe Elemente zu tilgen. Ein Beispiel ist der asturianische Tanz "Corri Corri":

Es nehmen sechs Frauen und ein Mann, genannt bailín, daran teil. Die Frauen tragen einen Lorbeerzweig und flüchten tanzend vor dem bailín; dieser verfolgt sie, von der einen zur anderen wechselnd und plötzlich nähern sie sich ihm, um sogleich ihre Meinung zu ändern und wieder zu flüchten ... In die Coros y Danzas-Version des Corri Corri integrierte die Sección Femenina einen Chor, der während der Verfolgung der Tänzerinnen durch den bailín "Válgame Nuestra Señora, álgame la Madre Santa" (Segne mich, Unsere Herrin, Segne mich, Heilige Mutter) sang.



C.S. Stehrenberger, Francos Tänzerinnen auf Auslands- tournee - Folklore, Nation und Geschlecht im »Colonial Encounter«. Transcript, 2013, ISBN 978-3-8376-2284-3, 340 S, €32,80

Die Tänze sollten aber auch wiederbelebt werden (revitalizar). In fast jedem Dorf wurden Folkloretanzgruppen gebildet, die die Tänze erlernten. Ab 1942 fanden regelmäßig regionale und nationale Wettbewerbe statt, die im Jahre 1960 die Teilnehmerzahl von 1572 Tanzgruppen und 23.378 Personen umfasste.

1942 besuchten Tänzerinnen in deutschen Hospitälern stationierte Soldaten der División Azul, die Franco zur Unterstützung Hitlers geschickt hatte. Ab 1948 fanden größere Expeditionen statt; die erste Überseereise ging bezeichnenderweise ins peronistische Argentinien.

Die Folkloregruppen tanzten nun für arabische Diplomaten, den Papst, Prinzessin Beatrix von Holland und Rita Hayworth. Sie traten im Londoner Stoll Theater, in Kinos, auf Airbase-Stationen, in Tennisclubs oder Pavillons auf Weltausstellungen auf.

Von 1942 bis 1975 tourten die Coros y Danzas um die Welt. Ein wesentlicher Beweggrund des international isolierten Regimes war es, das Ansehen des Franco-Staates zu verbessern und Sympathien hervorzurufen, um politische und wirtschaftliche Unterstützung zu sichern. Als Kultur-Botschafterinnen waren die Tänzerinnen der beste aller Marshallpläne!

Gleichzeitig transportierten die Tanzgruppen franquistische Wertvorstellungen wie ein konservatives, traditionelles Frauen- und Familienbild und eine spezifische Arbeitsethik:

Jede einzelne Coros y Danzas-Delegation bildete eine koordinierte, produktive, vielfältige Einheit: eine Tanzmaschine, die so funktionstüchtig war wie die Formationen, welche die SpanierInnen und GuineerInnen mit ihren Familien, an ihren Arbeitsplätzen oder als Staat bilden sollten.

Es war auch eine nach innen gerichtete Mission. Bei Spanierinnen und Spaniern, Kolonisten und Kolonialisierten, und nicht zuletzt Exilierten des Bürgerkriegs sollten Zugehörigkeitsgefühle zur (alten Heimat) erzeugt werden.

Die Folkloregruppen sollten eine wiedervereinte Nation repräsentieren, in der Sieger und Besiegte des Bürgerkriegs Arm in Arm tanzten.

Auch wenn die Mission durchaus widersprüchliche Ziele verfolgte und nicht immer im Sinne ihrer Initiatoren verlief, kann man langfristig von einer Erfolgsgeschichte reden:

Viele renommierte Folkloretanzschulen des Landes werden noch immer von ehemaligen Tänzerinnen oder ihren 'Nachfolgerinnen', sprich von Personen, die den Tanz- und Unterrrichtsstil ihrer ehemaligen Mentorinnen beibehalten haben, geleitet.

Cécile Stephanie Stehrenberger untersucht in Francos Tänzerinnen auf Auslandstournee - erstmals in diesem Umfang und mit einem neuen Blickwinkel - wie sich Politik und Kunst miteinander verschränken. Schwerpunkt sind die Jahre 1948 bis 1960, der Zeitraum der Annäherung Spaniens an die Westmächte. Speziell liegt der Fokus auf den Reisen dreier Gruppen 1954 und 1958 in die damalige spanische Kolonie Äquatorialguinea.

Ziel der Studie - Stehrenbergers Dissertation an der Universität Zürich, so dass leider kein Bildmaterial enthalten ist, um sich besser eine visuelle Vorstellung machen zu können - ist es aufzuzeigen, dass es sich bei den Reisen und Auftritten der Coros y Danzas nicht nur um Kultur, sondern auch um Politik handelte. Und vielleicht sogar um Politik in erster Linie!


Kickback City Der viel zu früh verstorbene Ausnahme-Gitarrist Rory Gallagher liebte Krimis von hard boiled-Autoren wie Raymond Chandler. Viele seiner Kompositionen wurden von ihren Geschichten und fiktiven Charakteren inspiriert: "Continental Op" z.B. ist 1:1 einem Buchtitel von Dashiell Hammett entnommen. Die besten Songs bilden nun den Soundtrack zu Ian Rankins neuer Erzählung "The Lie Factory". Comic-Zeichner Timothy Truman hat die Geschichte illustriert und Schauspieler Aidan Quinn die Hörspielfassung eingesprochen.
Kickback City. Sony Music, 2013, ISBN 978-1-908709-43-1.

1989 hat sich Skandal-Schauspieler Klaus Kinski erfolglos mit dem Stoff beschäftigt, derzeit tobt David Garrett als etwas zu hübsch geratener "Teufelsgeiger" über die Leinwände. Pünktlich zum Filmstart - jede Ähnlichkeit ist nicht beabsichtigt und rein zufällig! - erscheint Christina Geiselharts biografischer Roman Paganini - Der Teufelsgeiger.

Die Erzählung beginnt mit dem vierjährigen Niccolò, der geschickt an den Zupfinstrumenten rumfummelt, die der Vater in die ligurische Hafenstadt Genua[52] schmuggelt. Der kränkliche Sohnemann wird gefordert:

»Jeder Bettler in Italien kann die Mandoline handhaben, aber du sollst sie spielen wie kein anderer.«

Der kleine Niccolò ist aber geistig wie technisch längst weiter als der schwerfällige Alte:

»Dieses Instrument ist doch kein Acker, auf dem man pflügt, keine Straße, auf der Kutschen fahren, aber vielleicht ist es ein Meer, in dem Tiere schwimmen und das durch eine leise Bewegung des Windes aufgewühlt wird.«

Auf die Geige gekommen, spielt Paganini einerseits flink und geschickt wie der Teufel, andererseits klingen manche Melodien wie von Engeln gespielt. Ein Misanthrop, der seine Mitmenschen beeindrucken will, ruhelos, besessen, schwach auf der Brust, stark in den Lenden, wünscht er sich nichts weiter als ungestörte Konzerttourneen, während in Europa Napoleons Glücksstern steigt und fällt und um die Befreiung Italiens und die Bildung eines einheitlichen Staates gerungen wird.


»Mit Paganini ist der Violinist erst geboren. Zuvor gab es Geigenspieler. Gute, sehr gute, brillante. Und nach ihm wird es Geigenspieler geben. Das ist alles.«

»Mir ist es augenblicklich recht, dass die aristokratische Republik entstaubt wird. Was meiner Musik zugute kommt, kann nur recht sein. Einige sagen ja, ich hätte das Violinspiel revolutioniert und sowas wie mich hätte es noch nie gegeben. Ähnlich dem frischen Wind, der jetzt bläst und manches eingerostete Rad bewegt.«

So ein Kerl kommt nie wieder, jammerte einst der romantische Wiener Komponist Franz Schubert. Und Rockpoet Udo Lindenberg fügt in seinem Mini-Vorwort hinzu: Wilder Bursche. Wir wären Freunde gewesen und hätten gemeinsam 'ne grandiose Show hingelegt. Christina Geiselharts Novelle selbst ist aber kein aufgebauschter Historienschinken aktueller Machart, sondern wurde in dem unaufgeregten Stil verfasst, der einst Werke wie Franks "Cervantes" oder Feuchtwangers "Goya" ausgezeichnet hat.

Christina Geiselhart, Paganini - Der Teufelsgeiger: Musik, Mythen und ein Mordverdacht. Edition Koch, 2013, ISBN 978-3-7081-0521-5 (Ebook ISBN 978-3-7081-0522-2), 461 S, 19,99 €.


Photo Credits: (1ff) Book Covers, (14) Ibrahim Ferrer, (15) Mauricio Velasierra, (16) Victor Jara (from website/author/publishers).


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