FolkWorld #52 11/2013
© Karsten Rube

Vier Tage Sommer

TFF Rudolstadt 2013

TFF Rudolstadt
4. bis 7. Juli 2013

Italien
Flöte
RUTH 2013

I Liguriani
@ TFF 2013



TFF Rudolstadt 2012

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TFF Rudolstadt, 4.-7. Juli 2013.

So ein sattes Grün hatte ich in den vergangenen 20 Jahren im Heinepark noch nicht gesehen. Am Donnerstagnachmittag, das Tanz- und Folkfest hatte offiziell noch nicht begonnen, kann man nur freudige Erwartung erkennen und nichts deutet auf die hektische und sorgenvolle Arbeit der letzten Tage und Wochen hin, die die Ausrichtung des größten Folk- und Weltmusikfestivals in Deutschland begleitete. Heinepark Rudolstadt, 3. Juni 2013 Die Bilder, die ich Anfang Juni aus dem Saalekreis sehen musste, beängstigten mich. Die Bleichwiese, auf der Anfang Juli Hunderte Wohnwagen stehen sollten, stand knapp zwei Meter unter Wasser. Der Heinepark glich dem Amazonas-Urwald. Und selbst, als sich die Flut endlich verzogen hatte, wusste man, das schwere Gerät, die Trucks mit dem Bühnenequipment, konnten den Park nicht durchqueren, die Rigger und Veranstaltungstechniker keine Traversen aufstellen. Der Boden war zu weich und zu nass.

Doch, wie es in Show, Rock'n Roll und Theater häufig der Fall ist: wenn eigentlich alles dagegen spricht, dass man den Termin halten kann, dann klappt es am Ende doch. Es ist ein Wunder. Nein. Ist es nicht. Es ist harte und mitunter nicht ganz ungefährliche Arbeit. Ein Grund mehr, den Damen und Herren, die dieses wunderbare Festival organisieren, und den Leuten, die vom Transport bis zum fertigen Aufbau der Bühnen alles vorbereiten, zu danken. Leute, das habt ihr seit Jahren hervorragend gemacht! Und gerade dieses Mal besonders! Danke!

Donnerstag

Der Sommer steht in den Startlöchern. Noch ein kleiner Schauer am Donnerstag, ein paar Wolken und mäßig launische Temperaturen - nichts, was dem Besucher des Festivals ernsthaft Sorgen bereiten würde. Ganz gegen die Gewohnheit kann ich die Zelte dieses Mal aufbauen, ohne dabei nass zu werden. In den meisten Fällen, an die ich mich erinnere, fing es just in dem Moment, wo ich schwer bepackt das Schwimmbad erreichte und meine sieben Sachen großzügig auf der Wiese verteilte, an in Strömen zu gießen. Selten lange, aber meist lange genug. Was ist denn diesmal los? Vielleicht liegt es daran, dass ein Rudolstadtneuling aus dem befreundeten französischen Nachbarland in unserer Begleitung ist. Interessant, jemanden, der kaum weiß, was ihn erwartet, in so etwas Außergewöhnliches eintauchen zu lassen, wie das TFF.

Eintauchen ist ein guter Aufhänger. Natürlich muss ich nach dem Aufbau der Zelte ins Schwimmbecken. 19 Grad Wassertemperatur sind angeschrieben, aber eigentlich ist alles wie in jedem Jahr. Der vertrocknete Spanner, der sich aufs TFF freut wie auf Weihnachten, sitzt bereits nur mit einer Goldkette bekleidet am oberen Becken. Der TFF-Besucher badet meist nackt, ebenso die Besucherin. Was für eine Freude für unseren Dauergucker, der mittlerweile zum Festival gehört wie das Bändchen am Handgelenk. 19 Grad Wassertemperatur ist nicht gerade Mittelmeertemperatur. Der Rudolstadtneuling wagt es nach kurzem Zögern in die Fluten zu springen. Nicht ohne den Satz von sich zu geben: "Die spinnen, die Deutschen."

Heinz Voigt

Heinz Voigt

Da ist was dran, denn ohne ein bisschen Spinnerei und Traumtänzertum lässt sich so ein Festival kaum stemmen. Es ist alles bis in Detail logistisch geplant, doch man hat es hier nicht nur mit lenkbarem Publikum, sondern auch mit vielen Künstlern zu tun, und die ticken oft etwas anders. Da muss schnell was umgestellt werden, weil einer kurzfristig ausfällt, oder man wartet auf den Auftritt als Straßenband, kann aber nicht spielen, weil jemand anderes an der geplanten Stelle solch Zulauf hat, dass sich alles Weitere an dieser Stelle verschiebt. Da heißt es cool bleiben, was den meisten gut gelingt.

Ich besuche seit 20 Jahren das Festival, manche waren gut, andere besser, viele hervorragend. Dieses Jahr, so habe ich den Eindruck, ist es besonders schön. Woran liegt das? Vielleicht daran, dass ich mit zunehmender Besucherweisheit - nennen wir es mal so - verstehe, wie unmöglich es ist, alles zu sehen, was geboten wird. Einige Veranstaltungen muss man bewusst verpassen, um andere richtig genießen zu können. Wieder andere lässt man sausen, weil sie einen auch im ausführlichen Programmheft nicht überzeugen können. Normalerweise bekommt man dann hinterher mit, dass man wieder einmal etwas ganz Besonderes verpasst hat. Aber so ist Rudolstadt im Sommer des Festivals. Für alle gibt es genug zu erleben. Wer gänzlich unbefriedigt das Festival verlässt, der hat mit Sicherheit ein anderes Problem.

Das Zelt steht, der Badeschlüpfer - ja, am Donnerstag benutze ich einen - trocknet am Zeltgestänge. Am Ausgang des Schwimmbades hängt ein Schild: „Zeltplatz überfüllt“. Es ist Donnerstagnachmittag. Wann muss man in Zukunft wohl anreisen, um sicher zu sein, dass noch genug Platz ist? Mein Weg führt mich hinüber in die Stadt. An der Marktbühne wird noch gebaut. Das obere Segment der Bühne hängt auf Arbeitshöhe. Scheinwerfer werden eingerichtet, Kabel gezogen. Es bleibt noch ein ganzer Tag bis zum ersten Konzert.

Anders im Heinepark. Souad Massi eröffnet das Festival am Donnerstagabend mit dem letzten und einzigen Regenschauer dieses Festivaljahrgangs. Die Algerierin lebt seit einiger Zeit in Frankreich und wird dort als die neue Hoffnung des algerischen Liedes hofiert. Das Publikum ist guter Stimmung, steckt die paar Tropfen, die vom Himmel fallen, locker weg und feiert die Eröffnung des Festivals wie alle Lebewesen, die lange gedurstet haben. So ein Jahr kann ganz schön lang sein. Souad Massi klingt gerade aus und der Zirkus wandert weiter. Vom Ende des Parks zu seinem Anfang oder eben umgekehrt, wer weiß schon, wo alles seinen Anfang hat. Auf der Konzertbühne produzieren sich die Tiger Lillies und geben mir während des Konzertes das Gefühl, dass hier der kulturelle Tiefpunkt des Festivals, den es auch geben muss, gleich am Anfang stattfindet.

Souad Massi

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Die Unbehaglichkeitsfeiern, wie das Programmheft des TFF die Konzerte der Tiger Lillies betitelt, sind tatsächlich nicht mein Ding, und ich würde gern das tun, was man tut in Rudolstadt, wenn einem ein Konzert nicht behagt: man schlendert ohne zu Murren zum nächsten Konzert. Geht aber nicht, läuft noch nichts anderes. Also suche ich mir ein Bier am bisher einzigen, dafür umso energischer umlagerten Bierstand. Wie immer tut die Versorgungseinheit alles, um den Festivalbesucher zufriedenzustellen. Was ab Tag zwei recht zügig geht, erweist sich in der ersten Nacht noch als Stau im Flaschenhals. Gut, hier gibt es keine Flaschen, hier wird gezapft, aber ein Bedienender und zwei Zapfer werden der Menge nicht Herr, und so genieße ich das Unbehaglichkeitskonzert unbehaglich angekuschelt an einen breiten Pfandglasrückbringer vor mir, der auch nicht recht vorankommt. Es bleibt die Hoffnung, den Abend mit dem ersten Festivalbier zu retten.

Trotz dieses Einstiegs will nicht so recht schlechte Laune aufkommen. Ich bin in Rudolstadt, das Festival hat gerade begonnen, kein Grund zur Panik. Es gibt doch noch eine musikalische Alternative zum röhrenden Sänger der Tiger Lilies, dem die Schminke in Schweißbächen durchs Gesicht läuft. Im Tanzzelt spielt I Liguriani, eine Kapelle aus der kleinen italienischen Region, wie heißt die schnell, ach ja: Ligurien. Ein Hauch von Riviera tut jetzt gut. Wunderbar tanzbar, was die Leute da spielen. Auf der Tanzfläche ist so voll wie in der Traube vorm Bierwagen. Aber hier bewegt sich wenigstens was.

Das Nachtkonzert von Edward Sharpe wird mit einer Flasche Wein am Zelt genossen. Laut genug ist er ja.

Freitag

Das erste Konzert, das ich morgens höre, ist das der erwachenden Kinder. Im Nachbarzelt wird das Frühstück gekocht und ein geistig beeinträchtigtes Mädchen, das ganz in der Nähe zeltet, erklärt einem anderen Jungen, wie es mit seinem Haustier umzugehen hat. Das klingt überraschend aufmunternd, weil sich das Mädchen wohl auch wegen seiner Behinderung große Mühe gibt, sich klar und deutlich, fast überakzentuiert zu äußern. Ich wünschte, viele der weniger Beeinträchtigten würden sich auch nur ansatzweise bemühen, so deutlich zu reden. Das Genuschel, das man häufig selbst von Leuten hört, die Sprechen gelernt haben, hier schließe ich betont fröhlichen Radiomoderator ausdrücklich ein, bringt einen oft genug zum Abschalten.

Sam Lee

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Frühstück hinter der Badeanstalt. In der Vereinskneipe des Fußballvereins Rudolstadt fragt der Rühreiverkäufer die Leute ab, in welcher Liga der Verein spielt. Ich sage vorsichtshalber Bundesliga, bekomme aber trotz dieser offensichtlichen Schleimvorlage mein Frühstück nicht umsonst. Es ist voll an den Frühstückstischen. Im Gegensatz zur Sitzordnung im Restaurantbetrieb, wo ein Vierplatztisch als besetzt gilt, wenn nur eine Person dran sitzt, ist es bei diesen Frühstücksbänken ratsam, sich bei anderen Personen dazuzugesellen.

Schnell kommt man ins Gespräch, redet über die Konzerte, die man gesehen, und die, die man unbedingt nicht verpassen will, gibt Empfehlungen. Mir ist es häufiger passiert, dass ich erst beim Frühstück von einem Künstler hörte, den ich bisher noch nicht einmal im Programmheft für spannend gehalten hatte. Sam Lee ist so ein Typ. Hochgelobt, aber uninteressant - habe ich beim Durchblättern des Heftes festgestellt. Großartig - behauptet mein Frühstücksnachbar.

Am frühen Freitagabend gehe ich auf diese Empfehlung hin zur Konzertbühne und erlebe einen aufgeschlossenen, freundlichen und überaus dankbaren Sänger, der sich alter Volksweisen aus England und Schottland angenommen hat. Als Feldforscher zog er durchs Land, in die Dörfer und zu den fahrenden Leuten, fragte sie nach ihren Liedern und brachte Wunderbares zutage, das kurz vor dem Vergessen stand. Mit eigenwilliger Gesangsstilistik und überraschend rhythmischer Untermalung bestreitet Sam Lee eines der zauberhaftesten Konzerte des Festivals.

Und das, nachdem ich gerade erst ein vortreffliches Konzert auf der Heidecksburg erleben durfte. Dort sang die portugiesische Fadosängerin Carminho die Melancholie in den blau gewordenen Himmel über Rudolstadt, unterstützt von den Thüringer Symphonikern. Diese junge Sängerin schafft es bereits höchst professionell wie ein gebeugtes Mütterlein auf der Bühne zu stehen, wenn sie die Saudade ihres Volkes zelebriert. Auch ihrer Mimik kann man nichts mehr beibringen. Für diese Musik muss man zu Leiden wissen. Die Ärmste ist darin richtig gut. Die Begleitung dieser Musik mit Streichern, Bläsern und Oboe macht das Konzert, obwohl manchmal etwas aneinander vorbei arrangiert wurde, zu einem Highlight, einer dicken akustischen Sahnetorte mit Streuseln. Und 'ner Kirsche oben drauf. Samt Waffel. Und extra Sahne. Man kann das alles kaum verdauen. Und dann kommt wenig später Sam Lee und beweist, dass die einfache Suppe auch ziemlich glücklich machen kann. Was also sollte an diesem Abend noch kommen?

Carminho

Carminho

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Es kommen die Blind Boys of Alabama,[45] der Abendgottesdienst für die ganze Gemeinde. Halleluja, geht das ab. Die alten und, wie es der Name nicht verheimlicht, blinden Sänger bringen die Stimmung auf der wieder einmal überquellenden Wiese zum Kochen. Gospels sind ja dafür erfunden worden, sie möglichst gedankenlos mitzusingen. Und so tut es auch fast jeder. Als dann einer der Sänger, blind wie er ist, mit seiner Pflegekraft die Bühne verlässt und bis fast an den Tonmischplatz durchs Publikum spaziert, Hände-schüttelnd und vermutlich die Masse segnend, so genau kann ich das nicht erkennen, flippt das Publikum schier aus vor Seligkeit. Ob es danach zu spontanen Taufen kam, ist nicht verbrieft, aber denkbar. So fischt man Menschen, Herr Bischof!

Samstag

Mit Blick auf die Blind Boys und ihre Missionsarbeit führt das Frühstück am Morgen danach zu einer Religionsdebatte. Ich muss zugeben, dass sie wie so oft reichlich blasphemisch ausfällt. Ich kann wie immer keinen so großen Unterschied zwischen den verschiedenen Religionen finden und verstehe deshalb nicht, warum sie sich so in den Haaren liegen. Aber statt dass ich diese Diskussion wieder aufleben lasse, möchte ich mich im Nachhinein nur bei dem jungen Mann am Tischende für diese Diskussion entschuldigen. Er guckt etwas verstört, als wir aufbrechen. Dass die Salami, die wir uns gerad teilten, auf einem französischen Markt gekauft wurde, aus dem Baskenland stammt und dort den verkaufsfördernden Namen „Jesus“ trägt, (das stimmt tatsächlich, das kann man nachgoogeln) erwähne ich vor Ort gar nicht. Ist wohl auch besser so.

Mittags auf dem Marktplatz bei gleißender Hitze trägt man entweder die Sahara-erprobte Kopfbedeckung, Basecaps mit Nackenschleiher oder Sonnenhüte mit Provence-Erfahrung oder aber man gibt sich britisch gelassen und verfärbt sich auf Nase, Hals und Dekolleté ins Feuerrote. Ja, die Extra-Sonder-Ruth, der Preis für den schönsten Stimmungsaufheller geht in diesem Jahr an Petrus. Es gab schon Jahre mit Regen und Kälte, da hätte man den Preis an die Firma geben können, die den hiesigen Kräuterschnaps herstellt.

Aber in diesem Jahr gibt sich das Wetter alle Mühe, die man sich wünschen kann. Wenn, um die Religionsdebatte wieder aufleben zu lassen, Petrus für das Wetter verantwortlich ist, dann tut er es auch für die, die nichts mit ihm anfangen können und einfach nur baden wollen. Die Brunnen werden intensiv genutzt, das Schwimmbad ebenfalls und der Besitzer des Eisladens in der Schillerstraße hat eigentlich keinen Grund missmutig auf die nicht enden wollende Schlange vor seinem Laden zu blicken.

Habadekuk

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Auf der Bühne am Marktplatz spielt die dänische Band Habadekuk. Die hatte ich tags zuvor schon auf der Konzertbühne erlebt. Jetzt spielt diese fetzige Band, die Folk und Jazz vortrefflich zu verbinden weiß, in Begleitung mit einem Tanzensemble. Das besteht ausschließlich aus Mädchen und nennt sich Embla. Weit wehen die Röcke bei den Kreistänzen, fröhlich und ausgelassen wirken die Bewegungen bei den Mädchen, egal ob filigran oder stämmig. Wenn sich das Festival auch als Rootsfestival versteht, wie im Namen erkennbar, dann hat es hier seine Wurzeln: im Tanz zur Folklore.

Wenn man über einen langen Zeitraum immer wieder an denselben Ort gerät und im wesentlich auch immer das Gleiche macht, wie im Fall des TFF Konzerte gucken, könnte es sein, dass das für den Außenstehenden abwechslungsarm klingt. Tatsächlich gibt es etwas, das wirklich immer gleich ist: der Überraschungsmoment. Nichtsahnend von einem Ort zum anderen wandernd (das Abhetzen hab ich mir längst abgewöhnt), stolpere ich kurz vor der Kirche über eine junge Frau, die gerade eine Ukulele auspackt. Andrea Soler heißt sie und stammt aus Nordaustralien. Sie bietet mir ein Konzert an.

Ich kann nicht Nein sagen, denn ich bin gerade fast allein an dieser Stelle. Während sie ihre kleine tragbare Tontechnik zurechtfummelt und die CDs ordnet, wird es schnell voller. Solokonzerte sollten so heißen, weil der Künstler Solo spielt, und nicht, weil das Publikum aus einer einzigen Person besteht. Aber das ist beim TFF Rudolstadt etwas, das eher unvorstellbar ist. Für jeden Musiker und sei es auch nur ein zehnjähriger Musikschüler aus der Stadt, der vor einem der zahlreichen Brunnen übt, wird sich ein dankbares Publikum finden, das mit Applaus nicht geizt. Andrea Soler spielt fröhlichen Folk mit einem leichten Einschlag zum Country. Das unterhält ganz angenehm und belebt für den Gang auf die Burg.


STRAßenMUsik @ TFF Rudolstadt 2013
 

Stefan Strauinger (Spuima Novas)

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Tempi Passati

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Felix Meyer

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Dort hat sich bereits eine interessante Publikumsmischung ergeben. Junge unbefangene Festivalbesucher, die sich überraschen lassen wollen, und ältere erfahrenere Folkies treffen auf gestandene Veteranen des Ostrocks. Keimzeit gehörte zu den bekanntesten Bands während der Wende. Ausgefeilte und manchmal hinterhältige Texte zu eingängiger und tanzbarer Musik waren das Rezept der Gebrüder Leisegang aus Brandenburg. Irgendwann waren auch sie in der Bundesrepublik angekommen, spielten zwei mäßig begeisternde Alben ein und verschwanden etwas aus meinem Blickfeld. Nun stehen sie auf der großen Bühne auf der Heidecksburg in kleiner Besetzung. Keimzeit Akustik Quintett heißt es nun. Eine Art Keimzeit unplugged. Ich hatte vergessen, wie gut sie waren und immer noch sind. Die abgespeckte musikalische Variante mit der leichten Bossa Nova Note steht ihren Liedern ausgezeichnet und da, wo ich noch textsicher bin, singe ich mit. Erst als sich die junge Frau, die Anfang der Neunziger Jahre noch mit Windeln durch die Gegend sprang, umdreht und statt der Band mir applaudiert, höre ich auf.

Dotschy Reinhardt

Dotschy Reinhardt @ FolkWorld:
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Eine meiner Lieblingsbühnen ist die Burgterrasse. Ich weiß nicht genau, wieso. An der Zuschauertribüne, bei der man eher an stöhnende Tennisspielerinnen beim Turnier von Roland Garros denken muss, kann es nicht liegen. Allerdings habe ich auf der Burgterrasse über die Jahre die entspanntesten Konzerte erleben können. Auch wenn ich auf der ungeschützten Wiese manch schmerzhaften Sonnenbrand davon trug, habe ich doch nur positive Erinnerungen an diese Bühne.

Am Samstag Nachmittag erlebe ich dort Dotschy Reinhardt. Der Name ist Programm. Sie stammt aus dem berühmten Clan im Umfeld des Musikers Django Reinhardt. Ihre aktuelle CD, die sie in Rudolstadt vorstellt, beschäftigt sich mit der Wanderung und der Heimatlosigkeit ihres Volkes. Als Sinti hat sie viele Lieder gesammelt und trägt die Kultur ihres Volkes im Herzen. Als moderne junge Frau in Europa kennt sie viele andere Facetten der Musik. Es gelingt ihr mühelos, Jazz und Sintifolklore zusammenzuführen. Damit führt sie die Tradition Django Reinhardts würdig fort.

Nach dem Konzert und einer weiteren unvermeidlichen Thüringer Bratwurst mit Blick über die Dächer Rudolstadts geht es wieder bergab. An einem Brunnen unterhalb der Burg steht das Schild „Kein Trinkwasser“. Die Gruppe der Kühlungssuchenden, die auf der Suche nach Erfrischung Mützen und Tücher eintaucht, diskutiert das aus. Der Haupttenor geht dahin, dass für den örtlichen Festivalgetränkeverkauf ein Brunnen mit Trinkwasser kein guter Nachbar ist. Schon gar nicht im heißen Sommer. Das Wasser mag zwar aus dem Berg sickern, aber vielleicht verträgt es ja nicht jeder und wer kriegt dann den Ärger? Also bleibt es bei „Kein Trinkwasser“.

Cyminology

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Wir stoßen darauf mit frischem Brunnenwasser an und ziehen unserer Wege. Mein Weg führt mich auf den Neumarkt, wo Cyminology spielt. Diese Band spielt ausgefeilt guten Jazz und wird von der persisch-deutschen Sängerin Cymin Samawatie begleitet. Persische Lyrik zu kammermusikalischem Jazz hört man auch auf einem Festival wie diesem ausgesprochen selten. Leider kann ich das Konzert nicht bis zu Ende ansehen, denn REWE macht gleich zu und ich brauche noch zwei, drei Sack Crushed Ice, um die Getränke vor dem Zelt zu kühlen.

Samstag wird auf der Heidecksburg die Ruth vergeben. Das ist der deutsche Weltmusikpreis, der alljährlich beim Tanz- und Folkfest in Rudolstadt verliehen wird. In diesem Jahr gehört auch die Braunschweiger Jazz-Rap-Combo Jazzkantine zu den Preisträgern. Grund für die Nominierung der Band war ihr Volksliedprojekt. Jazzkantine hat ein paar der bekanntesten deutschen Volkslieder aufgenommen, versetzte sie mit modernen Arrangements in die Gegenwart. Jazz, Hiphop und Volkslied wurde eins und beim Konzert auf der Burg kann man deutlich erkennen, wer im Publikum noch mit Volksliedern aufwuchs und wer erschrocken die Augenbrauen hochzieht. Gefeiert wird die Jazzkantine jedoch gebührend.

Und nun Richtung Heinepark am Samstagabend. Der Weg hinunter ist schön. Die Blicke schweifen wieder über die Dächer, der Abstieg ist steil, aber gar nicht so voll wie erwartet. Erst in der Innenstadt beginnt die nun schon normale Hindernisstrecke, die vor allem dann besonders anspruchsvoll wird, wenn durch eine schmale Gasse Bollerwagen mit Kindern in einem Alter gezogen werden, in dem man längst das Gymnasium besucht.

Jazzkantine

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Samstagabend, das ist der Höhepunkt des Festivals. Wer kommen wollte, ist jetzt da. Da sich das musikalische Treiben in der Innenstadt ein wenig reduziert, sammelt sich ein großer Teil der Festivalbesucher im Heinepark. Der Weg dorthin ist am Samstag etwas kompliziert geworden. Entweder man läuft an der Bleichwiese entlang und benutzt die große Brücke, was uneingeschränkt zu empfehlen ist, oder man versucht sich mit der Bahnunterführung und der schmalen Fußgängerbrücke. Hier gibt es gewohnheitsgemäß Staus, die inzwischen von Ordnern wahlweise gelenkt oder verursacht werden. Im Nachhinein hat man sich entschlossen, die Besucherstromregelung im nächsten Jahr noch besser in den Griff bekommen zu wollen. Also noch mehr Ordner.

Auf den Wiesen und unter den Bäumen des Parks kann der Erschöpfte relaxen, mit Massage oder Wasserpfeife, Kaffee, Tee und vegetarisch korrekten Speisen. Er, Sie, Es kann aber auch an CD-Shops und Marktständen mit selbst gewirkter Kopfbedeckung, bunten Kleidern oder Messingtand etwas Geld loswerden oder einfach nur dem Gemurmel lauschen und dem Geschiebe zusehen, mit Köstritzer oder Guinness, Cola oder ernährungspolitisch akzeptableren Getränken in der Hand. Neben mir auf dem staubigen Weg läuft eine Frau, die sich für den Festivalanlass in die dafür extra gebatikten Lumpen gehüllt hat. In einer Hand hält sie ein Langos, in der anderen eine Bionade. Ihr Taschentelefon klingelt. Akrobatisch wie sie das Langos auf dem Flaschenhals balanciert, ihr Handy herausfischt und etwas unentspannt hineinruft: „Kann die Kanzlei nicht ein Wochenende ohne mich ...“

Ob das gut zu hören ist, während Daniele Sepe und seine Brigada Internatzionale, ein Beitrag des diesjährigen Themenschwerpunktes Italien, laut und politisch wird, glaube ich nicht. Weiter hinten drängt sich vor dem Weinausschank im Hof der Bauernhäuser viel Volk. Das Gelände ist etwas uneben und im Dunkeln stolpert man voran, ohne Gefahr zu laufen hinzufallen. Dazu ist es zu eng. Auf den freien Wiesen liegen vereinzelt oder gehäuft Menschen auf Decken. Kinder schlafen auf oder unter Campingdecken, Rettungsfolien oder in den zahllosen Bollerwagen, die hier noch im Weg stehen.

Die Nacht beschließt Fat Freddy's Drop aus Neuseeland ordentlich laut. Die Getränke vor dem Zelt stehen im mit Wasser und Crushed Ice gefüllten Eimer. Ich suche eine Flasche Wasser heraus. Offensichtlich hatte ich mit knapp drei Kilo Crushed Ice übertrieben. Das Mineralwasser ist gefroren. Aber wenigsten ist der Rotkäppchen-Sekt schön kalt. Der Korken knallt gegen die Zeltdecke und die Anwesenden trinken auf zwei Jahre Radio Skala.


Länderschwerpunkt Italien @ TFF Rudolstadt 2013
 

Sonadores

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Tenore Gòine di Nuoro

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Und Schwupp-Di-Wupp ist es schon ...

Sonntag

Johanna Juhola Reaktori

Johanna Juhola @ FolkWorld:
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Das erste Konzert, das ich an diesem Sonntag genieße, ist das der finnischen Akkordeonspielerin Johanna Juhola. Wieder eines dieser besonders schönen Konzerte auf der Burgterrasse. Finnischer Tango ist mir seit Jahren angenehm vertraut. Maria Kalaniemi zählt dabei zu meinen langjährigen Favoritinnen. Johanna Juhola ist eindeutig eine Schülerin der Akkordeonlehrerin an der Sibelius Akademie. Ohne erkennbare Grenzhindernisse turnt Johanna Juhola durch die verschiedenen Musikstile und verbindet den Tango mit elektronischen Spielereien und Folklore. Beim anschließenden Abstieg von der Burg treffe ich sie und ihre Band noch kurz auf ihren Instrumentenkoffern sitzend. Sie warten auf einen Transport.

Brav bedanke ich mich für das schöne Konzert und ziehe weiter. Dabei werde ich in der Innenstadt von einer Menschentraube gebremst, die um einen Sänger herumsteht. Der hat noch ein paar Musiker um sich und setzt pointierte Texte in die Welt. Felix Meyer heißt der Mann. Klar sagen die einen. Der ist doch total gut. Wer bitte ist das? Meine Frage verstört. Wie kann ich den nicht kennen? Nun, jetzt kenne ich ihn und frage mich, wie konnte ich den nicht kennen, so gut, wie der ist? Auch das ist Rudolstadt: man stolpert völlig fasziniert über Neuheiten, die für andere längst alte Hüte sind.

Weil man an einem heißen Tag noch einmal baden gehen will und auch das Zelt verstaut werden muss, entgehen mir wieder ein paar Konzerte, und das für mich letzte ist das der brasilianischen Jazzband Bixiga 70. Die Truppe hat sich stilistisch dem Afrofunk eines Fela Kuti verschrieben, besitzt aber unüberhörbar brasilianisches Temperament. Sie macht nicht nur Dampf, sondern wirbelt auch ordentlich Staub auf. Die Wiesen des Heineparks haben mittlerweile jegliche grüne Farbe verloren. Vor der großen Bühne ist genaugenommen nicht mal mehr Wiese.

So wie der in die Jahre gekommene Jüngling vor mir - barfuß, langes verschwitztes Haar mit deutlicher Neigung zur Lichtung, kurzes Turnhemd und Schlabberhose – auf und ab hüpft und dabei im unorthodoxen Tanzstil eines begnadeten Rumpelstilzchen aufstampft und die Arme hochwirft, auf dass die Achseln atmen, ist es auch kein Wunder. Auch hier zeigt sich ein für Rudolstadt typischer Moment, der am vierten Festivaltag eher olfaktorischer Natur ist. Es riecht nicht mehr nach frischer Backware, sondern nach altem Schweiß. Abgekämpft und dennoch bis zum Ende mit Spaß dabei bleiben, daran erkennt man den Festivalprofi.

Johanna Juhola Reaktori

Bixiga 70 macht es mir schwer, mich vom Festivalgeschehen zu verabschieden. Es hat mir wieder einmal gefallen. Nein! Ich war wieder begeistert. Wie jedes Jahr habe ich hauptsächlich fröhliche Gesichter gesehen, viel Spaß gehabt und von schlechter Laune nichts gespürt. Zwar scheint sich nicht jeder auf dem Fest nur zu amüsieren, wie bei einigen Forumsbeiträgen auf der Website des TFF zu lesen ist, aber dafür treffen wohl auch zu viele unterschiedliche Menschen aufeinander.

Grundsätzlich besuchen die vielen Heranreisenden und Einheimischen das Festival, weil es Musik zu hören gibt, die weit über den Tellerrand kommerzieller Senderinteressen hinausschaut. Das TFF Rudolstadt ist ein Ort, um neue musikalische Impulse zu finden und um zur Halbzeit des Jahres Energie zu tanken. Für jeden der Besucher ist das Tanz- und Folkfest eine persönliche Erfahrung in der Menge. So ziemlich jeder erlebt sein eigenes Festival. Was für den einen mäßig sein mag, kann für den anderen das schönste Erlebnis des Jahres sein.

Für den TFF-Neuling gibt es am Ende nur eine logische Frage: „Wann findet das TFF nächstes Jahr statt?“ Ich verrate es schon mal: Vom 3. bis 6. Juli 2014.


Das TFF Rudolstadt ist das größte Folk-Roots-Weltmusik-Festival Deutschlands. 2014 geht es vom 3. bis 6. Juli über die mehr als 20 Bühnen. Neben Musikern aus aller Welt wird es den Länderschwerpunkt TANSANIA und die Konzerte rund um das magische Instrument BASS geben. Außerdem gibt es wieder einmal einen Tanz des Jahres; passend zur Fußball-WM wird es der Samba sein.


Photo Credits: (1) TFF Logo 2013 (by TFF Rudolstadt); (2) Heinepark Rudolstadt, 3. Juni 2013 (unknown); (3) Heinz Voigt, (4) Souad Massi, (5) Sam Lee, (6) Carminho, (9) Stefan Strauinger (Spuima Novas), (10) Tempi Passati, (11) Felix Meyer, (12) CaroKisteKontrabass (16) I Liguriani, (17) Daniele Sepe & Brigada Internazionale, (18) Sonadores, (19) Tenore Gòine di Nuoro (by Walkin' Tom); (7) Habadekuk, (8) Andrea Soler, (13) Dotschy Reinhardt, (14) Cyminology, (15) Jazzkantine, (20)-(21) Johanna Juhola Reaktori (by Karsten Rube).


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