FolkWorld Live Review von Walkin' T:-)M, Juli 2004:
Donnerstag, 12:00. High Noon - Stunde der Entscheidung. Dabei ist die Entscheidung schon seit Monaten gefallen. Wie in den vergangenen Jahren geht es nach Thüringen, zum Tanz- und Folkfestival Rudolstadt, um drei tolle Tage mit Folk-, Welt- und sonstiger Musik zu verbringen.
12:10.
Die ersten Regentropfen fallen. Vermutlich damit auch nur die wirklich
wahren Folk-Enthusiasten kommen. Dabei ist das diesjährige Schwerpunktland
doch nicht England, sondern Griechenland. Eine in mehrfacher Hinsicht
treffliche Wahl. Einst ließ sich der Rudolstädter Fürstenhof von der griechischen
Antike und der Ilias begeistern, heute ist es der Troja-Blockbuster im Kino.
20:30.
Fußball-Europameisterschaft: Griechenland spielt gegen Tschechien. Das einzige
griechische Restaurant der Stadt besitzt allerdings keinen Fernseher, so dass
Fußballfans sich anderweitig umsehen müssen.
Oben auf der Heidecksburg gibt es zur selben Zeit das Warm-Up-Konzert des Festivals,
eine Pop-Ikone und some wannabes. Der kleinste gemeinsame Nenner von Pop und
Folk scheint wohl die Akustikgitarre zu sein. Alles nicht weiter der Rede wert.
Auf der bemalten Leinwand über der Bühne reissen ein Zentaur und das Flügelross Pegasus
das TFF-Logo auseinander und im Publikum wird über die Bedeutung dessen debattiert.
Bevor die Füße einschlafen, gehe ich lieber auf den Markt, um in den Soundcheck
für das morgige Magic Zither-Konzert reinzuriechen.
Freitag, 15:30. Nach einem Spaziergang zum nahegelegenen Marienturm
mit einem herrlichem Blick auf Rudolstadt - ich habe damit zufällig auch die
Nobelunterkunft für einige der Musiker gefunden - erwacht das Leben im Ort.
Klaus der Geiger (-> FW#26)
belustigt in Begleitung von zwei Gitarristen und einer weiteren Fiedlerin durch
seine garstigen Gesänge. Rio Reisers "Land
in Sicht" mag sich vielleicht auf den permanenten Wechsel zwischen Regenschirm
und Sonnenbrille beziehen, oder einfach darauf, dass der offizielle Beginn des
TFF naht. Ein vielversprechender Auftakt allemal.
21:00.
Auf der großen Bühne im Heinepark posiert Fink.
Die Hamburger Band wird von den Kulturteilen der überregionalen Tageszeitungen gepriesen,
sie seien nämlich angetreten, schlaue Texte und Folk-Instrumentarium, Laptop
und Steel-Guitar miteinander zu versöhnen (und ich sage jetzt besser nicht, wer
diesen Unsinn verzapft hat).
Aber Fink hat mit Countrymusik etwa so viel zu tun wie Ivan Rebroff mit Punk,
ausser man glaubt, es gebe keine andere Musik, die Pedal-Steel und Five-String-Banjo
benutzen dürfe. Mit dem Banjo erinnert das Ganze etwas
an 16 Horsepower - ohne die Power.
Im Grunde handelt es sich um stinknormale Rockmusik in Slow- und Mid-Tempo
(ein bißchen wie Stoppok für Arme ->
FW#21),
dazu obskure Texte aus der Reimmaschine.
Das Publikum verlangt ein Standgericht, singt Frontmann Nils Koppruch.
Wo er recht hat, hat er recht.
01:00. The Hooters haben
sich eigentlich schon vor einem Jahrzehnt aufgelöst, aber wie das halt immer
so ist mit diesen Rock-Sauriern. Da bekommen Titel wie "All You Zombies" und
"Graveyard Waltz" eine ganz neue Bedeutung und das Keyboard wird vor dem Konzert
fachgerecht abgestaubt. Geld kann es nicht sein, das das Quintett aus Philadelphia
wieder auf die Bühne getrieben hat, denn Frontmänner Eric Bazilian und Rob Hyman
können sich auf einer langen Reihe von Hits ausruhen (u.a. Joan Osbornes "One
of Us", das auch von Stoppok & Worthy gecovert worden ist -> FW#16).
Die Hooters spielen keinen Folkrock im klassischen Sinn, aber tanzbare Rockmusik
mit folkloristischen Untertönen. Und das nicht nur durch den Einsatz von Mandoline,
Akkordeon und der Melodika, die der Band ihren Namen gegeben hat. (In der Tat
war auf dem Live-Abschieds-Album von 1993 Fiddlerin Mindy
Jostyn zu Gast und sie spielten auch ein paar Fairport-Jigs'n'Reels.)
Alles
in allem ein großartiges Rockkonzert. Die bejahrten Hadern haben ihre Frische
noch nicht verloren und mit "500 Miles" wird auch eine Folkhymne angestimmt
- wenn auch im Reggae-Rhythmus.
Samstag, 15:00. Wer es jetzt originell haben will, ein verrückter Finne
spielt auf der Singenden Säge bekannte Melodien: I did it my way... Auf
der Heidecksburg jedoch tritt der wohl bedeutendste Künstler des diesjährigen
Festivals auf: Der New Yorker Trompeter Frank
London ist einer der Pioniere des US-amerikanischen Klezmer-Revivals
(siehe auch T:-)M's Night Shift in dieser FW-Ausgabe):
Mit der Klezmer Conservatory Band
spielte er die Klezmermusik der 1920/30er-Jahre; die Klezmatics
brachten die Musik in die Jazz- und Rock-Clubs; Hasidic
New Wave verband die chassidische Tradition und Gebetsmelodien mit Funk
und Free-Jazz. Frank London's Klezmer
Brass All-Stars (-> FW#23) will
nun den Geist und die Musik von "Di Shikere Kapelye" wiederbeleben, der trunkenen
Kapelle. Die All-Stars wollen ein paar alte Notenblätter dieser osteuropäischen
Dorf-Blaskapelle des 19. Jhd. im Keller einer Taverne in Minsk gefunden haben.
Aber es ist alles fake, erfunden wurde die Geschichte, um sich über
den Authentizitätsanspruch, den manche Klezmer-Musiker heute vor sich hertragen,
lustig zu machen. Mit Fingerzeigen gebietet Frank London über zwei Trompeten,
zwei Posaunen, Tuba, Klarinette und Schlagzeug. Es mag Dorfmusik sein,
die aber in den Häuserschluchten Amerikas urbanisiert worden ist: Melancholische
Stücke, temporeiche Tänze und eingeklesmerte Rolling Stones-Songs, die Klezmer
mit Zigeuner- und orientalischer Musik und Jazz verschmelzen. Wie es heisst:
Tough enough to knock down the walls of Jericho, energetic enough to build
the Tower of Babel again. (Später gibt es noch einen gemeinsamen Auftritt
der Band mit dem Boban
Markovic Orkestar -> FW#23.)
18:00. Auf der Burgterrasse unter dem Bild, auf dem das TFF-Logo von
einer dorischen Säule überrollt wird, geht es so grenzwertig wie das
Wetter zu. Matt Seattle
kommt aus der Grenzregion Schottlands und Nordenglands und spielt die Border
Pipes, den mit dem Ellbogen und Blasebalg gespielten Dudelsack, ähnlich
den irischen Uilleann Pipes (-> FW#26),
den Scottish Lowland Pipes (-> FW#16)
und den Northumbrian Pipes (-> FW#10,
FW#15). Im Gegensatz zu den martialischen
Highland Pipes (-> FW#14, FW#16,
FW#20) ein wohlklingenderes Hausinstrument.
Seine Ceilidh-Band hat Matt zu Hause gelassen, zusammen mit einem Streichquartett,
den "Eildon Strings", zelebriert er lyrische Volkskammermusik. Die
geruhsamen Slow Airs laden zum Verweilen ein und sind regelrecht entspannend
nach all dem ganzen und noch vor einem liegenden Schweißtreiben.
20:30. Ein Regenbogen kündigt RUTH
an, den Deutschen Folk&Weltmusikpreis (-> FW#28).
Selbst die Kulturseite meiner Provinzzeitung hat vermerkt, dass der chinesische
Sheng-Spieler Wu
Wei (-> FW#28) mit der Globalen
RUTH ausgezeichnet worden ist. Die Deutsche RUTH geht an den schnellen
2/4-Takt von Hiss (-> FW#18,
FW#20, FW#28).
Die Hausband im Bordell "Zum Kleinen Tod" - ein Text, den das kleine
Mädchen hinter mir fehlerlos mitsingen kann - hat die ganze Welt bereist,
ich kenn die Tropen und das Eis, hab von der Heimat mich entfernt und auf die
harte Tour gelernt, dass keiner so wie ich die Polka spielt, und bietet
ein Polka-Potpouri aus aller Welt dar. Front-Akkordeon-Mann Stephan Hiss (->
FW#25) führt mit trockenen Kommentaren
durch das - abgesehen von zwei Titeln - neue Programm. Persönlich finde ich
ja, dass die eigentliche Stärke der schwäbischen Polka-Rocker eher die Eigenkompositionen
mit den sarkastischen bis zynischen Texten sind als die neuen Cover-Stücke.
Was an Musikalität gewonnen wird - wahrscheinlich gab es die RUTH für den Blick
über den deutschen Tellerrand -, verlieren die fünf Herren und eine Dame
ein wenig an Biss.
24:00.
Hiss = Stuttgart, Stuttgart = Daimler-Benz. Das ostdeutsche Gegenstück wurde
ja nicht weit entfernt von hier gefertigt.
Dieser Traband ist allerdings
eine Band aus Tschechien und weitaus rasanter als das sozialistische Gefährt,
aber auch weitaus schnittiger als die schwäbische Luxuskarosse.
Die Brass-Band, bestehend aus Trompete und Tuba
plus Akkordeon, Banjo und Schlagzeug, mixt Zigeunermusik und Klezmer
mit punkigem Rock'n'Roll. Das Publikum tanzt Pogo zu den Ska-Rhythmen und es
herrscht eine fabelhafte Atmosphäre bis weit aus dem Konzertzelt in den Heinepark hinaus.
01:00.
Im Tanzzelt gegenüber wird man doch noch einmal daran erinnert, wofür das "T" und "F"
im TFF stehen (manchmal kann man ja schon ins Grübeln kommen).
Dikanda
ist ein afrikanisches Wort für Familie, die Band kommt aus Polen,
gespielt wird Musik aus Mazedonien und Rumänien. Und zwar hervorragend.
Dies bietet Gelegenheit, den Tanz des Jahres anzutesten, was da wären
Reigen- und Kettentänze.
02:00.
Das absolute Highlight des gesamten Wochenendes schließt die Samstagnacht ab.
Die preisgekrönte dänische Band Instinkt
(-> FW#24) hat ihre musikalischen Wurzeln
in einigen der bedeutendsten Gruppen des Folk-Revivals im Staate Dänemark: "Kætter
Kvartet" (-> FW#8, FW#18),
"Sorten Muld" (-> FW#8), u.v.a. Das Quintett
kombiniert nordische Musik mit - ja vielleicht kann man dies so nennen - keltischen
Einflüssen zu einem stampfenden Beat. Zwei Geigen und eine Bratsche (gelegentlich
Flöte und Drehleier), Bass und Schlagzeug treiben den "Rudolstadt-Express" voran,
wie eines der Stücke heisst. Eine andere Melodie trägt den Titel: "Jemand, der
merkwürdig tanzt und sich nichts daraus macht, was die anderen denken." Und
genauso isses.
Sonntag, 13:00.
In der Nacht soll in einigen Schaustellerbüdchen eingebrochen und eine Harfe aus
der Instrumentengasse entwendet worden sein. Folkies sind auch nicht mehr das,
was sie mal waren. Das Wetter lädt dazu ein, durch die Straßen zu bummeln und
den Straßenmusikanten zu lauschen. Wie immer viele Neo-Kelten, aber warum auch nicht. Schließlich sind die alten Kelten bis zum Rennsteig gekommen,
dem alten Grenzweg auf dem Kamm/Höhen des Thüringer Waldes (kelt. raino: Hügel),
im offiziellen TFF-Programm findet man all die erstklassigen Bands aus Irland mittlerweile
gar nicht mehr und es regt sich ja auch niemand darüber auf, dass eine polnische
Band mit afrikanischem Namen Balkanmusik spielt. Die Straßenmusikanten
spielen alles von Medieval-Blackgrass-Bluesfolk bis zu Low-Tech-Tanzmusik;
es mischen sich aber auch Leute wie
Wilfried Mengs und
Rik Palieri
unter das Volk (-> FW#26).
15:30. Ah ja, dann gibt es aber doch noch eine junge Engländerin, die
sich an irischem und britischem Folk und Trad versucht. Leider ohne ihre Band,
trägt
Belinda "Bill" Jones (->
FW#23, FW#25,
FW#26). traditionelle Balladen (z.B.
"Handsome Cabin Boy"), teils zu neuen Melodien ("Tam Lin"), aber auch aktuelles
Liedgut (Anne Hills) und Eigenschöpfungen vor. Sie begleitet sich selbst auf
Piano und Akkordeon und spielt zudem ein Set Slip-Jigs auf der Tin Whistle.
Bills Gesang ist herausragend und für mich eine der großen Entdeckungen der
letzten Zeit. Und auch wenn Bills Lieder von women making men miserable
handeln, geht es an diesem Nachmittag niemandem schlecht und niemand fühlt sich
unbefriedigt.
16:30.
Die Polizeiverordnung für Thüringen aus dem Jahre 1589 sah vor, dass Zigeunern Hab
und Gut weggenommen und sie samt Weib und Kind ausser Landes getrieben werden konnten.
Heutzutage werden sie gelitten (zumindest wenn es sich um Musikanten handelt).
Das Multikulti-Ensemble und RUTH-Newcomer
Yalla Babo Express Orchestra (->
FW#28) vereinigt Musiker aus der Türkei,
dem Iran und deutschsprachigen Landen. Im Zentrum befinden sich Atilla Öztürk (Klarinette)
und Davoud Nourdanesh (Darbuka, Davul, etc.). Drumherum
versammle man noch einige deutsche und österreichische MitstreiterInnen und noch
einiges mehr an exotischen Instrumenten. Die sieben Musiker haben sich traditionelle
Musikformen angeeignet, deren Wurzeln vom Mittelmeer bis zum Indischen Ozean reichen.
Hauptsache, man kann dazu tanzen. Und das wird auch lebhaft getan, obwohl dadurch,
dass die meisten Musiker im Sitzen spielen, das Publikum dynamischer wirkt als die Band.
Jedenfalls ein befriedigender Ausklang. Leider geht es jetzt wieder Richtung Heimat
und ich kann nur hoffen, für ein Jahr genug Energie getankt zu haben.
23:00. Griechenland ist Fußball-Europameister.
Photos by Walkin' T:-)M
(Nr. 1, 2, 4, 6); Dorthe Lübbert (Nr. 3); The Mollis (Nr. 5): (1) Rudolstadt;
(2) Klaus der Geiger; (3) Frank London Band; (4) Hiss; (5) Instinkt; (6) Bill
Jones
Die TFFs der vergangenen Jahre:
2003,
2002a,
2002b
2001a,
2001b,
2001c,
2000a,
2000b,
2000c,
2000d,
1999a,
1999b.
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Wenn es eine Musik aus Griechenland [-> FW#9,
FW#15, FW#21,
FW#26, FW#27,
FW#27, FW#28]
gibt, die der gemeine Ausländer kennt, dann ist es Rembetiko [->
FW#26].
Eine orientalisch-raue städtische Musik [mit] leicht morbiden, aber immer
seelenvollen Songs von Liebe, Drogen, Gefängnis und Tod. Früher waren die
Instrumente des Epirusgebirges die Zurna und der Dudelsack, doch wurden beide
seit etwa 1853 durch die Klarinette verdrängt. Die wahren Virtuosen sind fast
ausschließlich Zigeunermusiker, und alle Musiker sind Meister der Improvisation.
Die kleinen kretischen Ensembles bestehen meist aus einem Lira- und ein bis
zwei Lautenspielern. Der Grieche ist sich selbst genug (zumindest kulturell).
Westliche Weltmusiktendenzen finden sich nur als Spurenelemente. Es ist
überwiegend Musik zum Zuhören und Sich-Einlassen. (G. Friedrich)
Ursprünglich leitet sich der Begriff vom griechischen
kithára ab. Erst im 18. Jhd. wurde das Wort Zither [-> FW#11,
FW#14] für die aus dem mittelalterlichen
Scheitholz entwickelten ostalpinen Gebirgszithern angewendet. Von dort aus breitete
sich der Begriff aus und wurde bald für alle einfachen, nicht zusammengesetzten
Saiteninstrumente benutzt. In Europa haben sich in erster Linie zwei Formen
der Zitherinstrumente durchgesetzt: die Kasten- und die Griffbrettzither. Die
Kastenzither findet man vor allem in Nord- und Osteuropa. Ihr bekanntester Vertreter
ist wohl die finnische Kantele [-> FW#4,
FW#29, FW#18].
Die
Griffbrettzither besitzt neben den frei schwingenden Saiten auch ein auf die
Decke aufgeleimtes Griffbrett mit Saiten, die man mit den Fingern verkürzen
kann. Im 19. Jhd. hat sich die Zither im gesamten deutschsprachigen Raum stürmisch
verbreitet: Das Lokal von Johannes Petzmayers Vater war als Ausflugslokal des
Wiener Adels beliebt. So wurde man auf Johannes Petzmayer aufmerksam, der dort
die Gäste auf der Zither unterhielt. Herzog Max in Bayern wurde schließlich
Petzmayers berühmtester Schüler. Auch seine Lieblingstochter Sissi spielte Zither:
Durch sie wurde es für viel höhere Töchter zur Selbstverständlichkeit,
dieses Instrument zu erlernen. In den Appalachen, einem der ersten Siedlungsgebiete
an der amerikanischen Ostküste, wurde der Dulcimer entwickelt, der zu einem
beliebten Volksinstrument bis in unsere Zeit hinein wurde [-> FW#21,
FW#22]. (W. Meyering -> FW#28)
Tänze, bei denen eine Gruppe von Tanzenden eine Kette
bildet, bezeichnet man als Reigen- oder Kettentänze. Ganz besonders der
Kreisform wird ein hohes Alter zugeschrieben; sie ist in vielen Völkern in Verbindung
zu bringen mit außermusikalischen und -tänzerischen Funktionen und hatte oft
eine hohe Symbolkraft. Der Reigen, in langen Reihen ode in Kreisform getanzt,
war die wichtigste Tanzform der griechischen und römischen Antike. In vielen
westeuropäischen Ländern sind die alten Kettentänze von unterschiedlichen Paartanzformen
verdrängt worden, während sie in den südosteuropäischen Ländern noch immer das
Haupttanzrepertoire bilden. Das hängt auch mit dem sozialen Verhaltenskanon
in den einzelnen Gesellschaften zusammen: Solange z.B. ein Taschentuch dafür
sorgen muss, dass ein Mann beim Tanzen eine Frau nicht berührt, solange können
auch keine Paartänze mit engem Körperkontakt akzeptiert werden. Schwerpunkte
der Verbreitung von Kettentänzen sind heute einzelne Gebiete in Polen, wenige
in Tschechien und Mähren, in der Slowakei, im Norden und Süden Ungarns, vor
allem aber in den Balkanstaaten Rumänien, Bulgarien, Albanien, Griechenland
und im ehemaligen Jugoslawien. Die Bretagne hat sich ein Tanzrepertoire bewahrt,
das ganz eigene, charakteristische Mermale besitzt. Richtig getanzt, vermitteln
diese Kreistänze den Mittanzenden eine Intensität, die durchaus noch den magischen
Kreis erahnen lässt. (M. Bröcker)
Zum Inhalt der FolkWorld Nr. 29
© The Mollis - Editors
of FolkWorld; Published 09/2004
Layout & Idea of FolkWorld © The
Mollis - Editors of FolkWorld