FolkWorld #48 07/2012

CD & DVD Reviews

Karen Ryan "The Coast Road"
Cló Iar-Chonnacht, 2012

English CD Review

www.karenryan.net

Seit den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich mit der Massenimmigration aus allen Teilen Irlands nach London ein spezieller Stil traditioneller irischer Musik entwickelt. Mit aus Mayo und Connemara stammenden Eltern, gestählt in der dynamischen Londoner Irish-Session-Szene, als Mitglied des Sextetts London Lasses,[31][43] Musiklehrerin am London Irish Centre und neuerdings auch Direktorin des Return to Camden Town Festivals[44] steht die Geigerin Karen Ryan nicht nur im musikalischen Zentrum der irischen Diaspora in London, sondern trägt überdies auf mannigfaltige Weise dazu bei, die Fackel weiterzureichen.
Auf ihrem Solodebüt ist Karen quasi an der irischen Westküste unterwegs. Sie hat ihre Favoriten ausgewählt - viele Tunes hat sie von ihrem Lehrer, dem Akkordeonisten Tommy Maguire gelernt -, darunter auch drei Slip-Jigs aus eigener Feder. Die meisten Titel spielt sie einzig begleitet von ihrem Ehemann und London Lasses-Mitglied Pete Quinn am Klavier, gelegentlich begleitet von Conor Doherty auf der Gitarre. Hohes spielerisches Niveau von Anfang bis Ende, Karens Geigenspiel ist flüssig, aber auch rhythmisch und ausdrucksstark. Einmal greift sie zum Banjo und einmal zur Whistle (auf dem ihrer Band namensgebenden Reel "The London Lasses"). Zum Schluss hat sie ein paar Gäste eingeladen, nämlich ihre Cousins Gary (Akkordeon) und Colman Connolly (Uilleann Pipes),[34] und bei "Tim O’Leary’s Waltz" spielt sie dreistimmig mit den beiden Geigerinnen Teresa Connolly und Elaine Conwell, mit denen Karen seit ihrer Kindheit zusammenspielt und 1985 den Trio-Wettbewerb des All-Ireland Fleadh gewonnen hat. Außerdem lässt sie, Abwechslung muss sein, ihre Tante Nancy McEvaddy das alte gälische Lied "An Droighneán Donn" singen.
© Walkin' T:-)M


Rura "Break It Up"
Greentrax Recordings, 2012

English CD Review

www.ruramusic.com

Hört man sich um, so wird das noch junge schottische Quintett Rura als einer der Newcomer in der schottischen Trad-Szene gefeiert. Im vergangenen Jahr gewannen sie sowohl den angesehenen Danny Kyle Award auf dem Glasgower Celtic Connections Festival als auch Best Up And Coming Artist bei den Scots Trad Music Awards. Ob man dem zustimmen kann, muss jeder für sich selbst entscheiden. Jedenfalls gehen sie - das sind Bagpiper Steven Blake, Fiddler Jack Smedley, Flötist David Foley und Gitarrist Chris Wade - auf ihrem von Aidan O’Rourke[39] produzierten Debüt "Break It Up" von Beginn an richtig zur Sache und rocken los. Ganz stark die Reels "The Bird's Nest" und das von David Foley geschriebene "Mike Foley's Bodhran Problems", als auch "The New Yorker" aus der Feder von Nuala Kennedy.[47] Wenn auch das Niveau in Folge nicht immer ganz aufrecht erhalten werden kann, obwohl doch die Tunes von Martyn Bennett, Liz Carroll, Chris Stout, Seamus Egan oder John McSherry das Zeug dazu hätten. "A Bottle Of Vodka, Twenty Marlboro Reds And £50" ist so konfus wie der Titel. Mit Adam Holmes hat sich Rura ihren Singer-Songwriter gefunden. Zwei Stücke von Holmes und Murray Attaways "Allegory" sind belanglose Popsongs. Hier muss sich auch noch was tun, damit aus Talent und Verheißung eine runde Sache wird.
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More Maids "III"
Eigenverlag, 2011

www.moremaids.de

Nun ist es auch schon beinahe zwei Dekaden her, dass sich das Damentrio More Maids anlässlich der Harlekinade des Folkclubs Ludwigshafen gegründet hat.[4][8][18][24] In dieser Zeit ist viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen, Geigerin Gudrun Walther hat sich mit Deitsch, Cara und Litha[48] davongemacht, die Münchnerin Barbara Hintermeier hat neben Barbara Coerdt (Gesang, Bouzouki) und Marion Fluck (Flöte, und neuerdings auch Akkordeon) Platz genommen. Bildlich gesprochen, denn nur unverbesserliche Spaßbremsen können bei der Musik der drei Maiden hocken bleiben und einzig mit dem Fuß wippen. Mir gefallen ganz besonders die Instrumental-Sets, wie z.B. der Altan-Reel "The Cat that Ate the Candle" oder der alte Bothy Band-Slide "This is my Love do you Like Her?", und nicht ganz so abgedroschen ein Highland aus der Feder von Neil Gow und der Marsch "Welcome home Grainne". Die Lieder sind zwar ebenso vielfältig und interessant, Barbara Coerdt verfügt über eine angenehme Stimme und der dreistimmige Satzgesang ist tadellos, aber irgendwie fehlt mir doch der Kick ein bißchen. Die Auswahl umfasst bekannte irische und schottische Lieder wie "Siúil a Ruin", "Fine Flowers in the Valley" und "The Next Market Day" (aka "Maid Went to Comber"). Neues kann man mit Sean McCarthys "Ho-Ro My Johnny" und das vom ehemaligen Battlefield Band-Geiger John McCusker neu vertonte "The Shepherd Lad" entdecken. Ex-Maiden Gudrun Walther hat dem letzteren Lied einen Tune beigesteuert, sie spielt als Gastmusikerin mit genauso wie Jürgen Treyz (Guitarre, Bass) und Michaela Grüß (Bodhrán).[44]
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Lilt "Onward"
Lockhouse Records, 2011

English CD Review

www.liltirishmusic.com

Das Irish-Trad-Duo mit dem wunderschönen Namen Lilt besteht aus der deutschen Flötistin Tina Eck und dem amerikanischen Bouzouki- und Banjospieler Keith Carr, beide in Washington DC ansässig. Mit Gästen aus der lokalen Irish-Session-Szene (Geige, Cello, Bodhran) haben sie ein Album eingespielt, dass ihrem Bandnamen alle Ehre macht: schwungvoll, lebhaft, temperamentvoll. Das Repertoire besteht aus traditioneller irischer Instrumentalmusik überwiegend bekannten Ursprungs; die beiden haben aber auch ein paar alte Hadern aus der Versenkung geholt, wie z.B. der Reel "Considine's Grove", den man schon in O'Neill's finden kann, der aber offenbar keine große Verbreitung gefunden hat, oder Liz Carrolls "Ornery Upright" und Colin Farrells "Trip To Miriam’s", um nur zwei Tunes neueren Datums zu nennen.
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Johannes Schiefner "Watergrasshill"
Leiselaut, 2012

www.myspace.com/johannesschiefner

Watergrasshill (irisch: Cnocan na Biolrai) ist ein kleines Örtchen im irischen County Cork und gleichzeitig der große Wurf für den Krefelder Uilleann Piper Johannes Schiefner, der sich seit rund 25 Jahren mit dem Spiel des irischen Dudelsacks beschäftigt und bekannt ist von den dahingeschiedenen deutschen Irish Folk Bands Limerick Junction und Friel's Kitchen,[23] sowie neuerdings mit dem Quartett Whisht!.[35]
Sein "Solo"album - das er mit zwei Dutzend Musikanten verwirklicht hat, u.a. Franziska Urton (Geige),[34] Jens Kommnick (Cello),[37] und Rolf Wagels (Bodhrán)[46] - ist ein modernes Crossover-Projekt: Schiefners Leo Rowsome-Set von 1928 und ein modernes B-Set von Andreas Rogge treffen auf Synthesizer aus der Pionierzeit der elektronischen Musik, irische Tunes auf psychedelische Arrangements. Es gibt alte Melodien, etwa der 3/2-Hornpipe "Downfall of the Gin" aus der "Cheshire Way"-Sammlung,[38] sowie Kompositionen aus jüngerer Zeit von Matt Seattle, Donald Shaw, Paddy O'Brien, Franziska Urtons "Missing Babysitter" (eingespielt von ihrer Gruppe Dán[43]) und mehrere Eigenkompositionen von Johannes, wie z.B. "Moving in the Underworld", das auf einer Akkordfolge eines Neneh Cherry Songs basiert. Johannes Schiefners Faszination für die siebziger Jahre manifestiert sich auch in Alison O'Donnells "Heaven Heath" und Bill Fays "Tiny", von Johannes höchstpersönlich intoniert. Diese beiden Lieder überzeugen mich persönlich nicht so wirklich, dafür gibt es eine eindringliche, von Iritchka gesungene Version des traditionellen bulgarischen Liedes "Sinu Stujene". Und das ganze Album endet dann mit einem norwegischen Joik.
© Walkin' T:-)M


Ernst Molden "A so a scheena Dog"
Monkey, 2012

www.ernstmolden.at

Fleißig ist er ja, der Ernst Molden.[40] Der Wiener Liedermacher, um nicht zu sagen das Sprachrohr seiner Geburts- und Lebensstadt Wien, verzichtet nach "Es Lem"[45] und dem Cover-Album "Weida foan"[47] auf seine Begleitband und legt ein reines Soloalbum vor - einzig Stimme, Akustik-Gitarre und Goschenhobel. Molden hat seine Sprache im Wiener Dialekt gefunden und klingt auch ohne Hannes Wirths Gitarre, Walther Soykas Harmonika und Sibylle Kefers Harmoniegesang besser als je zuvor. Erfrischend anders in dieser Welt, und aufs Minimalistischste reduziert sein intimstes und persönliches, aber gleichzeitig auch entspanntestes Album. In den Texten scheint es um Banalitäten zu gehen, aber es sind diese Alltäglichkeiten um Personen, Plätze und Passionen, aus denen Molden Menschliches und Allzumenschliches herausarbeitet. Molden hat den Blues am "Matzleinsduafa Blods", aber es ist trotz aller Melancholie ein Album für einen entspannten Sommerabend.
"A so a scheena Dog" wurde in einem entlegenen Winkel im Burgenland auf einer antiquierten Bandmaschine aufgenommen und erscheint als Vinyl-LP: Drinnen steckt für die Hasenherzen noch eine CD. Meine Hoffnung ist, daß die LP dann solang herumsteht, bis sie sich doch einen Plattenspieler besorgen. Weil so alles noch schöner wird.
© Walkin' T:-)M


Triskilian "neo"
AL!IVE/Totentanz, 2012

www.triskilian.de

Schau die Vielfalt der Völker, Kulturen, Religionen, der Menschen, die gemeinsam diesen Erdenkreis bewohnen! Lausche den Musiken, den Liedern und Gesängen! Erfreue dein Herz an befremdenen Klängen! Der wirklich freie Geist verbindet Ideen, das Rad der Traditionen will sich unaufhörlich drehen ... Das ist der charts-taugliche und programmatische Beginn, mit dem die unterfränkische Mittelalter-Formation Triskilian ein neues Kapitel aufgeschlagen hat. Nach reinstem Mittelalter[28] und Mystik[41] folgt nun ein poppiges, grooviges Crossover-Album, auf dem akustischen Instrumente (Dudelsack, Drehleier, Nyckelharpa, Flöten, Bouzouki und diverse Perkussionsinstrumente) auf Sequenzer und E-Drums treffen: transmedieval beatz! Multi-instrumentalist Dirk Kilian sorgt dafür, dass die Lieder nicht in den Rhythmen von Jost Pogrzeba untergehen; Sängerin Jule Bauer schlägt einen mit ihrer ausdrucksstarken Stimme in den Bann. Das Repertoire: Instrumentalstücke von Kilian, die traditionellen sephardischen Lieder "Avrix mi galanica" (Öffne mir, meine Liebe) und "La Rosa Enflorece" (Die Rose erblüht), die mazedonischen "Tseniv se u popa" (Ich verhandelte mit dem Popen) und "Makedonsko devojče" (Mazedonisches Mädchen), das bulgarische "Karaj majčo" (Befiehl, Mutter) - und als Bonustrack ein Remix des Hildegard von Bingen-Klassikers "Viridissima" vom Triskilian-Album "Do durch der werlde". "neo" ist tanzbar, leidenschaftlich, belebend und im wahrsten Sinne des Wortes neu, frisch, gegenwärtig, jung!
© Walkin' T:-)M


Colm Phelan "Full Circle"
Own label, 2012

English CD Review

www.bodhranphelan.com

In regelmäßigen Abständen wird ein Bodhran-Album auf den Markt geworfen - Neill Lyons,[38] Guido Plüschke,[30] Rolf Wagels[45] -, obwohl ein Album, das die irische Rahmentrommel im Zentrum hat, ja eigentlich auch ein etwas seltsame Einfall ist. Colm Phelan, preisgekrönter Perkussionist der irischen Trad-Band Goitse, hat sich nichts weniger vorgenommen als die Rhythmen des modernen top end Spiels, einschließlich rhythmischer Ideen, die nie zuvor aufgenommen worden sind. Top end style, d.h. im Gegensatz zum traditionellen Kerry Stil nur ein Ende des Schlegels zu nutzen, was einen tiefen Rahmen und ein dünnes Fell erforderlich macht, sowie einen dünneren Schlegel, woraus ein hellerer Klang resultiert. Colm, der erste Bodhranist, der an der Irish World Academy of Music and Dance Limerick graduiert hat, spielt nicht nur mit, sondern unterstützt wohl arrangierte Instrumental-Sets seiner Goitse-Kameradinnen und -kameraden Áine McGeeney (Geige), James Harvey (Banjo) und Tadhg Ó Meachair (Klavier), sowie Flötist Stephen Doherty[42] und Gitarrist Seamie O'Dowd.[39] Hauptsächlich Reels, darunter jeweils zwei Tunes von so unterschiedlichen Fiddlern wie Charlie Lennon[34] und Jeremy Kittel.[42] Höhepunkt ist aber wohl ein schottisches puirt a beul (mouth music) der Sängerin Sarah Jane Murphy. Je nach Erfordernis erweist sich Colm als sensibel oder energischer Perkussionist, der jeder Melodie die Gelegenheit und Unterstützung gibt, sich zu entfalten.
© Walkin' T:-)M


In Extremo "Sterneneisen Live - Laut
sind wir und nicht die Leisen" [CD+DVD]
Universal, 2012

Article: In Extremo, Wir werden niemals knien

www.inextremo.de

Die Mittelalter-Rocker In Extremo live in der Siegerlandhalle im April 2011. Der neue Schlagzeuger Specki T. D. trommelt um sein Leben, seine Bandkollegen präsentieren sich als Ruhepol im Auge des Orkans, die die erfolgreiche musikalische Formel gefunden haben, an der man mehr oder weniger seit einigen Jahren festhält. Mit sowohl Liedgut als auch visueller Präsentation hat man sich vom Mittelalter emanzipiert, und man hat es mit einer (fast) normalen Rockband zu tun - wenn nicht die Sackpfeifen oder die Harfe und die Schlüsselfiedel wären. Die meisten Stücke stammen vom Nr. 1 Album "Sterneneisen", obwohl man sich darüber streiten kann, ob das Album zu den Höhepunkten ihres Schaffens gehört und viele Stücke bis in die nächste Saison überleben werden.[44] Auch einige ältere Stücke sind noch zu hören: das schwedische Garmarna-Stück "Herr Mannelig" oder die Eigenkomposition "Küss mich" (das eigentlich nur eine Saison gespielt werden sollte und sich zum Kulthit entwickelt hat). Auf der DVD befindet sich zusätzlich noch die Villon-Adaption "Erdbeermund", womit wir zum visuellen Teil kommen, denn durch die dynamische Bildsprache erweist sich "Sterneneisen Live" als äußerst gelungene Konzertverfilmung. In Extremo ist live - auch wenn man die Pyrotechnik abziehen würde - bei der "Sterneneisen"-Produktion deutlich stärker als im Studio.
© Walkin' T:-)M


Die Strottern "Wia tanzn is"
cracked anegg records, 2012

www.dietrottern.at

Böses hatte ich befürchtet, als ich hörte, dass Klemens Lendl (Geige) und David Müller (Gitarre) mit Blasmusik aufgerüstet haben. Doch alles ist gut, die Strottern, die auch schon mal mit der Jazzwerkstatt Wien zusammengearbeitet haben, sind die Alten geblieben.[39][44] Martin Eberle (Trompete, Flügelhorn) und Martin Ptak (Posaune, Harmonium) unterstützen die Neo-Wienerlieder mit ihrem Blech zwischen New Yorker Jazzclub und Wiener Beisl sensibel und verhalten und bieten für das Duo höchstens die Gelegenheit, mal ein paar neue Gassen zu erkunden. Sprechgesang und Understatement, Melancholie und Ironie, schwarzer Humor und Parodie - das sind die Eckpunkte, um die sich die eigenen und ergaunerten Texte drehen (lyrische Ergüsse von Daniel Glattauer, Peter Ahorner, Christian Tesak, Krimiautor Stefan Slupetzky, sowie eine Cover-Version von Ennio Morriccones "Tema d'Amore"), durchaus in typischer Wienerlied-Tradition, wenn auch mit modernen außerösterreichischen Ideen aufgepeppt. Es sind meistens Beziehungsdramen, ob nun der schüchterne U-Bahnkontrolleur, der nur träumt (Foascheinkontrolle, schwoazz foan woin olle, oba sie mein freulein diafn ollas bei mia), oder der verwirrte Verehrer (du losst mi knian und dabei steh i so auf di). Es wird sogar richtig versöhnlich: Und schließlich die Hoffnung, die stirbt ja zuletzt. Nur bled, wann i vorher stirb, zum Beispiel jetzt. Hab ich dann net sinnlos mei Leben verhofft, statt dass i's gelebt hätt, dafia g'hörat i g'straft.
Für all das wurde die Nummer 1 der jungen Wienerliedszene jüngst mit dem Deutschen Weltmusikpreis RUTH ausgezeichnet.[47]
© Walkin' T:-)M


Bülbül Manush "The Oriental Train Experience"
Beste! Unterhaltung, 2012

www.buelbuelmanush.com

Bülbül Manush (das erste Wort ist türkisch für Nachtigall, das zweite der Roma-Begriff für Menschen) sind mit mehr als einem dutzend Bandmitglieder eine Multikulti-Formation aus Erlangen, die seit gut zwei Jahren live ihren Mann (und Frau) steht und nun das Studiodebüt "The Oriental Train Experience" vorlegt. Die Franken spielen Volkslieder aus aller Herren Länder und die musikalische Reise beginnt mit "Opa Cupa", dem Lied des serbischen Sängers Šaban Bajramović, und dem "Makedonsko Devojce" auf dem Balkan. Der Bosporus wird überquert und es erklingen die türkischen Volkslieder "Üsküdar'a gideriken" und "Erkilet güzeli". Verbindungspunkt zwischen Okzident und Orient ist das griechisch-türkische "Misirlou," das im Laufe von hundert Jahren zum festen Bestandteil von Rembetiko, Bauchtanz, Klezmer und Surfpop geworden ist.
Erstaunlicherweise finde ich "The Oriental Train Experience" gar nicht so tanzbar, funkig und party-tauglich, wie sich Bülbül Manush selbst darstellt. Es enthält vielmehr viele reflexive Momente. Dennoch - oder vielleicht auch gerade deswegen - ist es eine Scheibe, die ich immer mal wieder gerne in den CD-Spieler lege.
© Walkin' T:-)M


Olaf Sickmann "Original Tin Whistle Session Tunes"
Timezone, 2012

Das Ziel dieses Silberlings ist nichts weniger als session-geeignete Tunes traditionell irischer Machart anzubieten. Dazu hat Olaf Sickmann[31][34][38] 20 Stücke auf der Tin Whistle eingespielt, ausgewählt aus rund 300 Kompositionen, die er in den vergangenen 20 Jahren verfasst haben will. Er spielt jeweils zwei Durchgänge pro Titel, begleitet sich selbst auf der Akustikgitarre und die Noten und Begleitakkorde befinden sich als pdf-Dokument auf der CD. Für die Statistik: 8 Reels, 5 Jigs, 3 Hornpipes, 2 Polkas, 1 Marsch und 1 Walzer. Die Stücke sind in den gängigen Tonarten, geradeaus und eingängig, und offenbaren ein Ohr für traditionelle irische Musik. Mir gefallen vor allem die eher verschnörkelteren Melodien, die aber wohl weniger session-tauglich sind.
Hat Olaf Sickmann letztendlich sein selbstgestecktes Ziel erreicht? In der Tat enthält die CD eingängige und mehr oder weniger einfach nachspielbare Tunes, die in keiner Irish Trad Session zwischen Hamburg und München fehl am Platz wären. Ob nun die kleinen Musikstücke tatsächlich ihren Weg gehen werden, das kann nur die Zukunft zeigen. Ich bin gespannt!
© Walkin' T:-)M


Al Andaluz Project "Abuab Al Andalus" [CD & DVD]
Galileo MC, 2012

English CD Review

www.alandaluzproject.de

Urgestein Michael Popp ist berüchtigt dafür, Kritik sowohl an pseudo-authentischer Aufführungspraxis in akademischen Kreisen als auch den in Deutschland so populären, völlig kommerzialisierten Mittelaltermärkten zu üben. Sein Ansatz war es vielmehr immer, mittelalterliche mit zeitgenössischen Klängen zu verbinden und dabei innovativ zu sein, ohne an Qualität einzubüßen. Das ist mit seinen Mittelalter-Formationen Estampie und QNTAL[38] bestens gelungen, und war auch die Zielvorstellung, als er 2005 auf Musiker der spanischen Gruppen L'Ham de Foc[37] und Amán Amán traf und vorschlug, ein gemeinsames Programm zu erarbeiten. Der Bandname Al Andaluz Project verweist auf den arabischen Namen der von 711 bis 1492 maurisch regierten iberischen Halbinsel, eine wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Blütezeit, in der sich Muslime, Juden und Christen mehr oder weniger friedlich begegneten, sich gegenseitig beeinflussten - und wohl auch miteinander musizierten.
Article: Some Observations on Judeo-Spanish Sephardic Songs Nach zwei Studioalben[43] haben die diesjährigen Preisträger des Deutschen Weltmusikpreises RUTH[47] eine neue Tür aufgestoßen. CD und DVD "Abuab Al Andalus" (d.h. die Tore von Al Andalus) wurden am 21. Januar 2011 in der Reithalle München aufgenommen. Die Spanierin Mara Aranda,[39] die Marokkanerin Iman al Kandoussi und die Deutsche Sigrid Hausen - drei Stimmen, drei Religionen, drei Kulturen - bilden den Kern, um traditionelle jüdisch-sefardische und arabisch-andalusische Lieder, Cantigas de Santa Maria und Tänze aus dem 13. Jahrhundert zu präsentieren. Michael Popp spielt Saiteninstrumente wie Ud, Saz und Tar, Ernst Schwindl Drehleier, Nyckelharpa und Indisches Harmonium, Aziz Samsaoui die orientalische Zither Quanun, Jota Martinez Drehleier und Cister, Johann Bengen und Jürgen Schneider diverse Perkussionsinstrumente. Nostalgie wird in keinster Weise gepflegt. Die Darbietung des Al Andaluz Project ist frisch und zeitgerecht, leidenschaftlich und gefühlvoll - und so bunt wie das Völkergemisch im damaligen Al Andalus. Ziel erreicht: die Musik wird ins Hier und Heute transportiert und eine ganze Kultur zu neuem Leben erweckt!
Die DVD enthält neben dem eigentlichen Konzert, welches man auch mit Erläuterungen von Michael Popp zu den einzelnen Titeln betrachten kann, zusätzliche Interviews mit allen Künstlern. Hinterher weiss man bestens Bescheid über die Entstehung als auch den kulturellen Hintergrund des Al Andaluz Project.
© Walkin' T:-)M


Lloyd Jones "Highway Bound"
Lloyd Jones Music, 2011

www.lloydjonesmusic.com

Lloyd Jones wirkt wie ein hart arbeitender Bluesmusiker. Er tourt, komponiert, singt und spielt eigentlich fast rund um die Uhr. Zumindest scheint das so, wenn man den Spuren folgt, die er oder seine Freunde im Internet hinterlassen. So erlebt man ihn in Dänemark wie in Georgia. Die meisten Abende spielt er allerdings in Portland/Oregon. Dann steht er entweder als Teil eines Quartetts oder als Solokünstler auf der Bühne und spielt seinen erdigen Blues. Seine Songs auf der CD "Highway Blues" klingen zwar nach authentischem Blues, doch hängt er sich nicht sklavisch an die Vorlagen der Originale, die er hier zutage fördert, sondern bringt seine eigenen Interpretationen. Die 16 Bluesnummern sind meist Adaptionen von Liedern, die ihn inspiriert haben und das meist schon in seiner Jugend. Zeit, diesen alten Songs eine Möglichkeit zu geben, sich noch einmal aufhübschen zu lassen, die alten Gamaschen anzuziehen und zu zeigen, dass man es noch drauf hat. Lloyd Jones verzichtet dabei auf übertriebene Spielereien. Er interpretiert von leichtem und gekonntem Fingerpicking begleitet diese Bluesoldies und macht damit aus diesen einfachen Titeln für jeweils knapp drei Minuten eine goldene Erinnerung. Die gehört ihm zwar zunächst allein, man kann sie beim Zuhören aber leicht mit ihm teilen. Lloyd Jones CD "Highway Bound" ist erfrischend unaufgeregt und auf einfache Weise richtig guter Blues.
© Karsten Rube


Bryan and the Haggards
"Still Alive and Kickin' down the Walls"
Hot Cup Records, 2011

www.bryanmurray.net

Mit der Musik verhält es sich ähnlich, wie mit der Zubereitung von Speisen und Getränken. Man kann so ziemlich alles zusammenmischen. Grenzen setzt lediglich die Fantasie. Und der Geschmack. Bryan Murray ist mit seiner zweiten CD „Still alive and kickin' down the Walls“ so etwas gelungen, wie die musikalische Entsprechung eines Leberwurst-Daiquiris. Er mischt Country mit lärmendem Saxofon. Das findet sicher auch seine Freunde - unter Leuten beispielsweise, die aus körperlichen Gründen nie unter Kopfschmerzen leiden, dies aber auch gern mal erleben wollen. Bryan Murray schafft es, aus einem Saxofon alles an Geräuschen herauszuholen, was zwischen Stau in der Rushhour und der Apokalypse denkbar ist. Es wird gehupt und getrötet, dass man den CD-Titel einfach ernst nehmen muss. Mauern dürften in ihrer Stabilität beeinträchtigt werden. Dabei besitzt er eine ziemlich ausgeprägte Virtuosität. Der stilistische Hintergrund ist eine Form von Countrymusik, wie man sie in Wochenendtanzveranstaltungen im amerikanischen Mittelwesten antrifft, eine Art tempogedrosselter Schwof mit Einwanderernostalgie zwischen Teebeutelromantik und deutscher Folklore. Murray benutzt das Saxofon in diesen Momenten zur Melodieführung. Jedenfalls so lange, bis er erneut den Faden verliert und wieder ins Hupen kommt. Zwischendurch beruhigt er sich allerdings und spielt mit schmuddliger Resonanz in seinem Blasgerät zwei Songs, bei denen man sich unvermittelt in einem Stripschuppen in den frühen Siebzigern sitzen sieht. Leider ist das Stück dann so lang, dass man sich fragt, wie viel die Gute wohl an hat. „Twinkle Twinkle Lucky Star“ heißt eines der beiden Stücke. „Mit Sing a Sad Song“ lässt er gleich noch einen Song vom selben Kaliber folgen. Zur Ehrenrettung der Band möchte ich nochmal betonen, dass vom Banjo, über das Saxofon, bis zu Klarinette und Schlagzeug, jeder sein Handwerk bestens versteht. Leider scheinen die fünf Musiker aber an fünf verschiedenen Platten gearbeitet haben. Lassen wir also den Cowboy mit seinem Saxofon vor einem stillen Sonnenuntergang seinen Leberwurst-Daiquiri zu sich nehmen und für ihn hoffen, dass er bei anderen Hörern auf mehr Toleranz trifft, als bei mir.
© Karsten Rube


Emily Pinkerton "Ends of the Earth"
Pennsylvania Performing Arts, 2012

www.emilypinkerton.com

Dass sich die amerikanische Countrymusic nicht ausschließlich mit den Geschichten des amerikanischen Westens beschäftigt, macht uns die Sängerin und Gitarristin Emily Pinkerton auf ihrer CD "Ends of the Earth" deutlich. Der Süden Chiles als einer der Endpunkte der Welt und eine Gegend, die dem amerikanischen Westen in vielen Dingen ähnlich ist, spielt auf ihrer CD eine nicht unbedeutende Rolle, schließlich verbrachte die Sängerin Mitte der 90er Jahre einige Zeit in dem kulturell, wie politisch sehr bewegten Land am Pazifik. Auch Folksongs aus Venezuela hat sie aufgegriffen und interpretiert sie auf eine angenehm unspektakuläre Weise. Ihre eigenen Country-Kompositionen mischt sie so geschickt dazwischen, dass es nirgendwo stilistische Brüche gibt. Alles passt harmonisch zusammen. "Ends of the Earth" stellt die kulturellen Gemeinsamkeiten Süd- und Nordamerikas heraus. Emily Pinkerton hat sich dazu den stilistischen Grenzgänger Jose Layo Puentes aus Venezuela am Bass in die Band geholt, sowie Lucas Savage, einen Percussionisten aus Santa Fe, der zwischen Rock und Flamenco pendelt und den Gitarristen Daniel Marcus, der nach Norah Jones jetzt für die Emily Pinkerton Band in die Saiten greift. Der lässige Wandel, mit dem die junge Musikerin zwischen den Kulturen wechselt, erinnert an die engagierten Mittelamerikaphasen Bruce Cockburns. Ähnlichkeiten im Stil sind an einigen Stellen der CD, wie bei "The Secret" herauszuhören und sicher nicht zufällig. "Ends of the Earth" ist eine CD, die nichts für Countrypuristen ist, aber sicher eine Empfehlung für Leute, denen das Schlagen von kulturellen Brücken eine Herzensangelegenheit ist.
© Karsten Rube


Lino Davide & Via Medina "Uno, luna e monte"
Folk Club Ethnosuoni, 2011

www.myspace.com/viamedina

Mit warmer Stimme singt Lino Davide von vergessenen Kriegen in Afrika und deren Flüchtlingen, die im Süden Italiens auf ein besseres Leben hoffen. Er singt von Verbrechen im verwinkelten Neapel und von den Kindern, die in der Sonne spielen, von all den alltäglichen Eindrücken zwischen Normalität und Extremsituationen, die Neapel zu einer der widersprüchlichsten und faszinierendsten Städte zwischen europäischem Lebensgefühl und arabischem Einfluss macht. Der ständige Wechsel von hell und dunkel, Sonne und Mond ist das Thema, das sich durch das aktuelle Via Medina Album "Uno, luna e monte" zieht. Dabei bleiben die Lieder ebenso lang im Ohr hängen, wie es manche Kinderlieder tun. Via Medina hat 2005 ihre letzte CD veröffentlicht. Von der Besetzung blieb nur noch der Violinist Vittorio Cataldi übrig und der Kopf Lino Davide, doch eine ganze Reihe hervorragender Instrumentalisten lassen Via Medina zu einem gelungenen musikalischen Projekt reifen, das der ursprünglichen Besetzung in nichts nachsteht. "Uno, luna e monte" ist ein anrührendes Werk, sentimental und lebendig.
© Karsten Rube


Le Balluche de la Saugrenue "Root's Musette"
Sacem, 2010

Le Balluche de la Saugrenue "Los Petites amourelles"
sheherazade, 2011

www.lasaugrenue.com

La Balluche de la Saugrenue ist ein musikalisches Kollektiv aus Frankreich, das sich der Renaissance der Musette verschrieben hat. Manchmal polieren sie die alten Akkordeonlieder leicht auf und man fühlt sich in die kleinen Tanzschuppen an den Pariser Boulevards versetzt, wie sie zwischen den zwanziger und vierziger Jahren sehr beliebt waren. Manche der Musettes, die Le Balluche de la Saugrenue aufgenommen haben, benötigten allerdings schon etwas mehr Politur. So wechselt gerade auf der ersten CD "Root's Musette" traditioneller Tanz mit elektronischer Abmischung. "Jalousie dub" tendiert deutlich in Richtung Elektrotango und ist dabei in seiner Grundstruktur trotzdem das Gleiche, was eine Musette immer war, ein Stück zum Tanzen. Gelegentlich geht es auch schräger zu. Dann fühlt man sich eher als Zuschauer eines Kleinkunstfestivals. Die zweite CD "Los Petites amourelles" die sie in Italien produziert haben, unterscheidet sich darin nur gering von der Ersten. Der Wechsel von fröhlicher Tanzmusik, Polkas, Walzer und anderer für die Musette verwendbarer Tänze, mit erzählenden Tangos und Jazzelementen, zeugt von einer großen Spielfreude, vom Spaß an Variation und Experimentierfreudigkeit, die sich ohne Probleme auf den Hörer überträgt. Ähnlich wie die Paris Combo lässt auch Balluche de la Saugrenue kein musikalisches Wagnis aus und friemelt dem einen oder anderen Tango auch schon mal einen Skarhythmus unter, der überraschend gut dazu passt. "Le Gigolo" sei hier als Beispiel angeführt. Die Stimme der Sängerin Nina La Brume ist sehr voluminös. Gewaltig genug, um sie zärtlich hauchen zu lassen oder sie kreischend als Waffe zu benutzen. Doch immer wieder greift Le Balluche de la Saugrenue auf die klassisch vom Akkordeon gespielte Musette zurück, die als roter Faden durch ihr gesamtes musikalisches Konzept leitet.
© Karsten Rube


Banda Olifante "10.000 Migrants"
Felmay, 2011

www.bandaolifante.it

Banda Olifante kommen wie eine fröhlich trompetende Elefantenherde daher. Alles in das man reinblasen kann und das dabei ein ordentlich lautes Geräusch verursacht, wird von den italienischen Musikern auch benutzt. Die Gruppe gründete sich im Stile einer Banda, also jener italienischen Blaskapellen, die normalerweise bei Straßen-, Kirchen- oder anderen bedeutenden Gemeindefesten eine Rolle spielen. Sie bilden einen Grundstock für die musikalische Ausbildung des Nachwuchses. Die Banda Olifante ist allerdings bereits aus dem Gemeindeleben ausgezogen, um in ganz Italien den Liebreiz oder Schrecken der Blasmusik zu verbreiten. Die Musiker bedienen sich im weltmusikalischen Selbstbedienungsladen ausgiebig und blasen sich durch Klezmer, afrikanische Melodien und spanische Klänge, haben aber auch keine Scheu auf der CD ausgiebige Klangexperimente zu zelebrieren. Interessant ist vor allem ihr mehrfaches Zurückgreifen auf afrikanische Klangmuster, Der Koraspiela Mamadou Diabate liefert ein paar faszinierende Momente afrikanischer Rootsmusic beim Song "Le Chemin du Griot". Bei diesem Lied halten sich die Bläser dezent zurück, bereiten dem Künstler allerdings einen interessanten Klangteppich. "10.000 Migrants" ist ein hervorragendes Experiment zwischen Rootsmusic und brachialem Brass.
© Karsten Rube


Brass Noir "On the Trans-Balkan Highway"
Piranha Records, 2011

Über den Trans-Balkan Highway, jener gedachten europäischen Querverbindung, die vom europäischen Teil der Türkei bis in den hohen Norden der Karparten führen könnte, sind in den letzten 25 Jahren viele Musiker gezogen. Sie haben ihre Instrumente im Gepäck und ihre Melodien im Herzen mit sich geführt und einer breiteren und kulturell aufnahmefähigeren europäischen Gemeinschaft ihre Empfindung und Weltsicht beigefügt. Das Piranha-Label veröffentlicht mit der CD "Brass Noir" eine Sammlung von Liedern verschiedener Balkanmusiker, die in den letzten Jahren nicht ohne Einfluss auf die Entwicklung der europäischen Folkmusik geblieben sind. Fanfare Ciocarlia aus Rumänien dürfen nicht fehlen. Eigentlich als Festtagsblaskapelle gegründet, ziehen sie nun rund um die Welt und blasen bei verschieden Festivals den Hörern den Marsch. Auf "Brass Noir" haben sie sich den bulgarischen Frauenchor Angelite als Verstärkung dazugeholt und mit "Lume, Lume" einen eindrucksvollen Beitrag für diese CD geleistet. Die albanische Musik rückt immer mehr aus der Isolation heraus. Ein gutes Beispiel ist die Fanfare Tirana, die mit einem getragenen Marsch vertreten sind. Frank London dürfte der bekannteste Bläser der Klezmerszene sein und darf auf dieser Sammlung selbstverständlich auch nicht fehlen. Wer Faith Akins Filme gesehen hat und hier besonders "Crossing the Bridge" dürfte auf den türkischen Musiker Mercan Dede aufmerksam geworden sein. Sein grooviger Balkansound mit orientalischer Note surft hier auf Elementen bosnischer Tradition. Und auch der vielleicht beste, zumindest jedoch durch seinen Auftritt bei Emir Kusturicas Film "Underground" wohl bekannteste Trompeter des Balkans Boban Markovic gehört auf einen Sampler mit Balkan Brass. "Brass Noir On the Trans-Balkan Highway" ist wie ein tongewaltiges Roadmovie in Blech.
© Karsten Rube


Lutz de Shawue "Leinen Los"
Autogram, 2010

www.shawue.de

Wenn man unentwegt über den eigenen Tellerrand blickt, um zu sehen, wie es anderswo aussieht, kann es passieren, dass man manchmal den Boden vergisst, auf dem man steht. Während ich also die große weite Welt der Weltmusik betrachtet habe, nahm ich kaum die eigene Nachbarschaft wahr. Um so erstaunter war ich, als sich ein Musiker aus dem Umland von Berlin bei mir meldete und fragte, ob ich Interesse an seiner Musik hätte. Der Musiker heißt Lutz Neumann, wohnt gar nicht weit weg von mir und kann bereits auf eine 35jährige Bühnenkarriere zurückblicken, die er mit der Veröffentlichung seiner CD "Leinen los!" feierte. Unter dem Namen Shawue hat Lutz Neumann als Folkrocker mit ambitionierten Texten bereits zahlreiche CDs veröffentlicht. Die Liste der Bands, mit denen Shawue zusammenarbeitete, sei es als Vorband oder bei gemeinsamen Gigs, nötigte mir einigen Respekt ab. Subway to Sally, Rammstein, Keimzeit, Freygang, Wolf Maahn und die von mir sehr geschätzte Band Die Zöllner befinden sich darunter. Und das ist nur ein Auszug der Gastaktivitäten. Das eigene Repertoire ist vielseitig und jenseits banaler Reim-dich-oder-ich Fress-dich Texte. Mit großem Interesse schaut er in die Fenster seiner Nachbarschaft, in die Augen seiner Mitbewohner und liest in den Seelen der Menschen, die er dabei sieht. Ängste, Nöte, Wut und Begehrlichkeiten sieht und besingt er, aber auch Hoffnungen, frohe Erinnerungen und Sehnsüchte sind Themen seiner Lieder. "Macht die Leinen los" ist ein Album, auf dem er neben den vielen eigenen Liedern, die er spielt, immer wieder auf Coverversionen zurückgreift. Er interpretiert dabei Songs von Dylan, Waits, Bryan Adams, Jimmy Hendrix und John Cugar Mellencamp. Aber Lutz de Shawue gibt sich nicht mit einer simplen Übersetzung zufrieden, sondern singt diese Songs so, wie er sie verstanden und empfunden hat. Es sind sehr persönliche Umsetzungen von Liedern, wie "Knocking on Heavens Door", "In the Neighborhood" und "Sommer of 69". "Macht die Leinen los" wartet allerdings auch mit ein paar sehr schönen Songs aus seiner eigenen Feder auf. "Ich bin Nie" gehört zu den folkigeren Liedern, "Sylvio" kommt leicht und popig daher und erinnert musikalisch und auch stimmlich an Mark Knopfler. So wie die CD sich mit dem Titelsong auf den Weg macht und beweist, dass 35 Jahre Bühnenerfahrung ein guter Anfang sind, und kein Abgesang, so endet die CD, irgendwo in der Ferne, am Ende der Welt, in "Alaska". Das ist eines der Stücke, die Lutz de Shawue als jemanden zeigt, der seine Instrumente gut beherrscht und der auch aussagekräftige und atmosphärische Titel schreiben kann, die keinen Text nötig haben. Bei aller Liebe zur großen weiten Welt, manchmal liegen die kleinen Schätze direkt vor der Haustür.
© Karsten Rube


The Woodshedders "Oh Dig"
Shepherds Ford, 2011

www.thewoodshedders.com

Die Woodshedders sind eine Gruppe aufrechter Musiker, die es sich zum Ziel gemacht haben, Americanamusic in ihrer gesamten Breite unter einen Hut zu bringen. So ist es nicht verwunderlich, dass sie sich selbst als Verfechter der Indie Roots Americana Musik sehen. Was da so schwierig konstruiert klingt, ist nichts Geringeres, als ein allumfassender Stilmix auf der Basis einfacher Spielfreude. Die CD "Oh Dig" beginnt mit waschechtem Country, schaltet im nächsten Lied um auf Gipsy-Swing, trallalat sich durch einen angedeuteten Reggae und macht mit diesem permanenten Stilhopping munter weiter. Jazz, Swing, Country, Rockabilly, das alles kommt in fröhlicher Folge daher, ohne Rücksicht auf stilistische Brüche. Die CD besitzt zwar keinen wirklichen Zusammenhalt, dafür aber neun äußert unterhaltsame Songs, die jeder für sich originell und aufs Angenehmste unterhaltsam sind. Über Songs, wie "Swallow Wings" und "Chicken to Change" muss man sich einfach freuen.
© Karsten Rube


Ensemble Draj "Ale shvestern"
Laika Records, 2011

www.draj.de

Ganz anders als der traditionelle Klezmer gibt sich die jüdische Musik in der Interpretation der Gruppe Draj. "Ale Shvestern" ist eine kammermusikalische Produktion, die sich mit dem Leben der Frauen in den Shtetls und Ghettos beschäftigt. Die Lieder tragen Röcke. Sie wollen die weibliche Seite der jüdischen Welt zeigen, die Arbeit, Not sowie die Freude und die Begeisterung, die auch in Ärmlichkeit und größter Bedrängnis nicht aus dem Lebenswillen dieses Volkes gewichen ist. Das bietet für das Ensemble viel Raum für Interpretation und Improvisation. Cello, Akkordeon und Stimme als Ausdrucksmittel für diese Musik zu wählen, ist eine äußerst stimmungserzeugende Wahl. Alle drei Instrumente, die Stimme kann man hier durchaus in diese Kategorie einordnen, sind in der Lage, sehr eindringlich verschiedenste Emotionen hervorzurufen. Das gelingt dem Ensemble Draj mit ihren Interpretationen, die Anklänge von Klezmer mit Jazz verbinden auf der CD "Ale Shvestern" vorzüglich. Und wenn es um das Mittel der Klage geht, ist die Stimme der Sängerin Manuela Weichenrieder an einigen Stellen mehr als nur hervorragend besetzt. Ein intelligentes und ohne Zweifel ambitioniertes Kunstwerk .
© Karsten Rube


Whiteboy James and the Bluesexpress
"Extreme Makeover"
Rip Cat Records, 2011

www.whiteboyjames.com

Als ich Whiteboy James und seinen Bluesexpress zum ersten Mal hörte, musste ich an Dynamit-Harry denken. Der Bruder von Benny, ein Mitglied der legendären dänischen Olsenbande, war immer unter Strom und ständig ging irgendwas hoch. Whiteboy James scheint ebenfalls beim Schlafen mit einer Steckdose verbunden zu sein. Seine Musik setzt unter Strom und lässt den Hörer zappeln. Schnelle, schmerzvolle Gitarrenriffs ziehen sich vom ersten Ton der CD an durch die hitzigen 40 Minuten. Als Livekonzert will ich mir das nicht vorstellen. In kleineren Clubs fliegen da bestimmt die Flaschen. Der Sänger, der so aussieht, als wäre er bissig, gehört schon seit Jahren zur südkalifornischen Blues-Rock-Szene, hatte sich jedoch seit 2006 eine Ruhephase gegönnt. Wahrscheinlich waren die Batterien alle. Mit "Extreme Makeover" beweist er, dass die Power wieder da ist. Vorsicht also. Stromschläge sind möglich. "Extreme Makeover" ist keine Musik, für Leute, die nicht schwitzen wollen.
© Karsten Rube


Julius Pittman & the Revival "Live Jonite"
Eller Soul Records, 2011

www.juliuspittmanrevival.com

Satter Southern Soul kommt mit der CD "Live Jonite" von Julius Pittman & the Revival ins Haus. Mit dieser bläserlastigen Kapelle und der wunderbar schaurigen Hammond-Orgel fühlt man sich sofort an die Bluesbrothers erinnert. Die Live eingespielte CD serviert starke Interpretationen von Soulklassikern, wie "She's looking Good" von Rodger Collins oder "You got me hummin'" von Isaac Hayes. Pittman beherrscht auch den Blues hervorragend, wie er in "A good Fool is hard to find" von Gloria Houston beweist. Dass er auch selbst ein recht passabler Komponist ist, lässt er auf gut der Hälfte der CDs hören. Seine eigenen Kompositionen fügen sich nahtlos in die Songs ein, die er aus anderer Quelle in sein Repertoire übernommen hat. "Live Jonite" ist die Aufzeichnung eines heißen Konzertabends, bei dem ich gern dabei gewesen wäre.
© Karsten Rube


Willy Schwarz "Love is a river"
Jaro Medien, 2011

www,willyschwarz.com

Willy Schwarz ist Multiinstrumentalist, Multilinguist und ein Weltbürger, der diese Bezeichnung wie kaum ein anderer verdient. Seine Wurzeln liegen in der Emigration und sind so verzweigt, dass sich sein und das Leben seiner Eltern, wie ein Abenteuerroman liest. Als Sohn eines Deutschen und einer Italienerin ist er in den USA geboren. Die Wanderschaft liegt ihm jedoch im Blut und so verwundert es nicht, dass seine Musik die Vielfalt der Weltmusik in sich trägt, ja der Begriff Weltmusik sich auf die Musik Willy Schwarz' ganz besonders gut anwenden lässt. Sein aktuelles Album "Love is a river" ist der gelungene Versuch einer musikalischen Weltumarmung. Mehrmals greift er zum Blues als Stilmittel, wechselt zur jiddischen Musik, verlegt sich auf Zigeunerweisen und singt auch mal eine hervorragende Popnummer im Stile John Lennons, wie "Time on our Hands". Während der Songs wechselt er die Sprache, wie er es gerade für angemessen hält. Das lässt die CD manchmal ein bisschen zappelig wirken. Aber wer Willy Schwarz kennt, weiß, dass er überall zu Hause ist und deshalb manchmal mächtig hin und her gerissen wirkt.
© Karsten Rube


Various Artists "Closer to the Music Vol. 4"
Stockfish Records, 2011

Das Label Stockfish Records hat im Laufe der Jahre, die es jetzt besteht ein paar hervorragende CDs produziert, die im Folkbereich aufhorchen ließen. Besonders ihre Idee Folkmusik mit hochwertiger Tontechnik auf SACD-Format aufzunehmen und zu einem Klanggenuss allerhöchster Qualität zu veredeln, ist eine Pionierarbeit, die man dem Label nicht hoch genug anrechnen kann. Unter dem Titel "Closer to the Music" gibt Stockfish in schöner Regelmäßigkeit Sampler heraus, die die Perlen dieser Produktion in voller Schönheit aufreiht. Vol. 4 erlaubt uns ein Wiederhören mit dem etwas behäbigen Allan Taylor, der schönen Stimme, die der amerikanischen Songwriterin McKinley Black gehört und dem alten Schmalzsong "Baby it's could outside" hier gesungen von Eugene Ruffolo. Auch der kommt aus Amerika, fühlt sich aber bei Stockfish pudelwohl. Ruffolos gefühlvolle Art zu Singen bringt ihn gelegentlich in die Nähe solch wohlklingenden Namen, wie James Taylor und David Roth. Weitere Künstler auf der CD sind Katja Maria Werker, mit ihrer Coverversion von "Über sieben Brücken" und Ralf Illenberger, dessen Gitarre bei den Stockfish-Aufnahmen besonders schön klingt. Alles in allem hat Stockfish-Records auch mit dieser Compilation "Closer to the Music" Vol.4 wieder alles richtig gemacht. Man fühlt sich bei diesem Label einfach closer to the music.
© Karsten Rube


Capud Draconis "Musica Divina"
Totentanz Records, 2011

www.capud-draconis.com

Caput Draconis haben mit ihrer Musica-Trilogie ein umfassendes musikalisches Konzept umgesetzt, das für Musiker aus der Mittelaltermarktszene nicht gerade üblich ist. "Musica Divina" ist das zweite Album der Trilogie und widmet sich thematisch Dantes "Göttlicher Komödie" und damit dessen Weg durch die Hölle. Der Mensch möge angemessen verzweifeln und alle Hoffnung fahren lassen, suggeriert dieses Werk, an dem sich Caput Draconis orientiert. Die Band kommt allerdings musikalisch nicht so düster daher, wie es das Thema erwarten lässt. Mit hämmernden Trommelschlägen und ganz dicker Luft aus ihren Dudelsäcken macht die Band ordentlich Dampf und heizt dem Hörer gehörig ein. Es ist eine beinahe zu fröhliche Atmosphäre, um dem Höllenthema gerecht zu werden. Man ist eher geneigt zu glauben, die ganze Höllentour wäre eine ganz amüsante, wenn auch etwas hitzige Party. Fazit: Thema nicht ganz getroffen, hat aber trotzdem Spass gemacht.
© Karsten Rube


Jack Harrison "The Enchanted Island"
Nutone, 2010

www.jackharrison.com

Es gehört zur großen Kunst des Schamanismus, über einen langen Zeitraum einen einzigen Ton zu halten. Jack Harrisons CD "The Enchanted Island" beginnt mit diesem beruhigenden Element, das lediglich von einer Frauenstimme begleitet wird. Man glaubt schon, in den nächsten 50 Minuten mit weichen, sanften Tönen aller täglicher Aufregung entrissen zu werden. Doch diese ersten schönen Töne, die das Album einleiten, sind leider nach drei Minuten vorbei und kehren in der nun folgenden ärgerlichen Klangsülze nicht wieder. Dass die Welt des Yogas und der inneren Einkehr eine überaus beliebte und sinnvolle Fluchtmöglichkeit des geplagten Gegenwartsmenschen ist, möchte man begrüßen. Warum die Flucht aus der Gegenwart in die Ruhe ausgerechnet von den Leuten angestiftet und musikalisch untermalt wird, vor denen man eigentlich flüchten möchte, ist allerdings nur schwer nachzuvollziehen. Die CD "Enchanted Island" von Jack Harrison klingt deutlich nach verklumpendem Sektensekret, nach ruhig stellender Verdummungsdroge und Willenlosigkeit auf Rezept. Harrison und seine singenden Sirenen rufen beim Hören deutlich das Gefühl hervor, mal ein klärendes Gespräch mit Gott und Göttin zu führen. So können sie das doch nicht gemeint haben, mit dem Seelenheil. Ich habe die CD ein paar Yogaexperten mit hervorragendem vegetarischem Führungszeugnis untergemogelt, die beim Hören ihr Alle-Menschen-sind-gut-Lächeln verloren. Harrison brummelt sich mit seiner "Yogamusic from the Western World" offensichtlich eine Meditationsmugge zurecht, die ihm selbst weiss machen soll, die westliche Welt könne sich ihren eigenen modisch zurechtgestutzten Fernöstlichkeitsfetisch basteln und all die unbequemen oder auch kulturell unpassenden Details modifizieren oder einfach weg lassen. Es benötigt nur die passende Beruhigungsmusik und einen Bastelbogen mit Guru und Meditationsanweisung. Das mag ja irgendwo auch noch einen gewissen Sinn ergeben, wenn man aus der Gegenwart fliehen will. Aber warum man das mit einer dermaßen musikfernen Grütze untermalen muss, weiß vermutlich nur der Yogaguru Harrison selbst.
© Karsten Rube



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